Epidemiologie und Risikofaktoren
Das Harnblasenkarzinom gehört zu den häufigsten malignen Tumoren; Männer sind dreimal so oft betroffen wie Frauen. So waren es 2019 in Deutschland 4.747 Frauen und 13.222 Männer, die an einem invasiven Harnblasenkarzinom erkrankt sind [1]. Weltweit ist das Blasenkarzinom die zehnthäufigste Krebserkrankung [2]. Die Leitlinien der European Association of Urology (EAU) weisen darauf hin, dass Männer zwar ungleich häufiger betroffen sind, dass bei Frauen die Erkrankung aber häufiger erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien diagnostiziert wird und die Überlebensraten bei ihnen schlechter sind [3].
Urothelkarzinome sind Tumoren des höheren Lebensalters mit einem mittleren Erkrankungsalter von 73 Jahren bei Männern und 75 Jahren bei Frauen. Urothelkarzinome können an verschiedenen Stellen der Blase und der ableitenden Harnwege auftreten. Über 90 % aller Blasenkarzinome gehen vom Urothel aus. Wichtigster Risikofaktor ist das Rauchen, aber auch Passivrauchen. 50–60 % der Fälle bei Männern und 20–30 % der Fälle bei Frauen sind insbesondere in Industrienationen darauf zurückzuführen; der kausale Zusammenhang wurde in einer Reihe von Studien nachgewiesen [3]. Weitere Risikofaktoren stellen die berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen, die Medikamente Cyclophosphamid, Chlornaphazin, Phenacetin und Aristolochiasäure, die Strahlentherapie sowie chronische Irritationen und Entzündungen dar [3]. Außerdem haben Patient:innen mit einem Lynch-Syndrom ein erhöhtes Risiko, ein Urothelkarzinom zu entwickeln, insbesondere bei Vorliegen einer MSH2-Alteration [4].
Der Großteil der Blasenkarzinome wird in einem frühen Stadium als nicht muskelinvasives Blasenkarzinom diagnostiziert. Bei diesen Patient:innen wird die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs und eines Progresses nach einem Punkte-Score der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) berechnet [5]. Betroffene mit einem muskelinvasiven Blasenkarzinom, das in etwa einem Viertel der Fälle diagnostiziert wird, haben ein hohes Rezidiv- und Progressionsrisiko [6]. Das lokal fortgeschrittene und metastasierte Urothelkarzinom ist eine aggressive, schnell voranschreitende Erkrankung. Kurative Behandlungsansätze stehen im Stadium IV nicht mehr zur Verfügung.
Pathogenese und Subtypen
Urothelkarzinome werden anhand der Gewebeinvasion in zwei große Subtypen mit ganz unterschiedlichen molekularen Eigenschaften und auch unterschiedlicher Prognose unterteilt: in nicht muskelinvasive Karzinome („non muscle invasive bladder cancer“, NMIBC) und in muskelinvasive Karzinome („muscle invasive bladder cancer“, MIBC). Als NMIBC gelten die Stadien 0–I, als MIBC die Stadien II–IV, wobei das Stadium IV lokal fortgeschrittene und metastasierte Blasenkarzinome umfasst.
Nicht muskelinvasive Tumoren (NMIBC)
Zum Zeitpunkt der Diagnose sind die meisten Blasenkarzinome NMIBC [7]. Histologisch werden sie oft als papillär klassifiziert. Die Low-Grade-Tumoren rezidivieren häufig, die Progressionsrate hin zu einem muskelinvasiven Tumor ist jedoch niedrig. Sie entstehen aus einer Hyperplasie; genetisch sind die Tumoren stabil.
Aktivierende Punktmutationen im FGFR3-Gen treten häufig auf und sind mit einer günstigen Prognose assoziiert. Bei etwa einem Viertel aller NMIBC werden aktivierende Mutationen von der katalytischen Untereinheit Alpha der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PIK3CA) nachgewiesen [7].
Die molekulare Subtypisierung der NMIBC ist derzeit noch nicht in der Routine etabliert.
Muskelinvasive Tumoren (MIBC)
Alle MIBC sind per se High-Grade-Karzinome [3]. MIBC sind genetisch instabil und können viele genomische Alterationen akkumulieren. Häufig finden sich inaktivierende Mutationen in den Tumorsuppressorgenen TP53, RB1 oder PTEN. FGFR3-Mutationen sind selten [7]. Gemäß einem Konsensus aus dem Jahr 2019 werden MIBC in sechs molekulare Subtypen klassifiziert [8]:
- luminal papillär (LumP),
- luminal nichtspezifiziert (LumNS),
- luminal instabil (LumU),
- stromareich,
- basal/squamös (Ba/Sq),
- neuroendokrin-ähnlich (NE-like).
