Enzephalitis durch Borna Disease Virus 1 (BoDV-1): Von Spitzmäusen und Menschen

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.03.02

Erst seit dem Jahr 2018 ist bekannt, dass das Borna Disease Virus 1 nicht nur beim Pferd, sondern auch beim Menschen schwere Hirnentzündungen verursachen kann. Erkrankung werden vom Reservoirtier Feldspitzmaus über einen noch nicht vollständig geklärten Weg auf den Menschen übertragen. Die Diagnostik ist eine große Herausforderung. Derzeit existiert weder ein Impfstoff noch eine zugelassene Therapie.

Schlüsselwörter: Zoonose, Encephalopathie, RT-qPCR, indirekte Immunfluoreszenz, Ribavirin

Bei einem signifikanten Anteil von Enzephalitiden kann trotz umfassender Diagnostik kein Erreger nachgewiesen werden. Bei einem negativen Testergebnis nach der Untersuchung auf die häufigsten Erreger liegt bei entsprechender Klinik der Verdacht auf eine Autoimmun-Enzephalitis nahe. Deren Diagnostik wurde in den vergangenen Jahren durch gezielte Autoantikörperdiagnostik ergänzt. Als infektiologische Differenzialdiagnose bei Verdacht auf seronegative (limbische) Autoimmun-Enzephalitis muss in Endemiegebieten (neben anderen, selten infektiologischen Ursachen) sowohl bei immungesunden als auch bei immunsupprimierten Patient:innen an Infektionen mit dem Borna Disease Virus 1 (BoDV-1) gedacht werden.

Dieses aus der Tiermedizin lange bekannte Virus, benannt nach der sächsischen Stadt Borna, in der es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Ausbruch der Erkrankung bei Pferden kam, ist erst 2018 zweifelsfrei als Ursache für schwere Hirnentzündungen bei Menschen erkannt worden [1, 2]. Seit 2020 besteht für menschliche BoDV-1-Infektionen eine Meldepflicht. In der Zwischenzeit wurden über 40 Fälle an die Gesundheitsbehörden übermittelt, viele retrospektiv, die allermeisten Fälle aus Bayern [3, 4]. Die Fallsterblichkeit ist mit über 95 % extrem hoch. Zum Vergleich: Die Fallzahl der an BoDV-1 verstorbenen und (retrospektiv) diagnostizierten Patient:innen übersteigt bereits jetzt die kumulierte Anzahl der in Deutschland jemals an Tollwutinfektionen verstorbenen Patient:innen. Trotzdem ist die Tollwut sowohl in Fach- als auch in Patientenkreisen präsenter als BoDV-1.

 

Erreger

Wie das Rabiesvirus, der Erreger der Tollwut, ist BoDV-1 ein behülltes RNA-Virus mit einem unsegmentierten RNA-Genom in negativer Polarität und gehört damit zu den Mononegavirales. Als Besonderheit innerhalb dieser Ordnung von Viren repliziert es im Zellkern der infizierten Zellen und nutzt dort den Splicing-Apparat der Wirtszelle für die Prozessierung seiner subgenomischen RNAs [5]. Neben BoDV-1 werden das ebenfalls zoonotische (humanpathogene) Variegated Squirrel Virus 1 (VSBV-1), durch das in Deutschland tödliche Fälle bei Züchter:innen exotischer Hörnchen aufgetreten waren [6, 7], sowie weitere Viren bei Vögeln und Reptilien zur Familie der Orthobornaviren gerechnet (Tab. 1) [8].

Tab. 1: Vertreter der Gattung Orthobornavirus.

Ordnung: Mononegavirales – Familie: Bornaviridae – Gattung: Orthobornavirus

Orthobornavirus bornaense

Borna Disease Virus 1 (BoDV-1)

Zoonotisches (humanpathogenes) Potenzial gesichert; weitere Fehlwirte: Pferde, Schafe, Ziegen, Alpakas

Reservoir: Feldspitzmaus (Crocidura leucodon), evtl. weitere Vertreter der Gattung Weißzahnspitzmäuse (Crocidura)

Borna Disease Virus 2 (BoDV-2)

Bisher nur bei einem erkrankten Pferd in Österreich beschrieben

 

