Künstliche Antigene in der immunhämatologischen Antikörperdiagnostik - Rekombinante Blutgruppenantigene

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.02.03

Komplexe Antikörperbefunde in der Immunhämatologie stellen eine große Herausforderung für die zeitgerechte Bereitstellung von passenden Erythrozytenkonzentraten dar. Der Einsatz rekombinanter Antigene erleichtert die Abklärung von Antikörpergemischen oder Antikörpern gegen hochfrequente Antigene beziehungsweise macht diese für die meisten immunhämatologischen Labore erst möglich. Die Erweiterung des Methodenspektrums durch rekombinante Antigene ermöglicht eine sicherere und schnellere Blutversorgung immunisierter Personen.

Schlüsselwörter: Immunhämatologie, Hämagglutinationshemmtest, rBGA, Alloautoantikörper

Die Antikörpersuche und die Antikörperdifferenzierung sind neben der Blutgruppenbestimmung und der Verträglichkeitstestung (Kreuzprobe) integraler Bestandteil der immunhämatologischen Diagnostik vor jeder Transfusion von Erythrozytenkonzentraten. Werden Antikörper gegen Blutgruppenmerkmale nachgewiesen, müssen die Spezifitäten dieser Antikörper ermittelt werden [1]. Nur so können verträgliche Blutpräparate identifiziert und hämolytische Transfusionsreaktionen vermieden werden. Hämolytische Transfusionsreaktionen gehören nach wie vor zu den häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen von Transfusionen [2]. Sie führen abhängig vom Antikörper und der Konstitution der Betroffenen zu verzögerten oder akuten Verläufen mit milder bis schwerer klinischer Symptomatik.

 

Limitationen der konventionellen Antikörpernachweisverfahren

Konventionelle Methoden in der Immunhämatologie verwenden Erythrozyten oder Erythrozytenmembranen zum Nachweis oder zur Identifikation von Antikörpern. Allerdings erschwert die Antigenvielfalt auf den Erythrozyten die Charakterisierung der Antikörperspezifitäten. Die positive Reaktion eines Serums mit einer einzelnen Testzelle erlaubt keine Bestimmung der Spezifität des Antikörpers. Bei der Auswertung des Antikörperdifferenzierungspanels ist die positive Reaktion eines Serums mit einer Testzelle nur dann informativ, wenn mindestens eine andere Testzelle, die das jeweilige Antigen nicht besitzt, nicht mit diesem Serum reagiert. Damit beruht die Antikörperbestimmung in den konventionellen Testverfahren weniger auf der positiven Reaktion mit den Testzellen als auf der fehlenden Reaktion mit denjenigen Zellen, die das korrespondierende Antigen nicht besitzen.

Die Anzahl der verwendeten Testzellen und Antigenmuster in den Standard­panels eignet sich üblicherweise für die zuverlässige Identifikation einzelner, häufig vorkommender Antikörperspezifitäten. Allerdings kommt diese indirekte Methode des Antikörpernachweises dann an seine Grenze, wenn nicht genügend negative Reaktionen mit Testzellen für eine Aufschlüsselung der Spezifitäten vorliegen. Das ist der Fall, wenn mehrere Antikörper gleichzeitig, Auto­antikörper oder Antikörper gegen hochfrequente Antigene vorliegen. Mit den gängigen Antikörpernachweisverfahren lässt es sich nicht vermeiden, dass im Falle des Vorliegens poly- oder panreaktiver Antikörper „darunterliegende“ klinisch relevante Antikörper übersehen werden. Eine besondere Herausforderung liegt dabei auch darin, transfusionsmedizinisch relevante polyreaktive Alloantikörper von breitreaktiven Autoantikörpern, die meistens keine Auswahl von Erythrozytenkonzentraten mit speziellen Merkmalen erfordern, abzugrenzen.

 

Diagnostisches Potenzial der rekombinanten Antigene

Die biotechnologische Herstellung einzelner, sogenannter rekombinanter Proteine hat den Nachweis und die Identifikation von Antikörpern gegen Blutgruppenmerkmale auf der Basis definierter Antigene möglich gemacht [3]. Gegenüber konventionellen Erythrozyten-basierten Antikörpernachweissystemen haben Verfahren mit rekombinanten Antigenen (rBGAs) einen entscheidenden Vorteil: Der komplexe Vergleich von Reaktionen zwischen Testzellpanel und Patientenserum mit dem Antigenprofil der verwendeten Test-Erythrozyten entfällt; das heißt, die Reaktion eines Antikörpers mit dem korrespondierenden rBGA zeigt direkt die Spezifität des Antikörpers an. Mit dem direkten Nachweis der Antikörperspezifität entfallen weitere zeitraubende Untersuchungen. Dies betrifft vor allem komplexe Antikörperfälle mit mehreren, gleichzeitig vorliegenden Antikörpern oder panreaktiven Antikörpern gegen hochfrequente Antigene [4]. Blutproben mit seltenen Merkmalen, die sonst nur Referenzlaboren vorbehalten sind, werden nicht mehr benötigt.

