Follikuläres Lymphom – Pathogenese, Diagnostik und Therapie
Das Follikuläre Lymphom (FL) ist das zweithäufigste Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) in Westeuropa und den USA und eine klinisch und biologisch ausgesprochen heterogene Erkrankung. Bisher erfolgen Therapieempfehlungen stadienabhängig, ohne Berücksichtigung individueller Risikofaktoren oder der Biologie der Erkrankung. Patienten mit lokalisierter Erkrankung können mit Strahlentherapie-basierten Protokollen geheilt werden. Die meisten Patienten erhalten jedoch ihre Diagnose erst in fortgeschrittenen Stadien und gelten weiterhin als nicht heilbar. Patienten in diesen Stadien wird nur bei sympto-matischer Erkrankung oder hoher Tumorlast eine Therapie empfohlen. Die Standardtherapie besteht aus einer Kombination von Anti-CD20-Antikörpern und zytostatischer Chemotherapie. Die meisten Patienten zeigen ein gutes Therapiean-sprechen, einen indolenten, jedoch rezidivierenden Verlauf und ein langes Gesamtüberleben von mehr als zwei Jahrzehnten. Allerdings erleidet bis zu einem Viertel der Patienten ein frühes Therapieversagen mit deutlich verkürztem Gesamtüberleben. Die Therapie rezidivierter und refraktärer Erkrankungen sowie des histologisch-transformierten FL (tFL) stellen weiterhin große klinische Herausforderungen dar. Neue Ansätze zur Risiko- und Therapiestratifikation sowie ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Biologie sind nötig, um die Therapien weiter zu optimieren und zu individualisieren. Innovative, molekular und immunologisch zielgerichtete Therapien zeigen z. T. vielversprechende Ergebnisse.
Follikuläres Lymphom, Pathogenese, somatische Mutationen, zielgerichtete Therapie, Risikostratifikation, Rituximab, Obinutuzumab, Polatuzumab, Blinatumomab, Idelalisib, Copanlisib, Ibrutinib, Venetoclax, Tazemetostat, Lenalidomid, Nivolumab, Pembrolizumab, Atezolizumab, Magrolimab
Das FL ist das zweithäufigste NHL in Westeuropa sowie den USA [1]. Die Inzidenz beträgt zwischen 2 und 3 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr und hat in den letzten Jahren zugenommen. FL machen ca. 20–35 % aller neudiagnostizierten NHL sowie 70 % aller indolenten Lymphome aus. Das mittlere Erkrankungsalter liegt zwischen 60 und 65 Jahren, Männer und Frauen sind nahezu gleich häufig betroffen [1–3].
Klinisch zeigt sich bei Patienten mit FL typischerweise eine indolente, langsam progrediente Lymphadenopathie sowie in bis zu 70 % der Fälle eine Knochenmarkinfiltration. Extranodale Manifestationen oder diffuser Organbefall sind selten. Ebenso B-Symptome (20 % der Fälle) oder erhöhte LDH-Werte [4]. Die meisten Patienten haben bei Erstdiagnose bereits ein fortgeschrittenes Stadium (> 80 %) [5]. Im weiteren Verlauf der Erkrankung kann es zu einem aggressiven klinischen Verlauf kommen mit histologischer Transformation in ein diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom. In einer großen retrospektiven Studie zeigte sich ein kumulatives 10-Jahres-Risiko für eine histologische Transformation von
8 % (Hazard Ratio). Interessanterweise wurde ein geringeres Risiko bei Patienten beobachtet, die Rituximab-haltige Therapien erhalten hatten [6].
Pathogenese
Als Ursprungszelle des FL werden B-Zellen des Keimzentrums angesehen [7]. Die Pathogenese des FL zeigt Parallelen zur physiologischen Keimzentrumsreaktion. So zeigen FL-Zellen ähnliche Gen-expressions- und DNA-Methylierungs-muster wie Zentrozyten des Keim-
zentrums [8, 9].
