Update Parodontitis: Dysbiose im Parodontium
Da eine Parodontitis weitreichende Folgen für die Gesundheit der Patienten haben kann, sind eine frühzeitige Diagnose und eine darauf basierende Therapie von großer Bedeutung. Neben dem Nachweis der Leitkeime und der Untersuchung der genetischen Disposition des Patienten für das Entwickeln einer Parodontitis können auch verschiedene Biomarker, wie Calprotectin oder die Matrix-Metalloprotease-8 für die Diagnostik herangezogen werden.
Schlüsselwörter: Gram-negative Bakterien, Porphyromonas gingivalis, Mikrobiota, Transkriptomanalyse
Wenn das Gleichgewicht der mikrobiellen Gemeinschaft unseres Parodontiums gestört ist, führt das zu einer Entzündung des Zahnhalteapparates (Parodontitis). Die Folgen gehen für die betroffene Person deutlich über die Lockerung oder den Verlust von Zähnen hinaus.
Der erste Schritt in Richtung einer Parodontitis beginnt mit einer Entzündung des Zahnfleisches, einer Gingivitis: Neben vielen anderen Faktoren kann diese durch mangelnde Mundhygiene, Rauchen, Alkoholkonsum, Antibiotika, Mangel an den Vitaminen D und C, chronischen Stress oder auch durch Galvanismus, der wiederum durch die Kombination unterschiedlicher Metalle im Mund hervorgerufen wird, verursacht werden. Wenn dem nicht Einhalt geboten wird, ist es möglich, dass sich durch eine Störung der empfindlichen Symbiose der Mikrobiota im Mund-Rachen-Raum mit dem menschlichen Immunsystem eine Parodontitis entwickelt, die letztendlich zur Lockerung des Zahnhalteapparates und zum Zahnverlust führen kann. Darüber hinaus können Botenstoffe der Entzündung und auch die beteiligten Bakterien in den Blutkreislauf gelangen und zu kardiovaskulären Erkrankungen oder auch Diabetes führen.
Bakterielle Dysbalance
Wenn die symbiontischen Mikroorganismen einmal in ihrer Kommunikation gestört sind, können sich einige Spezies, die durchaus physiologisch zur Mikrobiota zählen – sogenannte Keystone-Bakterien – stärker vermehren und das Gleichgewicht zur Dysbalance verschieben. Obwohl man mittlerweile zumindest in der Forschung zur Bestimmung der Zusammensetzung der gesamten Mikrobiota bzw. des Mikrobioms übergeht, sind es in der Praxis fünf orale Keime mit höchster Pathogenität (Aggregatibacter actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis, Prevotella intermedia, Tannerella forsythia und Treponema denticola), die das Risiko für einen progredienten parodontalen Attachmentverlust signifikant [1–3] erhöhen. Diese Keime werden daher als die fünf Leitkeime der Parodontitis bezeichnet.
Porphyromonas gingivalis ist einer dieser Leitkeime. Er gehört zwar eigentlich zur normalen Mikrobiota des Mund-Rachen-Raums, ist aber in der Lage, Virulenzfaktoren zu bilden, die den Gewebeabbau fördern. Zu den Abbauprodukten zählen Proteine, Aminosäuren, Hämine und anderen Gewebekomponenten. In diesem Milieu entwickeln sich Synergien mit Pathobionten, also mit Keimen, die vorher in geringem Maße auch schon zur normalen Mikrobiota gehörten, sich aber jetzt durch ihre Vorliebe für asaccharolytische Nährstoffe sehr stark vermehren können. In Transkriptomanalysen zeigen sich dann deutlich mehr Transkripte des Protein- und Aminosäurestoffwechsels als des Kohlenhydrat-Metabolismus.
Das menschliche Immunsystem reagiert darauf mit entzündungsfördernden Botenstoffen. Neutrophile Granulozyten, Monozyten und Makrophagen wandern zum Ort der Entzündung und sorgen dort ebenfalls für Gewebeabbau, um den Immunzellen den Weg zum Infektionsherd zu ebnen. So wird das Nahrungsangebot für die Pathobionten noch besser. Die bakterielle Last im Zustand der Dysbiose übersteigt die der Symbiose um den Faktor 1.000. Da es sich bei den fünf Leitkeimen der Parodontitis und bei den Pathobionten um Gram-negative Spezies handelt, bietet sich eine Behandlung mit entsprechenden Antibiotika an.
Genetische Prädisposition
Wie stark das menschliche Immunsystem auf die Dysbiose reagiert, ist von Polymorphismen im Interleukin-1-Gencluster abhängig, weshalb der humangenetische Nachweis einiger bekannter Polymorphismen mittlerweile zu den standardmäßig durchgeführten Untersuchungen bei Parodontitis- oder auch bei Implantat-Patienten geworden ist. Gegebenenfalls kann der Zahnarzt dann frühzeitig eingreifen und so einen größtmöglichen Behandlungserfolg erzielen. Für diesen Nachweis gibt es mittlerweile auch fertig zusammengestellte Assaykits.
Biomarker für Parodontitis
Um frühzeitig – möglichst noch vor der Manifestation einer Parodontitis – die Anzeichen der Entzündung zu erkennen, sind Biomarker unerlässlich. Durch die Entzündung bildet sich in den Zahnfleischtaschen und im Weichgewebe um die Zahnhälse herum die sogenannte Sulkusflüssigkeit (Sulcus gingivalis), die Botenstoffe der Entzündung enthält, welche als Marker zur Beurteilung des Entzündungsstatus und der parodontalen Destruktion dienen können. Für die Analyse wird die Sulkusflüssigkeit (bzw. auch Speichel oder Mundspülflüssigkeit) auf Filterpapier gesogen und mittels ELISA nachgewiesen.
Ein etablierter Biomarker, der aus dem Stuhl zur Diagnose der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung bereits lange herangezogen wird, ist das Calprotectin. Es kommt in hohen Mengen im Zytoplasma der neutrophilen Granulozyten vor und dient, adaptiert für den Nachweis im Sulcus gingivalis, als Hinweis auf einen Bindegewebeabbau.
Als weiterer Marker für die Destruktion von Gewebe gilt die Matrix-Metalloprotease-8 (MMP-8), die ebenfalls schon in der Routinediagnostik zum Einsatz kommt. Bei dieser handelt es sich um ein körpereigenes Enzym, welches früh im Verlauf der parodontalen Entzündung vom Immunsystem aktiviert wird und Gewebe zerstört, um den Immunzellen den Weg zum Infektionsherd zu ebnen. Durch den Nachweis hoher MMP-8-Werte kann parodontaler Gewebeabbau erkannt werden, noch bevor klinische Zeichen auftreten. Zu diesem frühen Zeitpunkt ist der Abbauprozess in der Regel reversibel und kann mit geeigneten Maßnahmen aufgehalten werden.
Beim Gewebeabbau sind noch eine ganze Reihe anderer Metalloproteasen aktiv. Obwohl nach Transkriptom-Analysen eine hohe Aktivität der Matrix-Metalloprotease-1 (MMP-1) zu erwarten war, scheint es aber doch die MMP-8 zu sein, die anscheinend den Hauptteil der Aktivität ausmacht [4].
Ausblick
Auch wenn Analysen der Mikrobiota, des Proteoms und des Transkriptoms sehr vielversprechend scheinen, sind diese Methoden leider immer noch weit von der Routineanwendung entfernt. Trotzdem werden die Erkenntnisse zunehmen und Prävention und Therapie in die richtige Richtung weisen.