Hat die Blutgruppenserologie ausgedient?

Molekulargenetische Blutgruppendiagnostik

Molekulargenetische Verfahren zur Blutgruppentypisierung halten spätestens mit der aktuellen Hämotherapie-Richtlinie der Bundesärztekammer von 2017 Einzug in die Routine-Patientendiagnostik und stellen eine wichtige Ergänzung der serologischen Diagnostik dar. Die weak D Diagnostik zur Festlegung der Transfusions- und Prophylaxestrategie, die pränatale fetale Blutgruppenbestimmung aus maternalem Blut, die Abklärung von immunhämatologischen Problemfällen sowie die Hochdurchsatz-Genotypisierung von Blutspendern sind wichtige Anwendungsbeispiele.  

Schlüsselwörter: AB0, Rhesusfaktor, weak D, Hochdurchsatz-Genotypisierung, Next Generation Sequencing

Von einem Blutgruppenantigen spricht man, wenn eine Struktur der Erythrozytenoberfläche bei einem anderen Individuum die Bildung eines Antikörpers auslösen kann. Dies setzt voraus, dass das betroffene Individuum diese Struktur nicht oder in veränderter Form besitzt. Einem solchen Polymorphismus liegt in der Regel eine Veränderung des korrespondierenden Gens zugrunde. Die Diagnostik im Zusammenhang mit solchen immunologischen Vorgängen besteht meist aus der Kombination einer immunologischen Bestimmung der Antikörperspezifität und einer serologischen und/oder molekulargenetischen Bestimmung der Antigenkonstellationen.

Häufig liegen bei den Blutgruppenallelen nur geringe Unterschiede in der DNA vor. Wenn nur ein einzelnes Nukleotid verändert ist, spricht man von einem Einzelnukleotidpolymorphismus (single nucleotide polymorphism, SNP). Aufgrund der Identifizierung eines Blutgruppen-spezifischen SNP wird das entsprechende Antigen (Phänotyp) vorhergesagt. Auch wenn in aller Regel diese Vorhersage zutrifft, können in seltenen Einzelfällen zusätzliche Veränderungen in dem betreffenden Gen vorkommen, die falsch positive oder falsch negative Ergebnisse, und somit eine Diskrepanz zwischen Phänotyp und Genotyp zur Folge haben können. Ein falsch negatives Ergebnis kommt beispielsweise zustande, wenn auf der DNA in Nachbarschaft zu dem Blutgruppen-spezifischen SNP eine weitere, nicht bekannte oder vom angewendeten Test nicht erfasste Genveränderung vorliegt. Hierdurch wird die Detektion des Blutgruppen-spezifischen SNP gestört.

Falsch negative Genotypisierungsergebnisse sind insbesondere im Rahmen der Blutspendertypisierung oder der fetalen Blutgruppenbestimmung klinisch relevant. Falsch positive Ergebnisse können entstehen, wenn beispielsweise durch eine zusätzliche, bisher nicht bekannte Genveränderung ein Stopcodon eingeführt wird, sodass bei der Translation nur ein Proteinfragment oder kein Protein synthetisiert wird. Als Folge kann in die Erythrozytenmembran kein Protein eingebaut werden, es liegt ein sogenanntes Null-Allel vor. Null-Allele stellen für die Typisierung der Blutspender kein Risiko dar, sind aber bei der Typisierung des Patienten problematisch. Ein höherer Grad an Genauigkeit ist mit der Sequenzierung des gesamten Gens zu erreichen. Aber auch in DNA-Bereichen außerhalb des Gens können Mutationen auftreten, die das Gen und damit die Expression des Proteins beeinflussen. Da diese zusätzlichen Genveränderungen ausgesprochen selten sind, verlässt man sich normalerweise auf die SNP-Bestimmung und sucht nur bei zusätzlichen unerwarteten Befunden nach seltenen Varianten, beispielsweise dann, wenn Antikörper unerwarteter Spezifität aufgedeckt werden. Die eher geringen Unsicherheiten der molekularbiologischen Vorhersage und deren Konsequenzen muss man bei der spezifischen Befunderstellung kennen und berücksichtigen. Diskrepanzen zwischen Genotyp und Phänotyp sind immer verdächtig für das Vorliegen eines neuen Allels. Je besser eine ethnische Gruppe hinsichtlich der vorkommenden Allele durchtypisiert ist, desto genauer ist die Phänotyp-Vorhersage.

weak D Diagnostik 

In der Hämotherapie-Richtlinie von 2017 [1] heißt es: „Bei diskrepanten, fraglich positiven oder schwach positiven Ergebnissen der Testansätze mit monoklonalem IgM-Anti-D ist der Patient vorerst als „Empfänger RhD-negativ“ zu deklarieren. Eine Differenzierung mit molekulargenetischen Verfahren sollte durchgeführt werden, insbesondere bei Mädchen, bei gebärfähigen Frauen und bei Patienten mit chronischem Transfusionsbedarf.

