Ein astrozytärer Hirntumor wird bei rund sechs von 100.000 Menschen jährlich diagnostiziert [4]. Etwa zwei Drittel dieser Diagnosen entfallen in Deutschland auf das Glioblastom, während Astrozytome der WHO-Grade 2 und 3 wesentlich seltener sind
(8 % bzw. 9 %; [5]).
Diagnose
Erste klinische Zeichen für ein Astrozytom können in neu auftretenden fokalen neurologischen Ausfällen bestehen, deren Natur von der Lage des Tumors abhängt, und die sich als Aphasie, Hemiparese, Wesensveränderungen, kognitive Defizite oder andere neurokognitive Veränderungen äußern können. Neu auftretende epileptische Anfälle bei Erwachsenen sind meist das erste Symptom eines Hirntumors [4, 6, 7].
Den Goldstandard bei der diagnostischen Abklärung eines Astrozytoms stellt die kontrastmittelverstärkte Kernspintomographie (MRT) mit T2-, FLAIR- und T1-gewichteten Sequenzen dar [8]. Niedriggradige Astrozytome (WHO-Grad 2) reichern meist kein Kontrastmittel an [9]; es gibt aber Ausnahmen, sodass die histologische und molekularpathologische Diagnosesicherung obligat erscheint, wann immer Material dafür gewonnen werden kann. Die Nuklearmedizin kann außerdem bei unklaren Raumforderungen mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) helfen – mit radioaktiv markierten Aminosäuren, meist O-(2-[18F]-Fluoroethyl)-L-Tyrosin (FET). Die PET kann auch die Durchführung von Biopsien und die Verlaufsbeurteilung unterstützen (zum Beispiel zur Differenzierung von Progression vs. Pseudoprogression; [10]). Die MR-Spektroskopie schließlich kann quantitativ Metaboliten wie Cholin, Kreatinin und N-Acetyl-Aspartat darstellen, während mithilfe der MR-Perfusion hämodynamische Parameter und damit Angiogenese und Gefäßpermeabilität beurteilt werden können [11].
Neben histopathologischen Eigenschaften werden bei der Diagnose von Astrozytomen bereits seit der WHO-Klassifikation von 2016 auch molekulargenetische Kriterien herangezogen [1], deren Anwendung sich in der neuen Klassifikation von 2021 noch erheblich verbreitert hat [3] und auch die Empfehlungen zur Neuklassifikation der Gliome anhand des Mutationsstatus der Gene für die Isocitrat-Dehydrogenasen 1 und 2 (IDH1/2) einschließt, wie sie in der cIMPACT-NOW-Klassifikation vorgelegt wurden (Version 6; [2]).
Molekulare Marker bei Gliomen
Zentral für die Neuklassifikation der WHO ist die Unterteilung der Astrozytome nach dem IDH-Mutationsstatus [3]: IDH-mutierte Astrozytome (WHO-Grad 1–4) stehen den Astrozytomen mit IDH-Wildtyp gegenüber, die entweder vom WHO-Grad 2 oder 3 sind. Astrozytome mit IDH-Wildtyp vom Grad 4 gelten als Glioblastom sensu stricto [4], eine Diagnose, die also künftig nur mehr in Abwesenheit einer IDH-Mutation gestellt werden kann. Ein IDH-mutiertes Astrozytom, das histopathologische Zeichen eines Glioblastoms (Nekrose oder pathologische Gefäßproliferation) oder eine homozygote CDKN2A/B-Deletion aufweist, gilt nun als Astrozytom des WHO-Grads 4 [4]. Umgekehrt kann ein nach der WHO-Klassifikation 2016 als Astrozytom mit IDH-Wildtyp vom WHO-Grad 2 oder 3 diagnostizierter Tumor bei Nachweis histopathologischer Glioblastom-Merkmale oder wenn mindestens einer von drei molekularen Markern (TERT-Promotor-Mutation, EGFR-Amplifikation, Amplifikation von Chromosom 7 und Verlust von Chromosom 10 (7+/10-)) vorliegt, neuerdings als Glioblastom klassifiziert werden; konsequenterweise müsste er dann auch so behandelt werden.
IDH-Mutationsstatus
Vier von fünf diffusen Astrozytomen weisen eine Basenpaarmutation im IDH1- oder IDH2-Gen auf [12]. Isocitrat-Dehydrogenasen im Zytoplasma (IDH1) und in den Mitochondrien (IDH2) sind wichtige Regulatoren des zellulären Stoffwechsels wie z. B. des Citratzyklus, die unter anderem die Umwandlung von Isocitrat zu α-Ketoglutarat (α-KG) katalysieren, das wiederum epigenetisch aktive, v. a. demethylierende Enzyme aktiviert. Punktmutationen des Arginin-Rests 132 (Arg132) im IDH1- oder des Arg172 im IDH2-Enzym bewirken, dass anstelle von α-KG der Onkometabolit 2-Hydroxyglutarat (2-HG) gebildet wird, der die epigenetisch aktiven Enzyme nicht aktiviert, sondern hemmt. Insgesamt kommt es dadurch zu einer aberranten Hypermethylierung und damit zur epigenetischen Stilllegung von DNA, mit der Folge einer Differenzierungsblockade und letztlich der Transformation zur Tumorzelle [13–15]. Darüber hinaus beeinflusst 2-HG weitere Prozesse wie die Angiogenese oder die Dynamik der extrazellulären Matrix und begünstigt dadurch Proliferation, Nährstoffversorgung und invasive Eigenschaften der betreffenden Tumoren [16–18].
