Aufbau eines kooperativen Obduktionsnetzwerks

Obduktionen sind ein wichtiges Instrument für das Verständnis von Entstehung und Verlauf klinischer Krankheitsbilder. Als ein wichtiger und komplementärer Informationsbaustein in der COVID-19-Pandemie wurde zu Beginn der COVID-19-Pandemie im April 2020 das Deutsche Register für COVID-19-Obduktionen eingerichtet und gestartet, innerhalb dessen alle gemeldeten Obduktionen zusammengeführt werden. Für Obduktionen während Pandemiezeiten dient es als elektronisches Rückgrat eines kooperativen Forschungsnetzwerks aus Neuropathologie, Rechtsmedizin und Pathologie sowie einer Vielzahl weiterer mitwirkender Institutionen.

Schlüsselwörter: Zentrales Register, Obduktionen, Post-mortem-Proben, dezentrales Biobanking, Long COVID, Virusvarianten, SARS-CoV-2

Früh zu Beginn der COVID-19-Pandemie positionierte sich die deutsche Pathologie gemeinsam mit Neuropathologie und Rechtsmedizin klar für die Obduktion als wichtiges Instrument zum Verständnis klinischer Krankheitsbilder von neuen Infektionskrankheiten und zur Entwicklung therapeutischer Strategien.

Während die Zahl der COVID-19-infizierten Menschen weltweit weiter anstieg und in Deutschland erste Todesfälle auftraten, wurde das Deutsche Register für COVID-19-Obduktionen (DeReg-COVID) entwickelt und am 15. April 2020 gestartet. Die Teilnahme ist freiwillig.

Das DeRegCOVID hat vier Aufgaben und Ziele (Abb. 1):

  1. Es erfasst möglichst alle durchgeführten Obduktionen von an COVID-19 Verstorbenen in Deutschland. Dabei können alle teilnehmenden Obduktionszentren, universitäre oder außer-universitäre Institute für Pathologie sowie auch Neuropathologie und Rechtsmedizin durch Obduktion gewonnene Daten eingeben. Zu den Daten gehören Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, Todesursache und die Anzahl und Art der lokal archivierten Proben in einem elektronischen Datenerfassungssystem, auf das via Internet über alle gängigen Internetbrowser über einen eigenen Zugang einfach zugegriffen werden kann. Dabei bleiben die Bioproben dezentral und im Eigentum der jeweiligen Obduktionszentren. Auch die Daten werden nur nach Absprache und in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Zentrum für gemeinsame Analysen (und Publikationen) verwendet. Das elektronische Datenerfassungssystem wird aufgrund von Rückmeldungen durch die Nutzer optimiert und ist flexibel um neue Elemente, z. B. Impfungen, Virusvarianten, spezielle Proben sowie ggf. neue Anwendungsfälle erweiterbar.
  2. Das Register unterstützt Obduktionszentren in der Dateneingabe und bei Fragen zur praktischen Durchführung von COVID-19-Obduktionen; es agiert als zentrale Anlaufstelle für Informationsaustausch.
  3. DeRegCOVID dient als zentrale Vermittlerstelle von Anfragen für Forschungsprojekte. Die Anträge können einfach durch Ausfüllen eines kurzen Antragsformulars eingereicht werden; das Formular ist auf der Website www.DeRegCOVID.ukaachen.de verfügbar. Das Team des Registers prüft die Anträge und unterstützt ggf. die Antragstellenden bei der Projektplanung, da bei der Nutzung von Obduktionsproben die Erfahrung fehlt. Danach vermittelt das Register die Anfragen an die jeweiligen Obduktionszentren, die selbst prüfen, ob sich die lokal vorhandenen Proben und Daten für die wissenschaftlichen Fragestellungen des Antrags eignen; sie entscheiden autonom über die Weitergabe der eigenen Daten und Proben. Bislang wurden 23 Publikationen durch DeRegCOVID unterstützt [1–8].
  4. Das DeRegCOVID dient als zentrale Plattform für Datenintegration mit anderen nationalen und potentiell auch internationalen Registern und Datenkommunikationsstelle für die Fachgesellschaften, das öffentliche Gesundheitswesen, insbesondere das Bundesministerium für Gesundheit und das Robert Koch-Institut, sowie die Öffentlichkeit. Dafür werden die eingegebenen Daten auf Vollständigkeit und Plausibilität geprüft, zentral kuratiert und ausgewertet. Auch infolge der Aufklärungsarbeit und des intensiven Austausches wurde die Obduktion als wichtiges Instrument des Infektionsschutzes erkannt, und eine Änderung von §25 des Infektionsschutzgesetzes (Absatz 4) beschlossen. Hier wird der Einsatz von Obduktionen als wichtiges Instrument des öffentlichen Gesundheitswesens zur Pandemiebekämpfung gestärkt und erleichtert. In der Praxis zeigte sich an manchen Standorten bereits eine steigende Zahl von Obduktionen, die von den Gesundheitsbehörden angeordnet wurden.

