Chronische myeloische Leukämie: aktuelle Therapiestrategien und zukünftige Optionen
Die Einführung des Tyrosinkinase-Inhibitors (TKI) Imatinib in die Behandlung der Philadelphia-Chromosom-positiven (Ph+) chronischen myeloischen Leukämie (CML) gehört zu den großen Erfolgsgeschichten der Hämatoonkologie und verwandelte die CML von einer tödlich verlaufenden in eine chronische Erkrankung. Die meisten Patienten mit CML in der chronischen Phase (CP) haben heute eine normale Lebenserwartung. Für die Erstlinientherapie stehen neben Imatinib mit Dasatinib, Nilotinib und Bosutinib drei TKIs der zweiten Generation zur Auswahl, deren gemeinsames Wirkprinzip die Hemmung der konstitutiv aktiven Tyrosinkinase BCR-ABL1 durch Blockierung einer ATP-Bindungsstelle ist. Mutationen in diesem Bereich oder auch primäre Unverträglichkeiten erfordern einen Substanzwechsel, wobei hierauch der Drittgenerations-TKI Ponatinib zur Verfügung steht; bei erneuter Resistenz, aber auch in fortgeschrittenen Stadien der CML, bleibt oft nur noch die allogene Stammzelltransplantation als Therapieoption. In jüngerer Zeit hat sich bei der CML neben dem Erreichen einer annähernd normalen Überlebenszeit bei guter Lebensqualität noch ein Therapieziel etabliert, nämlich das Erreichen einer stabilen tiefen molekularen Remission als Voraussetzung für eine therapiefreie Remission (TFR). Mit den STAMP-Inhibitoren wird eine weitere Substanzgruppe für die Behandlung der CML zur Verfügung stehen.
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Inzidenz, klinisches Bild, Pathogenese
In Deutschland erkranken pro Jahr rund 1.000 bis 1.200 Patienten neu an einer CML; damit liegt die Inzidenz der Erkrankung etwa bei 1,2 bis 1,5/100.000 Einwohner und Jahr [1]. Der Erkrankungsgipfel liegt hierzulande bei 55–60 Jahren, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen.
Die CML ist eine klonale myeloproliferative Erkrankung auf Basis einer pluripotenten hämatopoetischen Stammzelle. Der natürliche Krankheitsverlauf ohne therapeutische Intervention beginnt mit einer chronischen Phase, gekennzeichnet durch Leukozytose mit kontinuierlicher Linksverschiebung und graduell unterschiedlich ausgeprägter Splenomegalie, geht dann über in die akzelerierte Phase und endet schließlich in der Blastenkrise, einer unbehandelt tödlich verlaufenden akuten Leuk-ämie [1, 2]. Durch den Einsatz von TKI in der chronischen Phase ist es bei den meisten Patienten heute möglich, die chronische Phase bzw. eine Remission bis zum Lebensende zu erhalten [1].
Pathogenetisch liegt der CML eine zytogenetische Aberration, das Philadelphia(Ph)-Chromosom mit der BCR-ABL-Genfusion, zugrunde, die mit einer verstärkten Aktivität der ABL-Tyrosinkinase einhergeht [1]. Mit der Einführung des TKI Imatinib im Jahr 2001 wurde die Behandlung der CML grundlegend verändert. Erstmals war eine zielgerichtete Behandlung möglich, nachdem zuvor neben der allogenen Stammzelltransplantation eher unspezifisch wirkende Substanzen wie Interferon alpha (IFN-a) +/- Hydroxyharnstoff zum Einsatz gekommen waren [1]. Imatinib erwies sich einer IFN-basierten Therapie in allen Prognosegruppen als deutlich überlegen und verbesserte das Überleben von CML-Patienten erheblich [3]. Den Langzeitdaten der Phase-III-Studie IRIS und anderer Studien zufolge ist eine Erstlinientherapie mit Imatinib auch im Langzeitverlauf wirksam [4–6]. Trotz des Erfolgs von Imatinib wurde aufgrund von Resistenzentwicklungen v. a. durch Mutationen nach Therapiealternativen gesucht, die bei vergleichsweise guter Verträglichkeit eine schnellere und tiefere Remission induzieren und letztlich zu besseren Langzeitergebnissen führen.
Erstlinientherapie
Heute stehen für die Erstlinienbehandlung der CML neben Imatinib die Zweitgenerations-TKI Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib zur Verfügung. Eine TKI-Therapie ist mit Ausnahme von schwangeren Frauen bei allen Fällen von neu diagnostizierter CML in der chronischen Phase indiziert [7]. Bei allen TKIs sollten verschiedene Kontraindikationen und Nebenwirkungen berücksichtigt werden [7]. Der Risikostatus des Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose sollte in diesem Kontext mit dem neuen EUTOS-Langzeitüberlebens-Score (ELTS) bewertet werden, der die gleichen Parameter wie der Sokal-Score erhebt, diese aber anders gewichtet [7]. Die Überwachung des Ansprechens sollte nach Möglichkeit durch standardisierte quantitative Polymerase-Kettenreaktion (PCR) erfolgen [7].
Nilotinib inhibiert wie Imatinib die Tyrosinkinasen PDGFR und KIT, zeigt aber eine bessere zelluläre Bioverfügbarkeit als Imatinib und wirkt BCR-ABL1-spezifischer [1]. Dasatinib ist ein Multikinase-Inhibitor mit Wirkung auf ABL1, SRC, PDGFR und KIT, während Bosutinib ebenfalls als SRC/ABL1-Inhibitor fungiert, aber keine signifikante Wirksamkeit gegenüber dPDGFR und KIT aufweist [1, 8]. Phase-III-Studien zufolge induzieren Zweitgenerations-TKI im Vergleich zu Imatinib 400 mg/Tag eine bessere Effektivität mit höheren Raten an zytogenetischen und tieferen molekularen Remissionen [9–11]. Für Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib konnte auch eine Reduktion früher Akzelerationsphasen oder Blastenkrisen gezeigt werden [9–11]. Die kumulative Inzidenz von tiefen molekularen Remissionen im Langzeitverlauf über fünf und zum Teil zehn Jahre unter dem Einfluss von Imatinib, Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib zeigt Tab. 1.