Liquid-Biopsy-Diagnostik bei zielgerichteten Therapien: Geringe Invasivität – hohe Sensitivität

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.02.02

Zielgerichtete Therapien (Targeted Therapies) mit Antikörpern oder sog. Small Molecules sind eine wirksame Behandlungsstrategie bei Tumorerkrankungen, wenn im Tumorgewebe spezifische Mutationen auf den Zielmolekülen vorhanden sind. Während der Therapie kann sich die Klonalität des Tumors verändern, d. h. Mutationen können verschwinden oder neue Mutationen können entstehen. Deshalb ist für eine echte „Companion Diagnostic“ nicht nur die molekulare Testung vor Beginn der Therapie, sondern auch wiederholt während der Therapie oder im weiteren Krankheitsverlauf sinnvoll. Mit der Liquid Profiling- bzw. Liquid Biopsy-Diagnostik steht eine nicht-invasive und sehr sensitive Methode zur Verfügung, mit der eine Aussage über den Mutationsstatus eines Tumors getroffen werden kann. Dies schafft die Grundlage für individuelle Anpassungen der Therapie an den jeweils aktuellen Bedarf.

Schlüsselwörter: Liquid Profiling, Liquid Biopsy, digitale PCR, Next Generation Sequencing, Therapie Monitoring, Früherkennung, RAS, EGFR, PIK3CA

Zielgerichtete Therapien haben sich in den letzten Jahren als feste Größe in der Behandlung von hämatologischen und soliden Tumoren etabliert. Grundlage dieses therapeutischen Ansatzes sind molekulare Veränderungen, die nur oder vornehmlich in Tumorzellen auftreten und in der Regel zu einer gesteigerten Zellproliferation führen. Dadurch ist eine spezifische, gezielte medikamentöse Intervention möglich, welche die Aktivität der Tumorzellen bremst oder unterbindet und mit geringeren Nebenwirkungen durch unbeabsichtigte Schädigung von Nicht-Tumorzellen verbunden ist [1].
Die Mutationen treten häufig an Wachstumsfaktor-Rezeptoren auf der Zelloberfläche wie dem epidermal growth factor receptor (EGFR) oder an nachgeschalteten Molekülen der intrazellulären Signalkaskade wie z. B. KRAS, BRAF, ALK und vielen anderen auf. Sie wirken wie durch Umlegen eines Schalters im Sinne einer höheren Transkriptionsrate, einer gesteigerten Zellproliferation, einer geringeren Apoptoserate und einer verbesserten Überlebensfähigkeit der Tumorzellen [2].
Die zielgerichteten Therapien (targeted therapies) sollen nun gerade an diesen genetisch modifizierten Molekülen ansetzen und den Schalter umlegen, um die Funktion der Signalwege wieder zu regulieren. Für oberflächliche Moleküle wie die Wachstumsfaktor-Rezeptoren stehen Antikörpertherapien wie der EGFR-Blocker Cetuximab zur Verfügung, die extrazellulär an die Rezeptoren binden und die Weiterleitung der Signale inhibieren. Alternativ – und v. a. auch für intrazelluläre Komponenten der Signalkaskade – können sogenannte small molecule-Therapien wie Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) eingesetzt werden, die durch die Zellmembran in die Tumorzelle gelangen und dort die veränderten Moleküle blockieren [1, 2].

