Von Ehrlichs Seitenkette bis zur Entdeckung der Plasmazelle
Eine kurze Zeitreise
2018 jährt sich die Vergabe des Nobelpreises an Paul Ehrlich (1908) für die Entwicklung des ersten Modells der Generierung spezifischer Antikörper, Astrid Fagraeus Beschreibung der Plasmazellen als Antikörper-sezernierende Zellen (1948) und Mitchells & Millers Entdeckung, dass Vorläufer der Antikörper-produzierenden Zellen im Knochenmark (engl. Bone marrow) der Maus entstehen (1968). Dieser Übersichtsartikel wird diese drei für die Immunologie wegweisenden Entdeckungen beschreiben.
Schlüsselwörter: Seitenketten-Theorie, Antikörper, Plasmazellen, B-Zelldifferenzierung, Ehrlich
Entdeckung der Antikörper
Antikörper sind Eiweißmoleküle, die von sogenannten Plasmazellen zur Abwehr von pathogenen Keimen in das Gewebe abgegeben werden. Plasmazellen entstehen aus ruhenden B-Lymphozyten (kurz B-Zellen) nach Aktivierung durch z. B. ein Toxin oder Pathogen. Die Erfolgsgeschichte der Antikörper beginnt mit der Beobachtung von Gameleia (1889), Bouchard (1890) und Behring & Nissen (Mai 1890), dass das Blut von Tieren erst nach deren Infektion mit Bakterien eine zerstörende Wirkung auf Bakterien in Kulturen zeigte [1]. Der Siegeszug der Antikörper begann aber erst mit der am 4. Dezember 1890 publizierten und in allen Lehrbüchern als Geburtsstunde der Antikörper und der Serumtherapie gepriesenen Entdeckung von Emil von Behring und Shibasaburo Kitasato. Beide Forscher demonstrierten, dass Tetanus-erkrankte Mäuse durch die Übertragung einer im Serum von Tetanus-immunen Kaninchen vorhandenen löslichen (auch humoral genannt) antitoxischen Aktivität geheilt werden können [2]. Die Erzeugung einer Diphterie-Immunität in Labortieren wurde von Emil von Behring allein am 11. Dezember 1890 [3], und die erfolgreiche Serumtherapie von an Diphtherie erkrankten Meerschweinchen von Emil von Behring zusammen mit Erich Wernicke im Jahre 1892 [4] publiziert (siehe auch Zusammenfassung in Jäck et al. 2017) [5]. Emil von Behring erhielt 1901 allein den ersten Nobelpreis für Physiologie und Medizin für „his work on serum therapy, especially its application against diphtheria“ [6].
Die Seitenketten-Theorie – das erste Modell zur Erklärung der Entstehung spezifischer Antikörper
Paul Ehrlich wurde 1908 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für seine Verdienste um die Standardisierung der Wertbestimmung in der Serumtherapie und für die theoretische Fundierung der Immunologie verliehen. Ehrlich sah im Gegensatz zu Ilya Metchnikoff, der zusammen mit ihm den geteilten Nobelpreis erhielt, nicht die Phagozyten als Hauptvermittler natürlicher und erworbener Immunität, sondern vertrat den in Deutschland vorherrschenden humoralistischen Ansatz, der zirkulierende Antikörper in das Zentrum der Immunabwehr rückte [7].
Bestärkt durch die Entdeckung der „Alexine“ (später von Ehrlich „Komplement“ genannt) durch Buchner [8] und die Entdeckung der Antikörper durch Behring und Kitasato [2], widmete sich der Mediziner Ehrlich in seinen Studien Ende des 19. Jahrhunderts zunächst der physikochemischen Interaktion von Antikörpern und Toxinen. In seinen Mausexperimenten mit den pflanzlichen Toxinen Ricin [9] und Abrin [10] konnte er die absolute Spezifität der Immunreaktion gegen die einzelnen Toxine belegen, da keine Kreuzprotektivität nach Immunisierung nachweisbar war. Zudem erkannte Ehrlich, dass selbst geringe Toxindosen eine starke Antikörperantwort hervorrufen und transferiertes Immunserum seine protektive Wirkung nach wenigen Wochen verliert. Spezifische Antikörper waren deshalb, wie von Buchner und Metchnikoff angenommen, kein Umwandlungsprodukt des Toxins, sondern wurden aktiv durch Körperzellen nach Immunisierung produziert [11]. Die zelluläre Herkunft der protektiven Antikörper lag allerdings noch völlig im Dunkeln.
