Transfusion-Related Acute Lung Injury: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2022.02.06Die transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI) ist eine seltene, schwerwiegende Transfusionsreaktion, die durch plötzliche akute Atemnot während oder innerhalb von sechs Stunden nach einer Transfusion gekennzeichnet ist. TRALI gehörte viele Jahre zu den häufigsten Ursachen für transfusionsbedingte Todesfälle. Seit ihre Pathogenese besser erforscht ist, konnte durch spezifische Spenderselektion die Fallzahl und Todesrate deutlich gesenkt werden. Trotzdem ist Achtsamkeit geboten, denn vereinzelt gibt es immer noch tödliche Verläufe.
Schlüsselwörter: Lungenödem, Neutrophile, humane leukozytäre Antigene (HLA), humane neutrophile Antigene (HNA)
Bereits seit den 1930er-Jahren, also seit den Frühzeiten des Transfusionswesens, ist aus sporadischen Berichten bekannt, dass es innerhalb weniger Stunden nach der Gabe von Blutprodukten gelegentlich zu schweren pulmonalen Komplikationen mit akuter Atemnot und der Entwicklung eines Lungenödems kommen kann. Da Personen mit Linksherzbelastung ein erhöhtes Risiko aufwiesen, ging man zunächst von einer Kreislaufüberlastung als alleiniger Ursache aus [1].
TRALI und TACO
1951 kam eine nicht-kardiogene Ursache als Alternative ins Gespräch und wurde mit der Fachbezeichnung TRALI (transfusion-related acute lung injury) belegt. Der erste dokumentierte Fall war ein Leukämiepatient, der nach einer Bluttransfusion aufgrund einer hyperallergischen Immunreaktion verstarb. 1957 wurden hohe Titer von „Leukoagglutininen“ als mögliche Auslöser dieser Erkrankung gefunden, aber es dauerte noch bis in die 1980er-Jahre, ehe die beiden Hauptursachen von transfusionsbedingtem Lungenversagen klar voneinander unterschieden werden konnten: TRALI und TACO (transfusion-associated circulatory overload).
Damals fiel auf, dass sich Frauen wesentlich seltener mit HIV infizierten als Männer – typisch für die Prävalenz einer sexuell übertragbaren Krankheit. Also bevorzugte man Blut von Spenderinnen für die Transfusion, doch dies führte zu vermehrtem Auftreten von TRALI – wesentlich häufiger bei Gabe von Erythrozytenkonzentraten (EK) und v. a. Plasmapräparaten von Spenderinnen. Damit war der Grundstein für die Aufklärung einer schweren Erkrankung gelegt, die der Medizin allerdings bis heute Rätsel aufgibt.
Vorkommen
Die Inzidenz von TRALI in Deutschland wurde 2007 mit 1 : 55.000 angegeben [2] und die Letalität – abhängig von Alter und Grundkrankheit – ist mit bis zu 20 % hoch [1]. Nach Daten aus dem Hämovigilanz-Bericht des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) ist die Inzidenz in Deutschland rückläufig: 2012 wurden 61 TRALI-Zwischenfälle gemeldet, 2015 nur noch 46. Im Hämovigilanz- Bericht von 2020 finden sich zwar erneut 61 gemeldete Verdachtsfälle, doch nach Überprüfung der Konstellationen durch das PEI konnten nur drei davon als echte TRALI-Fälle bestätigt werden – ohne einen einzigen Todesfall.
Definition und diagnostische Kriterien
Das European Haemovigilance Network (EHN) definierte TRALI als eine klinische Entität, bestehend aus akuter Atemnot während einer Transfusion (v. a. nach plasmahaltigen Blutprodukten) oder innerhalb von sechs Stunden danach, verbunden mit neu aufgetretenen bilateralen Lungeninfiltrationen bis hin zum generalisierten Lungenödem. In der Thoraxröntgenaufnahme findet sich kein Anhalt für eine Herzinsuffizienz infolge einer Volumenüberladung [3] (Abb. 1).
