Die Vermessung von Einzelzellen

DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.03.02

Rudolf Virchow stellte 1858 mit seiner Veröffentlichung der Cellularpathologie das Konzept auf, dass Krankheiten auf der Störung von Zellen bzw. derer Funktionen beruhen. Viele Erkenntnisse in der Immunologie basieren auf der Untersuchung einzelner Zellen, angefangen mit der phänotypischen und funktionellen Beschreibung verschiedener Immunzellen durch Paul Ehrlich und Elias Metchnikov mittels der Mikroskopie bis zu der detaillierten molekularen Analyse des gesamten Transkriptoms einzelner Zellen. Heutzutage ermöglichen es uns eine Vielzahl verschiedener Technologien zur Einzelzellanalyse, Immunprozesse zu verfolgen und besser zu verstehen. Im Folgenden werden verschiedene Technologien vorgestellt, mit ihren jeweiligen Facetten und zukünftigen Herausforderungen.

Schlüsselwörter: Einzelzellanalyse, Durchflusszytometrie, Massenzytometrie, Fluoreszenz, Hochdurchsatzsequenzierung

Einleitung

Die Zelle stellt die kleinste Einheit des Lebens dar. Anhand ihrer Funktion werden einzelne Zellen Organen und Organsystemen zugeordnet. Demnach stellt das Immunsystem mit seinen vielen Zelltypen des angeborenen und adaptiven Immunsystems wahrscheinlich das funktionell diverseste Organsystem dar. Die Erkenntnis über die enorme Heterogenität der Zellen des Immunsystems ging mit der Entwicklung der Einzelzell­analytik einher, die wiederum entscheidend durch die Entwicklung monoklonaler Antikörper vorangetrieben wurde. Monoklonale Antikörper und ihre Konjugation mit fluoreszierenden Farbstoffen ermöglichten es, Zellen anhand der Kombination ihrer Oberflächen- und intrazellulären Proteine funktionell und phänotypisch zu charakterisieren. Hinzu kamen neue Technologien, mit denen man die Fluoreszenzfärbung auf einzelne Zellen im Hochdurchsatzverfahren auslesen konnte. Mittlerweile gibt es verschiedene Plattformen und technische Entwicklungen, die es erlauben, immer mehr Parameter auf Einzelzellebene zu analysieren, um so Zelltypen, Zellfunktionen, Zellzustände und Zustandsübergänge zu bestimmen und ein immer detaillierteres Bild über die Abläufe von schützenden und pathologischen Immunreaktionen zu zeichnen [1].

Durchflusszytometrie

Die Durchflusszytometrie ist sicherlich die meist genutzte Einzelzelltechnologie in der Immunologie. Bei der Durchflusszytometrie werden vereinzelte Zellen im Flüssigkeitsstrom an einem oder mehreren monochromatischen Lichtquellen vorbeigeleitet. Dabei können Messraten von über 20.000 Zellen pro Sekunde erreicht werden. Das Streulicht und die Fluoreszenz der zuvor mit Fluorochromen markierten Zellen werden durch empfindliche Fotosensoren (z. B. Fotodio­den, Photo Multiplier Tubes, PMT, AvalanchePhoto Diodes, APD) detektiert und quantifiziert. Die Fotosensoren selbst sind „farbenblind“, weshalb in der Regel Filter und Spiegel eingesetzt werden, die das fluoreszente Licht der markierten Zellen in dedizierte Wellenlängenbereiche auftrennen. Dadurch können die verschiedenen fluoreszenten Markierungen auf den Zellen aufgeschlüsselt werden. Ein entscheidendes Problem hierbei ist, dass sich die Emissionsspektren von verschiedenen Fluorochromen überschneiden können, sodass das eine Fluorochrom in den dedizierten Detektor eines anderen Fluorochroms einstrahlt und so ein falsches Signal erzeugt. Dieses „Spill-over“ kann bis zu einem bestimmten Maß durch „Kompensation“ mathematisch korrigiert werden, indem das falsch-positive Signal von dem des eigentlich detektierten Fluorochroms subtrahiert wird. 
Die spektrale Überschneidung von Fluorochromen ist auch der größte limitierende Faktor, der die Anzahl der zu messenden Parameter in der konventionellen Durchflusszytometrie einschränkt. In zwei aktuellen Publikationen wurde die Technologie nach heutigem Stand nahezu ausgereizt und die Charakterisierung von peripheren mononuklearen Blutzellen (Peripheral Blood Mononuclear Cell, PBMC) [2] bzw. von T-Lymphozyten [3] durch 31 Parameter (29 Farben + Streulicht) mit einem entsprechend ausgestatteten Gerät beschrieben. In der bildgebenden Zytometrie werden CCD- oder CMOS-Sensoren für die Lichtdetektion genutzt. So kann zusätzlich zu dem Fluoreszenzsignal auch die Lokalisierung des Analyts innerhalb der Zelle bestimmt werden. Dadurch ist es z. B. möglich, die Translokation von Transkriptionsfaktoren vom Zytoplasma in den Zellkern auf Einzelzellebene zu messen [4].

