Virusbedingte Infektionen des zentralen Nervensystems: Eine Übersicht
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2025.01.08Zu den Viren, die in unseren Breiten Infektionen des zentralen Nervensystems verursachen, gehören unter anderem Enteroviren, Adenoviren, Viren aus der Familie der Herpesviridae, das Cytomegalie-Virus, das Epstein-Barr-Virus, das Masern- und das Mumpsvirus sowie Coronaviren und das Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Erreger, deren klinische Manifestation und den Nachweis.
Schlüsselwörter: ZNS, Meningitis, Enzephalitis, Immunreaktion, HSV-1, HSV-2, CMV, EBV, FSME
Infektionen des zentralen Nervensystems (ZNS) sind zwar selten, haben aber eine schlechte Prognose mit hoher Mortalität und führen zu langen Liegezeiten sowie hohen Kosten [1–3]. ZNS-Infektionen können durch Pilze, Protozoen, Bakterien und Viren verursacht werden, jedoch sind Virusinfektionen am häufigsten relevant [4]: In einer epidemiologischen Studie aus Großbritannien oszillierte die jährliche Inzidenz von viraler Meningitis/Enzephalitis zwischen zwei und 73 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Die klinische Symptomatologie umfasst unabhängig von der Art des Erregers neben Allgemeinsymptomen wie Krankheitsgefühl, Fieber und Übelkeit/Erbrechen auch organspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Photophobie, Nackensteifigkeit bis hin zu epileptischen Anfällen.
Major- und Minorkriterien
Grundsätzlich lässt sich eine Enzephalitis nach den internationalen Enzephalitis-Konsortium-Kriterien diagnostizieren [5]: Diese verlangen ein Majorkriterium (Veränderung des mentalen Status innerhalb von 24 Stunden) und mindestens zwei Minorkriterien (Fieber für 72 Stunden, fokale neurologische Befunde, Leukozyten im Liquor > 5 mm3, eine neu aufgetretene Veränderung in der Bildgebung des ZNS, Veränderungen im EEG). Die virusbedingte Meningitis wird auch als aseptische Meningitis bezeichnet und kann akut (Symptomatik weniger als fünf Tage), subakut oder chronisch verlaufen (Symptome mehr als vier Wochen). Sie ist assoziiert mit einer Liquorpleozytose (Abb. 1) und einem negativen Grampräparat bzw. einer negativen bakteriellen Kultur/PCR, verläuft ohne ein systemisches Krankheitsbild und hat meist eine bessere Prognose als die bakterielle Enzephalitis [6].
Erregerspektrum
Das Spektrum der virusbedingten Meningitiden/Enzephalitiden umfasst „alte Bekannte“ wie Enteroviren, Adenoviren, Viren aus der Herpesfamilie (Herpes simplex [HSV] 1/2, Cytomegalie-Virus [CMV] und Epstein-Barr-Virus [EBV]), das Masern- und Mumpsvirus, Coronaviren (SARS-CoV-2) und das Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus (FSME oder Tick-borne Encephalitis), aber auch seltenere Vertreter wie andere Arboviren (West-Nil-Virus, Japanisches Enzephalitis-Virus, Zika-Virus, Chikungunja-Virus u. a.), Influenza- und Parainfluenza-Viren, das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), Parvoviren, das Henipa-Virus, das Bornavirus oder das Lymphozytische Choriomeningitis-Virus (LCV) sowie im Endstadium auch das Rabiesvirus – alle abhängig von Impfstatus, Immunreaktion, Begleiterkrankung und Alter.
Das ZNS hat komplexe und vielschichtige Strukturen, welche Viren an ihrem Zugang über das nasale Epithelium (über olfaktorische Nerven) und über den hämatogenen Weg via Blut-Hirn-Schranke oder Blut-Liquor-Schranke behindern [7]. Darüber hinaus existieren Immunzellen, die in das ZNS eindringen können, um T-Lymphozyten mit protektiven Eigenschaften gegenüber invasiven Mikroorganismen zu aktivieren [8]. Neurotrope Viren haben im Gegenzug Mechanismen entwickelt, um diese Abwehrmechanismen zu überwinden, lokale Zellen im ZNS zu infizieren und eine proinflammatorische Immunreaktion auszulösen, die die Normalfunktion des ZNS alteriert [9–11]. Tab. 1 gibt unter anderem einen Überblick über die Spezifitäten der unterschiedlichen viralen Erreger von Meningitis und Enzephalitis.
