Chronische lymphatische Leukämie: zielgerichtete, Chemotherapie-freie Optionen bestimmen die Therapie
Wenn es um die Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente geht, ist die chronische lymphatische Leukämie (CLL) die hämatologische Erkrankung, die seit einigen Jahren die größte Dynamik zeigt. Diese positive Entwicklung beruht darauf, dass die molekularen und genetischen Charakteristika der CLL immer besser verstanden werden und auf dieser Basis zielgerichtete Substanzen zur Krankheitskontrolle entwickelt werden konnten – nicht zuletzt dank einer ausgeprägten Studientätigkeit auf internationaler und nationaler Ebene. Die Therapielandschaft bei der CLL stellt sich heute so dar, dass klassische Chemoimmuntherapien immer mehr an Bedeutung verlieren und zunehmend durch zielgerichtete, Chemotherapie-freie Kombinationen ersetzt werden. Diese können teilweise auch zeitlich beschränkt eingesetzt werden.
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Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) zählt zu den häufigsten hämatologischen Neoplasien. Sie gehört eigentlich zu den indolenten Non-Hodgkin-Lymphomen, wird aber wegen ihres leukämieartigen Verlaufs meist den Leukämien zugerechnet. Unter dieser Prämisse stellt die CLL mit rund 5.600 Neuerkrankungen pro Jahr die häufigste Leukämie in Deutschland dar. Jedes Jahr werden hierzulande ca. sechs CLL-Fälle auf 100.000 Einwohner diagnostiziert [1, 2], wobei Männer etwas häufiger als Frauen erkranken (Verhältnis 1,4 : 1). Das mediane Erkrankungsalter liegt zwischen
70 und 75 Jahren, mit einer großen Altersspannbreite [2]. Rund 1.000 Männer und 850 Frauen versterben jedes Jahr in Deutschland an den Folgen einer CLL [1].
Pathogenese und klinisches Bild
Wie bei den meisten Leukämien ist noch nicht bekannt, wie genau es zur Entstehung einer CLL kommt. Gesichert ist, dass reife B-Zellen proliferieren und sich ansammeln, die – typisch für die CLL – neben den B-Zell-Markern CD19 und CD20 auch den T-Zell-Marker CD5 exprimieren [3, 4]. Darüber hinaus ist die CLL durch eine ausgeprägte genetische Heterogenität gekennzeichnet, etwa durch genetische Alterationen in den Genen TP53, NOTCH1 oder SF3B1 [5]. Zudem sind bei der CLL verschiedene Signalwege, die die Proliferation und Apoptose von Zellen regulieren, fehlreguliert, beispielsweise der B-Zell-Rezeptor-Signalweg, der die Bruton-Tyrosin-Kinase (BTK) oder Phosphoinositid-3-Kinase (PI3K) beinhaltet und die Zellproliferation reguliert [6]. Daneben sind Fehlregulationen proapoptotischer Proteine wie BCL-2 (B-cell lymphoma 2) bekannt. Das bessere Verständnis dieser Dysregulationen eröffnet heute Ansatzpunkte für eine zielgerichtete Therapie [2], die das Ziel verfolgen, die entsprechenden Signalwege zu modulieren und dadurch die Pathogenese der Erkrankung günstig zu beeinflussen.
Klinisch ist die CLL durch eine Lymphozytose gekennzeichnet, die meist als Zufallsbefund entdeckt wird [2]; spezifische klinische Symptome liegen zu Beginn meist nicht vor. Wenn die Erkrankung fortschreitet, treten Lymphadenopathie, Spleno- und Hepatomegalie, Zeichen der Knochenmarkinsuffizienz und evtl. Autoimmun-Zytopenien auf [2]. Bei fortgeschrittener Erkrankung sind vor allem B-Symptome, d. h. Fieber, Nachtschweiß und/oder Gewichtsverlust sowie Infektneigung typisch [2].
Diagnostik und Klassifikation
Die CLL kann in der Regel auf Basis einer Blutuntersuchung erstdiagnostiziert werden; eine Knochenmarkbiopsie wird in der Regel nur bei unklaren oder nicht eindeutigen Befunden bzw. Differentialdiagnosen benötigt. Nach den Kriterien des International Workshop on CLL (IWCLL) 2018 [7] müssen im Differentialblutbild mindestens 5.000 klonale B-Lymphozyten pro μl nachgewiesen werden. Dazu muss mittels durchflusszytometrischer Immunphänotypisierung eine Koexpression von CD5 mit CD19, CD20, und CD23 nachgewiesen werden, ebenso wie eine Klonalität durch Kappa- oder Lambda-Leichtketten-Restriktion [2]. Ist die periphere Ausschwemmung gering, kann mitunter eine Lymphknoten- oder Knochenmarkbiopsie notwendig werden [2, 4].
Im Hinblick auf die Klassifikation der CLL ist hierzulande die Stadieneinteilung nach Binet [8] am gebräuchlichsten, der die Ausbreitung der klinisch palpablen Lymphadenopathie sowie die rote und weiße Blutreihe (Hämoglobin und Thrombozyten) zugrunde liegt (Tab. 1).