Den molekularen Subtypen liegen unterschiedliche molekulare Alterationen und verschiedene onkogene Mechanismen zugrunde. Auch die Tumormikroumgebung, also die Infiltration durch Immun- und Stromazellen, sowie histologische und klinische Eigenschaften differieren [3]. Ebenso gehört beim MIBC die molekulare Subtypisierung noch nicht zur Routinediagnostik, und sie ist derzeit eher als Instrument für klinische Studien zu betrachten. Zur klinischen Bedeutung der Subgruppen und ihrem Wert für die Wahl der Therapie oder die Bestimmung der Prognose herrscht noch Uneinigkeit.
Therapie des NMIBC
Derzeit werden zur Einschätzung der Prognose der NMIBC klinische und pathologische Merkmale herangezogen, also die Größe des Tumors und die Anzahl der Tumoren (da Urothelkarzinome häufig multifokal auftreten), das Grading, das Stadium, vorausgegangene Rezidive und eventuell ebenfalls vorliegende Carcinoma in situ (CIS) [3, 5]. Verlässliche molekulare Biomarker für eine etwaige Progression in ein MIBC existieren nicht.
Die erste Therapiemaßnahme bei Patient:innen mit einem NMIBC ist die transurethrale Resektion des Blasentumors (TUR-BT). Der Eingriff dient nicht nur der lokalen Tumorkontrolle, sondern ist auch ein wichtiger diagnostischer Schritt. Während der TUR-BT werden eine Tumorprobe und eine Probe der normalen Blasenwand genommen [3]. Entscheidend für die weitere Therapie sind insbesondere die Eindringtiefe und das histologische Grading.
Nach der TUR-BT erfolgen eine risikoadaptierte Nachsorge und Therapie: Bei niedrigem Rezidiv- und Progressionsrisiko sollten bei den Betroffenen regelmäßige Nachkontrollen (Zystoskopien und zytologische Untersuchung des Urins) durchgeführt werden. Bei intermediärem und hohem Risiko sollte dieses Monitoring gemäß der EORTC-Risikogruppe engmaschiger erfolgen. Außerdem kann zur Senkung des Rezidivrisikos eine adjuvante intravesikale Installationstherapie durchgeführt werden. Als Wirkstoffe werden Mitomycin C oder Bacillus Calmette-Guérin (BCG) verwendet. Je höher das Progressionsrisiko, desto wichtiger ist die Instillation von BCG.
Therapie des MIBC
Das MIBC sollte als systemische Erkrankung aufgefasst werden; deshalb kommt der systemischen Therapie eine bedeutende Rolle zu. Für Patient:innen mit lokal begrenztem MIBC ohne Metastasen sollte vor Therapiebeginn das multimodale Therapiekonzept multidisziplinär festgelegt werden.
Radikale Zystektomie plus optimale perioperative Systemtherapie
Als kurativer Goldstandard des MIBC gilt die radikale Zystektomie. Wichtig neben der optimalen Operation mit ausreichender Lymphadenektomie ist eine optimale perioperative Therapie. Direkt vergleichende Studien zwischen neoadjuvanter und adjuvanter Cisplatin-basierter Chemotherapie beim MIBC existieren nicht. Die European Society for Medical Oncology (ESMO) und die EAU empfehlen die neoadjuvante Cisplatin-basierte Chemotherapie zur Reduktion der Tumorgröße und zur Verbesserung des Gesamtüberlebens, wenn keine Kontraindikationen gegen eine Cisplatin-basierte Kombinationstherapie bestehen [3, 9]. Die neoadjuvante Chemotherapie (NACT) beim lokal begrenzten MIBC sollte drei bis vier Zyklen einer Cisplatin-haltigen Kombinationschemotherapie beinhalten. Carboplatin gilt nicht als adäquater Ersatz für Cisplatin bei Cisplatin-Fähigkeit. Nach zwei Zyklen sollte ein bildgebendes Restaging erfolgen, um eine Progression auszuschließen [10].
Wurde keine NACT durchgeführt, kann nach der Zystektomie bei hohem Rezidivrisiko (T3 oder bei Lymphknotenbefall) eine adjuvante Chemotherapie mit drei bis vier Zyklen Cisplatin-basierter Chemotherapie erfolgen; allerdings ist die Datenlage zu dieser Vorgehensweise schlechter. Neuerdings ist eine adjuvante Checkpoint-Inhibition mit Nivolumab möglich. Sie verlängert die Zeit bis zum Auftreten eines Tumorrezidivs bzw. verringert dessen Wahrscheinlichkeit. Voraussetzungen sind eine positive PD-L1-Expression (TPS-Score) im Zystektomiepräparat sowie das Vorliegen von Risikoparametern.
Multimodale primär organerhaltende Therapie
Patient:innen mit lokal begrenztem MIBC, die für eine Zystektomie nicht geeignet sind oder eine Zystektomie ablehnen, kann eine trimodale Therapie mit transurethraler Tumorresektion gefolgt von einer simultanen Radiochemotherapie (TMT) angeboten werden. Unter bestimmten Voraussetzungen (wenig Tumorlast, auf die Blase beschränkte Tumoren, fehlender Harnstau) gilt die TMT hinsichtlich der weiteren Prognose als äquivalent zur radikalen Zystektomie. Real-World-Daten zeigen allerdings widersprüchliche Ergebnisse, sodass die TMT als Alternative zur Zystektomie gesehen werden sollte, nicht als Ersatz.