 

Anwendung der rekombinanten Blutgruppenantigene

Die rBGAs liegen in löslicher Form vor und tragen die wichtigsten polymorphen und hochfrequenten Antigene der jeweiligen Blutgruppensysteme (Tab. 1).

Tab. 1: Verfügbare rekombinante Blutgruppenantigene (rBGAs).

Name1

Blutgruppe

Antigene2

 

 

 

Lua

Lutheran

Lua (Lu1), Lu3, Lu4, Lu5, Lu6, Lu8, Lu12, Lu16, Lu17, Lu20, Lu21, Lu22, Lu24, Lu25, Lu26, Lu27, Lu28

Lub

Lutheran

Lub (Lu2), Lu3, Lu4, Lu5, Lu6, Lu8, Lu12, Lu16, Lu17, Lu20, Lu21, Lu22, Lu24, Lu25, Lu26, Lu27, Lu28

Kell

Kell

K (K1), Kpb (K4), Ku (K5), Jsb (K7), K11, K12, K13, K14, K16, K18, K19, K20, K22, K26, K27, K29, K30, K32, K33, K34, K35, K36, K37, K38, K39, K40

Cellano

Kell

k (K2), Kpb (K4), Ku (K5), Jsb (K7), K11, K12, K13, K14, K16, K18, K19, K20, K22, K26, K27, K29, K30, K32, K33, K34, K35, K36, K37, K38, K39, K40

Fya

Duffy

Fya (Fy1)

Fyb

Duffy

Fyb (Fy2)

Yta

Cartwright

Yta (YT1), YT3, YT4, YT5, YT6

Xga

XG

Xga (Xg1)

Sc1

Scianna

Sc1, Sc3, Sc5, Sc6, Sc7, Sc8, Sc9

Doa

Dombrock

Doa (Do1), Do3, Do4, Do5, Do6, Do7, Do8, Do9, Do10

Dob

Dombrock

Dob (Do2), Do3, Do4, Do5, Do6, Do7, Do8, Do9, Do10

LWa

Landsteiner-Wiener

LWa (LW5), LWab (LW6), LW8

Rga

Chido/Rodgers

Rg1, Rg2

Cha

Chido/Rodgers

Ch1, Ch2, Ch3, Ch4, Ch5, Ch6

CROM/DAF

Cromer

Cra (Cr1), Cr2, Cr5, Cr6, Cr7, Cr8, Cr10, Cr11, Cr12, Cr13, Cr14, Cr15, Cr16, Cr17, Cr18, Cr19, Cr20

Kna

Knops

Kna (Kn1), McCa (Kn3), Sl1 (Kn4), Yka (Kn5), Kn9, DACY (Kn11)

YCAD

Knops

YCAD (Kn12)

Inb

Indian

Inb (In2), In3, In4, In5, In6

JMH

JMH

JMH1, JMH2, JMH3, JMH4, JMH5, JMH6, JMH7, JMH8

 1 Die hier verwendeten Namen orientieren sich an dem charakteristischsten Antigen auf dem jeweiligen Blutgruppenprotein oder am Blutgruppensystem selbst (CROM, JMH). Die entsprechenden Bezeichnungen der kommerziell verfügbaren Reagenzien weichen teilweise davon ab. 
2 Alle Antigene wurden nach der internationalen Nomenklatur der International Society of Blood Transfusion (ISBT) benannt. Für die geläufigeren Antigene eines jeden Blutgruppensystems ist für die bessere Wiedererkennung auch die konventionelle Nomenklatur aufgeführt. 

