Fortentwicklung in der Labormedizin: 2012–2022: 10 Jahre stetigen Wandels

Die fachärztlichen Labore leisten einen entscheidenden Beitrag in der Coronavirus-Pandemie. Die damit verbundene ungewohnte Aufmerksamkeit und auch Anerkennung gilt es zu stabilisieren und so zu nutzen, dass die Arbeit medizinischer Labore in Zukunft ausreichend gewertschätzt wird. Fachärztliche Labordiagnostik ist ein Konditionalfach für eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit bestmöglicher Medizin. Der anhaltende Konsolidierungstrend, der verschärfte Kostendruck ebenso wie die sich durch IVDR und das MTA-Reformgesetz ändernden Rahmenbedingungen werden die fachärztlichen Labore in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen stellen.

Schlüsselwörter: ALM e. V., Datenerhebung, Bedarfsplanung, Labormarkt, patientenzentrierter Wettbewerb

Kaum jemand hätte 2012 vorausgedacht, dass die Bedeutung der fachärztlichen Versorgung mit medizinischer Labordia­gnostik im Jahre 2022 gesellschaftlich so bekannt und anerkannt sein würde.

 

Leistungsstarke Strukturen in der Pandemie

Mit dem Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie Anfang 2020 und insbesondere in deren Verlauf wurde klar, welche enormen Vorteile und Möglichkeiten in der in Deutschland vorhandenen Struktur einer leistungsstarken flächendeckenden ambulanten Versorgung mit wohnortnahen fachärztlichen medizinischen Laboratorien und einer ebenso effizienten Krankenhausstruktur liegen. Auch die fachlich gute Zusammenarbeit zwischen fachärztlich-diagnostischen Laboren, Universitäts-Instituten sowie dem Konsiliarlabor für Coronaviren an der Charité in Berlin und letztlich die vertrauensvolle Verbindung zu den IVD-Herstellern waren eine der tragenden Säulen dafür, dass innerhalb weniger Wochen die SARS-CoV-2-PCR-Diagnostik aufgebaut werden konnte.

Rasch wurden auch die zugehörige Qualitätssicherung extern wie intern und die Verfügbarkeit zugelassener Reagenzien für manuelle, teil- sowie hochautomatisierte Gerätesysteme für den Versorgungsbedarf einer sich sehr dynamisch entwickelnden Pandemie realisiert. Positiv beispiellos sind auch die früh etablierte Abrechnung der PCR ab Februar 2020 im EBM und ab Sommer 2020 in der Coronavirus-Testverordnung für die Testung asymptomatischer Personen, die das notwendige Maß an Sicherheit mit Blick auf die schnell erforderlichen umfangreichen Investitionen in Infrastruktur, Logistik, Geräte und Personal brachten.

 

Wöchentliche statistische Erhebungen zu SARS-CoV-2

Die Mitgliedslabore im fachärztlichen Berufsverband der Akkreditierten Labore in der Medizin, ALM e. V., haben im März 2020 entschieden, nach Anfragen zu verfügbaren Testkapazitäten proaktiv einen Beitrag zur bestmöglichen Einschätzung und damit Bewältigung der Pandemie zu leisten. Mit der Entwicklung und Etablierung einer wöchentlichen Datenerhebung zum SARS-CoV-2-Testgeschehen (PCR, Antigen, Antikörper) und den zugehörigen verfügbaren PCR-Testkapazitäten, bis zum Sommer 2021 auch zu Fragen der Verfügbarkeit von Reagenzien und Verbrauchsmaterialien, konnten unter Beteiligung von bis zu 183 Laboren in Deutschland aus dem ambulanten, stationären und auch öffentlich-rechtlichen Bereich immer ca. 90 Prozent des berichteten Testgeschehens in einer standardisierten und strukturierten Form an das BMG, das RKI, die KBV und in Teilauswertungen auch an die Gesundheitsministerien einer Reihe von Bundesländern übermittelt werden.