Die Translokation t(14;18)(q32;q21) ist charakteristisch (Nachweis bei > 50 bis 85 % der Fälle), aber nicht spezifisch für das FL und wird als initiales Ereignis der Lymphom-Entstehung angesehen. Als Folge eines fehlerhaften V(D)J-Rearrangements in der frühen B-Zell-Entwicklung gerät das BCL2(B-cell lymphoma 2)-Gen unter die transkriptionelle Kontrolle konstitutiv aktiver IgH-Enhancer- Sequenzen. Dies führt zur aberranten Überexpression von anti-apoptotischem BCL-2 [10]. Mit zunehmendem Alter kann in mehr als der Hälfte gesunder Individuen eine kleine Population zirkulierender Post-Keimzentrums-B-Zellen mit t(14;18)-Translokation nachgewiesen werden. Eine hohe t(14;18)-Last stellt einen Risikofaktor für die spätere Erkrankung an einem FL dar [11]. Interessanterweise zeigen auch t(14;18)-negative FL eine hohe BCL2-Expression. Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind jedoch noch nicht vollständig verstanden [12].
Physiologisch durchlaufen aktivierte B-Zellen in Keimzentren eine starke klonale Expansion mit gleichzeitiger somatischer Hypermutation (SHM) der variablen Immunglobulindomäne zur Spezifitäts- und Affinitätsreifung ihres B-Zell-Rezeptors (BCR) [13]. Im Rahmen der nachfolgenden Selektion spielt die Affinität und Spezifität des BCR eine entscheidende Rolle. Die meisten B-Zellen gehen bei geringer Affinität ihres BCR in
Apoptose und nur ein geringer Anteil verlässt das Keimzentrum und differenziert zu Plasmazellen bzw. B-Gedächtniszellen [14]. Die BCL2-Expression ist in Keimzentrums-B-Zellen physiologisch vermindert [14, 15]. Die aberrante Überexpression von BCL2 verschafft t(14,18)-translozierten B-Zellen einen Selektionsvorteil. Man geht davon aus, dass durch klonale Expansion und fortlaufende, aberrante SHM im Rahmen der Keimzentrumsreaktion weitere genetische Aberrationen entstehen, die maßgeblich für die volle maligne Transformation sind [16]. Dabei durchlaufen t(14;18)-transformierte B-Zellen im Laufe der LymphomProgression wohl mehrfach die Prozesse der Keimzentrumsreaktion [17]. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl rekurrenter somatischer Mutationen nachgewiesen, u. a. in epigenetischen Modifikatoren (z. B. EZH2, KMT2D, CREBBP, EP300 und ARID1A), in Transkriptionsfaktoren (z. B. STAT6, MEF2B und FOXO1) sowie in Signalmolekülen (z. B. CARD11, TNFRSF14, GNA13, CD79A/CD79B und TNFAIP3). Die molekularen Auswirkungen und Wechselwirkungen dieser Mutationen sind noch nicht vollständig verstanden, aber sie bestimmen wohl maßgeblich die individuelle Bio-logie und die unterschiedlichen klinischen Verläufe der Erkrankung [18]. Die Bestimmung der prognostischen und prädiktiven Relevanz dieser Alterationen ist ein hochaktives Forschungsfeld [19].
An der Tumorentstehung und -progression sowie bei der Umgehung einer Antitumor-Immunantwort sind ebenfalls komplexe Wechselwirkungen von Tumorzellen des FL mit nicht-malignen Zellen und nicht-zellulären Komponenten des Tumor Microenvironment (TME) beteiligt. FL-Zellen sind abhängig von Überlebens- und Proliferationssignalen umgebender Zellen des TME und modulieren zu diesem Zweck die Komposition von Zellpopulationen, die in Keimzentren physiologisch vorkommen. Hier sind insbesondere eine gesteigerte Anzahl an follikulären T-Helferzellen (TFH), regulatorischen T-Zellen (Treg), follikulär regulatorischen T-Zellen (TFR) und follikulären dendritischen Zellen (FDC) zu nennen [20].
Diagnostik
Die Diagnose eines FL kann nur durch histologische und immunhistochemische Untersuchung einer Gewebebiopsie gestellt werden. Ein zytologisches Aspirat ist zur Diagnosestellung nicht ausreichend. Die Diagnose sollte durch einen hämatopathologisch erfahrenen Pathologen gestellt werden.