Tab. 1: Überblick über die wichtigsten viralen Erreger sowie deren Genom, Invasionswege, klinisches Bild und Diagnostik.
Virus | Genom | Invasionsweg | Klinisches Bild | Diagnostik |
---|---|---|---|---|
Adenoviren | dsDNA | Über olfaktorische Nerven retrograd; Blut-Hirn-Schranke | Aseptische Meningitis, Enzephalitis und disseminierte Enzephalomyelitis | PCR (respiratorisches Material/Liquor) und Liquorpleozytose (lymphozytär) |
Cytomegalie-Virus | dsDNA | Blut-Hirn-Schranke nach Virämie | Aseptische Meningitis, Polyradikulopathie und Myelitis (bei Immunsupprimierten)
Schwere Hirnschädigung möglich bei pränataler Infektion (Mikrozephalus, periventrikuläre Kalzifikationen, Hörverlust, Paraplegie u. a.) | PCR (Liquor/Urin) und Liquorpleozytose (lymphozytär) |
Epstein-Barr-Virus | dsDNA | Blut-Hirn-Schranke nach Virämie | Enzephalitis, Myelitis
Zerebellitis mit Ataxie (autoimmun)
Assoziationen mit neurodegenerativen Erkrankungen (Parkinson-/Alzheimer-Erkrankung) | PCR (Liquor) und Liquorpleozytose (lymphozytär) |
Herpes-simplex-Virus-1/-2 | dsDNA | Blut-Hirn-Schranke; olfaktorische Nerven/Trigeminus retrograd; latent im ZNS vorhanden/Reaktivierung möglich | Aseptische Meningitis
Akute Enzephalitis | PCR (Liquor) und Liquorpleozytose (lymphozytär) |
Enterovirus EV-A/EV-B | ssRNA | Infizierte Motoneurone retrograd; infizierte myeloische Zellen, die durch die Blut-Hirn-Schranke migrieren | Aseptische Meninigitis >
Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrome bei Kindern sowie Epilepsie | PCR (respiratorisches Material/Liquor) und Liquorpleozytose (Frühphase hoher Anteil Segmentkerniger, später lympho-monozytär) |
SARS-CoV-2 | ssRNA | Über kraniale Nerven retrograd; direkt über die Blut-Hirn-Schranke nach Virämie; Infektion von Astrozyten und Nervenzellen – die bei Long COVID teils zerstört sind; Beeinflussung des GABA(Gamma-Aminobuttersäure)-Stoffwechsels | Enzephalopathie und Long-COVID | PCR (respiratorisches Material)
Liquorbefund oft unauffällig |
FSME | ssRNA | Blut-Hirn-Schranke | Aseptische Meningitis, Enzephalitis und Myelitis | Liquor/Serum-AK-Index;
PCR aus Liquor meist negativ |
In der Folge sollen einige häufige virale Erreger von ZNS-Infektionen näher charakterisiert werden.
Adenovirus-Infektionen
Adenoviren sind unbehüllte DNA-Viren, die ursprünglich als Erreger von Atemwegsinfektionen bekannt geworden sind und erstmals aus Rachenmandeln (Adenoid) isoliert wurden. Neben Atemwegsinfektionen (oberer und unterer Respirationstrakt) können sie auch Augeninfektionen und Gastroenteritiden hervorrufen. Grundsätzlich sind ZNS-Manifestationen bei Adenovirus-Infektionen selten; sie treten lediglich in 1,5 % der Fälle auf [12]. Bei Menschen mit ZNS-Manifestation zeigen sich variable Symptome von febrilen Krampfanfällen, milder Meningitis mit Enzephalopathie bis hin zur Enzephalitis und akuter disseminierter Enzephalomyelitis [13]. In mehr als 80 % der Fälle werden die Adenovirus-Serotypen 1 bis 7 nachgewiesen. Adenovirus-Infektionen des ZNS treten vor allem bei Kindern sowie Immunsupprimierten weltweit auf und haben keine saisonale Präferenz [14]. Der Nachweis erfolgt molekularbiologisch mittels PCR aus Liquor oder respiratorischem Material bei entsprechendem Verdacht.
