Von spontanen Mutanten zu CRISPR/Cas9
Genveränderung als Treiber der immunologischen Forschung
Die Analyse von modifizierten Genen ist zu einem wesentlichen Bestandteil im Methodenrepertoire der Immunologie geworden. Musste anfangs auf natürliche Mutanten zurückgegriffen werden, so wurden später gentechnische Methoden entwickelt, die gezieltere Ergebnisse lieferten. Künstliche Genveränderung begann in den 1980ern mit der Überexpression von Genen durch Transgenese mittels Vorkerninjektion, gefolgt kurze Zeit später von der gezielten Genveränderung in embryonalen Stammzellen. Der nächste Entwicklungsschub waren dann die Zink-Finger- und Tal-Effektor-Nukleasen, die erstmals gezielte Genveränderung nun im einzelligen Embryo ermöglichten. Der anschließende Siegeszug der CRISPR/Cas9-Technologie wurde im Prinzp maßgeblich durch diese frühen Designer-Nukleasen erleichtert. Heute werden nicht nur in der Maus, sondern in vielen anderen Spezies gezielte Genommodifikationen mittels CRISPR/Cas9 durchgeführt. Auch für genetische Screens, seien es nun Aktivierungs- oder Inaktivierungsscreens, hat sich CRISPR/Cas9 als geeignetes Tool etabliert. Cas9-Orthologe von unterschiedlichen Bakterienspezies tragen zudem zu einer sehr guten Abdeckung über vollständige Genome bei.
Immunologische Forschung mittels Genmutationen
n der Immunologie hat das Verständnis von genbasierten Mechanismen unser Wissen maßgeblich geformt. Um die Rolle von einzelnen Genen für das Immunsystem zu untersuchen, haben sich genveränderte Lebewesen als wichtiges Hilfsmittel herausgestellt. Im einfachsten Fall wird das zu untersuchende Gen inaktiviert. Komplementär ist die Überexpression, die künstliche Ausprägung eines (Trans-)Gens generell oder in speziellen Zelltypen. Beide Ansätze werden gerne zusammen verwendet, da sie ein vollständigeres Bild der Genfunktion liefern, und sind damit wichtige Elemente in hypothesengetriebener biomedizinischer Forschung. Speziellere Genomveränderungen sind dann noch solche, in denen Punktmutationen eingebracht, oder mit denen Gene aus anderen Tierarten oder dem Menschen ausgeprägt werden. Die Untersuchung von unterschiedlichen Varianten eines Gens (Allelen) geht letztendlich auf Gregor Mendel zurück – wenngleich er sich für Merkmale der Erbse und nicht für das Immunsystem interessierte [1]. Später wurden dann die ersten immunologischen Syndrome im Menschen beschrieben. Die genetischen Ursachen blieben zunächst jedoch im Verborgenen. So beschrieb Ogden Bruton schon 1952 die Agammaglobulinämie in einem 8-jährigen Kind [2]. Mit der Einführung von Modellorganismen wie Maus und Ratte in die immunologische Forschung und der damit einhergehenden Etablierung von Inzuchtstämmen, in denen alle Individuen identische Gene tragen, wurden bald auch die ersten vererblichen Veränderungen am Immunsystem dieser Nager beschrieben.