Nach Ehrlichs Vorstellung muss jede wirksame Interaktion von Zellen und Substanzen, wie z. B. Farbstoffe oder Nährstoffe, über einen zellulären Rezeptor erfolgen („Corpora non agunt nisi fixa“) [12]. Aufbauend auf Ergebnissen seiner immunologischen Experimente entwickelte er hieraus das Konzept der Seitenkettentheorie, das für diese Zeitspanne vorherrschende theoretische Fundament, um die Bildung spezifischer Seitenketten bzw. Antitoxine oder Antikörper zu erklären. Bereits 1897 in den Grundzügen dargelegt [11], führte Ehrlich sein Modell zur Entstehung spezifischer Antikörper 1900 in einer Ehrenrede vor der Royal Society in weiterem Detail aus [13].
„Seitenketten“ sind neben dem zentralen „Leistungskern“ (sinngemäß „der Sitz des Lebens“ [14], nicht zu verwechseln mit dem heutigen Zellkern) essenzielle Bestandteile des „Protoplasmas“. In ihrer Funktion als Nutrizeptoren (Nährstoffrezeptoren) binden sie nach Fischers Schlüssel-Schloss-Prinzip spezifische Nährstoffe zur Verstoffwechselung aus dem Blut (Abb. 1). Zufällig binden manche dieser Seitenketten aufgrund struktureller Ähnlichkeiten auch an Toxine, wodurch diese erst ihre schädigende Wirkung auf die Zelle ausüben können. Kann das Toxin aufgrund von Abwesenheit der bindenden Seitenkette nicht mit der Zelle interagieren, tritt keine Giftwirkung auf und das Individuum verfügt über natürliche Immunität. Im Falle einer Bindung blockiert das Toxin jedoch die Nährstoffaufnahme über die spezifische Seitenkette. Die Zelle antwortet auf diesen Mangel mit einer überschießenden Kompensationsreaktion durch eine verstärkte Produktion dieser Seitenkette, getreu dem von Ehrlichs Cousin Carl Weigert beobachteten Prinzip der Hyperplasie nach Gewebeschädigungen [15]. Aufgrund des begrenzten Platzes auf der Zelloberfläche werden die übermäßig produzierten Seitenketten als „nutzloser Ballast“ [13] ins Blut sekretiert, können hier als freie Antikörper Toxine neutralisieren und verhindern so die Toxinbindung an weitere zelluläre Seitenketten. Nach der Seitenkettentheorie kann dem nach jede Zelle, die toxophile Seitenketten produziert, in eine Antikörper-sezernierende Zelle konvertieren. Dabei beschreibt Ehrlich schon gewisse Gewebespezifitäten; so tragen in Meerschweinchen z. B. nur Hirnzellen Seitenketten, die das Tetanustoxin binden können bzw. Tetanus-spezifische Antikörper sekretieren. Wie wir heute wissen, können Neuronen zwar das Tetanustoxin binden, jedoch sind sie nicht in der Lage, Antikörper zu produzieren.
Die Seitenkettentheorie polarisierte die Wissenschaftsgemeinde zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während sie vor allem in Deutschland überwiegend Anklang fand und Hoffnung auf eine baldige Lösung vieler drängender Fragestellungen machte [16], fanden sich ebenso schnell Kritiker, die Schwachstellen in Ehrlichs Modell erkannten. So schien es für Buchner [17] und Landsteiner [18] unwahrscheinlich, dass das Immunsystem Rezeptoren für eine fast unbegrenzte Vielzahl immunogener Substanzen bereithält. Auch die durch synthetische Haptene hervorgerufenen spezifischen Immunantworten (zusammengefasst in [19]) ließen sich nicht mit Ehrlichs Theorie der zufälligen Kreuzreaktivität von Rezeptoren zur Nährstoffaufnahme in Einklang bringen. Die Seitenkettentheorie geriet so zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer weiter in Vergessenheit.
