Blut- und liquorbasierte Biomarker der Multiplen Sklerose: Individualisierte Medizin bei MS
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2025.01.06Seit 2017 haben sich einige Biomarker etabliert, die bei der Diagnose und der Verlaufskontrolle einer Multiplen Sklerose hilfreich sein können. Während die ersten Biomarker aus dem Liquor bestimmt werden mussten, sind inzwischen auch einige blutbasierte Biomarker verfügbar. Mit der Bestimmung von Neurofilament-Leichtketten und dem sauren Gliafaserprotein könnte in Zukunft die Krankheitsaktivität überwacht werden. Ebenso könnten prognostische Aussagen zum Krankheitsverlauf getroffen werden.
Schlüsselwörter: Oligoklonale Banden, freie Kappa-Leichtketten, sNfL, GFAP, PRL, PIRA
Die Multiple Sklerose (MS) oder Encephalomyelitis disseminata (ED) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die schubförmig oder progredient verlaufen kann. Kennzeichnend ist das Auftreten multifokaler ZNS-Läsionen, die zu Ausfällen in den betroffenen neurologischen Funktionssystemen führen. Daraus ergibt sich ein komplexes, klinisch heterogenes Bild, das eine oft jahrzehntelange interdisziplinäre Betreuung der bei Erstdiagnose häufig noch jungen Betroffenen erfordert. Die Aufnahme der MS in die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) im Jahr 2023 war daher ein konsequenter Schritt [1].
Diagnosemarker
Oligoklonale Banden im Liquor
Die (Ausschluss-)Diagnose einer MS wird leitliniengerecht anhand der sogenannten McDonald-Kriterien als Kombination aus klinischen und bildgebenden Befunden gestellt [2]. Eine Übersicht gut charakterisierter Biomarker für MS findet sich in Tab. 1.
Tab. 1: Gut charakterisierte Biomarker bei Multipler Sklerose (MS).
Biomarker | Freie Kappa- | Neurofilament-Leichtketten (NfL) | Saures Gliafaserprotein (GFAP) |
---|---|---|---|
Material | Liquor | Serum | Serum |
Aussage | Intrathekale Immunglobulinsynthese | Axonale Schädigung | Astrozytäre Aktivierung bzw. Schädigung |
Einsatzzweck | Diagnosemarker | Marker für akute Schädigung (Schub) | Marker für Progression (PIRA) |
MS-spezifisch | Nein | Nein | Nein |
Verfügbarkeit | Routineassays | Routineassays | Speziallabor |
2017 wurde der Nachweis liquorspezifischer oligoklonaler Banden (OKB) als erster labordiagnostischer Biomarker in den Kriterienkatalog aufgenommen. Die Bestimmung der OKB hat jedoch den Nachteil, dass sie zeitaufwendig ist und als qualitative Methode subjektiv von der Erfahrung der/des Untersuchenden abhängt.
Freie Kappa-Leichtketten (fKLC) im Liquor
Als Alternative bzw. Ergänzung zu OKB bietet sich daher die quantitative Bestimmung der freien Kappa-Leichtketten im Liquor an, die von der Aussage mit den OKB vergleichbar ist. Es ist zu erwarten, dass die fKLC Eingang in die nächste Revision der MS-Kriterien finden [3]. Es bleibt jedoch der Nachteil, dass die Bestimmung eine invasive und für die Betroffenen belastende Probengewinnung voraussetzt.
Aktivitäts- und Prognosemarker
Neurofilament-Leichtketten im Serum
Leichter gewinnbare, blutbasierte Biomarker (engl. Fluid Biomarkers), wie sie bei anderen chronischen Erkrankungen, zum Beispiel des rheumatischen Formenkreises, bestimmt werden, waren bislang routinemäßig nicht verfügbar. Das derzeitige Monitoring der MS beruht daher zum einen auf der klinischen Untersuchung, zum anderen auf regelmäßigen bildgebenden Kontrollen der ZNS-Läsionen im MRT (Abb. 1).