Vor der Therapie steht die Diagnostik

Voraussetzung für eine derartige Therapie ist der Nachweis einer entsprechenden Mutation – denn nur dann ist eine relevante Wirksamkeit der genannten Therapien zu erwarten. Andererseits ist auch der Nicht-Nachweis der Mutation einer nachgelagerten Komponente des Signalwegs therapierelevant, z. B. das Nichtvorliegen einer KRAS, NRAS oder BRAF-Mutation beim kolorektalen Karzinom, da nur dann die Antikörper-basierte Blockade des EGF-Rezeptors wirksam ist. In der Regel ist die Mutationsanalyse im Tumorgewebe eine Domäne der Molekularpathologie [1, 2].
Allerdings ergeben sich in einigen Fällen Schwierigkeiten bei der Diagnostik, sei es bei der sachgerechten Entnahme eines aussagekräftigen Biopsiematerials, dem Vorliegen einer molekularen Heterogenität innerhalb einer oder zwischen mehreren Tumorläsionen oder der Veränderung der Klonalität im Laufe einer Tumorerkrankung bzw. im Zuge von Therapien und der Notwendigkeit wiederholter invasiver Untersuchungen. Hier ist die Tatsache hilfreich, dass gerade in fortgeschrittenen Tumorstadien hohe Mengen an Tumor-DNA in die Blutzirkulation freigesetzt werden und dort für die Diagnostik genutzt werden können [1, 3].

Hochsensitive Diagnostik tumorspezifischer DNA im Blut

Höchst sensitive Technologien machen es seit einigen Jahren möglich, sozusagen „die Nadel im Heuhaufen zu finden“ – sprich: den sehr geringen Anteil an Tumor-DNA aus der großen Menge nicht tumoröser DNA im Blut zu identifizieren und zu charakterisieren: Mittels digitaler droplet (dd) PCR können einzelne oder Kombinationen von Mutationen mit einer Auflösung von 0,01 % bis 0,1 % nachgewiesen werden. Dabei wird eine hohe Konkordanz von mehr als 90 % mit dem Mutationsstatus im Tumorgewebe erreicht [2, 4]. Allerdings sind ein ausreichendes Probenausgangsvolumen, eine standardisierte Präanalytik und eine hoch qualitätskontrollierte Analytik zu gewährleisten. Bei nicht zugänglichem oder verwertbarem Tumorbiopsie-Material ist somit mittels ddPCR eine gezielte Mutationsdiagnostik im Blut möglich. Beispiele hierfür sind das RAS-Mutationspanel beim kolorektalen Karzinom als „Companion Diagnostik“ für eine EGFR-Inhibitor-Therapie, der Nachweis einer sensitivierenden PIK3CA-Mutation beim Brustkrebs, sowie sensitivierende und Resistenz-bildende EGFR-Mutationen für die gezielte Wahl eines Tyrosinkinase-Inhibitors beim Lungenkarzinom [2, 4].
Für serielle Messungen während einer Tumorerkrankung oder einer Tumortherapie ist neben dem bloßen qualitativen Nachweis einer Mutation die quantitative Veränderung der Mutationslast von Bedeutung. Dadurch kann nicht nur bei generellem Verschwinden oder Auftauchen einer neuen Treibermutation die Veränderung der Klonalität verfolgt, sondern auch individuelle, relative, molekulare Verschiebungen über die Zeit beobachtet werden – wie es ja auch bei etablierten Protein-Tumormarkern der Fall ist. Bei einer derart differenzierten Diagnostik kann dann die Wirkung einer Therapie auf einen Tumorklon oder die Entwicklung eines Rezidivs genauer eingeschätzt werden. Für diese seriellen quantitativen Messungen sind jedoch umfangreiche analytische Validierungen und Qualitätskontrollen erforderlich – wie auch für andere quantitative Laboruntersuchungen aller Art [2–4]. Für die externe Qualitätskontrolle bietet das Referenzinstitut für Bioanalytik (RfB) seit kurzem entsprechende Ringversuchsprogramme an.
Häufig übersehen wird, dass für die Beurteilung der Laborbefunde die Kenntnis der Biologie zirkulierender Nukleinsäuren, der zeitlichen Kinetik deren Freisetzung aus den Tumorzellen und deren Elimination aus der Blutzirkulation sowie weiterer möglicher Einflussfaktoren erforderlich ist [5, 6]. Das ist bereits bei der Planung geeigneter Blutentnahmezeitpunkte bei Studien und bei der späteren Diagnostik von Bedeutung. Zu große Zeitabstände können dazu führen, dass die wesentliche Information übersehen wird: Bei einer Studie mit Patienten mit einem Pankreaskarzinom zeigte sich, dass in den ersten beiden Wochen während einer Chemotherapie die Werte von mutiertem KRAS (mtKRAS) auf zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) nicht nur bei Patienten mit einem guten Ansprechen um mehrere Größenordnungen abfiel, sondern dies häufig auch bei Patienten mit einer frühen Progression der Fall war. Allerdings stiegen die Werte bei letzterer Gruppe kurz danach wieder an, während sie bei Patienten mit erfolgreichem Ansprechen weiter abfielen und schließlich nicht mehr nachweisbar waren. Um nun die Progression tatsächlich anhand des Zielmarkers diagnostisch zu entdecken, waren in dieser Studie engmaschige wöchentliche Blutentnahmen am Therapiebeginn notwendig [7]. Die Aufgabe besteht nun darin, das adäquate Setting für einzelne Tumore, molekulare Marker und Therapiesituationen zu untersuchen und zu definieren.

