Hämatologische Labordiagnostik 2022: Vom Blutbild zur Genomsequenzierung

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2022.03.01

Trotz der rasch fortschreitenden Entwicklung der molekular- und zytogenetischen Verfahren in der Diagnostik, Zuordnung und Klassifizierung hämatologischer Erkrankungen sind die klassischen Methoden wie Zellzählung und morphologische Beurteilung der Zellen des Blutes weiterhin von essenzieller Bedeutung für die Formulierung einer ersten Verdachtsdiagnose und die Festlegung weiterführender phänotypischer, zyto- und molekulargenetischer Untersuchungen, die in Einzelfällen erst mit einer Sequenzierung infrage kommender Genabschnitte oder auch durch eine Sequenzierung des Gesamtgenoms ihren Abschluss finden.

Schlüsselwörter: Immunphänotypisierung, Mutationsanalytik, FISH, NGS

In Anbetracht der Fortschritte der subzellulären Diagnostik (Immunphänotypisierung, Zytogenetik und Molekulargenetik) stellen morphologisch ausgebildete Ärzt:innen und MTLA immer wieder besorgt die Frage, inwieweit neue weitgehend automatisierte, digitalisierte und zum Teil mithilfe künstlicher Intelligenz auswertbare Methoden und Techniken die klassische morphologische Diagnostik ersetzen werden und demzufolge die morphologische Expertise nicht mehr gefragt sein wird [1]. 
Die Frage ist in Anbetracht des fortschreitenden Personalabbaus und der Problematik, für ausscheidendes Fachpersonal genügend Nachwuchs sowohl für konventionelle Diagnostik als auch für moderne Zyto- und Molekulargenetik ausbilden zu können, durchaus von Relevanz. 

Sinnvolle Weichenstellung

Aktuell ist das „Kleine Blutbild“ (BB) immer noch der am häufigsten angeforderte „Analyt“ im Labor. Es handelt sich unverändert um eine weitgehend automatisierte apparative Untersuchung mit hoher Aussagekraft, die die Weichen für weitergehende differentialdiagnostische Überlegungen und Untersuchungen stellt. 
Die Technologie für ein patientennah zu erbringendes „Kleines BB“ (POCT) steht zwar auch  zur Verfügung, wird aber wohl eher auf Intensivstationen und nicht im Labor zum Einsatz kommen [2]. 
Sofern nicht schon vom Einsender angefordert, sollten bestimmte Aussagen des kleinen Blutbildes, z. B. eine zu hohe oder zu niedrige Gesamtleukozytenzahl, pathologische Veränderungen der Thrombozytenzahl oder auffällige Erythrozytenparameter Anlass für eine zunächst apparative Differenzierung mit automatisierter Bewertung („Flagging“) sein.