Dieses Vorgehen könnte sich mit der Einführung hochempfindlicher Routineassays zur Bestimmung der Neurofilament-Leichtketten im Serum (sNfL) ändern. Bei den Neurofilamenten handelt es sich um neuronale, vor allem axonal lokalisierte Strukturproteine, die bei Schädigung (Inflammation, Degeneration und Trauma) vermehrt in den Liquor freigesetzt werden und in der Folge über die Blut-Hirn-Schranke auch in den Blutkreislauf übertreten [4]. Dabei korreliert die Konzentration im Serum gut mit der im Liquor [5] – eine Eigenschaft, die nicht auf alle liquorbasierten Biomarker zutrifft, die jedoch für das Monitoring im Serum essenziell ist.
Im Schub sind die Neurofilamente erhöht, unter suffizienter Therapie sinken sie ab [6]. Untersuchungen zeigen auch, dass erhöhte Neurofilament-Spiegel mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Krankheitsaktivität und neuen Läsionen im MRT einhergehen [7]. Insbesondere fanden sich bei Patient:innen mit vermehrten Paramagnetic Rim Lesions (PRL) im MRT, die mit einer schlechteren Prognose einhergehen, erhöhte Neurofilament-Konzentrationen [8]. Eine aktuelle Studie zeigte, dass erhöhte Neurofilament-Konzentrationen der klinischen Diagnose einer Progredienz (definiert als Verschlechterung im Expanded Disability Status Scale [EDSS]) vorangehen und interessanterweise bei der klinischen Feststellung nicht mehr zwingend erhöht sein müssen [9]. Zudem zeigen Personen mit erhöhten Neurofilament-Werten unter B-Zell-depletierender Therapie ein erhöhtes Risiko für PIRA (Progression Independent of Relapse Activity) [10]. Welche Konsequenzen sich daraus für die Therapie ergeben und ob beispielsweise eine Therapieeskalation schon bei erhöhten Neurofilamenten ohne klinisches und bildgebendes Korrelat indiziert sein könnte, ist derzeit Gegenstand der Diskussion [11] und bedarf weiterer klinischer Studien. Im Umkehrschluss könnte man gegebenenfalls mehr Betroffene weniger aggressiv therapieren, falls die Neurofilamente ein Ansprechen zeigen. Allerdings ist einschränkend zu erwähnen, dass erhöhte Neurofilamente nicht MS-spezifisch sind, sondern auch bei anderen axonalen Schädigungen gefunden werden. Deshalb bezeichnen einige Autor:innen den Marker auch als Troponin des ZNS [12]. Die Interpretation wird zudem durch einen altersbedingten Anstieg erschwert. Altersadjustierte Cut-offs oder besser noch die Darstellung als z-Scores [13] tragen diesem Umstand Rechnung.
Neurofilament-Leichtketten im Serum
Das saure Gliafaserprotein (Glial Fibrillary Acidic Protein; GFAP) ist ein Hauptbestandteil des Zytoskeletts von Astrozyten. Wie bei den Neurofilament-Leichtketten korreliert die Konzentration im Serum gut mit der Liquorkonzentration [5]. Ein Anstieg im Blut wird bei astroglialer Aktivierung bzw. bei Schädigungen der Astrozyten beobachtet [4, 10]. Reaktive Astrozyten setzen Zytokine, Entzündungsmediatoren sowie reaktive Stickstoff- und Sauerstoffspezies frei und sind so an neuroinflammatorischen Prozessen bei verschiedenen neuropathologischen Erkrankungen beteiligt [14]. Intensiv wird die Rolle von GFAP als Biomarker auch bei Morbus Alzheimer diskutiert. Erhöhte Konzentrationen korrelieren hier mit dem Vorhandensein von beta-Amyloid Plaques [15]. Da GFAP auch nach traumatischen Hirnverletzungen (TBI) bereits innerhalb einer Stunde ansteigt [4], ist es in Kombination mit dem neuronalen Protein Ubiquitin C-terminale Hydrolase-L1 (UCH-L1) bereits als In-vitro-Diagnostikum zur Abklärung bei milden TBI zugelassen [16]. Menschen mit Multipler Sklerose weisen signifikant höhere Werte auf als gesunde Kontrollpersonen. Vergleicht man MS-Patient:innen mit unterschiedlichen Verlaufsformen, so sind die GFAP-Konzentrationen von Personen mit progredientem Verlauf (PMS) höher als die von Personen mit schubförmigem Verlauf (RRMS) [17]. Bei PMS korreliert GFAP mit der Erkrankungsschwere und ist mit einem schlechteren Therapieansprechen assoziiert [4]. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass bei Menschen mit progredienter MS ein hoher GFAP-z-Score (> 3) insbesondere in Kombination mit einem niedrigen Neurofilament-z-Score (≤ 1) mit einem erhöhten Risiko für klinischen Progress einherging [18].