Spektrale Zytometrie

Einen etwas anderen Ansatz für die Detektion und Diskriminierung von verschiedenen Fluorochromen stellt die (multi-)spektrale Durchflusszytometrie dar. Bei der spektralen Durchflusszytometrie wird die Emission der einzelnen Fluorochrome nicht mehr mittels für sie vorgesehener Detektoren mit den entsprechenden vorgeschalteten Filtern detektiert, sondern über ein kontinuierliches Wellenlängen-Spektrum gemessen. Dieses Prinzip wurde bereits 2004 beschrieben [5]. In dem Ansatz wurde das emittierte Licht einer Zelle durch ein optisches Gitter ähnlich wie mit einem optischen Prisma den Wellenlängen nach aufgefächert. Schmale Wellenlängenbereiche wurden in einem Mehrkanal-PMT gemessen, sodass die detektierten Signale quasi das volle Fluoreszenz-Emissionsspektrum einer Zelle darstellen. Über unterschiedliche Algorithmen können die Beiträge der einzelnen Fluorochrome aus dem Gesamtspektrum der Zelle ex­trahiert werden. Mittlerweile gibt es mehrere Firmen, die spektrale Durchflusszytometer kommerziell anbieten. Der Vorteil der spektralen Durchflusszytometrie ist zum einen, dass pro Fluorochrom mehr Licht eingesammelt werden kann und zum anderen, dass auch spektral ähnliche Farbstoffe aufgelöst werden. Aufgrund dieser zusätzlichen Information ist die spektrale Überlappung von Fluorochromen weniger problematisch, sodass die Messung von mehr Parametern als in der konventionellen Durchflusszytometrie möglich ist. Beschrieben wurden die Messung von 40 und mehr Parametern mittels der spektralen Durchflusszytometrie [6, 7].

Massenzytometrie

Eine Entwicklung, die einen Meilenstein für die multiparametrische Analyse auf Einzelzellebene darstellt, ist die sogenannte Massenzytometrie. Bei der Massenzytometrie wird komplett auf die Verwendung von Fluorochromen verzichtet. Stattdessen werden die Antikörper mit aufgereinigten, nicht-radioaktiven Isotopen von Schwermetallen und seltenen Erden markiert. Bei der Massenzytometrie werden die markierten Zellen in einem induktiv gekoppelten Plasma bei ca. 6000 °K verbrannt, atomisiert und ionisiert. Die Schwermetalle auf den zu Ionenwolken gewordenen Zellen werden dann massenspektrometrisch bestimmt und quantifiziert, um Rückschlüsse auf die Antikörpermarkierung ziehen zu können. Da die Isotope definierte Massen haben, gibt es theoretisch keine Signalüberlappung zwischen Parametern, abgesehen von Verunreinigungen und Oxidationszuständen der Isotope. Die Anzahl der Parameter, die mit der Massenzytometrie gemessen werden können, ist hauptsächlich durch die Verfügbarkeit von aufgereinigten Isotopen limitiert. Derzeit sind 56 Isotope kommerziell erhältlich, wobei theoretisch die Messung von über 100 Parametern gleichzeitig möglich ist. Aufgrund der sensitiven Detektion von Schwermetallen muss bei der Probenaufarbeitung auch auf Unreinheiten der aufgereinigten Isotope, Oxidationsstufen einiger Isotope und Eintrag von Kontaminationen aus der Umwelt geachtet werden. Die erhöhte Anzahl an möglichen Parametern geht allerdings zu Lasten des Durchsatzes, der mit einer Messgeschwindigkeit von ca. 300–500 Zellen/Sekunde deutlich geringer ist als bei der konventionellen Durchflusszytometrie. Durch Barcoding und gleichzeitiges Messen mehrerer Proben kann der Probendurchsatz aber erhöht werden [8].