Gemäß der nordamerikanischem Konsensus-Konferenz im Jahr 2004 wurde die Definition durch den Nachweis der Hypoxämie sowie den Ausschluss weiterer Risikofaktoren für eine akute Lungeninsuffizienz (ALI) ergänzt [4]. Personen mit TRALI-Symptomen, die aber auch ARDS-Risikofaktoren aufwiesen, wurden als mögliche TRALI klassifiziert.
Zur Anpassung an die neue Berliner Definition des akuten Atemnotsyndroms (ARDS) [5] sowie zur Verbesserung der Kriterien für die Diagnose und das klinische Management von TRALI überarbeiteten Vlaar et al. im Jahr 2019 die Definitionen erneut [6]. Die Konsensus-Neudefinition schlug die Begriffe TRALI I (ohne ARDS) und TRALI II (begleitet von ARDS) vor (Tab. 1).
Tab. 1: Entwicklung der Diagnosekriterien von TRALI (modifiziert nach [2, 3, 4, 6]).
European Haemovigilance Network (EHN) | ||
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TRALI |
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Nordamerikanisches TRALI-Konsensus-Konferenz-Komitee | ||
TRALI |
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Mögliche TRALI | Wenn ein oder mehrere Risikofaktoren für ein ALI vorliegen, sollte eine mögliche TRALI diagnostiziert werden. | |
2019 aktualisierte Konsensus-Neudefinition von TRALI | ||
TRALI Typ I |
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ARDS-Risikofaktoren | ||
Direkte:
| Indirekte:
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TRALI Typ II |
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Nichtsdestotrotz bleibt TRALI nach wie vor eine klinische Diagnose.
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie ist bis heute nicht vollkommen geklärt. Generell wird eine „two-hit“-Hypothese für die Entstehung dieses multifaktoriellen Krankheitsbilds angenommen: Dem „ersten Treffer“ entspricht das Priming von Neutrophilen in der Lunge durch einen systemischen proinflammatorischen Zustand (z. B. Sepsis, Trauma, Operation, Massivtransfusion etc.) mit erhöhtem Spiegel von Interleukin-8, Interleukin-6 und CRP. Das „zweite Ereignis“ löst die weitere Aktivierung der sensibilisierten Neutrophilen durch transfundierte Antikörper (immunogene TRALI) oder biologisch aktive Mediatoren (nicht-immunogene TRALI) aus. Etwa 80–85 % der TRALI-Fälle werden durch leukozytenaktivierende Antikörper im Spenderplasma gegen humane leukozytäre Antigene (HLA) und/oder humane neutrophile Antigene (HNA) ausgelöst [7]. Die übrigen Fälle werden durch proinflammatorische Mediatoren (biologisch aktive Lipide, biologic response modifiers, Zytokine etc.), die sich während der Lagerung und Alterung von zellulären Blutprodukten ansammeln, verursacht. Die Neutrophilenaktivierung führt zur Freisetzung von intrazellulären Enzymen (Proteasen, Elastasen und Oxidasen), Sauerstoffradikalen sowie zur Komplementaktivierung, die das Kapillarendothel schädigen und die Extravasation von Flüssigkeit in das Lungeninterstitium hervorrufen [1, 7, 8]. Aufgrund der erhöhten Kapillarpermeabilität (capillary leakage) entsteht ein nicht-kardiogenes Lungenödem, das sich im Thoraxröntgenbild als diffuse, bilaterale Infiltrate bis hin zum Bild einer „weißen Lunge“ präsentiert [2, 7]. Das führende klinische Bild wird von Atemnot und Kreislaufversagen bestimmt (Tab. 2).