Next Generation Sequencing

Die umfassende molekulare Charakterisierung von ctDNA mittels Next Generation Sequencing (NGS) ist ein unverkennbarer Trend beim Liquid Profiling solider Tumoren. Eine Vielzahl von ständig weiter verbesserten Methoden können zur gezielten (targeted) Sequenzierung eines ca. 10–70 Gene umfassenden Panels eingesetzt werden. Bei entsprechender Fragestellung und Kapazität können auch Exom- oder Genom-weite Sequenzierungen durchgeführt werden. Die Fehlerrate wurde durch Einführung von molekularen Barcodes bereits drastisch gesenkt. Sensitivität und Tumor-Spezifität können zudem durch Tumor-proximale Probengewinnung und Fragmentlängen-Anreicherung von ctDNA verbessert werden. Dabei macht man sich zunutze, dass Tumor-DNA im Vergleich zu genomischer DNA etwa 20 Basenpaare kürzer ist (Abb. 1) [4, 5].

Die NGS-basierte Untersuchung breiter Genpanel erlaubt auch die Detektion von seltenen oder neuen Treiber-Mutationen sowie eine Tumor-unabhängige molekulare Charakterisierung. Seit kurzem ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor für Patienten mit einem fortgeschrittenen NTRK-Fusionsgen-positiven Tumor verfügbar, der ungeachtet der primären Tumorlokalisation eingesetzt wird. Dies unterstreicht die zunehmende Relevanz der Molekulargenetik für die Tumorklassifizierung und Medikamentenentwicklung [8].

Indikationen zum Einsatz der Liquid-Profiling-Diagnostik

Wie bereits beschrieben, sind zirkulierende Nukleinsäuren mit Tumor-spezifischen Veränderungen im Blut v. a. in fortgeschrittenen Tumorstadien nachweisbar und können dann wertvolle Informationen für verschiedene Indikationen liefern [5], u. a.:

  • zur Stratifizierung für zielgerichtete Therapien
  • zum Monitoring des Therapieansprechens bzw. einer Therapieresistenz
  • zum sensitiven Erkennen einer minimalen Rest- oder Rezidiverkrankung
  • zum Monitoring der Veränderung einer klonalen Expansion.

Darüber hinaus gibt es weitere Entwicklungen zum Einsatz bei Immuntherapien sowie zur Frühdiagnostik von Tumorerkrankungen.