Die Frage nach der zellulären Herkunft der Antikörper wurde in den Folgejahren vernachlässigt, vielmehr rückten die chemische Struktur und Spezifität der Antikörper ins Zentrum immunologischer Forschungen. Besonders Landsteiners Versuche zur Produktion spezifischer Antikörper gegen Protein-gekoppelte kleine organische Moleküle (Haptene) deckten das immense Immunrepertoire auf und drängten Ehrlichs Theorie weiter in den Hintergrund [20]. An die Stelle der Seitenkettentheorie trat das 1930 von Breinl und Haurowitz formulierte „Template-Modell“: „Antikörper sind Globuline, die erst unter dem störenden Einfluss eingedrungener Antigene anstelle der normalen Globuline gebildet werden“ [21]. In diesem Modell wird die entstehende Polypeptidkette der Antikörper durch Antigenkontakt so umgelagert, dass sich eine räumlich günstige Konformation mit hoher Affinität ergibt, d. h. zur Generierung jeder beliebigen Spezifität würde eine einzige Polypeptidkette genügen. Den zellulären Ursprung der Antikörper positionierten Breinl und Haurowitz in den Zellen des „Retikuloendothels“, den phagozytierenden Zellen in sekundären lymphatischen Organen und im Knochenmark. Während dieser Ansatz eine mögliche Erklärung für das breite Antikörperrepertoire lieferte, blieben doch zentrale Phänomene der Immunantwort offen. So konnte das Modell nicht erklären, warum auch nach Beseitigung des Antigens weitere Antikörper produziert werden oder wie sich während einer Gedächtnisantwort die Affinität eines Antikörpers verändert [22].
Eine bis heute akzeptierte Erklärung für die Spezifität und Induzierbarkeit der Antikörperantwort lieferte erst die 1957 publizierte und später ausführlich dargelegte klonale Selektionstheorie von Macfarlane Burnet [23, 24], die auf Ehrlichs Seitenkettentheorie und auf Nils Jernes Ideen zur natürlichen Selektion der Antikörper beruhte [25]. Im Gegensatz zu Jerne erkannte Burnet jedoch in seinem Modell die Parallelen zu Ehrlichs Seitenkettentheorie und würdigte explizit die essenziell korrekte Logik hinter den 60 Jahre alten Ideen Paul Ehrlichs.
Erste morphologische Beschreibung der Plasmazelle in Assoziation mit Infektionen
Der Begriff „Plasmazelle“ wurde erstmals 1874 von dem deutschen Anatom Heinrich Wilhelm Gottfried Waldeyer verwendet, um „protoplasmareiche, rundliche Embryonalzellen des Bindegewebes“ zu beschreiben [26]. Bei den von ihm skizzierten Zellen handelte es sich jedoch nicht um die heute als Plasmazellen bekannten Antikörper-sezernierenden Zellen, sondern überwiegend um Mastzellen [27]. Die erste Beschreibung des heute als Plasmazelle bezeichneten Zelltyps erfolgte zunächst im Rahmen der Beschreibung diverser Krankheitsbilder und wurde damals noch nicht mit der nun bekannten Effektorfunktion der Antikörpersezernierung in Zusammenhang gebracht. So beschrieben der Neuroanatom und Nobelpreisträger Santiago Ramón y Cajal [28, 29] und der deutsche Dermatologe Paul Gerson Unna [30] unabhängig voneinander diese distinkte Zellpopulation im Rahmen einer Syphilis- bzw. einer Mycobacterium-tuberculosis-Infektion. Während die von Cajal 1890 postulierte Definition und Beschreibung der „cyanophilen Zellen“ (Abb. 2 A) in der damaligen wissenschaftlichen Gemeinschaft zunächst kein Interesse erregte (sehr wahrscheinlich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, da die Arbeit auf Spanisch verfasst wurde), fanden die ein Jahr später publizierten Untersuchungen von Unna sehr schnell Anklang. Die von Unna definierte Bezeichnung der „Plasmazelle“ setzte sich somit initial durch, ungeachtet der Tatsache, dass Waldeyer bereits einen anderen Zelltyp mit demselben Namen versehen hatte. Allerdings initiierte Unnas Publikation zunächst