Cytomegalie-Virus
Infektionen durch das CMV sind insbesondere in Entwicklungsländern verbreitet, in denen die Seroprävalenz ca. 90 % beträgt [15]. Üblicherweise verläuft eine Infektion asymptomatisch. Bei immunsupprimierten Personen hingegen können Infektionen schwere symptomatische Verläufe nehmen: In Autopsien von Immunsupprimierten (HIV-Patient:innen) fanden sich in bis zu 28 % der Fälle CMV-assoziierte ZNS-Veränderungen [16]. Die häufigsten klinischen Manifestationen des zentralen Nervensystems sind die Polyradikulopathie (Entzündung der spinalen Nervenfasern), die Myelitis, die Ventrikulitis und/oder eine Beteiligung der Hirnnerven. Schwerwiegend sind auch Infektionen während der Schwangerschaft, die beim Ungeborenen in 0,2 bis 2,0 % der Fälle zu einer Mikrozephalie, zu periventrikulären Kalzifikationen, zu Hydrocephalus vergesellschaftet mit mentaler Retardierung, zu Hörverlust und zu Hautläsionen führen können [17].
Epstein-Barr-Virus
Das Epstein-Barr-Virus gehört – wie auch CMV – zur Familie der Herpesviridae und zeigt ebenfalls ein ausgeprägtes neurotropes Potenzial. Epstein-Barr-Virus-Infektionen treten in allen Altersgruppen auf und betreffen Kinder wie auch Erwachsene [18]. In epidemiologischen Studien zeigen etwa 0,6 % der Infizierten neurologische Manifestationen; das Virus moduliert hierbei die Blut-Hirn-Schranke, da es in der Lage ist, Gefäßendothel zu infizieren [18]. Im Rahmen einer ZNS-Infektion treten die Zeichen einer Enzephalitis, einer akuten transversen Myelitis (Entzündung von grauer und weißer Substanz des Rückenmarks mit multipler Symptomatik), einer Zerebellitis mit Ataxie und ein Guillain-Barré-Syndrom auf [19]. Die Pathogenese der zerebellären Ataxie und des Guillain-Barré-Syndroms beinhaltet eine Autoantikörperbildung, die auf einer Mimikry von EBV-Proteinen und neuronalen Antigenen beruht [20, 21]. EBV wird auch im Zusammenhang mit chronisch degenerativen ZNS-Veränderungen wie Alzheimer- und Parkinson-Erkrankungen gebracht [22].
Herpes-simplex-Virus Typ 1 und 2
Herpes-simplex-Viren Typ 1 und 2 gehören ebenfalls zur Herpesviridae-Familie und sind in der Lage, auf verschiedene Art und Weise das ZNS zu infizieren: Bei HSV-1 verläuft die Primärinfektion zunächst im oropharyngealen Bereich, welche dann über olfaktorische Nerven und den Trigeminus ins ZNS weitergeleitet wird. Die zweite Infektionsart beruht auf einer Reaktivierung entweder im oropharyngealen Bereich oder einer Reaktivierung einer latenten Infektion im ZNS [23]. Das ZNS wird sowohl durch das Virus selbst als auch indirekt über die ausgelöste Immunreaktion geschädigt [24]. Klinisch zeigen sich Zeichen einer Meningitis oder einer akuten Enzephalitis, die alle Altersklassen betreffen kann [25]. Laut epidemiologischen Studien scheint HSV-1 häufiger bei (schwer verlaufenden) Enzephalitiden nachweisbar zu sein, während HSV-2 bevorzugt das Bild einer aseptischen Meningitis mit häufig blandem Verlauf verursacht [26]. Insbesondere bei Infektionen des ZNS durch HSV-2 finden sich hämorrhagische Nekrosen im Bereich der Temporallappen [25].
Enteroviren
Humane Enteroviren (EV) A–D gehören zur Familie der Picorna-Viren und sind häufig die Ursache von ZNS-Infektionen: In bis zu einem Drittel der Fälle werden bei neurologischen Manifestationen Enteroviren nachgewiesen [27]. Unter den Enteroviren führen Infektionen insbesondere mit EV-A und EV-B bzw. den Subtypen EV-A71, CVB5 und E30 (ECHO-Virus 30, ein Serotyp von EV-B) zu ZNS-Infektionen [27]. Der jahreszeitliche Infektionsgipfel findet sich in der warmen Jahreszeit von Mai bis September. Die meisten EV-Infektionen verlaufen asymptomatisch: Sofern eine ZNS-Infektion stattfindet, zeigen sich oftmals nur leichte Symptome. Bei schweren Verläufen – insbesondere bei Infektionen durch EV-A71 – kann es zu Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis mit Paralyse kommen [26]. Kinder unter drei Jahren mit ZNS-Infektionen durch Enteroviren können Verzögerungen der motorischen und kognitiven Entwicklung zeigen [29]. Auch werden Zusammenhänge zwischen Enterovirus-Infektionen, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndromen sowie Epilepsie gesehen [30]. Es ist von Bedeutung, dass bis zu 60 % der Fälle mit Enterovirus-Meningitis keine Pleozytose im Liquor zeigen.
