Kein anderes genomisches Signal beeinflusst die Therapie des Mammakarzinoms in dem Maße wie die Überexpression des humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors 2 (Human Epidermal growth factor Receptor 2, HER2). Die Inhibierung der HER2-vermittelten Wachstumssignale ist Grundpfeiler der Behandlung dieses molekularen Subtyps. Eigentlich eine Erfolgsgeschichte – von dem Karzinomtyp mit einer aufgrund seiner aggressiven Tumorbiologie extrem schlechten Prognose zum Prototyp der personalisierten, an molekularen Eigenschaften orientierten Tumortherapie – stellt uns das metastasierte HER2-positive Mammakarzinom dennoch auch heute vor therapeutische Herausforderungen.
Anderes Metastasierungsmuster und Resistenzentwicklung
Zu diesen zählt unter anderem die Verschiebung des Metastasierungsmusters mit einer deutlichen Zunahme von Hirnmetastasen. Ein Grund hierfür liegt wohl an den intensiven adjuvanten Therapien, die zwar mehr Betroffene in den frühen Stadien heilen, jedoch der Selektion aggressiver Subklone in der metastasierten Situation Vorschub leisten. Die in der Adjuvanz eingesetzten Substanzen scheinen außerdem zwar zum Teil vor systemischen Krankheitsrückfällen im Körper, nicht aber im ZNS schützen zu können.
Zu den Herausforderungen in der Therapie des metastasierten HER2-positiven Mammakarzinoms gehört außerdem die Überwindung von Resistenzen. Trotz aller Fortschritte werden die meisten Patient:innen im Krankheitsverlauf resistent gegenüber den Anti-HER2-Therapien. Verschiedene molekulare Mechanismen fördern die Entstehung von Resistenzen gegenüber Anti-HER2-Therapien:
- die Herunterregulierung von HER2,
- die intratumorale Heterogenität der HER2-Expression,
- HER2-Rezeptor-Varianten wie die trunkierte p95HER2 Isoform, der die extrazelluläre Domäne fehlt, an die Anti-HER2-Antikörper binden,
- die konstitutive Aktivierung von anderen, downstream von HER2 gelegenen Signalwegen wie PI3K/AKT/mTOR,
- eine erhöhte Signalaktivität des Östrogenrezeptors als Folge einer intensivierten Inhibition der HER2-Kinaseaktivität [1, 2, 3].
So ist es von großer Bedeutung, dass auch über 20 Jahre nach der Zulassung des ersten Anti-HER2-Antikörpers Trastuzumab für die Therapie des metastasierten Mammakarzinoms mit HER2-Überexpression neue gegen HER2 gerichtete Substanzen entwickelt werden, denn eine kontinuierliche HER2-Inhibition ist im metastasierten Stadium obligat.
Erstlinientherapie im metastasierten Stadium
Duale HER2-Blockade plus Chemotherapie
Grundsätzlich sollte vor Therapiebeginn eine Evaluierung der HER2-Expression möglichst an der Metastase erfolgen. Der Goldstandard für die Erstlinientherapie des metastasierten HER2-positiven Mammakarzinoms beinhaltet noch immer Trastuzumab, eingesetzt in der dualen HER2-Blockade zusammen mit dem weiteren HER2-Dimerisierungsinhibitor Pertuzumab und mit Docetaxel auf Basis der Daten der CLEOPATRA-Studie. Die Hinzunahme von Pertuzumab zu Trastuzumab plus Docetaxel verlängert nicht nur das mediane progressionsfreie Überleben (PFS), sondern auch das mediane Gesamtüberleben (OS) gegenüber Trastuzumab plus Docetaxel signifikant [4, 5]. Als Chemotherapiekomponente des Regimes kann alternativ auch ein anderes Taxan gegeben werden [6]. Eine von der AGO Kommission Mamma ebenfalls mit ++ empfohlene Alternative ist die duale HER2-Blockade in Kombination mit Paclitaxel weekly. Das Dreierregime mit nab-Paclitaxel als Taxan erhält von der AGO eine Empfehlung mit + [7].