Histologisch zeigt sich ein dem Aufbau von Keimzentren ähnliches Wachstumsverhalten mit Nachweis von Zentroblasten und Zentrozyten. Im Unterschied zu normalen reaktiven Keimzentren zeigt sich jedoch ein Verlust der deutlichen Abgrenzung zwischen dark zone und light zone sowie eine nur rudimentäre Mantelzone. Immunphänotypisch sind die Expression von B-Zellantigenen (CD20, CD79a), Keimzentrumsantigenen (CD10, BCL6), eine Negativität für CD5 sowie Malignitätsmarker (aberrante intrafollikuläre BCL2-Expression) charakteristisch. FL-Zellen exprimieren meist noch Immunglobuline an der Zelloberfläche, v. a. IgM mit monoklonaler Leichtkettenexpression in 50–60 % der Fälle [1].
In Abhängigkeit des prozentualen Anteils der Zentroblasten pro Gesichtsfeld wird das FL nach der aktuellen WHO-Klassifikation in verschiedene Grade mit aufsteigender klinischer Aggressivität eingeteilt. Während FL Grad 1–3A zu den indolenten Lymphomen gerechnet werden, zählen FL Grad 3B mit Nachweis diffuser, rasenartig wachsender Zentroblasten klinisch und biologisch zu den aggressiven Lymphomen und werden entsprechend behandelt [1].
Eine Knochenmarkaspiration und -histologie gehören neben der klinischen Untersuchung, Laborchemie und Schnittbildgebung zur initialen Staging-Dia-gnostik des FL. Bei diagnostischer Unsicherheit oder seltenen Unterformen können neben der klassischen Histologie und Immunhistochemie durchflusszytome-trische und molekulargenetische Methoden angewandt werden. Hierbei sind insbesondere Klonalitätsanalysen (IGH- Rearrangements) und der Nachweis der Chromosomentranslokation t(14;18)(q32;q21) zu nennen. Die PCR- oder NGS-basierte Diagnostik von Klonalitätsmarkern in Blut und Knochenmark hat eine hohe Sensitivität [21] und kann in der Mehrzahl der Fälle im Verlauf zur Bestimmung der minimalen Resterkrankung (minimal residual disease, MRD) genutzt werden. So konnten z. B. Auswertungen der GALLIUM-Studie ein längeres progressionsfreies Überleben (PFS) bei Patienten zeigen, die am Ende der Induktionstherapie eine MRD-Negativität erreicht hatten [22]. Bislang steht die MRD-Diagnostik allerdings außerhalb von klinischen Studien nicht in der Routine-Diagnostik zur Verfügung.
Therapie
Das FL ist eine klinisch und auch molekulargenetisch sehr heterogene Erkrankung [19]. Aktuell wird dies bei Therapieempfehlungen jedoch noch nicht berücksichtigt. Die Therapie erfolgt abhängig von Stadium, Tumorlast und Symptomen, ohne Berücksichtigung individueller Risikofaktoren oder der zugrunde liegenden Biologie.
Lokalisierte Stadien (Stadium I/II nach Ann Arbor) werden mittels Involved Field Radiatio (IF-R) in kurativer Intention behandelt. Dabei zeigten sich dosisreduzierte Konzepte mit einer Gesamtdosis von 24–30 Gy gleichwertig zu dosisintensiveren Protokollen [23]. Die MIR-Studie zeigte eine sehr niedrige Rezidivrate bei Kombination einer 30 Gy IF-R mit Rituximab [24]. Obwohl die Kombination mit Rituximab bisher nicht in randomisierten klinischen Studien mit einer alleinigen Radiatio verglichen wurde, empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie bereits die Hinzunahme von Rituximab zu einer kurativ intendierten Strahlentherapie. In laufenden Studien (GAZAI) wird derzeit eine weitere Reduktion der Strahlendosis prospektiv getestet. Falls eine Radiatio technisch nicht möglich ist oder eine sehr hohe Tumorlast vorliegt, wird auch in lokalisierten Stadien eine systemische Therapie analog der fortgeschrittenen Stadien empfohlen (Abb. 1) [25].