 

Ungewohnte Anerkennung

Möglich wurde das dank der enorm professionellen inhaltlichen Arbeit von Uli Früh (Uli Früh Consulting GmbH, Reutlingen). Mehr als 100 Datenerhebungen und weitere Sondererhebungen zu den Themen Kapazitätsaufbau und Kostenstruktur sind mittlerweile erfolgt. Diese kontinuierliche Arbeit hat zusammen mit einer Vielzahl von Stellungnahmen zu Verordnungen und Gesetzen und Positionspapieren, der Beteiligung an Anhörungen des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag, der Mitarbeit im Ärztlichen Pandemierat der Bundesärztekammer, der aktiven Beteiligung in Krisenstäben sowie der proaktiven Kommunikation mit Lösungsvorschlägen der fachärztlichen Labore in Deutschland über den ALM e. V. eine bisher nicht gekannte Aufmerksamkeit und auch Anerkennung für die geleistete Arbeit verschafft.

Diese gilt es, in der Zukunft so einzusetzen, dass die fachärztlichen Labore und die dort Beschäftigten das nötige Maß an Wertschätzung und Berücksichtigung in den Entscheidungen bekommen, das für eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit Medizin aus und mit dem Labor notwendig und auch angemessen ist.

Aus der Vergangenheit lernen

Doch blicken wir noch einmal zurück und vergegenwärtigen uns, welche Entwicklungen und Veränderungen es in den letzten zehn Jahren gegeben hat und wie sich diese auf „das Labor“ ausgewirkt haben. Zunächst wurde mit der Einführung einer Bedarfsplanung für alle Fachgebiete der Labordiagnostik, beginnend mit einem Moratorium im Herbst 2012, die Anzahl der Zulassungen auf dem Niveau von 2012 quasi eingefroren. Erst die Weiterentwicklung der Bedarfsplanung 2019 mit Einführung von Modellierungsfaktoren ergab einen Zuwachs von Zulassungsmöglichkeiten. Auswertungen zeigen, dass die Zahl der zugelassenen Fachärzt:innen im Labor nicht entsprechend des wachsenden Bedarfs an Laborversorgung steigt (Abb. 2).

Zusammen mit den Anpassungen im Zulassungsrecht 2012 und durch das TSVG 2019 ergab sich plötzlich die Situation, dass es nicht mehr so einfach möglich war, die Zulassung einer Laborarztpraxis zu erreichen oder das Tätigkeitsgebiet durch Neugründung eines MVZ bzw. durch Anstellung von Ärztinnen und Ärzten auszuweiten. Nur bei freien Zulassungen können sich nun Interessierte um diese begehrten Sitze bewerben. In den Verfahren der Zulassungsausschüsse wird zunehmend deutlich, dass diese mehr oder weniger offen Entscheidungen treffen, die für größere Verbundstrukturen nachteilig sind. Ob das immer im Sinne einer guten Versorgung ist, darf durchaus bezweifelt werden.

Tab. 1: Entwicklung der Gesundheitsausgaben über die letzten zehn Jahre
(Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, www.gbe-bund.de).

Gesamtausgaben

(Mio. Euro)

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

Alle

304.320

315.363

328.934

344.768

359.082

376.600

393.094

413.805

440.575

GKV

171.674

180.789

190.746

198.907

207.161

214.181

222.090

233.018

241.491

PKV

27.880

28.893

29.076

30.522

31.000

31.649

33.233

34.608

35.406

Labor

8.340

8.565

8.904

9.918

10.213

10.546

10.923

11.424

12.695

Labor GKV

5.842

6.125

6.444

6.691

6.883

7.105

7.202

7.583

8.445

Labor PKV

1.332

1.380

1.375

1.901

1.930

1.980

2.177

2.277

2.296

Labor ambulant

3.889

4.006

4.250

4.666

4.755

4.890

5.085

5.494

5.935

Labor stationär

3.738

3.856

4.095

4.506

4.592

4.723

4.910

5.310

5.754

Weitgehend unverändertes Bild des Labormarktes

Hintergrund dieser Entscheidungen sind vielfältige, eher emotional und weniger sachorientiert vorgetragene Vorbehalte und Vorurteile gegenüber größeren Versorgungsstrukturen, insbesondere wenn diese mit Fremdkapital von Investoren betrieben werden. In verschiedenen Gutachten, zu denen auch eine Studie im Auftrag des ALM e. V. die fachärztliche Labordiagnostik untersucht, wurde klar belegt, dass es keinerlei Hinweise auf Qualitätsmängel in der Versorgung in größeren Strukturen gibt. Ohnehin ist eine dynamische Entwicklung einer Zunahme an MVZ und in MVZ tätigen Ärztinnen und Ärzten weitgehend außerhalb der Fachgebiete der Labordiagnostik zu beobachten. Der Anteil an MVZ, in denen Fachärztinnen und Fachärzte aus den labordiagnostischen Fachgebieten Laboratoriumsdiagnostik, Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Humangenetik und Transfusionsmedizin tätig sind, liegt nach den Daten der KBV zum 31.12.2020 mit 6,6 Prozent (553 von 8.372 MVZ) seit Jahren auf demselben Niveau. Etwa 85 Prozent der Fachärztinnen und Fachärzte in der Labordiagnostik arbeiten in einem Angestelltenverhältnis. Es ist auch bekannt, dass sich gerade jüngere Ärztinnen und Ärzte für eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis in größeren Strukturen entscheiden, da sie neben der teamorientierten Arbeit den fachlichen Austausch wünschen und hier zudem auch flexiblere Formen der Arbeitszeitgestaltungen realisieren können.

