Molekulare Optogenetik: Erleuchtete Erforschung von biologischen Signalprozessen
DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.01.07Die molekulare Optogenetik hat zum Ziel, molekulare Prozesse in Zellen durch Lichtsignale zu steuern, indem genetisch kodierte Photorezeptoren an zelluläre Proteine fusioniert werden. Dadurch kann die zelluläre Signalleitung mit einer bisher nicht möglich gewesenen zeitlichen und örtlichen Präzision gesteuert werden. Hierzu wurden in den letzten Jahren zahlreiche Methoden entwickelt und neue Einblicke gewonnen. Beispielsweise konnte durch lichtabhängige Aktivierung des T-Zell-Rezeptors das kinetic proofreading Modell bestätigt werden. Außerdem ermöglichen lichtinduzierbare Cre-Rekombinasen eine noch präzisere Kontrolle über Genmanipulationen. Dieser Übersichtsartikel soll als Inspiration dafür dienen, wie die molekulare Optogenetik in der präklinischen Forschung Anwendung finden kann.
Schlüsselwörter: Molekulare Optogenetik, Signalwege, Control of Function
Einleitung
Die Funktion und das Schicksal von Zellen wird durch eine Vielzahl von intrazellulären und extrazellulären Signalvorgängen kontrolliert. Entsprechend führen Fehler in der zellulären Signalverarbeitung zu chronischen und schweren Krankheiten. Die Funktionsweise von Signalwegen wird klassisch mittels „Loss-of-function(knock outs)- oder Gain-of-function-Experimenten“ untersucht. Hierdurch wurden die Komponenten sowie deren Interaktionen in vielen Signalwegen aufgeklärt. Diese Untersuchungen erlauben jedoch nur ansatzweise, die Dynamik von Signalprozessen zu verstehen. Molekulare Signalreaktionen finden auf der Zeitskala von Millisekunden statt, die Signalleitung innerhalb von Sekunden und Minuten, um schlussendlich biologische Funktionen und Entscheidungen zu steuern, welche die ganze Lebensspanne des Organismus beeinflussen können. Um zu untersuchen, wie biologische Signale über diese zeitlichen Skalen weitergeleitet und prozessiert werden und wie verschiedene, eventuell in Konflikt stehende Signale miteinander verarbeitet werden, sind Techniken notwendig, die molekulare Signalprozesse mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung steuern, sogenannte „Control-of-function-Ansätze“. Ein sehr gut geeigneter Stimulus, um molekulare Signalreaktionen in Mikrometer- und Millisekunden-Auflösung zu steuern, ist Licht. In den vergangenen zehn Jahren wurde eine Vielzahl von Techniken zur optischen Steuerung von molekularen Signalprozessen entwickelt. Diese Disziplin, molekulare Optogenetik genannt, beruht darauf, dass Signalmoleküle wie Rezeptoren, Kinasen, Enzyme oder Transkriptionsfaktoren funktional an pflanzliche oder bakterielle Photorezeptoren gekoppelt werden. Durch Beleuchtung kann nun in diesen Photorezeptoren eine Konformationsänderung induziert werden, wodurch die Aktivität des fusionierten Signalmoleküls beeinflusst oder die Interaktion mit einem weiteren Protein ausgelöst wird [1, 2]. Die stark ansteigende Zahl von Publikationen in diesem Feld zeigt eindrücklich, wie die molekulare Optogenetik immer stärkere Verbreitung findet (Abb. 1) [3].
In diesem Übersichtsartikel beschreiben wir die vielfältigen Möglichkeiten zur Steuerung molekularer Signalreaktionen auf verschiedenen Ebenen der Signalweiterleitung sowie ausgewählte Beispiele, in denen wichtige Prozesse für die Immunologie dank molekularer Optogenetik untersucht und gesteuert werden können. Eine stets aktuelle Übersicht von Publikationen und Techniken aus der molekularen Optogenetik findet sich in der Datenbank www.optobase.org [3].
Optische Kontrolle von molekularen Signalreaktionen
Durch die Methoden der molekularen Optogenetik ist es heute möglich, auf praktisch jeder Ebene der Signalleitung optisch gesteuerte Stimuli zu setzen, um dadurch Signalreaktionen zu beeinflussen (Abb. 2).