Immuntherapien

Bei Therapien mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren ist bei diversen Tumorarten die Bestimmung der Tumor Mutational Burden (TMB) inzwischen Voraussetzung für die Gabe der kostspieligen Therapien. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Tumor mit einer hohen DNA-Fragilität, die sich in einer hohen Mikrosatelliten-Instabilität (MSI) oder einer hohen TMB niederschlägt, eine größere Anzahl an Tumor-Neoantigenen produziert, die indirekt durch reaktivierte Immunzellen adressiert werden können [9].
Während die Exom-weite oder mehrere 100-Gene umfassende Panel-basierte TMB-Bestimmung im Gewebe bereits Standard ist, ist die Plasma-TMB-Diagnostik derzeit noch in der Etablierungs- und Validierungsphase. Bei der quantitativen Analyse (Mutationen/Megabase) ist zu berücksichtigen, dass mit den Tumor-Mutationen auch Mutationen aus genomischer DNA, z. B. von hämatopoetischen Zellen, interferieren können [9, 10].

Früherkennung von Tumoren: der „Holy Grail“

In frühen Tumorstadien ist die Freisetzung von ctDNA ins Blut deutlich geringer, was die Früherkennung durch eine Vielzahl von Tumormutationen limitiert. Selbst bei „erschöpfender“ Sequenzierung konnte bei vielen Tumorarten keine zufriedenstellende Sensitivität erreicht werden [11]. Im CancerSeek-Algorithmus verbesserte jedoch die Kombination von zellfreier (cf) DNA mit Tumor-assoziierten Proteinen sowohl die Sensitivität als auch die  Zuordnung der Tumorlokalisation [12].
Neue vielversprechende Ansätze sind die Untersuchung des epigenetischen Methylierungsmusters auf cfDNA [13]. Mittels Methylom-Analyse gelang nicht nur eine sensitive Tumorerkennung, sondern auch deren Klassifizierung. Ebenso konnten durch die Analyse des Fragmentierungsmusters von cfDNA mittels „Machine Learning“-Verfahren frühe Tumore von gesunden Kontrollen zuverlässig unterschieden und den entsprechenden Lokalisationen zugeordnet werden [14]. Allerdings müssen diese Ansätze noch unabhängig validiert werden.

Praktischer Einsatz

Aus Sicht eines Onkologen zeigt sich der zukünftige Stellenwert des Liquid Profiling bzw. der Liquid-Biopsy-Diagnostik vor allem darin, dass dadurch die molekularen Profile nicht nur vor Therapiebeginn, sondern mehrmals im Verlauf einer Präzisionstherapie ermittelt werden können. Die Gewebebiopsie ist aufgrund ihres punktuellen Charakters häufig nicht repräsentativ für den Gesamttumor und kann aufgrund der Invasivität des Verfahrens nicht beliebig durchgeführt werden. In diesen Fällen ist die Liquid-Profiling-Diagnostik, die nicht-invasiv das Gesamtbild der molekularen Alterationen wiedergibt, unentbehrlich und derzeit alternativlos. Im Folgenden sollen einige praktische Anwendungsfelder beschrieben werden:

Nachweis von RAS-Mutationen beim mKRK

Bei Patienten mit metastasiertem Kolorektalen Karzinom (mKRK) ist das molekulare Profil des Tumors entscheidend für die Therapieauswahl. Die häufigste molekulare Alteration beim mKRK ist die Mutation in einem der RAS-Gene, die bei mehr als der Hälfte der Patienten mit mKRK zu finden ist [15]. Der Nachweis der RAS-Mutation ist richtungsweisend für die Indikation zur Antikörpertherapie, die gegen den Epidermal Growth Factor Rezeptor (EGFR) gerichtet ist. Wenn keine RAS-Mutation bzw. RAS-Wildtyp vorliegt, ist die Antikörpertherapie effektiv. Bei den meisten Patienten ohne RAS-Mutation ist sie ein fester Bestandteil der Erstlinientherapie. Beim Vorliegen einer Mutation im RAS-Gen ist der Einsatz von EGFR-Antikörpern nicht wirksam [16].
In den letzten Jahren zeigte sich, dass der RAS-Mutationsstatus sich unter einer systemischen Therapie ändern kann:  Bei etwa der Hälfte der Patienten mit RAS-Wildtyp treten neue RAS-Mutationen auf. Bei über der Hälfte der Patienten mit initialen RAS-Mutationen sind die RAS-Mutationen im Laufe der Erstlinientherapie hingegen nicht mehr nachweisbar. Jede dieser Änderungen bedeutet eine Änderung der optimalen Therapie zu diesem Zeitpunkt [17].
Aus diesen Gründen sollte der behandelnde Arzt regelmäßig den aktuellen Mutationsstatus kontrollieren, um frühzeitig die Therapie an das veränderte Tumorprofil anzupassen bzw. umzustellen. Dadurch können dem Patienten u. a. Nebenwirkungen einer nicht mehr wirksamen Therapie erspart und die wirksamere Therapie früher eingesetzt werden. Invasive Gewebeentnahmen können nicht regelmäßig und sequenziell durchgeführt werden, da die meisten Gewebeentnahmen mit einem Risiko für eine Blutung und Organverletzung assoziiert sind. Außerdem müsste man simultan an mehreren Stellen des Tumors biopsieren, um den repräsentative molekularen Tumorstatus zu generieren [15–19]. Diese Belastungen sind für den Patienten nicht zumutbar, sodass es nicht-invasiver Lösungen bedarf.
Das nicht-invasive Verfahren der Liquid Biopsy (Flüssigbiopsie) bzw. des Liquid Profiling (molekulare Mustererkennung im Blut) ist hervorragend dafür geeignet, die dynamischen Veränderungen zu charakterisieren, die den molekularen Status des Tumors repräsentieren. Dadurch bedingt, dass sich DNA-Spuren unterschiedlicher Krebsmanifestationen unabhängig von ihrer Lokalisation im Blut nachweisen lassen, ermöglicht die Liquid Biopsy trotz der heterogenen molekularen Profile innerhalb des Tumors oder zwischen unterschiedlichen Tumormanifestationsorten eine repräsentative Abbildung der molekularen Veränderungen des Gesamttumors [1–5, 19].

Monitoring von RAS-Mutationen bei initial RAS-negativen und -positiven Tumoren

Patienten mit RAS-Wildtyp, die initial auf die Therapie mit Anti-EGFR-Antikörpern ansprechen, entwickeln häufig nach wenigen Monaten eine sekundäre Resistenz. Bei der Hälfte dieser Patienten treten zum Zeitpunkt des Progresses neue RAS-Mutationen auf [20, 21]. Beim Auftreten von RAS-Mutationen ist die Therapie mit EGFR-Antagonisten nicht mehr wirksam. Innerhalb von wenigen Wochen nach Absetzen der Therapie mit EGFR-Antikörpern verschwinden die erworbenen RAS-Mutationen wieder [20, 21]. Ursächlich für diese klonale Rückverteilung wird der fehlende Selektionsdruck seitens des EGFR-Antagonisten gesehen.
Um zu untersuchen, ob Patienten, die nach Auftreten der RAS-mutierten Klone einen erneuten Abfall im Blut zeigen, von einer erneuten Gabe, einer so genannten Rechallenge eines EGFR-Antikörpers profitieren, wurden bereits prospektive Studien durchgeführt. Man konnte belegen, dass der Liquid-Biopsy-Befund den prädikativen Marker für den Einsatz der Rechallenge-Strategie darstellt. Nur Patienten ohne den Nachweis von RAS-Mutationen im Blut profitieren von erneuter Gabe von Anti-EGFR-Antikörpern [20–23].
Liquid Biopsy ist nicht nur in der Lage, neue erworbene RAS-Mutationen nachzuweisen, sondern auch den Verlust einer RAS-Mutation zu detektieren. Diesen Mutationsstatus bezeichnet man als „NeoRAS-Wildtyp“ [24–26]. Inwieweit Patienten mit NeoRAS-Wildtyp analog zu RAS-Wildtyp-Patienten von der Hinzunahme einer Anti-EGFR-haltigen Therapie profitieren, wird gerade im Rahmen einer prospektiven, randomisierten Phase-II-Studie MoLiMoR ermittelt [24].