Orthobornavirus sciuri

Variegated Squirrel Bornavirus 1 (VSBV-1)

Zoonotisches (humanpathogenes) Potenzial gesichert, Todesfälle bei Züchter:innen von exotischen Hörnchen in Deutschland

Reservoir: Bunthörnchen (Sciurus variegatoides), Schönhörnchen (Callosciurinae); KEIN HINWEIS auf mitteleuropäische Eichhörnchen als Reservoir

Orthobornavirus serini

Canary Bornavirus (CnBV) 1–3

Kein zoonotisches (humanpathogenes) Potenzial bekannt

Orthobornavirus estrildidae

Estrildid Finch Bornavirus 1 (EsBV-1)

Orthobornavirus alphapsittaciforme

Parrot Bornavirus (PaBV) 1–4 + 7–8

Orthobornavirus betapsittaciforme

Parrot Bornavirus (PaBV) 5–6

Orthobornavirus avisaquaticae

Aquatic Bird Bornavirus 1 (ABBV-1)

Aquatic Bird Bornavirus 2 (ABBV-2)

Orthobornavirus elapsoideae

Loveridge´s Garter Snake Virus 1 (LGSV-1)

Orthobornavirus caenophidiae

Mexican Black-Tailed Rattlesnake

Bornavirus (MRBV)

Unclassified Orthobornavirus

Gaboon Viper Virus 1 (GaVV-1)

 

 

Die 8,9 kb des Virus­genoms kodieren für sechs Proteine [5]: Das Glykoprotein (G) ist als Membran­protein Bestandteil der Virushülle und vermittelt über einen bisher nicht näher bekannten Rezeptor die Aufnahme des Virus in die Wirtszelle. Ein Matrixprotein (M) ist sowohl mit der Hülle als auch dem Viruskapsid assoziiert, welches aus dem Nukleokapsidprotein (N) aufgebaut ist. Damit assoziiert sind die genomische RNA, ein phosphoryliertes Protein (P) sowie die RNA-abhängige RNA-Polymerase (L für „large protein“). Das sogenannte X-Protein besitzt regulierende und immunmodulierende Eigenschaften [9].

 

Übertragung

Bei BoDV-1-Infektionen handelt es sich um eine Zoonose. Das Reservoir stellen Spitzmäuse der Gattung Crocidura, insbesondere die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon), dar (Abb. 1) [10].

Neben den erst kürzlich bestätigten menschlichen Infektionen sind Pferde, Schafe, Ziegen und Alpakas empfängliche Fehlwirte [11]. Trotz des relativ großen Verbreitungsgebiets von Feldspitzmäusen über Mittel- und Südosteuropa gibt es bestätigte positive Reservoirtiere sowie Tierfälle bisher nur aus Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein und Österreich. Das Endemiegebiet innerhalb Deutschlands erstreckt sich über große Teile Bayerns, angrenzende Regionen Baden-Württembergs und Hessens sowie Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

Ersten Daten des Friedrich-Loeffler-Instituts zufolge sind im Endemiegebiet ca. 20–40 % der Feldspitzmäuse mit BoDV-1 infiziert. Die Tiere scheiden das Virus über das Fell sowie Speichel, Urin und Kot aus, zeigen aber selbst vermutlich keine Krankheitssymptome [12]. Mittels Sequenzierung lassen sich BoDV-1-Isolate in vier genetische Cluster einteilen, die sich regional unterscheiden. Grenzen für die Verbreitung der unterschiedlichen Cluster sowie positiver Reservoir-Tiere innerhalb des Spitzmausverbreitungsgebiets scheinen natürliche Hindernisse wie zum Beispiel Flussläufe zu sein. In Fehlwirten wie Schafen und Alpakas zeigt die Infektion einen hohen Neurotropismus [11]. Die Tiere erkranken meist schwer, scheiden das Virus aber nicht relevant aus, sodass von erkrankten Fehlwirten keine Infektionsgefahr ausgeht.