Die oberste Ebene ist der Input von Signalen aus dem extrazellulären Raum. Mit Hilfe des „Opto-Trap“ genannten Ansatzes können Signalmoleküle, z. B. Cytokine, reversibel an die Zellkulturmatrix gebunden werden. Somit kann deren Verfügbarkeit für die in der Matrix kultivierten Zellen gesteuert werden. Die reversible Immobilisierung erfolgt über die Kopplung des Photorezeptors Phytochrom B (PhyB) an die extrazelluläre Matrix. Unter rotem Licht bindet dieser Photorezeptor Zielproteine, die an den Phytochrom-interagierenden Faktor (PIF) gekoppelt sind. Bei Beleuchtung mit dunkelrotem Licht lösen sich PhyB und PIF voneinander, wodurch das an PIF fusionierte Zielprotein freigesetzt wird und über die Aktivierung eines membranständigen Rezeptors die gewünschte Funktion in den Zellen auslösen kann (Abb. 2a) [4].
Die Aktivität von membranständigen Rezeptoren kann jedoch auch unabhängig von einem externen Stimulus kontrolliert werden. Zum Beispiel können Rezeptor-Tyrosinkinasen (RTKs) an Photorezeptoren der Light-oxygen-voltage-sensing(LOV)-Familie fusioniert werden, wodurch sich die Rezeptoraktivierung blaulichtabhängig regulieren lässt („Opto-RTKs“, Abb. 2b) [5]. Des Weiteren können T-Zell-Rezeptoren sowohl mit Blaulicht [6] als auch mit Rotlicht [7] spezifisch aktiviert und deaktiviert werden (siehe unten).
Auch auf Ebene der zytoplasmatischen Signalproteine kann die molekulare Optogenetik regulierend eingreifen. Signalkaskaden wie der Mitogen-aktivierte Proteinkinase(MAPK)-Signalweg können präzise kontrolliert werden, indem zum Beispiel der Nukleotidaustauschfaktor Son of Sevenless (SOS) über das PhyB/PIF-System durch Rotlicht an die Plasmamembran rekrutiert und damit aktiviert wird („Opto-SOS“, Abb. 2c) [8]. Ebenso kann die Kinaseaktivität von RAF über Fusion an den Photorezeptor Cryptochrom 2 (Cry2) und dessen Oligomerisierung unter blauem Licht induziert werden („Opto-RAF“, Abb. 2d) [9].
Die Stabilität von Proteinen kann durch die Fusion an lichtsensitive Degradationssysteme beeinflusst werden. Diese Systeme basieren auf Fusionskonstrukten mit einer Variante des AsLOV2-Photorezeptors, der unter Blaulicht eine Konformationsänderung durchläuft, die Ubiquitinylierung und anschließende Degradation des Proteins im Proteasom auslöst (Abb. 2e) [10]. Des Weiteren kann mit dem AsLOV2-System blaulichtabhängig Apoptose ausgelöst werden, indem das Bcl-2-associated X protein (BAX) an die äußere Mitochondrienmembran rekrutiert wird [11]. Ebenso kann der Transport und die Position von Organellen wie Mitochondrien entlang von Mikrotubuli kontrolliert werden [12, 13].
In zahlreichen Fällen endet eine Signalkaskade mit der Translokation eines Transkriptionsfaktors in den Nukleus. Auch dieser Prozess kann mithilfe der Optogenetik, unabhängig von den upstream Ereignissen, induziert werden. Ein Protein der Wahl kann an PhyB fusioniert und durch die Bindung an ein PIF-Protein, das eine mit Kernlokalisationsdomäne enthält, rotlichtabhängig in den Kern rekrutiert werden [14]. Eine andere Möglichkeit zur Zytoplasma-Kern-Translokation ist die blaulichtabhängige Konformationsänderung des AsLOV2-Photorezeptors, bei der ein NLS freigelegt wird, worauf das Fusionsprotein in den Kern wandert („LINuS-System“ Abb. 2f) [15]. Mit dem „LEXY-System“ ist nach demselben Prinzip auch der Export aus dem Nukleus möglich [16].
Durch das Binden lichtabhängiger Transkriptionsfaktoren an ihre spezifischen Operatoren kann schließlich auch die Transkription beliebiger Gene kontrolliert werden. Hierfür werden oft Split-Transkriptionsfaktoren lichtabhängig rekonstituiert [17, 18] oder wie bei dem LOV Protein EL222 eine lichtabhängige Konformationsänderung genutzt, die das Binden an die DNA ermöglicht [19]. Da es über das komplette Lichtspektrum hinweg verschiedene Systeme zur Aktivierung der Transkription gibt [20], ist es möglich, die Expression mehrerer Gene simultan und unabhängig voneinander mit verschiedenen Wellenlängen zu regulieren (Abb. 2g). Dies kann sehr nützlich sein, wenn für einen Prozess wie die Neovaskularisation oder Angiogenese mehrere Gene dynamisch exprimiert werden müssen [21].
