Akute myeloische Leukämie – auf dem Weg zur molekular-basierten Therapie
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine hämatologische Erkrankung, die aggressiv verläuft und sich durch eine ausgeprägte Heterogenität auszeichnet. Die klinische Forschung zur AML hat in den letzten Jahren nennenswerte Fortschritte gemacht, weshalb das AML-Management derzeit im Umbruch ist und ein besonders spannendes Kapitel in der Hämatologie darstellt. Basierend auf einem besseren Verständnis der molekulargenetischen und pathophysiolo-gischen Mechanismen der Erkrankung wurden Mutationen identifiziert, die Ansätze für zielgerichtete Therapien bieten. Auch Kombinationen aus neuen zielgerichteten Substanzen und bewährten Wirkstoffen eröffnen neue Behandlungsperspektiven, ebenso wie neue Formulierungen bekannter Wirksubstanzen.
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Die akute myeloische Leukämie (AML), eine Neoplasie der Myelopoese, ist eine biologisch heterogene Erkrankung, deren Inzidenz mit dem Alter ansteigt [1]. Dabei führt eine maligne Transformation und unkontrollierte Proliferation der abnorm differenzierten, langlebigen myeloischen Progenitorzellen zu einer Knochenmarkinsuffizienz. Ohne Behandlung führt die Erkrankung bei jedem zweiten Patienten binnen weniger Monate zum Tode [2].
Ursprung ist die pathologische Proliferation klonaler myeloischer Zellen, die meist dem hochproliferativen Progenitorpool (CD34+/CD38+), in selteneren Fällen dem Stammzellpool (CD34+/CD38-) entstammen. Die genetische Variabilität der Erkrankung ist groß: Neben Gentranslokationen wie t(8;21), t(15;17) finden sich bei AML-Patienten auch numerische Veränderungen wie Trisomie 8, Monosomie 7 oder komplexe Veränderungen mit drei und mehr rekurrenten chromosomalen Aberrationen [1].
Nach der WHO-Klassifikation wird die AML auf Basis u. a. zytomorphologischer, zytogenetischer und molekulargenetischer Charakteristika unterteilt [1]. Therapieentscheidungen werden nach Krankheitsbiologie, Komorbiditäten und den Therapiezielen des einzelnen Patienten ausgerichtet. Krankheitsdefinierend ist ein Blastenanteil von ≥ 20 % im peripheren Blut oder im Knochenmark, bzw. der Nachweis der AML-definierenden genetischen Aberrationen t(8;21)(q22;q22.1) RUNX1-RUNX1T1, inv(16)/t(16;16)(p13.1;1q22) CBFB-MYH11 oder t(15;17)(q22;q12) PML-RARA [3].
Durch die Einführung moderner molekularer Techniken, besonders des Next Generation Sequencing (NGS), wurde deutlich, dass auch bei einem einzigen Patienten die Erkrankung aus genetisch verschiedenen Subklonen bestehen und der Anteil der verschiedenen Klone sich zudem über den Krankheitsverlauf ändern kann. Mutationen lassen sich funktionell wie folgt gruppieren [1]:
- aktivierende Mutationen der Signaltransduktion (FLT3, KIT, KRAS, NRAS u. a.)
- Mutationen von myeloischen Trans-kriptionsfaktoren (RUNX1, CEBPA u. a.)
- Fusionen von Transkriptionsfaktor-Genen (PML-RARA, MYH11-CBFB u. a.)
- Mutationen von Chromatin-Modifikatoren (MLL-PTD, ASXL1 u. a.)
- Mutationen im Kohesin-Komplex (SMC1S u. a.)
- Spliceosomen-Mutationen
- Mutationen in Tumorsuppressorgenen (TP53, WT1 u. a.)
- NPM1-Mutationen
- Mutationen in Genen der DNA-Methylierung (TET1, TET2, IDH1, IDH2, DNMT3B, DNMT1, DNMT3A)
Prognostische Faktoren: ELN-Klassifikation und mehr
Nach aktuellem Wissensstand haben das Alter der Patienten sowie molekulare bzw. zytogenetische Veränderungen den stärksten Einfluss auf die Prognose. Je älter die Patienten sind, umso geringer ist die Chance, eine komplette Remission zu erreichen – bei gleichzeitig steigendem Rezidivrisiko [1]. Schwedischen Registerdaten (1997–2006) zufolge lagen die 5-Jahres-Überlebensraten bei Patienten unter 30 Jahren bei 60 %, zwischen 45 und 54 Jahren bei 43 % und zwischen 55 und 64 Jahren bei 23 %; im höheren Lebensalter waren sie noch geringer [4]. Die Klassifikation des European LeukemiaNet (ELN) von 2017 teilt die molekular-zytogenetischen Veränderungen bei Erstdiagnose einer AML in drei Gruppen ein [5] (Tab. 1), wobei die prognostische Bedeutung der FLT3-ITD Mutant-Wildtyp-Ratio diskutiert wird [1].