Neutropenien bei Tumortherapie – aktuelle Aspekte
Ein essentieller Bereich der onkologischen Supportivtherapie ist die Prophylaxe therapieinduzierter Neutropenien und assoziierter Infektionen, um lebensbedrohliche Komplikationen zu vermeiden. Eine adäquate Neutropenie-Prophylaxe ermöglicht auch die planmäßige und dosisgerechte Durchführung potentiell kurativer onkologischer Therapien. Im Gegensatz zu myelotoxischen Chemotherapieregimen oder auch Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten ist bei Therapie mit CDK4/6-Inhibitoren keine Prophylaxe mit dem hämatopoetischen Wachstumsfaktor G-CSF notwendig. Einige aktuelle Aspekte gilt es im Zusammenhang mit COVID-19 zu beachten.
Supportivtherapie, therapieinduzierte Neutropenien, Neutropenie-Prophylaxe, myelotoxische Chemotherapieregime, Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, CDK4/6-Inhibitoren, Wachstumsfaktor G-CSF, Febrile Neutropenien, FN, Primärprophylaxe, Myelotoxizität
Die meisten Standardchemotherapieregime sind mit 6 bis 8 neutropenischen Tagen assoziiert. Febrile Neutropenien (FN) werden mit einer Häufigkeit von in etwa 8 von 1.000 Patient:innen unter Chemotherapie beobachtet [1]. Eine Metaanalyse von 130 Studien kommt zu einer deutlich höheren FN-Inzidenz, nämlich 11,7 % in nicht interventionellen Beobachtungsstudien und 7,9 % in randomisierten klinischen Studien [2].
Infektionen bei neutropenischen Krebspatient:innen manifestieren sich zunächst als FN. Sie sind ein bedeutender Faktor für Morbidität und Mortalität nach zytotoxischer Therapie und bergen außerdem die Gefahr des Wirksamkeitsverlusts der Tumortherapie, führen sie doch häufig zu einer Dosisreduktion der Chemotherapie und/oder Zyklusverzögerungen [3, 4].
FN ist vor allem eine Komplikation zytotoxischer Chemotherapieregime. Auch einige neue Substanzen führen häufig zu – auch höhergradigen – Neutropenien, allen voran CDK4/6-Inhibitoren, allerdings kaum zu FN.
Risikofaktoren für FN
Das Risiko für FN wird primär durch die Art der Chemotherapie und deren Dosisintensität bestimmt. Kombinationschemotherapien haben ein höheres FN-Risiko als Monochemotherapien. Ein besonders hohes Risiko besteht bei Hochdosistherapien und dosisdichten Protokollen. Nicht nur besonders myelotoxische Substanzen, sondern auch Substanzen, die die Schleimhäute stark angreifen, erhöhen das Risiko für Neutropenie-assoziierte Infektionen.
Neben den chemotherapiebezogenen Risikofaktoren tragen auch patientenbezogene Risikofaktoren zum FN-Risiko bei. Dazu zählen [1, 5, 6]:
- höheres Alter (> 65 Jahre),
- reduzierter Allgemein- und/oder Ernährungszustand,
- Tumorerkrankung im fortgeschrittenen Stadium,
- Neutropenien unter vergleichbarer Chemotherapie in der Anamnese,
- Komorbiditäten wie Leber- und Nierenfunktionsstörungen sowie Herzinsuffizienz.
Die aktuellen nationalen und internationalen Leitlinien empfehlen, ab einem Gesamtrisiko für eine FN von 20 % eine Primärprophylaxe mit G-CSF durchzuführen. Zur Abschätzung des Gesamtrisikos sollten die Risikofaktoren vor jedem Chemotherapiezyklus evaluiert werden. In Therapiesituationen, in denen dosisdichte (erhöhte Frequenz) oder dosisintensivierte (erhöhte Dosis) Tumortherapien einen Überlebensbenefit zeigen, soll die prophylaktische Gabe von G-CSF entsprechend dem etablierten Therapieprotokoll erfolgen [5].