Die 2021er-WHO-Klassifikation der ZNS-Tumoren
Eine zentrale Neuerung der aktuellen 2021er-WHO-Klassifikation [1] ist die Anerkennung der Tatsache, dass adulten und pädiatrischen Tumoren vielfach eine sehr unterschiedliche Biologie zugrunde liegt und dass diese besser unterschieden werden sollte. Bei den Gliomen werden deshalb die diffusen Gliome vom adulten Typ von den diffusen niedriggradigen und hochgradigen Gliomen vom pädia-trischen Typ abgegrenzt. Während die erste Gruppe eine Simplifizierung erfährt, wird die zweite Gruppe sehr deutlich ausgeweitet. Bei den adulten diffusen Gliomen wird es fortan sehr einfach:
Es werden das Astrozytom, IDH-mutiert, das Oligodendrogliom, IDH-mutiert und 1p/19q-kodeletiert sowie das Glioblastom, IDH-Wildtyp unterschieden. Innerhalb der Gruppe der IDH-mutierten Astrozytome existieren die WHO-Grade 2, 3 und 4, innerhalb der Gruppe der Oligodendrogliome die WHO-Grade 2 und 3; das Glioblastom fällt ausschließlich in den WHO-Grad 4. Die Tatsache, dass nun eine Entität (oder ein Tumortyp, wie es nach der neuen Klassifikation heißt) mehrere verschiedene WHO-Grade annehmen kann, ist eine Neuerung im Hirntumorfeld und stellt eine Annäherung an andere Organsysteme dar. Deshalb werden die WHO-Grade in der neuen Hirntumorklassifikation auch nicht mehr mit römischen, sondern mit arabischen Ziffern bezeichnet. Um den nach wie vor gegebenen Besonderheiten des Organsystems ZNS Rechnung zu tragen, ist nun von ZNS-WHO-Graden die Rede [1].
Unter den IDH-mutierten Tumoren wird es also künftig ein Astrozytom, IDH-mutiert (ZNS-WHO-Grad 4) geben. Dies ist der Tumor, der früher als sekundäres Glioblastom bezeichnet wurde. Die stärkere nomenklatorische Abgrenzung zum Glioblastom ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Molekularpathologie beider Läsionen folgerichtig. In der Unterscheidung zwischen Grad-2- und Grad-3-Astrozytomen erreicht auch die neue WHO-Klassifikation wenig Trennschärfe und kann damit ein Problem der Vorgängerklassifikationen nicht beseitigen. Verbesserungen ergeben sich jedoch in der Abgrenzung von Grad-4-Tumoren, besonders in den Fällen, in denen keine mikrovaskulären Proliferate oder Nekrosen vorliegen. Hier hat sich der Nachweis der homozygoten CDKN2A/B-Deletion als ein sehr ungünstiger prognostischer Faktor erwiesen, der eine Einstufung in den ZNS-WHO-Grad 4 begründet. Tumoren mit zwar erhöhter Mitoserate, aber ohne CDKN2A/B-Deletion werden in den ZNS-WHO-Grad 3 eingestuft. Bei den Oligodendrogliomen ergeben sich bis auf die bereits dargestellten nomenklatorischen Anpassungen keine Veränderungen [2, 3].
Unter den adulten diffusen Gliomen mit IDH-Wildtyp-Status ist das Glio-blastom (ZNS-WHO-Grad 4) der letzte verbliebene Vertreter. Bereits in der vorigen Neuauflage der WHO-Klassifikation war angelegt, dass das diffuse Astrozytom und das anaplastische Astroyztom, IDH-Wildtyp, als Auslaufmodelle zu betrachten seien [4]. Das diagnostische Problem in diesem Kontext ergibt sich oftmals aus der Diskrepanz zwischen
einer eher niedriggradigen – oder zumindest nicht Glioblastom-tauglichen – Histologie und dem fehlenden Nachweis einer IDH-Mutation. In solchen Fällen werden nun zusätzliche molekulare Parameter herangezogen, um auch in Abwesenheit von histologischen Veränderungen, wie z. B. Nekrosen oder glomeruloiden Gefäßproliferaten bzw. thrombosierten Gefäßen, die Einordnung als Glioblastom vornehmen zu können. Eine Reihe von Publikationen hat gezeigt, dass der Nachweis einer TERT-Promotor-Mutation und/oder einer EGFR-Gen-amplifikation und/oder eines kombinierten Gewinns von Chromosom 7 und Verlustes von Chromosom 10 (+7/-10) ausreichend ist, um die Einordnung in den WHO-Grad 4 vornehmen zu können [5, 6]. Die Diagnosekriterien für das Glioblastom werden also um zusätzliche molekulare Parameter erweitert.