Spontane Mutanten
Das Erbgut ist weit weniger stabil als man zunächst annehmen möchte. Für die Labor-Maus ist eine Mutationsrate von 5,4 × 109 für kleine Veränderungen wie z. B. Basenaustausche beschrieben worden [3], andere Mutationen, wie z. B. Veränderungen in Small Tandem Repeats, sind sogar noch weitaus häufiger. So ist es kein Wunder, dass aufmerksame Wissenschaftler schon früh spontane Mutationen von Genen mit elementaren Funktionen für das Immunsytem beschrieben haben. Hier sind als Beispiele die nude-, die scid- und die lpr-Mutationen zu nennen. Mit der nude-Mutation im Foxn1-Gen konnten grundlegende Funktionen des Thymus für T-Zellen herausgefunden werden [4]. Durch das Fehlen der thymusabhängigen T-Zellen diente und dient dieser Mausstamm vielfältigen immunologischen Forschungsprojekten einschließlich solchen mit Bezug zu Organtransplantation oder Krebstherapie. Die scid-Mutation greift noch grundlegender in das Immunsystem ein und führt zur Abwesenheit von beiden großen Lymphozytenpopulationen, den B- und den T-Zellen, aufgrund fehlender Erstellung der Antigenrezeptoren beider Zelltypen. Die scid-Mutation der Maus wurde von Bosma und Kollegen im Jahr 1983 [5] beschrieben – ähnlich dramatische Phänotypen mit in einigen Fällen dem gleichen modifizierten Gen, Prkdc, sind ebenso in der Humanmedizin bekannt [6]. Auch wenn dort das Wohl der Patienten immer im Vordergrund steht, so haben solche Genveränderungen mit immunologischen Konsequenzen essenziell zu unserem Verständnis des menschlichen Immunsystems beigetragen und helfen die in Tiermodellen gewonnenen Detailkenntnisse im Menschen zu validieren. Unsere dritte Beispielmutation, lpr, führt zu einem komplexeren Krankheitsbild, einer Autoimmunerkrankung, die dem Lupus erythematodes sehr ähnlich ist [7]. Ursächlich ist eine Punktmutation im Fas-Gen [8], eines für Zelltod, Teilung und Aktivierung wichtigen Gens. Auch für die nude- wie für die lpr-Mutationen sind die menschlichen Pendants beschrieben [9–11], gute Beispiele für die Translatierbarkeit von im Tier gewonnenen Erkenntnissen.
Transgenese für die Überexpression
Wie schon oben beschrieben, werden häufig zwei komplementäre Forschungsansätze verfolgt: die Überexpression sowie die Inaktivierung eines Gens. Für die Überexpression wurde lange Zeit vor allem konventionelle Transgenese verwendet. Bei dieser wird ein Expressionskonstrukt, im einfachsten Fall bestehend aus Promoter, cDNA und Polyadenylierungssignal, in einen Vorkern einer befruchteten Eizelle injiziert [12, 13]. Das Konstrukt inseriert u. a. durch einfache Reparatur (non-homologous end joining, NHEJ) oder Mikrohomologien (microhomology-mediated end joining, MMEJ) an einer zufälligen Stelle im Genom, meist nicht einzeln sondern mehrfach [14, 15]. Die Expressionshöhe wie auch die Expressionskontrolle, also Ausprägung im avisierten Zelltyp, war aus diesem Grund wie auch aufgrund der Einflüsse der umgebenden, nicht vorhersehbaren Genregionen, recht zufällig; Transgeninaktivierung kann auch noch in späteren Generationen beobachtet werden. Viele neu hergestellte transgene Tiere müssen bisweilen untersucht werden, bis solche mit erwünschter Expression gefunden werden, ein klarer Nachteil dieser Methode. Da sie aber die einzige Möglichkeit war, das Genom eines Säugers, meist der Maus, zu verändern, fand diese Methode schnell Anklang bei Immunologen. Sie war zunächst angewendet worden, um die biologischen Eigenschaften von Antikörpern, bzw. B-Zellrezeptoren aufzudecken. Beginnend mit einem Igk-Transgen, gemacht von Ralph Brinster, der auch am ersten Expressionstransgen überhaupt beteiligt war [16], wurde in der Folge eine Serie von Immunglobulin-transgenen Tieren erstellt, mit denen unter anderem die Allel-Exklusion in der B-Zellentwicklung entdeckt wurde. Wie schon angedeutet, hat die konventionelle Transgenese viele Vorteile (einfach durchzuführen, schnelle Erzeugung). Solch eine transgene Linie ist aber doch auch immer ein Zufallsprodukt und lässt daher für den Forschenden häufig noch viele Fragen offen. Eine deutlich zielgerichtetere Methode wurde denn auch bald entwickelt.