Ist diese Differenzierung erfolgt, gelten Transfusionsempfänger, Schwangere und Neugeborene mit dem RhD-Genotyp weak D Typ 1, 2 oder 3 als RhD-positiv: Transfusionsempfänger mit den Merkmalen weak D Typ 1, 2 und 3 können mit RhD-positiven Blutprodukten transfundiert werden. Schwangere mit den Merkmalen weak D Typ 1, 2 oder 3 benötigen keine Rhesusprophylaxe.

Transfusionsempfänger und Schwangere mit diskrepanten, fraglich positiven oder schwach positiven serologischen Test­ergebnissen und einem anderen Genotyp gelten als RhD-negativ. In den vorhergehenden Hämotherapie-Richtlinien von 2010 hieß es noch: „Bei übereinstimmend positivem Ergebnis und auch bei unzweifelhaft schwach positivem Ergebnis ist der Patient Rh-positiv (D-positiv).“ Somit wurde in den aktuellen Richtlinien das Vorgehen bei schwach positiver Ergebnisse in der serologischen RhD-Typisierung geändert. 

In Einzelfällen wurde nämlich bei Vorliegen von weak D Typ 11, 15 oder 33 eine RhD-Immunisierung beobachtet. Demgegenüber wies man bei weak D Typ 1, 2 bzw. 3 trotz mehrerer tausendfacher RhD-positiver Transfusionen in keinem Fall eine RhD-Immunisierung nach. Die RhD-positive Transfusion von Patienten mit weak D Typ 1, 2 bzw. 3 und damit bei mehr als 90% der Patienten mit „abgeschwächtem D“ gilt somit als sicher.

Neben den genannten weak D Typen sind mittlerweile weit über 100 weitere Typen bzw. Subtypen in der „RhesusBase“ [2] beschrieben. Bei diesen gibt es im Regelfall keine Information, ob ihre Träger ohne Immunisierungsrisiko RhD-positiv transfundiert werden können, da zwar einerseits keine RhD-Immunisierung beschrieben wurde, sie aber andererseits so selten sind, dass man dies auch nicht erwarten kann, oder eine derart niedrige Antigendichte besitzen, dass man davon ausgehen kann, dass ihre Träger bisher stets RhD-negative Präparate erhalten haben.

Die neue Typisierungsstrategie vereint somit den Vorteil der Vermeidung von RhD-Immunisierungen bei gleichzeitigem, gezieltem Einsatz der knappen Ressource „RhD-negatives Erythrozytenkonzentrat“.

Es sei noch erwähnt, dass für eine erweiterte serologische Abklärung des „schwachen oder diskrepanten RhD“ Panels verschiedener monoklonaler, Epitop-spezifischer Antikörper zur Verfügung stehen. Diese Panels sind geeignet, die typischen partial D wie D-Kategorie IV, V, VI, VII, DHAR oder DFR abzugrenzen. Eine Unterscheidung der unterschiedlichen weak D Typen ist jedoch nicht möglich. Da partial D nur bei einer Minderzahl der Proben zugrunde liegt, die mit den Anti-D schwach oder diskrepant reagieren, ist bei der Mehrzahl der Proben eine molekulargenetische Abklärung erforderlich.

Immunhämatologische Problemfälle

Die Phänotyp-Vorhersage mittels molekularbiologischer Methoden ist insbesondere für die Antikörperdiagnostik und die Auswahl kompatibler Präparate zur Transfusion nützlich. Die Hämotherapie-Richtlinien schreiben im Rahmen von Schwangerschaften oder vor Bluttransfusionen die Bestimmung erythrozytärer Alloantikörper vor. Wenn ein Antikörper nachgewiesen wird, ist seine Spezifität zu klären. Da normalerweise keine Alloantikörper gegen Antigene gebildet werden, die man selbst besitzt, kann die Phänotyp-Vorhersage die Antikörperdifferenzierung unterstützen. Die molekularbiologische Phänotyp-Vorhersage wird insbesondere dann angewendet, wenn bei Vortransfusion des Patienten oder bei Vorliegen von Autoantikörpern die serologische Antigenbestimmung kein verlässliches Ergebnis liefert. Für die Bestimmung einiger Antigene wie z. B. Dombrock stehen keine geeigneten Seren zur Antigenbestimmung zur Verfügung, und für die Bestimmung seltener Blutgruppen sind Seren häufig nur im internationalen Austausch der Referenzlabore erhältlich. Hier stellt die Genotypisierung eine sinnvolle Alternative zur Identifikation geeigneter Spender dar. 