Besser als sein Ruf 

Das apparative „maschinelle“ Blutbild genießt beim mit den modernen apparativen Verfahren unzureichend vertrauten ärztlichen Personal nicht das notwendige Vertrauen bezüglich seiner Aussagekraft, weshalb oft ein „manuelles“ Differenzialblutbild (gemeint ist ein mikroskopisch auf 100 Zellen differenziertes Blutbild) an- oder nachgefordert wird. 
Dabei wird übersehen, dass die statis­tische Wahrscheinlichkeit einer korrekten Differenzierung von der Gesamtheit der differenzierten Zellen abhängt, insbesondere wenn es sich um eine relativ niedrige Anzahl an pathologischen Zellen wie Blasten oder Lymphomzellen handelt.
Der entscheidende Vorteil der apparativen Differenzierung ist die Analyse hoher Zellzahlen, wodurch die statistische Aussage wesentlich zuverlässiger ist. Deutliche technologische Verbesserungen mit der Erfassung zusätzlicher Einzelinformatio­nen pro Zelle und der Optimierung der rechnerischen Informationsauswertung durch neue Algorithmen haben unter anderem mit der verlässlichen Identifizierung von kernhaltigen roten Blutzellen (NRBC) zur automatischen Erythroblastenkorrektur des Leukozytenwertes geführt. 
Auch die Erkennung von leukozytären Vorstufen ist relativ sensitiv. Die für die Anämiediagnostik wichtige Retikulozytenzählung wurde in das apparative Blutbild ebenso integriert wie die Optimierung der Thrombozytenzählung durch Impedanz- und optische Messung. Mithilfe eines fluoreszenz­optischen Kanals lassen sich Retikulozyten und auch der Reifegrad von Retikulozyten und Thrombozyten bestimmen. 
Diese technologischen Entwicklungen erlauben die zuverlässige Erfassung zusätzlicher Kenngrößen der Blutzelldifferenzierung, sodass man gegenüber dem konventionellen Differenzialblutbild („conventional CBC“) bereits von einem erweiterten Differenzialblutbild („extended CBC“) sprechen kann. 
Last but not least ist es der hohe und schnelle Durchsatz von Proben mit Rückführung des Befundes in relativ kurzer Zeit („Turnaround-Zeit“), der zu großer Akzeptanz der apparativen Blutbildanalytik in der Routine geführt hat.
Verbleibende Probleme des apparativen Blutbildes sind die Erythrozytenmorphologie, z. B. die Erkennung der diagnostisch relevanten Fragmentozyten und der Tränen­formen, die Linienzuordnung von morphologisch undifferenzierten Blasten, die Lymphozytendifferenzierung (reaktive und neoplastische Lymphozyten), die sichere Erkennung von Blutparasiten (Malaria) und die Differenzierung von Stabkernigen und Jugendlichen im Sinne der Linksverschiebung. 
Trotz der beeindruckenden neuen physikalischen, optischen und informationsverarbeitenden Technologien, die zu dieser Entwicklung geführt haben, wird es auch weiterhin Blutbilder geben, bei denen die von der Norm abweichenden Zellen Informationen generieren, die zur Anzeige qualitativer Warnhinweise und gegebenfalls auch zur Verweigerung der Messung führen. Diese vom Gerätehersteller im Rahmen sehr umfangreicher Validierungen festgelegten qualitativen Nachdifferenzierungskriterien („Flags“) lassen sich vom Nutzer in der Regel nicht verändern oder unterdrücken. 
Im Gegensatz dazu kann der Untersucher die quantitativen Nachdifferenzierungskriterien an das Einsenderprofil anpassen. Hierbei handelt es sich insbesondere um Abweichungen der absoluten und relativen Zellzahlen des Differenzialblutbildes sowie deren Verhältnis untereinander. In Abhängigkeit vom überwiegenden Patientenklientel müssen die Kriterien strenger (hoher Anteil an Patient:innen mit hämatologisch-onkologischen Erkrankungen) oder weniger streng (unselektierte Patient:innen aus dem ambulanten Versorgungsbereich) gefasst werden. Andererseits muss der verantwortlichen Laborleitung bewusst sein, dass die Festlegung quantitativer Kriterien immer ein Spagat zwischen unbedingt zu erfassenden und übersehenen pathologischen Veränderungen bedeutet.
Wie man dem Begriff der „Nachdifferenzierung“ entnehmen kann, bedeutet sie die mikroskopische Differenzierung und Beurteilung eines von der suspekten Probe angefertigten Ausstrichs, was für das Labor eine hohe Zeit- und Personalbindung bedeutet. Die Nachdifferenzierung ist eine im Sinne der Patient:innen notwendige Leistung, die aber nicht zusätzlich honoriert wird. Sie ist für das Labor insbesondere auch wirtschaftlich problematisch, da das beteiligte Personal morphologisch ausgebildet sein und über entsprechende Erfahrung verfügen muss. 

Eine Alternative? 

Die digital unterstützte automatisierte Mikroskopie [3] verändert die Arbeitsabläufe im hämatologischen Routinelabor dahingehend, dass die Anfertigung des zu differenzierenden Ausstrichs, die Färbung und die anschließende morphologische Klassifizierung zunächst weitgehend personalunabhängig erfolgen.
Ein bewegliches „motorisiertes“ Mikroskop mit unterschiedlichen Vergrößerungen und einer leistungsfähigen Digitalkamera bzw. ein beweglicher Objektträger stellen den mechanischen Teil der automatisierten Mikroskopie dar. 
Zunächst fährt das Mikroskop den ermittelten optimalen Ausstrichbereich meanderförmig mit mittlerer Vergrößerung ab, wobei die Koordinaten der gefundenen kernhaltigen Zellen bzw. der Zellkerne festgehalten werden. Im nächsten Schritt sucht das Gerät die kernhaltigen Zellen mit der höchsten Vergrößerung wieder auf und stellt ein digitalisiertes Foto der jeweiligen Zelle her. Zusätzlich wird ein Übersichtsfoto zur Beurteilung des Zellrasens und der Erythrozyten erzeugt. 
Die dokumentierten digitalisierten Zellen werden aufgrund der Zellgröße, der Kernform und -struktur, der Kern-Plasma-Rela­tion und der Färbung analysiert und mithilfe eines artifiziellen neuronalen Netzwerkes den verschiedenen Zellklassen zugeordnet [4] und auf dem Computerdisplay dargestellt. Diese „Vorklassifizierung“ muss vor der technischen Freigabe allerdings noch einmal von einer Fachkraft kontrolliert und gegebenenfalls am Bildschirm korrigiert werden [1]. 
Die Vorklassifizierung minimiert den zeitlichen Aufwand für die Erstellung eines mikroskopischen Differenzialblutbildes deutlich. Sie erlaubt zusätzlich eine Optimierung der Arbeitsabläufe und eine Dokumentation, die auch Dritten zur Mitbeurteilung oder zu Schulungszwecken elektronisch zur Verfügung steht. Die automatisierte (selbständige) Zuordnung bzw. Klassifizierung der Zellen ist schon recht ausgereift, dennoch kann auf die abschließende morphologische Expertise nicht verzichtet werden.
Die Weiterentwicklung der verfügbaren Systeme zielt auf die automatisierte Erfassung der Erythrozytenmorphologie und die digitalisierte Analyse von Ausstrichen von Knochenmarksblut- oder auch Bröckelquetschpräparaten ab.