Gezielte Genveränderung in embryonalen Stammzellen
Während die Transgenese es zum ersten Mal ermöglichte, das Genom eines Säugers mit einem vorher definierten Ziel zu manipulieren und Gensequenzen von Interesse zu Untersuchungszwecken einzubringen, wurde sie nach kurzer Zeit durch einen weiteren methodischen Ansatz ergänzt, für den die beteiligten Forscher, Mario R. Capecchi, Martin J. Evans, und Oliver Smithies den Nobelpreis in Physiologie und Medizin 2007 erhielten. Bei diesem neuen Ansatz war es möglich, Gene gezielt in exakt vorbestimmter Art und Weise zu verändern, mithin zu inaktivieren. Diese Methode beruhte darauf, Zellen eines frühen embryonalen Stadiums im pluripotenten Zustand, als sogenannte embryonale Stammzellen (ES-Zellen) [17], in Kultur zu halten und dort dann mit gängigen Gentechnikmethoden für die Zellkultur zu verändern. Hierzu wurde ein Targeting-Vektor als Plasmid konstruiert, welcher unter anderem Sequenzen des Zielgens als Homologiearme enthielt und so nach Elektroporation in die Zellen den Einbau durch den exakten Mechanismus der homologen Rekombination (HR) ermöglichte. Resistenzgene als Selektionsmarker unterstützten die Reduktion der zu screenenden ES-Zellklone. Erst wenn die Veränderung in den Zellen eindeutig nachgewiesen war, wurden diese für die Erstellung von sogenannten Chimären verwendet, wozu ES-Zellen wieder durch Mikroinjektion in frühe Embryonalstadien eingebracht wurden und am Aufbau des sich entwickelnden Organismus teilnahmen. Wenn nun Keimzellen in diesen Chimären gebildet wurden, die von den manipulierten ES-Zellen abstammten, dann konnten diese Chimären Nachkommen hervorbringen, welche die Genveränderung im gesamten Körper einschließlich der Keimbahn trugen. Eine neue genveränderte Linie war damit erzeugt [18]. Wie unschwer aufgrund der Abfolge der verschiedenen Schritte zu erkennen, ist diese Technik zwar deutlich präziser, aber auch aufwendiger, riskanter und langsamer als die konventionelle Transgenese über Vorkerninjektion. Aufgrund ihrer geradezu unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten wird sie aber auch noch heute für komplexe Projekte eingesetzt. Die immunologische Forschergemeinde hat auch diese Form der Genveränderung schnell in ihr Technikportfolio aufgenommen. Als Beispiel mag hier die Inaktivierung des Zytokins Interleukin 4 durch Ralf Kühn im Jahr 1991 dienen, welche die Bedeutung von IL-4 für die Antikörperproduktion in vivo bestätigte [19]. In der Folge konnte diese Form der Genveränderung für alle nur erdenklichen Mutanten verwendet werden. Gene wurden mit Markergenen wie dem GFP modifiziert, um ihre Expression verfolgen zu können, Punktmutationen wurden eingeführt, um genaue Studien zu Proteinfunktionen, aber auch zu regulatorischen Elementen zu ermöglichen. Als wahrscheinlich extremstes (und aufwendigstes Beispiel) darf sicher die vollständige Humanisierung der Immunglobulingene gelten, welche es nun ermöglicht, menschliche Antikörper direkt in der Maus zu erstellen [20]. Eine Weiterentwicklung der Methodik stellt die konditionale Mutagenese dar, die es erlaubt, Genveränderungen auf Organe oder Zelltypen bzw. zeitlich zu beschränken. Hierzu wird das zu untersuchende Gen mit Zielsequenzen einer Rekombinase ausgestattet und mit der transgenen (z. B. Zelltyp-spezifischen) Ausprägung einer Rekombinase kombiniert. Die Rekombinase wird in den Zellen, in denen sie aktiv ist, eine Deletion oder Inversion durchführen. Das erste und häufigste eingesetzte Rekombinationssystem für konditionale Mutagenese war die Cre-Rekombinase in Kombination mit den loxP-Zielsequenzen [21].