Hochdurchsatz-Genotypisierung

In Zukunft wird eine Massen-Genotypisierung von Spenderblutgruppen eine zunehmende Rolle spielen. Ziel ist es einerseits, die Versorgung mit seltenen Blutgruppen zu verbessern und andererseits bezüglich „normaler Blutgruppen“ typisierte Spenden vorzuhalten. Eine Durchtypisierung von Spendern hinsichtlich der „normalen“ Allele erlaubt einen raschen Zugriff auf Präparate für Antikörper-Träger, auch bei schwierigen Antigenkonstellationen. Zudem ist es eher möglich, einen Patienten mit chronischer Transfusionsbedürftigkeit kompatibel bezüglich der klinisch wichtigsten Antigene zu versorgen. Dies gilt insbesondere für Patienten mit Thalassämie oder Sichelzellenanämie. 

Fetale Blutgruppenbestimmung

Die molekulare Blutgruppenbestimmung ist darüber hinaus ein wertvolles Hilfsmittel zur Identifizierung von Schwangerschaften, bei denen ein Risiko für eine kindliche Erythroblastose besteht. Die Blutgruppengenotypisierung mit fetaler DNA aus Amnionzellen ist eine etablierte Methode. Zunehmend wird für die Vorhersage D-positiver Feten auch kindliche DNA genutzt, die aus dem Plasma D-negativer Mütter isoliert werden kann. RhD ist das Blutgruppenprotein mit der weitaus höchsten Immunogenität und für die fetale Erythroblastose immer noch der größte Risikofaktor. Etwa 15% der deutschen Bevölkerung weisen eine Deletion des RHD-Gens auf und sind somit RhD-negativ. Bei Vätern von Risiko-Feten kann molekularbiologisch eine Zygotiebestimmung für RHD vorgenommen werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Problemschwangerschaft vorherzusagen.

Aus für die Blutgruppenserologie?

Bei einigen „seltenen“ Antigenen hat die molekulare Blutgruppenbestimmung die Blutgruppenserologie bereits abgelöst. Für die Gesamtheit der Erythrozytenserologie müssen jedoch noch einige Probleme gelöst werden. Auch wenn der Preis einer Massen-Genotypisierung von Blutspendern für viele Antigene heute bereits deutlich unter dem Preis einer serologischen Bestimmung liegt, ist die serologische Diagnostik der AB0-Blutgruppe sowie des normalen RhD weiterhin konkurrenzlos günstig. Eine Genotypisierung mit konventionellen Methoden dauert über eine Stunde und ist damit für die Abklärung von Notfällen schlicht nicht geeignet. Genotypisierungsverfahren beruhen meist auf der Untersuchung einiger weniger „diagnostischer“ Polymorphismen. Alle anderen Veränderungen im Gen werden nicht beachtet. Für einige Gene sind aber hunderte Allelvarianten bekannt, von denen man viele nur findet, wenn man spezifisch auf sie untersucht. Und selbst wenn alle bekannten Varianten eines Gens untersucht werden, können bisher nicht beschriebene Genvarianten oder auch Varianten anderer Gene zu einer fehlerhaften Phänotyp-Vorhersage führen.

Next Generation Sequencing

Ein prinzipieller Lösungsansatz zur Erkennung unerwarteter Varianten und Einflussfaktoren liegt in der Sequenzierung großer Genomabschnitte oder am besten des gesamten Genoms mithilfe von Hochdurchsatz-Verfahren (Next Generation Sequencing, NGS). Sequenziert man alles, so kann man keine Mutation übersehen. Mit dem NGS stehen Verfahren zur Verfügung, die das prinzipiell kosteneffizient bewältigen könnten. Jedoch bleiben auch beim NGS noch Probleme: Für einen Routineeinsatz in der Patientendiagnostik sind die Analysezeiten noch zu lang und die Kosten für die Analysen von Einzelproben noch zu hoch. Und selbst bei Kenntnis aller Genvarianten erfordert die sichere Phänotyp-Vorhersage die Kenntnis aller biologischen Zusammenhänge. Da die Auswirkung neuer, bisher nicht beschriebener Genvarianten auf die Expression von Antigenen, also den Phänotypen prinzipiell unbekannt ist, bleibt in diesen Fällen die serologische Phänotyp-Bestimmung der Goldstandard.

Autor
Dr. med Christof Geisen
DRK Blutspendedienst Baden-Württemberg - Hessen, Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie
Universitätsklinikum Frankfurt am Main
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