Optische Kontrolle der T-Zell-Signalleitung
T-Zellen werden durch die Bindung von körperfremden Peptid-Haupthistokompatibilitätskomplexen (pMHCs) an den T-Zell-Rezeptor (TCR) stimuliert, der anschließend die Aktivierung intrazellulärer Signalwege und eine funktionelle Antwort der T-Zelle bewirkt. Dafür muss der TCR zwischen körpereigenen und -fremden pMHCs unterscheiden. Ein Modell, das diesen Zusammenhang zu erklären versucht, ist das Kinetic-proofreading-Modell. Dieses besagt, dass geringe Unterschiede in der Dynamik der Bindung, z. B. die Halbwertszeit der pMHC-TCR-Interaktion, zu großen Unterschieden in der TCR-Signalstärke führen können [22]. Bisherige Studien, welche die Bindungsaffinität des TCR zu pMHCs untersucht haben, beeinflussten jedoch ebenso andere biophysikalische Parameter, z. B. die mechanische Stabilität der Rezeptor-Ligand-Interaktion. Kürzlich sind zwei Publikationen erschienen, die mittels eines optogenetischen Ansatzes das Kinetic-proofreading-Modell testen und den Einfluss anderer Mechanismen weitestgehend ausschließen.
Das opto-Ligand-TCR-System nutzt die Eigenschaft des Photorezeptors PhyB, bei konstantem Rotlicht stets zwischen dem bindenden und nicht-bindenden Zustand zu wechseln [7]. Höhere Lichtintensitäten führen zu einem schnelleren Hin- und Herschalten, im Dunkeln hingegen bleibt der jeweilige Zustand über Stunden unverändert erhalten [23]. Somit wird durch hohe Lichtintensität eine kurze Bindungsdauer je Bindungsereignis induziert. Für das opto-Ligand-TCR-System wurde PhyB über Bindung an Streptavidin (S) tetramerisiert und der Interaktionspartner PIF an die TCRβ Untereinheit fusioniert (Abb. 3a).
Somit kann über die Beleuchtungsintensität die Halbwertszeit der PHYB-TCR Interaktion beeinflusst werden. Es wurde beobachtet, dass bei hoher Intensität (kurze Halbwertszeit) der TCR nicht aktiviert wurde, wohingegen eine Belichtung mit niedriger Intensität (lange Halbwertszeit der Bindung) zu einer Aktivierung führte. Durch die quantitative Charakterisierung der Bindung und der TCR-Aktivierung wurde bestätigt, dass die Signalleitung in T-Zellen durch die Bindedauer des Liganden an den TCR gesteuert wird (Abb. 3b) [7]. Dies steht im Gegensatz zu anderen Rezeptoren, die auf die Konzentration extrazellulärer Liganden reagieren.
In einem ähnlichen Ansatz entwickelten Tischer und Weiner einen optogenetisch kontrollierbaren chimären Antigenrezeptor (CAR), der auf dem Blaulichtschalter LOVTRAP basiert (Abb. 3c) [6]. LOVTRAP hat unter den optogenetischen Schaltern die besondere Eigenschaft, dass der Interaktionspartner Zdk des Photorezeptors AsLOV2 durch Beleuchtung innerhalb von Sekunden dissoziiert und im Dunkeln wieder assoziiert [24]. Auch in diesem System führten hohe Lichtintensitäten zu einer kürzeren Bindungshalbwertszeit, während geringe Intensitäten eine längere Bindungshalbwertszeit bewirken. Das kinetic proofreading Modell wurde getestet, indem AsLOV2 als Ligand in unterschiedlichen Konzentrationen an eine oberflächengebundene Lipid-Doppelschicht (LD) gekoppelt wurde. Die Interaktion mit Zdk-CAR wurde durch variierende Lichtintensitäten kontrolliert und das ausgelöste Signal gemessen. Die Analyse der Daten zeigte, dass nicht die prozentuale Rezeptorbelegung, sondern die Bindungshalbwertszeit der bestimmende Faktor für CAR-Signalisierung ist (Abb. 3b) [6].