Die duale HER2-Blockade in Kombination mit einem Taxan sollte sowohl bei primär metastasierten Karzinomen als auch bei einem Krankheitsrückfall nach adjuvantem Trastuzumab und nach (neo)adjuvanter Behandlung mit Trastuzumab plus Pertuzumab eingesetzt werden, wenn das Therapie-freie Intervall (TFI) länger als sechs Monate betragen hat (AGO-Empfehlung mit ++). Nach adjuvantem Trastuzumab können Trastuzumab und Pertuzumab auch mit Vinorelbin anstatt mit einem Taxan kombiniert werden, wenn Taxane kontraindiziert sind. Auch bei Patient:innen mit metastasiertem Hormonrezeptor- und HER2-positivem Mammakarzinom stellt Trastuzumab plus Pertuzumab plus Taxan den empfohlenen Goldstandard dar, wobei allerdings auf Basis der Daten der PERTAIN-Studie nach sechs Zyklen der Chemo- und Anti-HER2-Therapie das Taxan durch eine endokrine Therapie mit einem Aromatasehemmer ersetzt werden kann [8, 9].
Für die folgenden klinisch relevanten Situationen sind wissenschaftliche Daten leider nicht vorhanden, jedoch wurden Erfahrungen aus anderen Therapiesituationen herangezogen, um Empfehlungen gemäß der Meinung der Expert:innen der AGO geben zu können (LoE 5, GR D). Folgt auf die adjuvante Therapie sehr schnell ein Rezidiv (TFI < 6 Monate), sollten die Patient:innen gemäß den Empfehlungen für die Zweitlinientherapie behandelt werden [8]: So sollte dann nach einer adjuvanten Therapie mit Trastuzumab bereits das Antikörper-Drug-Konjugat (ADC) Trastuzumab-Deruxtecan (T-DXd) zum Einsatz kommen, das eigentlich den neuen Zweitlinienstandard darstellt. Auch wenn nach einer (neo)adjuvanten Therapie mit einer dualen HER2-Blockade mit Trastuzumab plus Pertuzumab schon nach einem TFI von weniger als 6–12 Monaten ein Rückfall folgt, sollte bereits T-DXd eingesetzt werden. Die AGO empfiehlt das ADC in beiden Fällen mit einem +. Das ältere ADC T-DM1 kann eingesetzt werden, erhält aber keine explizite Empfehlung (+/-).
Wurde in der kurativ intendierten Therapie bereits ein Maximum an Anti-HER2-Therapien eingesetzt, folgte also bei Resterkrankung nach (neo)adjuvanter Therapie mit Trastuzumab und Pertuzumab noch eine postneoadjuvante Therapie mit T-DM1, so werden bei einem Krankheitsrückfall von der AGO folgende Optionen mit einem + empfohlen:
- Reinduktion der Chemotherapie + Trastuzumab + Pertuzumab (wenn das TFI länger als 6–12 Monate betrug),
- T-DXd,
- Tucatinib + Capecitabin + Trastuzumab.
Chemotherapie-Kontraindikation
Bei Patient:innen mit metastasiertem Hormonrezeptor- und HER2-positivem Mammakarzinom, die keine Chemotherapie erhalten können oder möchten, kann die duale HER2-Blockade mit einer endokrinen Therapie kombiniert werden. Die Kombination von Trastuzumab und Pertuzumab mit einem Aromatase-Inhibitor wird von der AGO mit einem + empfohlen; Basis ist die PERTAIN-Studie [9]. Eine weitere Option ist, die endokrine Therapie mit einem Aromatasehemmer mit Trastuzumab plus Lapatinib zu kombinieren. Diese Kombination hatte in der mittlerweile in leicht korrigierter, aktualisierter Form publizierten Studie ALTERNATIVE ein überlegenes PFS gegenüber Trastuzumab plus Aromatase-Inhibitor gezeigt [10]. Die AGO listet dieses nur von der ESMO empfohlene Regime nicht, nennt jedoch weitere Anti-HER2-Regime ohne Chemotherapiekomponente, die durchgeführt werden können, aber nicht empfohlen werden.
Ist eine Chemotherapie bei Hormonrezeptor-negativen, HER2-positiven Patient:innen kontraindiziert, so empfiehlt die AGO Trastuzumab plus Lapatinib mit einem +, die ESMO Trastuzumab plus Pertuzumab (Abb. 1).