Auch die insgesamt weiterhin vielfältige Gesamtstruktur der fachärztlichen Labore in Deutschlang mit Inhaber-geführten Einzelpraxen und Verbundstrukturen sowie regionalen, überregionalen und auch international agierenden Laborgruppen mit und ohne Kapitalbeteiligung hat sich im Kern nicht wesentlich verändert. Die durch den ALM e. V. beauftragte „Studie zur Identifikation von Zusammenhängen zwischen der Trägerschaft und der Qualität labormedizinischer Leistungserbringung in Deutschland“ aus dem Jahr 2021 beschreibt eine vielfältige Trägerschaft der fachärztlichen Labore in Deutschland (Abb. 1).

Auch die aktiva GmbH, die Beratungen im Gesundheitswesen durchführt, kommt in ihrer Analyse „Labormarkt – Quo vadis“ zu einer Einschätzung, nach der ca. 50 Prozent der „Marktanteile“ bei fünf Laborgruppen und die weiteren 50 Prozent bei einigen hundert weiteren fachärztlichen Laboren liegen – ein im Vergleich zu 2012 kaum verändertes Bild.

 

Anhaltender Konsolidierungstrend

Generell ist zu beobachten, dass im Zusammenhang mit Generationswechseln in der Inhaberschaft von Laboren eher Kooperationen mit anderen gesucht werden. Nach den KBV-Statistiken nimmt die Anzahl an Einzelpraxen für Labordia­gnostik weiter ab. Das ist angesichts der sehr dynamischen fachlichen Entwicklung der Laboratoriumsmedizin sowie der Mikro­biologie, Virologie und Infektions­epidemiologie wenig überraschend, ist es doch für eine einzelne Person nicht mehr möglich, die gesamte Breite und Tiefe der Fächer einschließlich der Entwicklungen vollständig zu überblicken. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung für eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit fachärztlicher Labordiagnostik. In der zurückliegenden Dekade gab es eine Reihe bahnbrechender Neuentwicklungen im Bereich der Companion Diagnostics und insbesondere in der molekulargenetischen Diagnostik.

Auch das teils sehr kostenorientierte Wettbewerbsverhalten hat sich im vergangenen Jahrzehnt deutlich zugunsten eines qualitätsorientierten und damit eher patientenzentrierten Wettbewerbs verändert. Einen Einfluss darauf hatten sicherlich das 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen und die Entwicklung des ÄQL-Verhaltenskodex für medizinische Laboratorien. Dieser wird von allen labormedizinischen Verbänden (ALM e. V., ÄQL e. V., BDL e. V.) vollumfänglich mitgetragen.

 

Verschärfter Kostendruck

Gleichzeitig hat sich der Kostendruck auf die fachärztlichen Labore in den vergangenen Jahren weiterhin verschärft. Wertet man die Auswirkungen der Honorarentscheidungen des Bewertungsausschusses einschließlich der Folgen der Laborreform 2018 aus, so zeigt sich, dass im Vergleich zu 2009 nach der Laborreform das Honorar um ca. 20 Prozent niedriger liegt, und das bei eher zunehmenden Kosten (Abb. 2). Angesichts der endlichen Möglichkeiten zur Prozessoptimierung und Kostenkontrolle stellt das die fachärztlichen Labore vor enorme Herausforderungen.

Weiterer Kostendruck ist in den Laboren entstanden durch die Aktualisierung der Datenschutzgrundverordnung, der Verabschiedung des BSI-Gesetzes (2015) sowie der danach geltenden Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSI-Kritisverordnung). Mit dieser Verordnung wurde die Laboratoriumsmedizin erstmalig als kritische Dienstleistung identifiziert mit der Folge, dass für eine steigende Zahl fachärztlicher Labore besondere Anforderungen zu erfüllen sind.