Identifizierung und Klassifizierung

Die durchflusszytometrische Klassifizierung pathologischer Leukozyten im peripheren Blut und zuverlässiger noch im Knochenmarksblut ist bei morphologischem oder klinischem Verdacht hämatologischer Neoplasien eine wesentliche Säule der Dia­gnostik. Die Methode der Immunphänotypisierung beruht auf der durchflusszytometrischen Erfassung von Zellen, deren Oberflächenstrukturen (z. B. Rezeptoren) sich durch mit unterschiedlichen Fluorochromen gekoppelte monoklonale und polyklonale Antikörper unterscheiden lassen. Die in der Hämatologie zur Zellidentifizierung verwendeten Antikörper werden als „cluster of differentiation (CD)“ bezeichnet.
Durch die Entwicklung neuer unterschiedlicher Fluoreszenzfarbstoffe können mit der modernen durchflusszytometrischen Multiparameteranalyse nicht nur die Zellklasse, sondern auch die Expression unterschiedlicher Reifungs- bzw. Differenzierungsantigene, letztlich also auch die Klonalität einer verdächtigen Zellpopulation erfasst werden. Beispiele für den Einsatz der Immunphänotypisierung sind die Zuordnung morphologisch nicht zuzuordnender Blasten (myeloisch oder lymphatisch), die Differenzierung von Lymphomzellen [5] oder auch der Nachweis einer geringen neoplastischen Restaktivität („minimal residual disease“) [6].  
Durchflusszytometrische Untersuchungen unter Verwendung unterschiedlicher Antikörper und Farbstoffe erschließen auch weitere funktionale und funktionelle Untersuchungsfelder in der Hämatologie. So können auch strukturelle Veränderungen des Zytoskeletts aufgrund von Membranproteinmutationen wie bei der hereditären Sphärozytose methodisch einfach und schnell diagnostiziert werden – z. B. durch die verminderte Bindung des Farbstoffs Eosin-5-Maleimid an die Zellmembran. Diese Methode ist weniger aufwendig als die „Acidified Glycerol Lysis Time (AGLT)“, die die Zeit bis zur 50%igen Hämolyse als Ausdruck der osmotischen Resistenztestung von Erythrozyten misst. 
Weitere Anwendungsfelder sind die Thrombozytenfunktionsdiagnostik und der Nachweis von GPI-verankerten Proteinen in der Diagnostik der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie [7].

Individualisierung

Mit der Anwendung und Entwicklung neuer zyto- und molekulargenetischer Methoden konnte die Differenzierung und Klassifizierung hämatologischer Neopla­sien entscheidend weiterentwickelt werden. Diese Entwicklung hat auch zu wichtigen Erkenntnissen bezüglich der Entstehung und Behandlung von Hämoblastosen und Lymphomen geführt. 
Die auf die jeweilige betroffene Person zugeschnittene Diagnostik soll in Zukunft eine individualisierte Behandlung im Sinne eines präzisionsmedizinischen Ansatzes ermöglichen [8]. Schon heute können durch die Anpassung der Studienprotokolle an nachgewiesene zytogenetische Varianten oder molekulare Mutationen der Tumorzellen der individuellen Person entscheidende Verbesserungen des Therapieansprechens und damit der Prognose erreicht werden [9–11].