Neoadjuvante und adjuvante Immun-/Immunchemotherapien
Bisher nur beim fortgeschrittenen, unresektablen oder metastasierten MIBC sowie in der Adjuvanz zugelassen, werden immunonkologische Strategien auch in der Neoadjuvanz untersucht. Für die neoadjuvante (anstatt adjuvante) Durchführung der Checkpoint-Inhibitor-Therapie sprechen neben der Reduktion der Tumorgröße die Bekämpfung von Mikrometastasen und vor allem die Verhinderung der Ausbreitung von zirkulierenden Tumorzellen.
Neoadjuvante Immuntherapie
Bisher haben sowohl die ABACUS-Studie mit Atezolizumab als auch die PURE-01-Studie mit Pembrolizumab vielversprechende Daten für die neoadjuvante Immuntherapie geliefert [11–14]. In beiden Studien fehlte jedoch ein Vergleichsarm, womit eine abschließende Bewertung der neoadjuvanten Checkpointblockade im Vergleich zur klassischen Chemotherapie ausstehend ist. Beide Checkpoint-Inhibitoren wurden auch in Kombination mit einer Chemotherapie in Phase-II-Studien als präoperative Therapie untersucht [15, 16]. Aufgrund der sehr vielversprechenden Resultate wird die neoadjuvante Immunchemotherapie auch in größeren Studien evaluiert. So laufen derzeit unter anderem die Phase-III-Studien NIAGARA mit Durvalumab, KEYNOTE-866 mit Pembrolizumab und CA017-078 mit Nivolumab. Die Studienergebnisse stehen noch aus. Neoadjuvante Immuntherapien oder Immunchemotherapien sollten derzeit nur im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt werden [3].
Adjuvante Immuntherapie
In der adjuvanten Therapie des MIBC hingegen führte die CheckMate-274-Studie bereits zur Zulassung von Nivolumab bei Betroffenen mit hohem Rezidivrisiko nach einer radikalen Resektion [17]. Die Patient:innen in der Studie durften auch schon eine NACT erhalten haben. Mit 74,5 versus 55,7 % lebten nach sechs Monaten unter adjuvantem Nivolumab signifikant mehr der PD-L1-positiven Patient:innen krankheitsfrei gegenüber Placebo (Hazard Ratio [HR] 0,55; p < 0,001). Voraussetzungen für die Monotherapie mit dem Checkpoint-Inhibitor sind der Nachweis der PD-L1-Expression auf den Tumorzellen (≥ 1 %) sowie das Vorhandensein von Risikofaktoren (pT3, pT4 oder pN+; ypT2– ypT4 oder ypN+). Die IMvigor010-Studie, in der Atezolizumab in der Adjuvanz untersucht wurde, verfehlte allerdings ihren primären Endpunkt und zeigte keine signifikante Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens durch Atezolizumab gegenüber der Beobachtungsgruppe [18].
Mit der adjuvanten Immuntherapie lässt sich das Ergebnis von einer Operation und gegebenenfalls einer neoadjuvanten Therapie noch optimieren oder erhalten. Allerdings ist ihre Toxizität nicht unerheblich, was in der adjuvanten Situation besonders relevant ist. In der CheckMate-274-Studie wurden bei 17,9 % der mit Nivolumab behandelten Patient:innen Nebenwirkungen vom Grad ≥ 3 beobachtet (vs. 7,2 % in der Placebogruppe), außerdem kam es im Immuntherapiearm zu zwei Todesfällen aufgrund einer Pneumonitis [18]. In der Studie IMvigor010 traten bei 16 % der mit Atezolizumab behandelten Personen Grad-3/4-Nebenwirkungen auf. Auch hier kam es im Immuntherapiearm zu einem therapiebezogenen Todesfall. Umso wichtiger sind Biomarker zur Patientenselektion und damit zur Therapieoptimierung. Einen vielversprechenden Ansatz könnte die Bestimmung der zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) nach der Operation zur Steuerung der adjuvanten Immuntherapie darstellen [19].
Zur Frage, ob eine adjuvante Chemo- oder eine adjuvante Immuntherapie bei den Betroffenen mit hohem Rezidivrisiko nach der Operation sinnvoll ist, muss man festhalten, dass die Evidenz zur adjuvanten Chemotherapie bei Patient:innen ohne NACT schwach ist. Eine direkte Vergleichsstudie zwischen adjuvanter Chemo- und Immuntherapie bei operierten Patient:innen, die keine NACT erhalten haben, gibt es nicht.
Lokal fortgeschrittenes und metastasiertes Stadium
Erstlinientherapie
Platinbasierte Chemotherapie gefolgt von Immunerhaltungstherapie
Die Standardtherapie für Betroffene mit metastasiertem MIBC besteht in der Erstlinie seit vielen Jahren in einer Cisplatin-basierten Chemotherapie – sofern die Patient:innen für diese Therapie geeignet sind (Abb. 1).