Neue Techniken – mehr Parameter

Weitere Techniken mit der Möglichkeit, eine nahezu unbegrenzte Anzahl an Parametern auf Einzelzellebene zu messen, tun dies derzeit allerdings mit einem noch weitaus geringeren Probendurchsatz und Einschränkung der messbaren Zellzahl. Mittels Hochdurchsatzsequenzierung sind wir in der Lage, das gesamte Transkriptom einzelner Zellen zu bestimmen. Verwendet man gleichzeitig Antikörper, die mit einzigartigen Oligonukleotiden markiert wurden, kann im gleichen Sequenzieransatz auch die Proteinexpression der Zellen quantifiziert werden. Dieser technische Ansatz wurde erstmals 2017 als CITE-Seq (Cellular Indexing of Transcriptomes and Epitopes by Sequencing) [9] und Abseq [10] beschrieben. 
Eine Einschränkung der oben genannten Einzelzelltechnologien ist die Voraussetzung, dass die Zellen in Suspension vorliegen müssen. Multi-parametrische Studien in der Immunologie waren daher im Grunde auf die Analyse von Blutzellen bzw. solche Gewebe beschränkt, die man leicht zu Einzelzellsuspensionen prozessieren konnte. Mittlerweile gibt es mehrere Technologien, mit denen man auch viel-parametrische Einzelzellanalysen im Gewebe durchführen kann. Eine elegante Methode, die das ermöglicht, ist die sogenannte MELC-Technologie (Multi-Epitope Ligand Cartography) [11]. MELC basiert auf dem Färben mit fluoreszenten Antikörpern, gefolgt vom „Löschen“ der Färbung durch Ausbleichen. Durch wiederholte Färbe-Lösch-Zyklen ist man in der Lage, unzählige Parameter zu analysieren. 
Bei der Imaging Mass Cytometry werden Gewebeschnitte mit Isotopen-gekoppelten Antikörpern markiert. Das Gewebe wird daraufhin mit einem Laser Stück für Stück ablatiert und im Massenzytometer analysiert [12]. Der Gewebeschnitt wird dann wieder rekonstruiert. Auch die Hochdurchsatzsequenzierung hat ihren Weg in die Gewebeanalyse gefunden. Bei der Spatial Transcriptomics [13] wird die RNA aus einem Gewebeschnitt herausgelöst und mit einem räumlichen Barcode versehen, sodass die Information darüber, wo im Gewebe sich die RNA befindet, behalten wird.  
Die Herausforderung, welche die große Anzahl von Merkmalen mit sich bringt, die man heutzutage auf Einzelzell­ebene messen kann, ist die Analyse der großen Datenmengen. Das klassische manuelle „Gating“ ist für die Analyse multi-parametrischer Daten nicht mehr adäquat. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Algorithmen, die multi-parametrische Daten im mehrdimensionalen Raum analysieren, Zellpopulationen nach ihrem Phänotyp und potentieller Funktion identifizieren, die Qualität der Daten bemessen und Dimensionsreduktion für die Darstellung durchführen können [14].

Die Zukunft der Einzelzellanalytik

Die Technologien, die uns inzwischen zur Verfügung stehen, ermöglichen uns heute schon die ganzheitliche Analyse einzelner Zellen mit Bestimmung des gesamten Transkriptoms und Proteoms. Weitere Entwicklungen werden die Kosten reduzieren, den Durchsatz an Zellen und Proben erhöhen und anspruchsvollere Datenanalysen ermöglichen.
In Zukunft wird der Blick auch auf andere Zelltypen gerichtet werden. Eine für den Wirt und das Immunsystem äußerst relevante Zellpopulation, über die wir auf Einzelzellebene noch wenig wissen, ist die Microbiota. Erste Ansätze haben gezeigt, dass die Durchflusszytometrie [15], aber auch die Einzelzellsequenzierung [16] ihren Weg in die Mikro­biologie und die Analyse der Dynamik der Darmmicrobiota gefunden haben. Mit der Entwicklung von Bakterien-spezifischen Antikörpern und Färbereagenzien könnte auch eine detaillierte Analyse der Zusammensetzung und Zellzustände von Bakterien möglich sein. 
Eine weitere wichtige Herausforderung bei der Einzelzellanalyse ist das bisherige Fehlen einer Standardisierung, besonders für die Antikörper-basierten Analysemethoden. Trotz der tausenden von Analysen, die pro Jahr durchgeführt werden, erschweren Unterschiede in der Antikörperkonjugation, den Geräten, der Detektion und den Färbeprotokollen die Wiederverwertbarkeit von Zytometriedaten und die Vergleichbarkeit von Datensätzen, die über den qualitativen Vergleich hinausgehen. Es braucht daher in der Zukunft noch weitere bioinformatische und technologische Entwicklungen, die eine quantitative Vergleichbarkeit von Zytometriedaten ermöglichen.

Autor
Prof. Dr. Hyun-Dong Chang
Schwiete-Labor für Mikrobiota und Entzündung
Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin, ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft
Fachbereich Zytometrie, Institut für Biotechnologie, Technische Universität Berlin
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