eine große Diskussion unter den bekannten Wissenschaftlern der damaligen Zeit. So wurde vor allem darüber debattiert, wie diese Zellen während einer Infektion entstehen und vor allem, welche Funktion und Bedeutung den „Unnaschen Plasmazellen“ zugesprochen werden sollte [27]. Im Jahr 1895 folgte dann eine ausführlichere, auf mikroskopischen Untersuchungen basierende Beschreibung dieser Zellen durch den ungarischen Dermatologen Tamás von Marschalkó, welche den heute bekannten Eigenschaften einer Plasmazelle deutlich näher kommt als die von Unna skizzierten „großen, schwammigen Zellen mit basophilem Granuloplasma“ [30]. Im Gegensatz zu Unna beobachtete von Marschalkó, dass Plasmazellen nicht nur im „pathologischen Gewebe“, sondern auch in normalen Lymphdrüsen und der Milz vorkommen [31]. Da entzündete Gewebe stark von Lymphozyten infiltriert wurden, und Plasmazellen sich stets inmitten oder in der Nähe der Infiltrate befanden, postulierte Marschalkó, dass sich Plasmazellen aus Lymphozyten entwickeln. Zwei Jahre später schrieb der Marburger Arzt Karl Justi, dass sich Plasmazellen mit großer Wahrscheinlichkeit schrittweise aus kleineren Leukozyten entwickeln, was zuvor bereits der Dermatologe Josef Jadassohn vermutete [27, 32]. Auch Arthur Pappenheim postulierte 1901, dass Lymphozyten die Vorläuferzellen von Plasmazellen sind (Abb. 2 B und [33]). Der schwedische Arzt Johan Almkvist veröffentlichte ebenfalls 1901 eine detaillierte Beschreibung der Plasmazellmorphologie und führte aufgrund der bereits zuvor von Unna und von Marschalkó beschriebenen „Kernverschiebung“ und dem von ihm selbst beobachteten „zentralen Lichthof“ der Zellen einen Vergleich zu Sekretionszellen heran [34]. Er legte nahe, dass die beobachteten morphologischen Besonderheiten der Plasmazellen auf ein erhöhtes Aktivitätsstadium und intrazelluläre Prozesse hindeuten. Almkvist war somit der Erste, der einen Hinweis auf eine der wichtigsten Effektorfunktionen der Plasmazellen hervorbrachte, ohne dies jedoch mit der Antikörperproduktion zu assoziieren. Im darauf folgenden Jahr (1902) fasste der Naturwissenschaftler Alexander Maximow die damaligen, teils sehr widersprüchlichen Erkenntnisse zur Plasmazelle in einem umfassenden pathologischen, von Ernst Ziegler editierten, Werk zusammen [35]. Unter Berücksichtigung des heutigen Kenntnisstands basierte die passendste darin vorzufindende Beschreibung der Plasmazelle jedoch nicht auf den Untersuchungen von Unna, sondern war eher auf die übereinstimmenden Erkenntnisse von Jadassohn, von Marschalkó, Almkvist, Justi, Schottländer, Pappenheim und Krompecher zurückzuführen. Diese Beschreibung lautete wie folgt: „Die Plasmazellen sind aus Blutgefäßen emigrierte und auf besondere Weise veränderte einkernige Leukozyten, meist Lymphozyten, die in normalen lymphoiden Organen und pathologischen Geweben vorkommen und möglicherweise stabile Elemente liefern können“. Die genaue Definition dieser „stabilen Elemente“ blieben Maximow und Ziegler dem Leser zwar schuldig, aber aus heutiger Sicht handelt es sich bei diesen stabilen Elementen sicherlich zumindest teilweise um sezernierte Antikörper. Im selben Jahr, in dem Maximow sein Werk publizierte, trafen Unna und Cajal auf dem XIV. Internationalen Kongress der Medizin in Madrid aufeinander [28]. Laut Cajals Bericht war Unna darüber schockiert, dass Cajals erste Beschreibung der Plasmazelle in keinem wissenschaftlichen Werk Anerkennung fand. Trotz Unnas Bemühungen dies zu ändern, erntete Cajal zu seinen Lebzeiten nicht mehr die Anerkennung, die ihm für seine Erstbeschreibung der Plasmazellen (die er aber nicht Plasmazellen, sondern „cyanophile Korpuskel“ nannte) eigentlich zugestanden hätte.