Es sind aktuell 19 unterschiedliche rekombinant hergestellte Blutgruppenproteine verfügbar, die insgesamt 118 verschiedene Blutgruppenantigene tragen. Damit lassen sich Antikörper gegen wichtige polymorphe Antigene (z. B. K, Fya, Fyb, Lua, Doa und Dob) sowie gegen die häufigsten klinisch relevanten (z. B. k, Kpb, Lub, Yta) und klinisch irrelevanten (z. B. Cha, Rga, Kna, McCa) hochfrequenten Antigene nachweisen und identifizieren. Die Reagenzien mit den rBGAs werden bei 2 bis 8 °C gelagert und sind über Monate bis Jahre stabil.

Die rBGAs werden im sogenannten Hämagglutinationshemmtest (HHT) eingesetzt. Das Prinzip des HHT beruht darauf, dass die rBGAs die Bindung der Antikörper an die korrespondierenden Blutgruppenmerkmale auf den Test-Erythrozyten hemmen (Abb. 1A).

Erfolgt keine Hemmung, so kann es dafür unterschiedliche Ursachen geben:

Es liegt kein Antikörper mit der entsprechenden Spezifität vor.

Die Kapazität der rBGAs reicht für eine (vollständige) Hemmung des betreffenden Antikörpers nicht aus, was bei höheren Antikörpertitern (z. B. > 256) vorkommen kann. In solchen Fällen ist eine Verdünnung des Patientenserums mit Kochsalz (z. B. 1 : 2) vor Zugabe der rBGAs zu empfehlen. Alternativ kommt eine Erhöhung der rBGA-Menge infrage mit dem Vorteil, dass eventuell vorhandene Zusatzantikörper nicht durch den Verdünnungseffekt unter die Nachweisgrenze fallen.

Es liegen mehrere Antikörperspezifitäten gleichzeitig vor. Bestätigt sich der Verdacht auf ein Antikörpergemisch, dann können die zusätzlichen Antikörper dadurch identifiziert werden, dass der HHT mit einem vollständigen Differenzierungspanel durchgeführt wird (Abb. 1B).

Da die rBGAs mit einem kleinen Volumen von nur 2 µl (Konzentration 0,5 mg/ml) eingesetzt werden, ist ein Verdünnungs­effekt auszuschließen.

Einen entscheidenden Vorteil bieten die löslichen rBGAs für die Durchführung der prätransfusionellen Verträglichkeitstestung, insbesondere bei Vorliegen von klinisch irrelevanten Antikörpern gegen hochfrequente Antigene. Auch wenn derartige Antikörper im Falle einer inkompatiblen Transfusion von Erythrozytenkonzentraten üblicherweise keine Hämolyse auslösen, verursachen sie in der Kreuzprobe positive Kreuzproben, sodass zusätzlich vorliegende klinisch relevante Antikörper (z. B. Anti-Wra) maskiert sein können. Mit der spezifischen Inhibition der Antikörper gegen hochfrequente Antigene kann die Kompatibilität zwischen Spender und Transfusionsempfänger sicher ermittelt werden.

Falldarstellungen

Über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren wurden für ein regionales immunhämatologisches Labor diejenigen Antikörperfälle zusammengestellt, für deren Abklärung rBGAs eingesetzt wurden. Im Labor stand zu dieser Zeit ein Panel von elf verschiedenen löslichen rekombinanten Blutgruppenproteinen zur Verfügung: Cha, Rga, Kna, JMH, Yta, Dob, CROM/DAF, Kell-Kpb-Jsa, k-Kpb-Jsa, Lub, Sc1. Insgesamt waren es zwölf Personen mit bekannten oder vermuteten Antikörpern gegen hochfrequente Antigene (Tab. 2).

Tab. 2: Fälle mit bekannten oder vermuteten Antikörpern gegen hochfrequente Antigene (V. a. = Verdacht auf).

Fall

Bekannte Antikörper

Verwendete rekombinante

Blutgruppen­antigene (rBGAs)

Spezifität (erfolg-

reiche Inhibition)

Zusätzliche

Antikörper

Anmerkung

1

V. a. Anti-Wra

Ch, Rg, Kna, JMH, Yta

Anti-Kna

Anti-Wra

Zusätzlicher nicht identifizierter Antikörper gegen niedrig­frequentes Antigen

2

Yta

Anti-Yta

Anti-Fya

 

3

Kna, Yta

Anti-Kna

 

4

Dob, CROM/DAF, Kell-Kpb-Jsa, Lub/Aub, Yta, Sc1, LWa, k-Kpb-Jsa

Unspezifische Reaktionen

5

Anti-E, Anti-D (Autoantikörper)