Optisch kontrollierte Rekombinasen
Das Cre-loxP-Rekombinationssystem aus dem Bakteriophagen P1 ist das am häufigsten verwendete Rekombinasesystem zur Veränderung von DNA zwischen zwei loxP-Sequenzen [25]. Es ermöglicht gewebespezifisches Aktivieren oder Inaktivieren von Genen in lebenden Organismen [26] und wird in vielen Mausmodellen in der Immunologie eingesetzt. Neben dem klassischen Cre-loxP-System gibt es auch zahleiche induzierbare Systeme. Beispielsweise kann die Expression der Cre-Rekombinase durch die Zugabe von Doxycyclin [27] aktiviert oder durch die Zugabe von Tamoxifen vom Zytoplasma in den Zellkern transloziert werden [28]. Split-Cre-Systeme können über dimerisierende Fusionspartner rekonstituiert werden [29].
Optogenetische Methoden bieten zahlreiche Vorteile gegenüber chemischen Induktoren wie Tamoxifen oder Doxycyclin: Die optischen Stimuli sind minimalinvasiv und können hochpräzise und lokal beschränkt angewendet werden [2].
In den letzten Jahren wurden mehrere optogenetische Cre-loxP-Systeme beruhend auf Blaulicht- [17, 30–32] und Dunkelrotlicht-Photorezeptoren [33] entwickelt und optimiert (Abb. 4).
Die neuste Version der blaulichtinduzierbaren Cre-Rekombinase („PA-Cre 3.0“) beruht auf dem optogenetischen „Magnets-System“ [34], das blaulichtabhängig Heterodimere aus dem N-terminalen und dem C-terminalen Teil des Cre-Proteins bildet, wodurch ein funktionsfähiges Cre-Protein konstituiert wird. Die bestehenden loxP-Mauslinien können entweder mit einer PA-Cre 3.0 Mauslinie gekreuzt oder mit PA-Cre 3.0 Adeno-assoziierten Viren (AAVs) infiziert werden, um die optisch regulierte genomische Rekombination zu induzieren (Abb. 4a) [32].
Systeme, die auf langwelligem Licht im roten oder dunkelroten Bereich reagieren, sind für in vivo Anwendungen prinzipiell besser geeignet, da das langwellige Licht tiefer in Gewebe eindringt und eine niedrigere Zytotoxität aufweist. Das neu entwickelte „far-red light-induced split Cre-loxP-System (FISC)“ bietet diese Möglichkeit und ist ebenfalls über AAVs, in Kombination mit bestehenden loxP Mauslinien, implementierbar. Das dunkelrote Licht aktiviert den bakteriellen Photorezeptor BphS, der Guanosintriphosphat (GTP) zu zyklischem Diguanylat-Monophosphat (c-di-GMP) umwandelt [35]. Das c-di-GMP induziert anschließend die Dimerisierung eines Transkriptionsfaktors zur Expression der C-terminalen Cre-Hälfte (CreC (Aminosäuren 60-343)). Das neu exprimierte CreC bindet anschließend über das Dimerisierungspaar Coh2-DocS [36] an die konstitutiv exprimierte N-Terminale Cre-Hälfte (CreN (Aminosäuren 1-59)) und entfaltet dadurch die Rekombinase-Aktivität (Abb. 4b) [33].
Zusammenfassung und Ausblick
Die molekulare Optogenetik wurde aufgrund ihrer außergewöhnlichen räumlichen und zeitlichen Präzision bereits zur Aufklärung einer Vielzahl von Fragestellungen eingesetzt. Um das Potential dieses Feldes weiter auszubauen, werden fortlaufend neue molekulare „Lichtschalter“ mit noch höherer Aktivierbarkeit [37] oder speziellen Funktionen, z. B. die Produktion sekundärer Botenstoffe [38], entwickelt. Ebenso wird das Farbspektrum stets erweitert, wodurch tiefe Gewebedurchdringung realisiert [39] oder die gleichzeige Verwendung mehrerer optogenetischer Schalter (Multichromatik), z. B. zur orthogonalen Steuerung von Signalwegen [40], ermöglicht wird. Durch neue Beleuchtungsapparaturen sind High-Throughput-Experimente [41, 42] und Einzelzell-Auflösung [43] alltäglich geworden. Damit stellt die molekulare Optogenetik der Forschergemeinschaft kontinuierlich neue Werkzeuge zur Verfügung, um biologische Signalprozesse zu entschlüsseln und zu steuern.
Danksagung: Dieser Beitrag wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder – EXC-2189 – Project ID: 390939984.