Die ES-Zelltechnik ermöglichte also eine Vielzahl neuer Forschungsansätze. Einzig die aufwendige Natur der Methode wie auch die Ungewissheit, ob die Chimären ihre Mutation weitergeben würden, ließ die Forscher auf bessere, einfachere Methoden hoffen.
Designer-Nukleasen
Während die ES-zellbasierten Technologien über fast zwei Jahrzehnte die Forschergemeinde dominierten, wurde im Hintergrund an neuen Techniken gearbeitet, die es ermöglichen sollten, Genome effizienter gerichtet zu verändern. Hierzu wurden Designer-Nukleasen entwickelt, die ähnlich wie Restriktionsenzyme an einer vorbestimmten Stelle in einer DNA-Sequenz schneiden würden. Im Gegensatz zu Restriktionsenzymen sollte die Schnittstelle aber freier wählbar sein und so selten vorkommen, dass auch ein einzelner Schnitt selbst in Säugergenomen möglich sein sollte. Die ersten solcher Enzyme waren die Zink-Finger-Nukleasen (ZFN). Durch Zink-Finger-Domänen wurden spezifische DNA-Zielsequenzen erkannt und durch die enzymatische Domäne eines Restriktionsenzyms nach Dimerisierung der Doppelstrangschnitt durchgeführt [22]. Die Zelle repariert diesen Doppelstrangbruch entweder durch NHEJ oder, bei Anwesenheit von homologer DNA z. B. in Targeting-Vektoren, durch HR. Im Falle von NHEJ führt dies häufig zu kleinen Insertionen oder Deletionen und damit gegebenenfalls zu einer (gewünschten) Inaktivierung des Zielgens. Bei Anwesenheit von exogen eingebrachter homologer DNA als Reparaturmatritze, kann diese dann im Falle des homology directed repair (HDR) in das Genom eingebaut werden – ähnlich der in ES-Zellen verwendeten Methode basierend auf homologer Rekombination. Solche ZFN wurden denn auch erfolgreich verwendet, um sowohl Gene zu inaktiveren wie auch gezieltere Modifikationen durchzuführen – ähnlich derer in embryonalen Stammzellen, aber nun direkt in befruchteten Eizellen wie bei der konventionellen Transgenese [23]. Einzig die aufwendige Herstellung und der damit verbundene hohe Preis für ZFN schränkte ihren Einsatz stark ein. Sie sollten denn auch schnell durch die nächste Generation an Designer-Nukleasen verdrängt werden – durch die Tal-Effektor-Nukleasen (TALEN) [24]. Das einfachere Design, nutzerfreundliche Verbreitung über Plasmidbanken wie addgene und effiziente Klonierungsmethoden wie Golden-Gate-Klonierung sorgten für eine schnelle Verbreitung in der Forschungsgemeinde, nicht zuletzt auch, weil TALEN einzelne Nukleotide binden konnten und nicht Tripletts wie die ZNF. Die Designer-Nukleasen eröffneten vollkommen neue Anwendungsmöglichkeiten für gezielte Genomveränderungen, Anwendungen, die mit den vorherigen Methoden nicht oder nur schlecht durchzuführen waren. So war es mittels ZFN möglich, CCR5 in T-Zellen von HIV-Patienten auszuschalten und so die Ausbreitung des Virus einzudämmen – eine direkte klinische Anwendung der Technik [25]. Gerade in diesem Kontext darf aber die Möglichkeit von Designer-Nukleasen, an anderen Stellen im Genom zu schneiden als geplant, nicht unerwähnt bleiben. Obwohl diese sogenannten Off-Target-Effekte von ZFN zu TALEN weniger wurden, waren sie doch gerade im Hinblick auf gentherapeutische Ansätze eine ernstzunehmende Unzulänglichkeit.