Kombination von sNfL und GFAP
In einer ganz aktuellen Studie, die an Patient:innen der Schweizer MS-Kohortenstudie (SMSC) durchgeführt wurde, konnte der Vorteil einer kombinierten Bestimmung der Neurofilament-Leichtketten und des GFAP gezeigt werden [9]. Es wurden Personen unter B-Zell-depletierender Therapie (BCDT) mit schubförmigem Verlauf (RMS) und solche mit progredientem Verlauf (PMS) untersucht. Dabei zeigte sich, dass Personen mit PMS und erhöhter GFAP-Konzentration ein erhöhtes Risiko für eine PIRA hatten. Auch bei Personen ohne PIRA stieg die GFAP-Konzentration mit steigendem Alter, blieb jedoch immer niedriger als die der Personen mit PIRA. Ein weiteres Ergebnis war, dass auch die Neurofilament-Konzentration bei den Personen mit PIRA in der PMS-Gruppe erhöht blieb, also unter BCDT nicht absank. Die Autor:innen folgern daraus, dass eine kombinierte Bestimmung von GFAP und Neurofilamenten das Risiko von PIRA besser vorhersagt als die alleinige Bestimmung eines Markers. Sie erklären dies auch damit, dass die beiden Marker unterschiedliche pathophysiologische Aspekte der MS widerspiegeln. Während GFAP eher mit Neurodegeneration und Progress im Sinne einer kontinuierlichen Verschlechterung einhergeht, sprechen erhöhte Neurofilament-Konzentrationen für akute neuroinflammatorische Aspekte, die sich als Schub und mit dem Auftreten von ZNS-Läsionen äußern. Beide Aspekte sind bei den unterschiedlichen Verlaufsformen der MS in unterschiedlichem Ausmaß vorhanden.
Ausblick
Die Verfügbarkeit von blutbasierten Biomarkern auf gängigen – das bedeutet auch in der Breite der Labormedizin vorhandenen – Analyseplattformen wird die individuelle Betreuung von MS-Patient:innen erleichtern. Es besteht die Hoffnung, dass die neuen Biomarker nicht nur die Krankheitsaktivität anzeigen, sondern auch prognostische Aussagen zum Krankheitsverlauf ermöglichen. Gegebenenfalls wird es damit schon vor dem Auftreten eines Schubes oder eines Progresses möglich, die Therapie so anzupassen, dass irreversible Schädigungen vermieden oder zumindest möglichst lange hinausgezögert werden können. Auch wenn noch wesentliche analytische Fragen wie die Angabe der Ergebnisse als Referenzbereich, Cut-off oder z-Score oder die Vergleichbarkeit der Ergebnisse über analytische Plattformen hinweg gelöst werden müssen, sind insbesondere die Serum-Neurofilament-Leichtketten in der Routineanalytik angekommen. Die Forschung ist schon einen Schritt weiter und diskutiert die Bestimmung von Biomarkern als Multiplexpanel [19]. Es bleibt abzuwarten, ob auch dies in der Routine Einzug findet.