Menschliche Infektionsfälle sind bisher nur aus Deutschland bekannt. Die weitaus meisten Fälle wurden aus Bayern gemeldet. Kürzlich wurde ein menschlicher Infektionsfall außerhalb des bekannten Endemiegebiets in Aachen beschrieben [13]. Der Patient hatte sich aber vermutlich während eines kurzen Aufenthalts in Bayern ca. sechs Monate vor Symptombeginn angesteckt. Dies unterstreicht, dass auch bei Patient:innen außerhalb der oben beschriebenen Endemiegebiete bei entsprechender Reiseanamnese sowie neurologisch passenden Symptomen an eine BoDV-1-Enzephalitis gedacht werden sollte. Hierbei muss man beachten, dass die Inkubationszeit mehrere Monate beträgt.

 

Symptomatik

Der genaue Übertragungsweg des Virus von Spitzmäusen auf Menschen ist nicht bekannt. Die Infektion über den Nervus olfactorius stellt ein wahrscheinliches Szenario dar. Das Virus breitet sich dann vermutlich über den interaxonalen Transport bis ins Gehirn aus. Eine Studie identifizierte ein ländliches Wohnumfeld und insbesondere die Wohnlage am Ortsrand als Risikofaktor für eine Infektion [14]. Die Inkubationszeit wird auf mehrere Wochen bis Monate geschätzt. Neben unspezifischen Symp­tomen wie Kopfschmerzen und Fieber kommt es in den meisten Fällen zunächst zu enzephalopathischen Symptomen ohne Fokalneurologie [15]. Beschrieben sind Desorientiertheit, Gedächtnisstörungen, Schwindel und Halluzinationen. Ataxie, Dysarthrie, Paresen, Myokloni, Sensibilitätsstörungen und Krampfanfälle sind mögliche weitere Symptome. Im Verlauf kommt es zu Vigilanzminderungen und schließlich zum Koma. In einigen Fällen ähnelte die klinische Symptomatik initial jedoch auch einem Guillain-Barré- oder Miller-Fisher-Syndrom [16, 17]. Im Liquor fanden sich einer retrospektiven Analyse zufolge bei der ersten Untersuchung in den meisten Fällen eine lymphomonozytäre Pleozytose (in 72 % der Fälle) sowie erhöhtes Liquorprotein als Ausdruck einer Schrankenstörung (in 78 % der Fälle); auch das Liquorlaktat kann erhöht sein [15]. Ein unauffälliger Liquorbefund bei Erst­untersuchung schließt aber die Diagnose einer BoDV-1-Enzephalitis keineswegs aus. Auch im cMRT können Veränderungen erst im Verlauf der Erkrankung sichtbar werden. Meist sind dann zunächst T2-Hyperintensitäten im Bereich der Basalganglien nachweisbar [18].

 

Diagnostik

Auch die BoDV-1-spezifische Diagnostik hält gewisse Herausforderungen bereit. Zum direkten Erregernachweis sind BoDV-1-spezifische RT-qPCR-Protokolle gut etabliert. In Fehlwirten, zu denen auch der Mensch zählt, ist das Virus sehr zell­assoziiert, und es wird nur wenig RNA in den Liquor abgegeben, sodass die Sensitivität der RT-qPCR aus Liquor eingeschränkt ist (geschätzt bei ca. 50 %). Hochsensitiv ist dagegen der direkte Erregernachweis mittels RT-qPCR oder auch In-situ-Hybridisierung aus Gehirnbiopsien (intra vitam) oder Gehirngewebe (post mortem). Wegen der eingeschränkten Sensitivität der RT-qPCR aus Liquor sollte zur Abklärung eines Infektionsverdachts auch immer parallel eine Serologie durchgeführt werden. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass die Serokonversion meist erst nach dem Auftreten bereits schwerer neurologischer Symptome einsetzt und daher im Akutfall noch negativ sein kann [19]. Es sollte daher eine Folgeprobe nach sieben bis 14 Tagen untersucht werden. Die Serokonversion tritt zuerst im Serum und dann verzögert im Liquor auf, sodass primär Serum für die Diagnostik verwendet werden sollte.

