Neue Kriterien für Prognose und Therapiesteuerung

MRD-Bestimmung

Die Krankheitssymptome mögen unspezifisch sein, aber schon der erste Blick ins Mikroskop lässt vermuten, dass es sich hier um die in der westlichen Welt häufigste Leukämie handelt: eine chronische lymphatische Leuk­ämie (CLL), auch als Altersleukämie bezeichnet. Im Ausstrich dominieren kleine Lymphozyten mit hoher Kern-Plasma-Relation. Die Diagnose erfolgt aufgrund des Immunphänotyps (insbesondere CD5+, CD19+, CD23+). 

Pathogenetisch kommt es bei der CLL zu einer klonalen Vermehrung von B-Zellen mit vielfältigen somatischen Mutationen. Wenn eine del(17p13) oder eine TP53-Mutation vorliegt, kann Venetoclax eingesetzt werden (S. 147 und 190). Dieser Wirkstoff normalisiert das Blutbild von Patienten, die unter Standardtherapie ein Rezidiv entwickelt haben.

MRD als Studien-Endpunkt

Wie lange diese positive Wirkung anhält, kann man noch nicht sicher sagen, denn zum einen ist das Medikament für eine abschließende statistische Bewertung der Überlebensraten noch nicht lange genug auf dem Markt, zum anderen hat die Erkrankung ihren Altersgipfel bei 70 bis 80 Jahren, also in einem Zeitraum, in dem die Patienten aus vielfältigen anderen Gründen sterben können.

Um trotzdem möglichst frühzeitig statistische Aussagen über den Effekt eines neuen Wirkstoffs machen zu können, bietet es sich bei leukämischen Erkrankungen an, anstelle von Überlebensraten die Zeit zu messen, bis wieder maligne Zellen im Blut auftreten. Diesen Zustand bezeichnet man als Minimal Residual Dis­ease (MRD); er liefert eine statistisch gut auswertbare 

Ja-Nein-Aussage: MRD-negativ bzw. MRD-positiv. Was aber vielen nicht bewusst ist: Diese Aussage und damit die Bewertung des Medikaments ist stark von der Wahl des Analysenverfahrens abhängig.

NGS-MRD als Prognosemarker

Die herkömmliche Mikroskopie ist zur MRD-Bestimmung viel zu unempfindlich (Nachweisgrenze 10-2), und auch mit der Durchflusszytometrie oder PCR einzelner genetischer Marker entdeckt man nur eine Tumorzelle pro 10.000 Leukozyten (10-4), was immer noch zu falsch MRD-negativen Befunden führen kann. 

Am Beispiel der akuten myeloischen Leukämie (AML) konnten nun Forscher der Universität Rotterdam zeigen, dass der zusätzliche Einsatz der Hochdurchsatz­sequenzierung (NGS) die Aussagekraft der MRD deutlich verbessert [1]. Bei 482 AML-Patienten in kompletter Remission nach Chemotherapie wurden 54 Gene (TruSight Myeloid Panel) sequenziert. Es zeigte sich, dass fast alle Patienten trotz scheinbarer Tumorfreiheit im Knochenmark weiterhin mindestens eine Mutation aufwiesen (im Mittel 3). Einige davon – die sog. DTA-Mutationen – waren häufig, hatten aber keinen prognostischen Wert, andere wie z. B. NPM1, FLT3, NRAS, KRAS oder KIT waren bei erneutem Auftreten mit deutlich erhöhten Rezidivraten assoziiert.

Die Kombination des NGS-Panels mit der Durchfluss­zytometrie lieferte die bes­ten Vorhersagen für die Notwendigkeit einer Therapieumstellung: Patienten, die mit beiden Verfahren positiv wurden, hatten eine Rezidivrate von rund 75%; blieben beide Tests negativ, lag diese bei 25%, und bei divergierenden Befunden waren es 50%. Die Autoren empfehlen deshalb die NGS-MRD als zusätzlichen prognostischen Marker und fordern weitergehende Untersuchungen, um evtl. Mutationen zu entdecken, die die verbleibenden 25% falsch negativer Befunde korrekt erfassen.  

[1] Jongen-Lavrencic M. et al. Molecular Minimal Residual Disease in Acute Myeloid Leukemia. NEJM 2018; 378: 1189–99