Tab. 2: Fallbericht |
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Die 67-jährige Patientin erhielt eine Massivtransfusion aufgrund eines intraoperativen Blutverlustes im Rahmen eines komplizierten orthopädischen Eingriffs. Innerhalb einer Stunde nach Beginn der Transfusionen entwickelten sich ein O2-Sättigungsabfall, Hypotonie und Temperaturanstieg. Während der Operation kam es noch zweimal zum Sättigungseinbruch und Blutdruckabfall. Die postoperative Röntgenaufnahme präsentierte ein neu aufgetretenes bilaterales Lungenödem. Eine kardiale Ursache sowie eine Volumenüberladung konnten ausgeschlossen werden. Unter intensivmedizinischer Behandlung mit Sauerstoff-, Kathecholamin- und Volumentherapie erholte sich die Patientin und konnte innerhalb von zwei Tagen auf Normalstation verlegt werden. Aufgrund der typischen Symptomatik für TRALI wurde bei den Spendern eine Diagnostik auf das Vorhandensein von leukozytären Antikörpern veranlasst. Die Nachuntersuchungen wiesen bei zwei Spendern sowohl HLA-Klasse-I- als auch HLA-Klasse-II-Antikörper nach. |
Weitere Symptome können Tachypnoe, schaumiges Lungensekret, Hypotonie, Fieber, Tachykardie und Zyanose sein [1, 2, 7, 9].
Behandlung
Spezifische Therapieoptionen fehlen für TRALI; es stehen leider nur supportive Maßnahmen zur Verfügung. Je nach Schweregrad kann die Therapie von nasaler Sauerstoffgabe bis zur mechanischen Beatmung und invasiven hämodynamischen Überwachung mit Vasopressor- und Volumentherapie erforderlich sein. Vielversprechende neue Therapien umfassen das Blockieren der Interleukin-6- und Interleukin-8-Rezeptoren durch monoklonale Antikörper (Tocilizumab bzw. Repertaxin), Interleukin-10-Therapie, das Heruntermodulieren der C-reaktiven Proteinspiegel (Ascorbinsäure) sowie die Gabe von ROS-Inhibitoren zur Reduktion reaktiver Sauerstoffspezies [1, 9, 10].
Meldepflichten
In Deutschland besteht eine gesetzliche Pflicht, unerwünschte Transfusionsreaktionen je nach Schweregrad entweder der Blutspendeeinrichtung, der zuständigen Bundesoberbehörde (Paul-Ehrlich-Institut) und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu melden. Die Meldepflichten sind seitens der Blutspendeeinrichtungen im Arzneimittelgesetz (§ 63i AMG) und seitens der behandelnden Ärzteschaft im Transfusionsgesetz (§ 16 Abs. 2 TFG) verankert.
Prophylaxe
Seit Einführung der generellen Leukozytendepletion in Deutschland im Jahre 2001, die eine Alloimmunisierung des Empfängers gegen transfundierte Granulozyten reduziert, sind „reverse“ TRALI-Fälle durch Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate infolge von HLA- und HNA-Antikörpern des Empfängers extrem selten geworden. Laut aktuellen Hämovigilanzdaten treten immunogene TRALI-Reaktionen vorwiegend nach Transfusion von therapeutischem Plasma auf, das von Frauen mit Schwangerschaftsanamnese gespendet wurde [11]. Gemäß des Stufenplanbescheids des PEI dürfen ab September 2009 therapeutische Frischplasmen von weiblichen Spendern nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn keine Schwangerschaftsanamnese vorliegt oder nach negativer Testung auf leukozytäre (Anti-HLA-Klasse I, Anti-HLA-Klasse II) und granulozytenspezifische (Anti-HNA-1a, -1b, -2a, -3a) Antikörper. Nach einer Schwangerschaft ist eine erneute Testung erforderlich.
Seit der Einführung der Spenderselektion sind die Inzidenzen von TRALI und auch die Fälle mit tödlichem Ausgang stark rückläufig. Die komplexe Pathophysiologie zeigt allerdings, dass sich auch heute noch (tödliche) Nebenwirkungen bei der Bluttransfusion nicht vollständig vermeiden lassen.