Als Goldstandard für die serologische Diagnostik kann die indirekte Immunfluoreszenz gelten [2], bei der neben BoDV-1-infizierten Zellen immer auch uninfizierte Zellen mitgeführt werden sollten. So kann man unspezifische Fluo­reszenzsignale, zum Beispiel durch antinukleäre Antikörper, ausschließen. Bei entsprechender Erfahrung zeigt die Immun­fluoreszenz die beste Konkordanz zu PCR-bestätigten Krankheitsfällen. Da die Immunfluoreszenz eine untersucherabhängige und aufwendige Methode ist, wurden serologische Tests auf der Basis rekombinant exprimierter Virusproteine etabliert (ELISA, Immunoblot/Line Blot). Bei solchen Tests ist allerdings die Verwendung eines Virusproteins als Antigen alleine nicht spezifisch genug, sodass für ein positives Testergebnis Antikörperantworten gegen mehrere virale Antigene zu fordern sind [19].

Eine mögliche Erklärung der unspezifischen Antikörperantworten gegen bestimmte virale Proteine, wie zum Beispiel das N-Protein, könnten Autoantikörper gegen exprimierte sogenannte endogene Borna-ähnliche Elemente im menschlichen Genom sein [17]. Diese wurden als Zeichen für die wohl lange Co-Evolution mit Bornaviren an verschiedenen Stellen im menschlichen Genom und im Genom anderer Spezies beschrieben [20]. Zumindest für einzelne dieser Sequenzen wurden auch die Expression und Funktio­nalität als Protein gezeigt [21]. Für die Falldefinition einer gesicherten BoDV-1-Infektion ist der direkte Erregernachweis mittels PCR oder In-situ-Hybridisierung gefordert [22]. Infektionsfälle mit schwerer neurologischer Symptomatik und Antikörpernachweis werden als „wahrscheinliche Fälle“ geführt. Für häufigere asymptomatische oder oligosymptomatische Fälle gab es in mehreren seroepidemiologischen Studien keine Hinweise [17, 23].

 

Pathogenese

Die Symptome einer BoDV-1-Infektion entstehen immunbedingt [24–26]. Das Virus selbst verursacht keinen zytopathischen oder zytolytischen Effekt [27]. In Tiermodellen wurden virusspezifische T-Zellen als ursächlich im Krankheitsprozess identifiziert [28]. In einer Pilotstudie wurde daher auch eine T-Zell-basierte Dia­gnostik mittels ELISpot(Enzyme-Linked-ImmunoSpot)-Assay etabliert [29]. Bei drei untersuchten Patient:innen zeigten sich spezifische Reaktionen durch Stimula­tion mit Peptiden des viralen N-Proteins. Für die weitere Testevaluation sind aber zusätzliche Proben und Untersuchungen notwendig.

 

Therapie und Prävention

Leider gibt es aktuell keine zugelassene Therapie für BoDV-1-Infektionen. In Zellkulturexperimenten zeigte sich eine antivirale Wirksamkeit von Ribavirin und Favipiravir gegen Bornaviren [30, 31]. Die Wirksamkeit von Ribavirin könnte aber auch auf modulatorischen Effekten auf Astrozyten/Mikroglia beruhen [32]. Bisher wurden mehrere Patient:innen off-label mit antiviralen Substanzen (Favipiravir, Ribavirin) und zusätzlicher Immunsuppression behandelt [4]. Hintergrund für die zusätzliche Immunsuppression sind die im Tiermodell gezeigte Immun­pathogenese sowie die Beobachtung, dass immunsupprimierte Patient:innen nach Organtransplantation ein längeres Überleben zeigten [3]. Um die Daten der wenigen behandelten Patient:innen besser auswerten zu können, wäre ein Register wünschenswert.

Aufgrund der aktuell limitierten Behandlungsoptionen kommt der Prävention eine herausragende Bedeutung zu. Da insbesondere aber der Übertragungsweg nicht im Detail verstanden und auch kein Impfstoff verfügbar ist, bestehen die aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts darin, Kontakt zu Spitzmäusen (lebend und tot) zu meiden, Tiere nicht mit bloßen Händen anzufassen, tote Tiere unter Sicherheitsvorkehrungen zu entsorgen und bei Spitzmäusen im häuslichen oder beruflichen Umfeld die Nahrungsquelle zu identifizieren und zu entziehen (z. B. zugängliches Hunde- oder Katzenfutter oder Komposthaufen) [33].

Autor
Dr. med. Markus Bauswein
Institut für Klinische Mikrobiologie und Hygiene
Universitätsklinikum Regensburg
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