SARS-CoV-2
Das SARS-CoV-2 hat eine globale Gesundheitskrise ausgelöst, von der kein Kontinent verschont geblieben ist. SARS-CoV-2 ist ursprünglich als Erreger von respiratorischen Infektionen bekannt geworden; bald wurde jedoch die SARS-CoV-2-Infektion als Multiorganerkrankung identifiziert, die auch das zentrale Nervensystem betrifft. Bereits in einer Studie aus der frühen Phase der Pandemie konnte gezeigt werden, dass bei etwa einem Drittel aller akut an SARS-CoV-2 Erkrankten ZNS-Symptome nachweisbar waren [31]. Seither hat sich der Fokus im Hinblick auf eine ZNS-Beteiligung insbesondere auf die Post- bzw. Long-COVID-Problematik verändert: Die Infizierten zeigen neurologische und neuropsychologische Veränderungen, obgleich sich keine (gut) definierten biochemischen (zum Beispiel messbare Liquorveränderungen oder PCR-Nachweis von viraler RNA im Liquor) und radiologischen Charakteristika nachweisen lassen. Die betroffenen Personen zeigen die Symptomatik einer Enzephalopathie mit Kopfschmerzen, Müdigkeitssyndrom, Anosmie sowie Gedächtnisstörungen und -verlust mit depressiver Verstimmung [32–34]. Zur Pathogenese ist bekannt, dass das SARS-CoV-2 Astrozyten infiziert und deren Potenzial zur Synthese und Freisetzung von Glutamat und GABA – einem inhibitorischen Neurotransmitter – reduziert [35]. Wichtige Funktionen der Astrozyten sind die Bewertung und die Modulation der neuronalen Aktivität.
FSME-Virus
Das FSME-Virus gehört zur Familie der Flaviviridae (so wie das Dengue-Virus, das Japanische Enzephalitis-Virus und das Gelbfiebervirus) und ist eine überwiegend durch Arthropoden übertragbare Zoonose mit saisonalem Verlauf und starkem Organotropismus für das ZNS. Infektionen können auch durch Verzehr von infizierten domestizierten Säugetieren oder ihren Produkten (unpasteurisierte Milchprodukte) entstehen, was mit einer deutlich reduzierten Inkubationszeit einhergeht. In den vergangenen Jahren sind europaweit die Inzidenzen und die geografische Verbreitung der FSME-Virus-Infektionen angestiegen; in 2020 wurden europaweit 3.817 Fälle registriert, wobei Litauen mit 24 Fällen auf 100.000 Einwohner die höchste Inzidenz verzeichnete [36]. Das wichtigste Reservoir des Virus sind wildlebende Säugetiere (kleine Nagetiere, Igel und Füchse), wobei auch Infektionen bei Haustieren auftreten können (Ziegen und Hunde). Der Mensch gilt als „parasitologischer Fehlwirt“ [37]. Die Erkrankung nach Infektion verläuft in 70 % der Fälle asymptomatisch. Die übrigen Fälle zeigen meist einen biphasischen Verlauf: Zu Beginn zeigen sich Allgemeinsymptome (virämische Prodromalphase mit Fieber sowie Kopf- und Muskelschmerzen), und anschließend folgen die klinischen Zeichen einer Meningitis (50 %), Enzephalitis oder Myelitis. Die Diagnostik wird serologisch durch Nachweis von spezifischen Antikörpern (IgG/IgM) in Serum und Liquor gestellt (einschließlich Liquor/Serum-IgG-Index). Ein molekularbiologischer Nachweis von Virus-RNA gelingt im Liquor oftmals nicht [38].
Ausblick
Im Hinblick auf Infektionen des ZNS muss in der Forschung der Fokus unter anderem auf der Verbesserung diagnostischer Verfahren und der Entwicklung spezifischerer antiviraler Therapien liegen. Auch das Verständnis der Mechanismen, die zu Langzeitfolgen führen, und deren Behandlung – insbesondere im Kontext von Long-COVID – sind wichtige Bausteine. Interdisziplinarität ist notwendig, um die Wechselwirkungen zwischen Virusinfektionen und chronischen neurologischen Erkrankungen besser zu verstehen und um neue präventive Strategien entwickeln zu können.