Entdeckung der Plasmazelle als Antikörper-produzierende Zelle
Die Erkenntnis, dass ein Multiples Myelom einen Krebs der Plasmazellen darstellt, gehört in der heutigen medizinischen Ausbildung zu den Grundlagen. Dieser heute als selbstverständlich angesehene Zusammenhang zwischen einer Krebserkrankung und den Zellen des Immunsystems wurde erstmals in einem Artikel des amerikanischen Mediziners Henry A. Christian aus dem Jahr 1907 beschrieben [36]. Im Rahmen seiner Untersuchungen beobachtete Christian auch leichte morphologische Unterschiede zwischen den Plasmazellen aus inflammatorischem Gewebe und denen des Knochenmarks, woraufhin er zum ersten Mal den Begriff der „bone marrow plasma cells“ (Knochenmarks-Plasmazellen) in die wissenschaftliche Literatur einführte (Abb. 2 C). Heute weiß man, dass es diese langlebigen Knochenmarks-Plasmazellen sind, die uns nach einer Impfung oder dem Überstehen einer Infektion zusammen mit den klassischen Gedächtnis-B-Zellen eine dauerhafte und spezifische Immunität gegen den entsprechenden Erreger gewährleisten [37–41]. Fünf Jahre nach Christians Definition der Knochenmarks-Plasmazellen beschrieb der amerikanische Hämatologe Hal Downey 1912 die Keimzentren der Lymphdrüsen und insbesondere die kleineren Lymphozyten dieser Gewebe als Ursprung der Plasmazellen, und kam somit einer anatomischen Lokalisation der Differenzierung der Plasmazellen bereits sehr nahe [42]. Im selben Artikel erwähnte Downey, dass sich die lymphoiden Elemente in der Milz, den Lymphdrüsen und dem Knochenmark auf pathologische Reize hin ausdehnen. Dies ist eine der ersten Beschreibungen einer Erreger-(Antigen)-induzierten Immunantwort. Die Beobachtungen von Downey sind nach heutigem Wissensstand überwiegend auf die Proliferation von B-Zellen und eine Anreicherung von (eventuell langlebigen) Plasmazellen in den sekundär lymphatischen Organen und dem Knochenmark zurückzuführen. Auch die Untersuchungen des amerikanischen Pathologen Benjamin J. Clawson in Streptococcus-viridans-infizierten Kaninchen zeigte eine sogenannte „Plasmazytose“, also eine Anreicherung von Plasmazellen im Knochenmark der Tiere, die eine Immunität gegen den Erreger aufwiesen und zusätzlich eine allergische Reaktion zeigten [43]. Inspiriert von diesen Beobachtungen spekulierte Fred Kolouch Jr., dass das von Clawson verwendete Infektionsmodell im Kaninchen zur Aufklärung des Ursprungs und der Funktion von Knochenmarks-Plasmazellen beitragen könnte.
Tatsächlich konnte Kolouch 1938 nicht nur die Entstehung von Plasmazellen direkt mit der Injektion des Antigens in Zusammenhang bringen, er machte auch die essenzielle Schlussfolgerung, dass die Anreicherung der Plasmazellen im Knochenmark mit dem Anstieg der von Behring und Kitasato beschriebenen Antikörper im Serum der Kaninchen einhergeht [43]. Kolouch postulierte somit als Erster eine mögliche Effektorfunktion für Plasmazellen, auch wenn er noch keine konkreten experimentellen Hinweise für seine Hypothese vorweisen konnte. Dieser Durchbruch in der Immunologie gelang erst zehn Jahre später (1948) der schwedischen Immunologin Astrid Fagraeus [44]. Während ihrer Studien zum Multiplen Myelom beobachtete sie einen bereits von Bing [45] beschriebenen Anstieg der Anzahl an Plasmazellen bei einer Hypergammaglobulinämie. Ihre in vitro Untersuchungen von Plasmazell-reichen Milzbiopsien aus mit Pferde-Serum injizierten Kaninchen ergaben eine direkte Korrelation zwischen der über eine Methylgrün-Pyronin-Färbung nach Unna-Pappenheim nachgewiesenen Anzahl der Plasmazellen im untersuchten Gewebe und der Menge der sezernierten Antikörper im Kulturmedium (Abb. 2 D). Einen klaren Beweis dafür, dass die von ihr nachgewiesenen Plasmazellen auch tatsächlich Antikörper produzieren, konnte sie allerdings nicht erbringen. Der endgültige Nachweis, dass Plasmazellen Antikörper produzieren, gelang letztendlich 1955 Leduc und Kollegen [46]. Sie nutzten die von Coons entwickelte Immunfluoreszenz-Methode, um in den Lymphknoten von Diphterie-Toxin-immunisierten Kaninchen Antigen-bindende Proteine (also die Antikörper) in morphologisch definierten Plasmazellen mit kleinem Kern und großem Zytoplasma-Anteil nachzuweisen (Abb. 2 E).