Lub, Sc1, LWa, Dob, Yta, Kna

Anti-E, Wärmeautoantikörper, Ausschluss Anti-LWa

6

Ch, Rg, Kna, JMH, Yta

Nicht identifizierte Spezifität gegen hochfrequentes Antigen

7

Ch

Anti-Ch

 

8

Rg, Ch

Anti-Ch

 

9

V. a. Anti-Lub

Lub

Anti-Lub

 

10

Anti-Yta plus Anti-C, Anti-Jkb

Yta

Anti-Yta

Anti-C, Anti-Jkb, Anti-Fyb

 

11

Anti-Yta plus Anti-Fya

Yta

Anti-Yta

Anti-Fya, Anti-S

 

12

Anti-Ch

Ch

Anti-Ch

 

 

Es handelte sich durchwegs um Fälle, bei denen die Reaktionsmuster im indirekten Antiglobulintest auf breit­reaktive Antikörper hinwiesen und sich zunächst keinen Spezifitäten zuordnen ließen.

Bei neun der zwölf (75 %) Patientinnen und Patienten konnten mithilfe der rekombinanten Reagenzien Alloantikörper gegen hochfrequente Antigene identifiziert werden. Dabei waren Spezifitäten mit (3 x Anti-Yta und 1 x Anti-Lub) und ohne (3 x Anti-Ch und 2 x Anti-Kna) klinische Relevanz etwa gleich häufig nachweisbar. Bei vier dieser neun (44 %) Patientinnen und Patienten wurden zusätzliche klinisch relevante Alloantikörper detektiert. Abb. 1B zeigt beispielhaft die Antikörperdifferenzierung mit und ohne Verwendung der rBGAs im Fall Nummer 10. Bei drei der zwölf (25 %) Patientinnen und Patienten ließen sich die positiven Reaktionen im Antikörpernachweistest mit den rBGAs nicht hemmen.

 

Schlussbemerkungen

In der Immunhämatologie machen vor allem solche Fälle Probleme, die in der Antikörperdifferenzierung Reaktionen mit der Mehrzahl der Testzellen oder allen Testzellen aufweisen. Die Differenzial­dia­gnose reicht dann von Wärmeautoantikörpern über Antikörper gegen hochfrequente Antigene und Antikörpergemische bis hin zu unspezifischen Reaktionen. Die jeweiligen serologischen Reaktionsmuster überlappen sich, sodass die Abklärung häufig nur über die Ausschlussmethode erfolgen kann. Abb. 2 gibt einen kurzen Überblick über die Differenzialdiagnose panreaktiver Antikörper.

Dabei weist vor allem ein negativer Eigenansatz auf das Vorliegen eines Alloantikörpers gegen ein hochfrequentes Antigen hin, wobei ein positiver Eigen­ansatz dies nicht ausschließt.

Die rBGAs haben sich mittlerweile natio­nal und international für die Abklärung komplexer Antikörperkonstellationen bewährt [5]. Die Durchführung der Testansätze mit den rBGAs ist technisch einfach und auch für Routinelabore geeignet. Auch in unserer kleinen aktuellen Studie zeigte sich wieder, dass bestimmte Alloantikörper gegen hochfrequente Antigene vergleichsweise häufig vorkommen [6, 7]. Dazu gehören insbesondere die klinisch relevanten Spezifitäten Anti-Vel, Anti-Kpb, Anti-Yta und Anti-Lub sowie die klinisch irrelevanten Spezifitäten Anti-Kna, Anti-Ch und Anti-Rg. Bis auf Anti-Vel lassen sich alle anderen Antikörper durch die derzeit verfügbaren rBGAs nachweisen. Mittlerweile hat sich auch die Verfügbarkeit von Erythrozytenkonzentraten mit seltenen Merkmalen deutlich verbessert. Durch gezielte molekularbiologische Blutgruppen-Screeningprogramme in den Blutspendediensten können immer mehr Spender erweitert analysiert und so vermehrt kompatible Erythrozytenkonzentrate mit seltenen Merkmalen kurzfristig bereitgestellt werden. Damit haben diese Antikörper weitestgehend ihren Schrecken verloren, und die Blutversorgung der Betroffenen hat ein neues Level erreicht.   

 

Interessenkonflikt

Prof. Dr. Axel Seltsam ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats (Scientific Advisory Board) von Imusyn (Hersteller der rekombinanten Blutgruppenantigene).

Autoren
Dr. med. Ulrike Königbauer
Prof. Dr. med. Axel Seltsam
Blutspendedienst des Bayerischen Roten
Kreuzes gGmbH, Institut Nürnberg
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