Mutationsdiagnostik

Die klassische zytogenetische Erstellung eines Karyogramms an Metaphasenkernen mithilfe der Bänderungstechnik gehört routinemäßig zum diagnostischen Werkzeug bei Verdacht auf eine hämatologische Neoplasie [12]. Während die aus stimulierten Lymphozyten präparierten Chromosomen früher mühsam unter dem Mikroskop ausgezählt und bewertet wurden, erfolgt dieses heute durch Bildauswertungsprogramme (Digitale Karyotypisierung) [13]. 
Die Zytogenetik beschreibt den Karyotyp neoplastischer hämatologischer Zellen und erfasst chromosomale Anomalien, u. a. den Verlust (Anploidie bzw. Hypoploidie) oder die Verdopplung von Chromosomen (Hyperploidie), den Verlust eines Chromosoms (Hypoploidie) oder Chromosomenteils (Deletion) mit Übertragung auf ein anderes Chromosom (Translokation), oder an anderer Stelle wieder eingebaut wird (Insertion). 
Chromosomale Translokationen führen zu veränderter Genfunktion entweder in Form einer veränderten Expression oder einer abweichenden Funktion des durch die Chromosomenfusion entstandenen „Fusionsproteins“.
Ein bekanntes Beispiel ist die Philadelphia-Translokation t (9;22) bei der Chronisch-Myeloischen Leukämie (CML), die zur Bildung des Fusionsproteins BCR-ABL1 mit zytoplasmatischer Thyrosinkinase-Aktivität führt [16]. Diese Erkenntnis resultiert im erfolgreichen therapeutischen Einsatz von Inhibitoren der Thyrosinkinasen.
Der im Vergleich zur Erstellung des Karyotyps weniger aufwendige Nachweis des Philadelphia-Chromosoms wie auch anderer Fusionsgene erfolgt mit der Methode der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH), die auch an Interphase-Kernen durchgeführt werden kann (Abb. 1). 

Mithilfe dieser Methode lässt sich zum Beispiel die mit schwerer akuter Verbrauchskoagulopathie einhergehende akute Promyelozytenleukämie rasch diagnostizieren und behandeln. 
Letztlich kann mit dieser Methode jede zytogenetische Aberration zeitnah diagnostiziert werden, sofern die entsprechenden mit einem Fluoreszenzfarbstoff markierten Gensonden verfügbar sind. Inzwischen steht eine automatisiert auswertbare 24-Farben-in-situ-Hybridisierung zur Verfügung, die allerdings nur an Metaphasenchromosomen durchgeführt werden kann. 

Molekulargenetik

Die Technik der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) ist methodische Voraussetzung der molekularen Gensequenzierung. Sie wurde schon Ende der 70er-Jahre von Maxam und Gilbert [14] als chemische Kettenabbruchmethode eingeführt und durch die von Sanger entwickelte Di-Desoxy-Methode verbessert [15]. Mit dieser nach ihm benannten Sequenzierungsmethode werden unterschiedlich lange DNA-Stränge gebildet, die sich elektrophoretisch trennen lassen. Hierdurch erhält man Sequenzinformationen, die eine Teilsequenzierung des untersuchten Gens erlauben. Obwohl die „Sanger-Sequenzierung“ in der Folgezeit zunehmend verbessert werden konnte und auch für die Sequenzierung des menschlichen Genoms eingesetzt wurde (»Human Genome Project«), ist die Methode zu aufwendig, um sie bei der Suche nach neuen zusätzlichen Mutationen oder in der zeitnahen Routinediagnostik einsetzen zu können.
Beim sogenannten „Next Generation Sequencing“ (NGS) wird in parallelen Sequenzierungen eine großen Anzahl an Fragmenten gleichzeitig synthetisiert (Hochdurchsatz- bzw. Parallel­sequenzierungstechnologie). Es entstehen viele kurze DNA-Schnipsel, die z. T. überlappen. Dabei werden überlappende Genomabschnitte oft vielfach amplifiziert. Um diese zu einer DNA-Sequenz zusammenzufügen, wird eine große Rechenleis­tung benötigt. Die Methode ist trotzdem schneller, effektiver und kostengünstiger als die klassische Sanger-Sequenzierung [17]. 
Mithilfe des NGS lassen sich Mutatio­nen der DNA (und RNA) aller kodierenden (Exons) und nicht-kodierenden Abschnitte (Introns, Promotoren) sowie regulierende und strukturelle Elemente der Tumorzellen untersuchen. Dabei werden Nukleotidvarianten (SNVs), Varianten der Kopienzahl, Insertions- und Deletionsmutanten („Indels“) u. a. m. erfasst. Auch Mutationen der verschiedenen RNAs lassen sich mit der neuen Gensequenzierung untersuchen.
Mit der NGS kann eine deutlich höhere Zahl von Genabschnitten sequenziert werden; es steigt aber auch die Fehlerrate, wodurch die „Coverage“ sinkt. Daher wäre es eine deutliche technologische Verbesserung, wenn es gelänge, mit hohem Durchsatz längere DNA- oder RNA-Fragmente zu sequenzieren [18]. Hier setzt man auf die dritte und vierte Generation der Sequenzierungstechnologie. 
Sequenzierungsverfahren der dritten Generation, auch „Large-Fragment-Einzel­molekül-Sequenzierung“ genannt, sollen längere DNA- und RNA-Moleküle sequenzieren können, wobei die einzelnen komplementär in den neuen Strang eingebauten Nukleotide durch Verwendung immobilisierter, spezifisch modifizierter Polymerase-Enzyme detektiert werden [19].
Ein anderer Ansatz erfordert keine Synthese neuer Moleküle: DNA-Einzelstrangmoleküle werden durch winzige Poren einer elektrisch widerstandsfähigen Membran geleitet. Spezielle Proteine transportieren Einzelstrang-DNA durch die Poren, durch die Strom fließt. Das eingebrachte Molekül unterbricht den Strom und aus dem Mus­ter der Unterbrechung kann auf die DNA-Sequenz geschlossen werden. Über einen USB-Anschluss angeschlossene Analysegeräte können dann die DNA-Sequenzen in Echtzeit ablesen [20].