Schon sehr frühzeitig hat der ALM e. V. den geltenden branchenspezifischen Sicherheitsstandard für die Laboratoriumsdiagnostik entwickelt und dafür durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik eine Eignungsfeststellung erhalten. Die Weiterentwicklung dieses Basisdokumentes ist in einer eigens dafür aufgebauten ALM-Arbeitsgruppe abgeschlossen.

 

IVDR und MTA-Reform

Als weitere echte Meilensteine der vergangenen zehn Jahre, die die fachärztliche Labordiagnostik beeinflusst haben, sind die im Mai 2022 in Kraft getretene IVD-Richtlinie mit weitreichenden Verschärfungen für die Etablierung und Anwendung von In-house-Labormethoden zu sehen, ebenso wie das MTA-Reformgesetz, das ab 2023 die Ausbildung der Medizinischen Technologinnen und Technologen für Laboratoriumsmedizin neu regelt.

Mit der Einführung der IVDR steigt die Sorge in den Laboren, nicht mehr zeitgerecht und angemessen auf aktuelle Herausforderungen in der Versorgung reagieren zu können. Die SARS-CoV-2-Pandemie und auch der Affenpockenvirus-Ausbruch sind zwei sehr aktuelle Beispiele, die deutlich machen, dass es einen inhaltlichen Nachsteuerungsbedarf mit nationalen Sonderregelungen braucht. Ziel muss es sein, im Sinne bestmöglicher Medizin auch die Laboruntersuchungen mit geringerer Anwendungsfrequenz, z. B. bei seltenen Erkrankungen, für die Versorgung weiterhin verfügbar zu halten.

Das überfällige MTA-Reformgesetz mit neuer Ausbildungs- und Prüfungsordnung setzt viele wichtige und notwendige Impulse zur Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes der MTLA, hat jedoch weiterhin erhebliche Finanzierungslücken im ambulanten Bereich sowie bei den privaten Trägern der Bildungseinrichtungen. Es löst insbesondere nicht das wichtige Thema der Durchlässigkeit zwischen fachähnlichen Berufen wie BTA und CTA in Richtung MTLA.

Der auch in den fachärztlichen Laboren deutlich spürbare Fachkräftemangel bringt neue Herausforderungen mit sich, die wohl nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung bewältigt werden können. Das ist nunmehr mit der Etablierung des ALM e. V. im Vergleich zu 2012 möglich geworden.

 

Grundsatzforderungen der Labore an die Politik

Die Mitgliedslabore im ALM erarbeiten in den Arbeitsgruppen konkrete Lösungsvorschläge, die in Positionspapiere für die politischen Entscheidungsträger sowie die Gremien der Selbstverwaltung eingehen. Zur Bundestagswahl 2021 hat der ALM e. V. die aus seiner Sicht maßgeblichen Aspekte für eine weiterhin notwendige bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit ärztlicher Labordiagnostik in einem Positionspapier formuliert:

  1. Wertschätzung der speziellen Fachgebiete der diagnostischen Medizin im Labor,
  2. Stabile und verlässliche Rahmenbedingungen für die Facharztlabore,
  3. Erhalt der diagnostischen Fachgebiete im Labor als fachärztliche Profession,
  4. Sicherstellung der Ausbildung ausreichender nichtärztlicher Fachkräfte,
  5. Digitalisierung zur Verbesserung der Versorgungsqualität und zum Bürokratieabbau.

 

Ausblick für die nächste Generation

Bleibt zu hoffen, dass sich die kommende Generation an Fachärztinnen und Fachärzten in allen Teilbereichen der Laboratoriumsdiagnostik und ihren angrenzenden Fächern die Fortführung und Weiterentwicklung der Fachgebiete und des ärztlichen Selbstverständnisses zu eigen macht. Auf der gesundheitspolitischen Ebene kann nur davor gewarnt werden, zu laut nach staatlichen Regelungen, insbesondere zu Detailfragen, zu rufen. Die politisch Verantwortlichen sollten sich darauf beschränken, verlässliche Rahmenbedingungen für die in der Versorgung arbeitenden Facharztlabore zu schaffen und sich aus der Ausgestaltung der Medizin selbst heraushalten.  

Autor
Dr. med. Michael Müller
Labor 28 GmbH