Myelodysplastische Syndrome (MDS) – eine extrem heterogene Erkrankung
Myelodysplastische Syndrome (MDS) stellen eine sehr heterogene Klasse von Erkrankungen dar, für die die Produktion funktionseingeschränkter dysplastischer Knochenmarks- und Blutzellen charakteristisch ist, die auf einer gestörten Differenzierung der hämatopoetischen Vorläuferzellen beruht. Die Komplexität der Erkrankung geht mit diagnostischen und therapeutischen Herausforderungen einher. Die einzige potentiell kurative Therapieoption ist nach wie vor die allogene Stammzelltransplantation. Das International Prognostic Scoring System (IPSS) berücksichtigt bei der Klassifikation der MDS auch zytogenetische Aberrationen und ermöglicht eine Prognoseeinschätzung hinsichtlich des Überlebens und des Risikos für die Transformation in eine akute myeloische Leukämie (AML) sowie eine Risiko-adaptierte Therapie. Aber auch molekulargenetische Analysen spielen eine immer größere Rolle für die Diagnostik und für eine zunehmend individualisierte Therapie. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Patienten werden meist weniger intensive Therapiemaßnahmen angewandt, die eine supportive Zielsetzung haben und darauf abzielen, die Zytopenien zu lindern, die Lebensqualität zu verbessern und die Progression zu verhindern.
Myelodysplastische Syndrome (MDS), Erythropoese-stimulierende Medikamente (ESAs), Lenalidomid, Luspatercept, Azacitidin, Eisenchelatoren, Deferasirox, Desferoxamin, subkutanes Erythropoetin
Inzidenz, klinisches Bild, Pathogenese
Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind klonale Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzellen. Kennzeichen sind Dysplasien von Blut- und Knochenmarkzellen mit hämatopoetischer Insuffizienz und einem erhöhten Risiko der Entwicklung einer AML, wobei der Leitbefund meist eine Anämie, oft auch Bi- oder Panzytopenien sind [1]. Die ungenügende Bildung funktionsfähiger Blutzellen wird noch verstärkt durch eine erhöhte Apoptose-Rate der Vorläuferzellen im Knochenmark. Mit einer Inzidenz von etwa 4 Fällen pro 100.000 Personen jährlich zählen die MDS zu den häufigsten malignen hämatologischen Erkrankungen [2]. Allerdings beobachtete man eine mit steigendem Lebensalter deutlich zunehmende Inzidenz [3], die etwa bei über 70-Jährigen > 30/100.000 beträgt [1]. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei ca. 75 Jahren [1], Frauen sind seltener betroffen als Männer [1, 3].
Pathogenese
Die Pathogenese der MDS ist komplex. Als ursächlich wird eine schrittweise Akkumulation genomischer Schäden wie chromosomaler Aberrationen, DNA-Mutationen und epigenetischer Veränderungen in hämatopoetischen Stammzellen angenommen. Dies führt im Verlauf vermutlich zu einer Selektion von malignen Stammzellen, die das Knochenmark mit ihren Vorläuferzellen zunehmend klonal besiedeln und die gesunde Hämatopoese verdrängen [1]. Bei etwa 90 % aller MDS- Patienten lässt sich mindestens eine der bislang bekannten rekurrenten Mutationen nachweisen [4, 5]. Neben einer Pathogenese, die auf dem Erwerb somatischer Mutationen im hämatopoetischen Kompartiment basiert, ist in den letzten Jahren auch zunehmend das Knochenmark-Micro-environment in den Fokus gerückt [1].
Ätiologisch werden primäre von therapieassoziierten Formen der MDS unterschieden. Bei etwa 10 % der Fälle handelt es sich um sekundäre MDS (therapieassoziierte MDS), die als Folge einer antineoplastischen oder immunsuppressiven Therapie auftreten und oft mit einer schlechteren Prognose behaftet sind als primäre MDS. Auch eine Exposition gegenüber benzolhaltigen Stoffen, anderen organischen Lösungsmitteln oder Radioaktivität werden als Auslöser für sekundäre MDS diskutiert. Erkrankungen ohne Hinweise auf diese Faktoren werden als primäre MDS bezeichnet. In den letzten Jahren wurden Keimbahnmutationen identifiziert, die mit einem familiären Risiko für MDS bzw. AML assoziiert sind. Da das Erkrankungsalter auch bei einigen Keimbahnmutationen um die 60–70 Jahre liegen kann (z. B. DDX41-Mutation), ist auch hier die Familienanamnese entscheidend [1].
Klinik/Krankheitsbild
Die Symptomatik ist vielfältig und resultiert hauptsächlich aus den peripheren Zytopenien. Die häufig bestehenden Anämien führen bei einem Großteil der Patienten zu einer deutlichen Reduktion der Lebensqualität mit belastenden Symptomen wie Schwäche, Belastungsdyspnoe, Tachykardien, Schwindel und Kopfschmerzen. Wenn sich die Anämie rasch entwickelt, kann es zu Sehstörungen bzw. Verwirrtheitszuständen kommen. Auch eine erhöhte Infektionsneigung ist häufig, initiale Blutungskomplikationen dagegen seltener – bei etwa 10 % der MDS-Patienten manifestiert sich die Erkrankung mit einer schweren Blutung [1].
Diagnostik und Klassifikation
Nach dem Ausschluss diverser Differentialdiagnosen sollten sowohl das periphere Blut als auch das Knochenmark zytomorphologisch auf die typischen Veränderungen hin untersucht werden. Tab. 1 fasst die erforderliche Diagnostik zusammen.