Neue WHO-Klassifizierung

Die im hämatologischen Labor noch verwendete morphologische Einteilung der Leukämien und hämatologischen Neo­plasien, die Anfang der 80er-Jahre durch eine französisch-amerikanisch-britische (FAB) Expertengruppe erarbeitet wurde, muss heute unter diagnostischen, klinischen und therapeutischen Gesichtspunkten als überholt angesehen werden.  
Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beauftragte Expertengruppen haben erstmals 2002 eine neue international akzeptierte Klassifikation hämatologischer Neoplasien vorgelegt [21], die im Herbst 2022 mit ihrer 5. Auflage aktualisiert wird. Sie beruht darauf, dass neben den ursprünglichen morphologischen Kriterien nun verstärkt sowohl zytogenetische Aberrationen als auch molekulare und molekulargenetische Kriterien sowie neue klinische Erkenntnisse eingeflossen sind. 
Allerdings lehnen sich einige nicht weiter spezifizierte (NOS, „not otherwise specified“) hämatologische Neoplasien weiterhin an die ursprüngliche FAB-Klassifizierung an. 

Genes of Interest

Wenn für eine bestimmte Neoplasie die Genabschnitte bekannt sind, an denen die relevanten tumorassoziierten Mutationen regelmäßig auftreten, so ist es sinnvoll, auch nur diese „Hotspots“ zu sequenzieren, um schneller zu Ergebnissen zu kommen und Ressourcen einzusparen. 

Minimal Residual Disease

In den Anfangszeiten der hämatologischen Onkologie drückte sich die Sorge bezüglich der ausreichenden Effektivität der Therapie in der Fragestellung an das Labor aus, „ob noch Restblasten“ im Ausstrich nachgewiesen werden können.
Diese Frage nach verbliebener, wenn auch klinisch nicht mehr fassbarer Krankheitsaktivität („minimal residual disease“, MRD) ist zunehmend aktuell. Das Interesse gilt nicht nur der Weiterentwicklung der methodischen Ansätzen, eine Resterkrankung im hämatologischen Labor nachzuweisen bzw. auszuschließen, sondern vor allem auch der klinischen und therapeutischen Bedeutung einer MRD.  Für den Nachweis eines mit anderen Methoden kaum zu erfassenden minimalen Anteils neoplastisch veränderter Zellen wird die quantitative RT-PCR zunehmend durch NGS ersetzt. Die hohe Empfindlichkeit der Methode bedeutet, dass sich Rezidive früher und eine minimale Resterkrankung länger nachweisen lassen.  

Autor
Prof. em. Dr. Peter Schuff-Werner
Ehemaliger Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriums­medizin, Universitätsmedizin Rostock
Aktuell: Laborarztpraxis Osnabrück
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