Mehr als 90 % der IDH-mutierten Gliome tragen eine IDH1-R132H-Mutation vor, die mit einem mutationsspezifischen immunhistochemischen Test oder per DNA-Sequenzierung des Gens nachgewiesen werden kann. Fällt der immunhistochemische Nachweis der IDH1-R132H-Mutation bei jüngeren Patienten (< 55 Jahre) negativ aus, ist eine DNA-Analyse mit dem Ziel des Nachweises einer der selteneren IDH1- und IDH2-Mutationen geraten [19], weil alle diese Mutationen mit einem längeren Gesamtüberleben assoziiert sind [4, 20].
MGMT-Promotor-Methylierung
Die O(6)-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT) ist ein DNA-Reparaturprotein, dessen Expression und damit Aktivität vom Methylierungsstatus seines Gen-Promotors abhängen. Eine Methylierung des MGMT-Promotors, die durch eine methylierungsspezifische Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder durch DNA-Sequenzierung überprüft werden kann, ist beim Glioblastom prognostisch und prädiktiv für die Wirksamkeit einer alkylierenden Chemotherapie, und wird dort auch bereits in der Therapieplanung eingesetzt. Bei Astrozytomen vom WHO-Grad 2 und 3 konnte vor allem der prädiktive Wert der MGMT-Promotor-Methylierung noch nicht so deutlich herausgearbeitet werden; für IDH-mutierte Grad-2-Astrozytome – die zu etwa 90 % methyliert sind – werden prognostischer und prädiktiver Wert durchaus kritisch diskutiert [21, 22]. Für IDH-mutierte Grad-3-Astrozytome hatte die MGMT-Promotor-Methylierung in der NOA-04-Studie einen prognostischen, aber keinen prädiktiven Nutzen.
Für Astrozytome mit IDH-Wildtyp vom Grad 3 fanden sich in dieser Studie auch Hinweise auf eine prädiktive Rolle dieses Markers im Sinne einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens bei Anwendung einer alkylierenden Chemotherapie [23]. Die zweite Interimsanalyse der CATNON-Studie stellt diese Befunde für Astrozytome vom WHO-Grad 3 infrage, weil bei IDH-Wildtyp hier kein signifikanter Überlebensvorteil durch die Zugabe von Temozolomid zur Strahlentherapie resultierte [24]. Ganz ähnlich sind die Ergebnisse zu Gliomen vom WHO-Grad 2 in der RTOG-8902-Studie, wo auch bei IDH-Wildtyp kein Vorteil durch die Zugabe von PCV (Procarbazin, CCNU (Lomustin), Vincristin) nachweisbar war [20]. Diese Diskrepanz zu den Befunden bei Glioblastom-Patienten lässt sich bislang noch nicht erklären; als endgültig können die Ergebnisse schon deshalb nicht angesehen werden, weil jeweils nur sehr kleine Subgruppen betrachtet wurden.
1p/19q-Ko-Deletion
Ein weiterer wichtiger Marker bei Gliomen ist der kombinierte Verlust des kurzen Arms von Chromosom 1 (1p) und des langen Arms von Chromosom 19 (19q), der sich mithilfe einer PCR in Tumor und Serum oder mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) am Gewebeschnitt nachweisen lässt. Bei Nachweis einer solchen Ko-Deletion lässt sich die Diagnose Oligodendrogliom (vom WHO-Grad 2–3) stellen.
ATRX-Verlust
Geht das Alpha thalassemia/mental retardation syndrome X (ATRX)-Protein im Zellkern verloren, ist das mit einer Stabilisierung und Verlängerung der Telomere der Chromosomen assoziiert. Der ATRX-Verlust lässt sich immunhistochemisch oder mittels DNA-Sequenzierung nachweisen, wobei eine Mutation des ATRX-Proteins für astrozytäre Gliome kennzeichnend ist. Findet man eine IDH-Mutation und einen Verlust des ATRX-Proteins, so ist das gleichbedeutend mit der Diagnose eines IDH-mutierten Astrozytoms vom Grad 2 oder 3. Bei Vorliegen einer IDH-Mutation und eines intakten ATRX-Proteins ist hingegen ein Test auf Vorliegen einer 1p/19q-Ko-Deletion und damit eines Oligodendroglioms angezeigt [4].
Gliom-Therapie
Die Ausführungen zur Therapie folgen weitgehend den erst vor Kurzem erschienenen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO; [25]) und der S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN; [8]; Tab. 1).