CRISPR/Cas9 als Werkzeug zur Veränderung von Genomen
Das CRISPR/Cas-System wurde ursprünglich als Effektormechanismus antiviraler Immunität in Bakterien beschrieben [26], und im August 2012 wurden dann die einzelnen Komponenten und deren Funktionsweise im Detail aufgeklärt, vor allem durch eine bahnbrechende Studie von Martin Jinek und Kollegen [27]. Der große Unterschied zu ZFN und TALEN, die ja auch programmierbare Nukleasen sind, bestand darin, dass Cas9 nicht über Protein-DNA-Interaktionen seine Zielsequenz im Genom identifiziert, sondern über einen RNA-basierten Mechanismus mittels Watson-Crick-Basenpaarung. Nur eine kurze Zielsequenz, die direkt an die RNA-kodierte Zielsequenz anschließt, ist statisch durch das Cas-Protein vorgegeben, die sogenannte PAM-Sequenz. Für das Auffinden und Binden der DNA-Zielsequenz benötigt Cas9 zwei RNA-Moleküle, von denen eines für die Erkennung der Zielsequenz über einen 20 Basenpaare langen Abschnitt zuständig ist (crisprRNA, crRNA), die andere für die Integration der crRNA in das Cas9-Protein (trans-activating crRNA, tracrRNA). Eine Weiterentwicklung des Systems war die Kombination von crRNA und tracrRNA zu einer chimären single guide RNA (sgRNA) [27]. Nun überschlugen sich die Ereignisse: Nicht einmal ein halbes Jahr später wurde das CRISPR/Cas9-System Anfang 2013 als Designer-Nuklease für den Gebrauch in Eukaryoten von mehreren Gruppen gleichzeitig hoffähig gemacht. Entscheidend war, das Cas9-Protein mit einem nukleären Lokalisationssignal (NLS) auszustatten und die kodierende Nukleotidsequenz für die Translation in Säugerzellen anzupassen [28–30]. Wie ZFNs und TALENs führt das aktive Cas9-Enzym Doppelstrangbrüche an exakt vorherbestimmten Stellen im Genom ein, allerdings mit weitaus höherer Effizienz bei minimalem Aufwand und Kosten. Die Doppelstrangbrüche werden auch bei CRISPR/Cas9 durch NHEJ oder HR repariert, letzteres, wenn eine DNA-Matrize mit in die Zelle eingeschleust wird. Mittels CRISPR/Cas9 lassen sich direkt in einzelligen Embryonen aber auch in anderen Zellen an beliebiger Stelle im Genom Knock-outs und Knock-ins realisieren. Im Falle von Maustransgenese entfällt dadurch die aufwendige ES-Zellkultur. Nachdem für die Anpassung dieses Werkzeugs an ein neues Gen einfach nur die 20 Basenpaar-lange guide-Sequenz adaptiert werden muss, war dies ein enormer Fortschritt, und die einfache und erschwingliche Technologie breitete sich wie ein Buschfeuer um den Globus aus. Es wurde bereits heute in weitaus mehr immunologischen Studien verwendet als ZFNs und TALENs zusammen. Im Folgenden wurden dann auch Versionen von Cas9 entwickelt, die, statt zu schneiden, als programmierbares DNA-bindendes Molekül agieren und epigenetische Veränderungen oder Punktmutationen einführen können oder als transkriptioneller Aktivator oder Repressor Gene an- oder abschalten können [31].