Vorläufer der Plasmazelle entstehen im Knochenmark – die Taufe der B-Zelle
Nachdem durch die Arbeiten von Fagraeus und Leduc zu Beginn der 1950er-Jahre die Plasmazelle als Ursprung der Antikörperproduktion etabliert war, dauerte es fast 18 Jahre, bis die Herkunft dieser Antikörper-sezernierenden Zellen aufgeklärt wurde. Im Jahr 1966 veröffentlichte der US-Amerikaner Henry Claman, dass zur Etablierung einer Antikörper-Antwort gegen Schafserythrozyten in bestrahlten Mäusen der Transfer von Zellen aus dem Knochenmark (engl. bone marrow) und dem Thymus benötigt wurde [47, 48]. Diese Entdeckung komplementierte die von Jacques F. A. P. Miller bereits 1961 beschriebene Erkenntnis, dass eine Thymektomie (das Entfernern des Thymus) in neugeborenen Mäusen dazu führte, dass die adulten Tiere keine Keimzentren in der Milz und nur wenige Antikörper-sezernierende Plasmazellen ausbilden konnten [49]. Im gleichen Zeitraum, in dem Claman seine Daten publizierte (1965–1966), zeigten die US-amerikanischen Immunologen Max Cooper und Robert Good in Hühnern, dass zur Etablierung einer Antikörper-Antwort sowohl ein intakter Thymus als auch die Bursa Fabricii benötigt wurden [50, 51]. Nur kurze Zeit später (1968) erbrachten schließlich Graham Mitchell und Jaques Miller den Nachweis, dass die Vorläufer der Antikörper-produzierenden Zellen aus dem Knochenmark stammen, während der Thymus als Ursprung der bei dieser Immunreaktion helfenden Zellen zu definieren ist [52]. Die endgültige Benennung dieser zwei Arten von essenziellen Immunzellen der adaptiven Abwehr als B (bone marrow oder bursa-derived)- und T (thymus-derived)-Lymphozyten erfolgte wahrscheinlich zum ersten Mal 1969 in einem Übersichtsartikel des britischen Immunologen Ivan Maurice Roitt [53].
Fazit
Es ist beachtlich, mit welchen aus heutiger Sicht begrenzten Methoden die Antikörper-sezernierenden Plasmazellen und die Zweigleisigkeit der adaptiven Immunität (B-Zellen und T-Zellen) im letzten Jahrhundert entdeckt wurden. Seither haben Antikörper in der Forschung und der Behandlung von Tumor- und Infektionserkrankungen eine immer wichtigere und weitreichendere Rolle eingenommen, was auch durch die Verleihung der diesjährigen Nobelpreise für Medizin und Chemie verdeutlicht wird (siehe Artikel in dieser Ausgabe von Matthias Gunzer und Dirk Schadendorf aus Essen in der Rubrik „Nachrichten aus der Forschung“).
Heute wissen wir, dass Plasmazellen als Arbeitspferd der humoralen adaptiven Immunantwort kontinuierlich Antikörper sezernieren, über mehrere Jahre in Nischen, z. B. des Knochenmarks, überleben können und somit zusammen mit den klassischen reaktivierbaren Gedächtnis-B-Zellen einen beträchtlichen Teil zum langanhaltenden Immunschutz nach einer Infektion bzw. Schutzimpfung beitragen. Neuere Untersuchungen deuten aber auch darauf hin, dass Plasmazellen bzw. ihre Plasmablasten-Vorläuferstadien je nach Infektion und Entzündungsstadium auch anti- und pro-inflammatorische Zytokine produzieren, und so entscheidend über die Antikörperproduktion hinaus in die Kontrolle von Infektionserkrankungen und chronischen Entzündungsreaktionen eingreifen können (zusammengefasst in [54]). Deshalb müssen sich zukünftige Forschungsschwerpunkte nicht nur auf die Aufklärung der genauen Mechanismen, über welche die Langlebigkeit einer Plasmazelle kontrolliert werden, sondern auch auf die Entwicklung von Methoden zur gezielten Eliminierung pathologischer Plasmazellen konzentrieren.