DEFEAT PANDEMIcs und NATON

Aufbauend auf dem DeRegCOVID als zentrales elektronisches Rückgrat wurde Anfang Juli 2020 im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) ein erstes Konzept für das Deutsche Forschungsnetzwerk für Obduktionen bei Pandemien (DEFEAT PANDEMIcs) entwickelt und bereits im September 2020 offiziell gestartet. Innerhalb des DEFEAT-PANDEMIcs-Konsortiums arbeiten 27 universitäre Obduktionszentren und weitere nicht-universitäre Partner an neuen methodischen und technischen Entwicklungen sowie auch an der Erarbeitung von Prozessstandards und Empfehlungen für obduktionsgetriebene Forschung. Beispiele der Entwicklungen beinhalten z. B. bildgebungsgestützte, minimalinvasive Obduktionstechniken (MIA) in Kombination mit Ultraschall und Computertomographie (einschließlich Robotersystemen), neue ultrahochauflösende Bildgebungsverfahren an Feucht- und Paraffin-eingebettetem Material, verschiedene OMICs-Technologien und Einbindung der digitalen Pathologie sowie künstliche Intelligenz-basierte Auswerteverfahren. Das Netzwerk hat in kurzer Zeit eine beträchtliche Anzahl an Publikationen sowie Öffentlichkeitsarbeit geleistet und eine Infrastruktur für vernetzte obduktionsgetriebene Forschung initiiert. Aus fördertechnischen Gründen endete das Projekt DEFEAT PANDEMIcs im Dezember 2021. Zur Fortführung des Netzwerkes wird ein Folgeprojekt angestrebt. Um die breiten Einsatzgebiete des Netzwerks, die weit über COVID-19 hinausgehen, zum Ausdruck zu bringen, wird das Netzwerk umbenannt in das NATionale ObduktionsNetzwerk (NATON).

NATON verfolgt die folgenden Ziele:

  1. eine langfristige Infrastuktur für eine Pandemievorsorge,
  2. einen Nukleus für kollaborative Obduktionsforschung,
  3. eine nachhaltige Plattform mit breiten Anwendungsbereichen. Im NATON werden die laufenden Projekte und neuen Anwendungsfälle verfolgt, mit aktuellem Fokus auf die pathophysiologische Rolle der pathogenen SARS-CoV-2-Varianten, die Folgen von COVID-19 (d. h. „late COVID" oder „post-COVID"-Zustände) sowie impfstoffbedingte Komplikationen oder Nebenwirkungen (z. B. impfstoffinduzierte immune thrombotische Thrombozytopenie (VITT), Myokarditiden) sowie Durchbruchinfektionen und Impfstoffversagen. Zusammengefasst wird NATON als eine nachhaltige, integrative Service-, Experten- und Entwicklungsplattform für vernetze obduktionsgetriebene Forschung dienen.

Schlussfolgerungen

Der hohe Stellenwert und das Interesse an obduktionsgetriebener Forschung ist unter anderem durch die breite nationale Unterstützung des Deutschen Registers für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) und des Deutschen Forschungsnetzwerks für Autopsien in Pandemien (DEFEAT PANDEMIcs) durch die Obduktionszentren, die Fachgesellschaften und eine Vielzahl weiterer Partner dokumentiert. Dieser Ansatz wird letztlich eine rasche Rückkopplung zwischen Forschung, Patientenversorgung und Pandemiemanagement ermöglichen, sodass einerseits klinische und Pandemie-Managementfragen in Forschungsansätze umgesetzt und andererseits Forschungsergebnisse in Patientenversorgung und Krisenmanagement übersetzt werden können.

Danksagung
Die Autor:innen bedanken sich bei Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Sonja Djudjaj für die Vorbereitung von Abb. 1.

Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Boor, Ph. D.
Institut für Pathologie
Universitätsklinikum der RWTH Aachen
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