CRISPR/Cas9 in genetischen Screens
Während mittels Funktionsverlust oder Überexpression eines Genes Hypothesen zur Genfunktion getestet werden können, dienen Screens dazu, neue Gene oder Wirkmechanismen zu identifizieren. Dabei werden erst zufällige Mutationen in das Genom eingebracht und anschließend über verschiedene Selektionsmethoden detektiert. Vor CRISPR/Cas9 wurden zufällige Mutationen durch Retroviren, Transposons, UV-Licht oder über chemische Reagenzien wie N-ethyl-N-nitrosourea (ENU) in das Genom eingebracht. Diese Ansätze wurden anfangs vor allem in der Entwicklungsbiologie verfolgt; prominentes Beispiel hierfür sind die Erkenntnisse über die embryonale Musterbildung in der Fruchtfliege, für die Christiane Nüsslein-Vollhardt und ihre Kollegen 1995 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt wurden. Eine wichtige immunologische Entdeckung aus diesen Screens war die ganze Familie der Toll-like-Rezeptoren (TLR) mit wichtiger Rolle in der Erkennung von Pathogenen [32]. Ein weiterer häufig verwendeter Screening-Ansatz beruhte auf RNA-interferenz (RNAi), einem natürlichen Mechanismus, mit dem spezifische Proteinexpression auf Ebene der mRNA unterdrückt bzw. reguliert wird [33, 34]. Strenggenommen handelt es sich also nicht um Genveränderungen oder Mutationen, der Effekt kommt einer genetischen Ablation aber sehr nahe. Für einen Screen wurden siRNA oder shRNA Libraries, die das gesamte Transkriptom zum Ziel hatten, in die zu untersuchenden Zellen eingebracht. Da die Ploidie keine Rolle spielte, konnte direkt auf Funktionsverlust-Phänotypen selektiert werden. Durch die Sequenzierung der nach der Selektion verbleibenden siRNAs/shRNAs konnte dann direkt auf das komplementäre Zielgen geschlossen werden. RNAi-Screens werden in vivo vor allem im Bereich der Tumorimmunologie eingesetzt [35], wie auch zur Untersuchung von viralen Infektionen [36].
Obwohl mit der RNAi-Technik genetische Screens einen Schub bekommen hatten, stellte diese Methode den Forscher immer noch vor eine Reihe von Problemen, wie zeitlich begrenzte oder unvollständige Knock-downs und das Unterdrücken unspezifischer Transkripte. Die Methode war aufwendig und nur bedingt für In-vivo-Screens adaptierbar. Designer Nukleasen wie TALEN und ZFN konnten zwar permanente Veränderungen im Genom erzeugen, aber aufgrund der aufwendigen und teuren Herstellungsweise und ihrer Funktionweise als Heterodimere waren sie ungeeignet für genetische Screens. CRISPR/Cas9 funktioniert hingegen allein mit einer einzelnen 20-meren Erkennungssequenz, weswegen schnell klar war, dass CRISPR/Cas9 sich exzellent für genetische Screens eignet. Hierzu werden ähnlich wie bei RNAi-Screens mehrere guide RNAs für jedes Gen in einem Genom erstellt und zusammen mit Cas9 in die zu screenende Zellpopulation eingebracht [37, 38]. Auch für Screens hat CRISPR/Cas9 seine Anwendbarkeit in der Immunologie bereits bewiesen: Mit einem CRISPR/Cas9-Screen wurde z. B. schon die Lipopolysaccharid-induzierte Zytokinantwort [38] untersucht und essenzielle Gene für Anti-Tumor-Immunantworten unter Checkpoint-Blockade ermittelt [39, 40]. Abgesehen von stabilem und vollständigem Funktionsverlust mit Cas9 lassen sich über modifizierte Versionen von Cas9 auch Knock-down (CRISPRi, wie mit siRNA) und Aktivator-Screens (CRISPRa) durchführen [41]. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft auch in der Immunologie bald erste direkte In-vivo-Screens, wie sie bereits im Kontext von Hirntumoren durchgeführt wurden, publiziert werden. CRISPR/Cas9 hat also auch funktionelle genetische Screens verbessert und mit vielen neuen Möglichkeiten bereichert.
Fazit
Die Immunologie hat viel von der Manipulation von Genomen profitiert. Von spontanen und chemisch induzierten Mutanten über Transgene und ES-Zell-Technologie hin zu CRISPR/Cas9 haben sich die Möglichkeiten zur Manipulation von Genomen verändert. Die Geschwindigkeit, mit der immer neue molekulare Werkzeuge, basierend auf CRISPR/Cas-Technologie, beschrieben werden, setzt der Forscherphantasie kaum noch Grenzen. War anfangs die Durchführung der genetischen Manipulation oft der geschwindigkeitsbestimmende Schritt, ist dies heute eher die Phänotypisierung bzw. die funktionelle Aufarbeitung von Befunden aus solchen genetischen Eingriffen.