Nachweis einer EGFR-Mutation beim NSCLC

Mutationen im Gen für den EGFR finden sich bei europäischen Patienten in etwa 12 % der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome (NSCLC). Es sind die häufigsten therapierelevanten Treibermutationen des NSCLC. Resistenz gegenüber TKIs der ers­ten Generation (z. B. Erlotinib, Gefitinib) oder der zweiten Generation (z. B. Afatinib) wird bei etwa der Hälfte der Patienten durch die EGFR-T790M-Mutation verursacht [27]. Gegenüber dieser Mutation zeigt der Drittgenerations-TKI Osimertinib eine hohe Effektivität.
Die Untersuchung auf das Vorliegen der EGFR-T790M-Mutation beim NSCLC stellt die momentan weltweit mit Abstand häufigste Anwendung der Liquid Biopsy in der Routinediagnostik dar. Bemerkenswerterweise zeigen EGFR-T790M-plasmapositive Patienten ein höheres Ansprechen und längeres Überleben unter Behandlung mit Osimertinib (EGFR-TKI der dritten Generation) als Patienten, die zwar gewebepositiv, aber plasmanegativ sind. Die molekulare Analyse von Liquid Biopsy ist demnach ein stärkerer Prädiktor als die Gewebeuntersuchung [28].
Laut aktueller Leitlinie wird die Liquid Biopsy für das NSCLC-Stadium IVB mit einer EGFR-Mutation oder einer ALK-Translokation empfohlen, wenn kein Gewebematerial zur Verfügung steht [29].

Nachweis einer PIK3CA-Mutation beim Mammakarzinom

Im Jahr 2020 erhielt Alpelisib – ein Tyrosinkinase-Inhibitor, der die α-Isoform von PI3K hemmt – die Zulassung, sofern eine entsprechende PIK3CA-Mutation mittels Gewebebiopsie oder Liquid Biopsy nachgewiesen werden kann. Eine PIK3CA-Mutation kommt bei ca. 40 % aller hormonrezeptorpositiven Mammakarzinome vor. Alpelisib in Kombination mit dem Antiöstrogen Fulvestrant verdoppelte in einer Phase-III-Studie das progressionsfreie Überleben von Patienten mit hormonrezeptorpositivem, HER2-negativem Mammakarzinom mit PIK3CA-Mutation [30].  
Die Daten aus der SOLAR1-Studie weisen darauf hin, dass die Liquid Biopsy zum Zeitpunkt des Progresses besser geeignet ist, die PIK3CA-Mutation nachzuweisen, als die Analyse des Primärtumors, da beim Tumor eine klonale Evolution stattgefunden hat, um Resistenzen gegenüber den Vortherapien zu bilden [30].

Fazit und Ausblick

Diese wenigen Beispiele sind nur die Anfänge einer bislang noch sehr zaghaften Entwicklung im Bereich Liquid Profiling/Liquid Biopsy, die durch die Verfügbarkeit geeigneter hochsensitiver Technologien, standardisierter Präanalytik und qualitätsgeprüfter Analytik aber zunehmend Einzug in die Routinediagnostik nehmen wird. Dies zeigen auch die Erfahrungen aus den angelsächsischen Ländern, in denen hohe Summen in dieses innovative Feld investiert werden. Hierzulande bremsen bestehende Regularien, Vergütungsstrukturen und Kompetenzüberschneidungen von Labormedizin, Pathologie, und Humangenetik eine zielgerichtete, schnellere Entwicklung. Im Sinne einer bestmöglichen Betreuung der Patienten ist jedoch eine intensive Zusammenarbeit der genannten diagnostischen Disziplinen, Radiologen und der behandelnden Onkologen wünschenswert. Je mehr die einzelnen Bereiche Labormedizin, Pathologie und Humangenetik ihre spezifische Expertise einbringen, desto umfassender können die Potenziale dieses neuen Dia­gnostikfeldes genutzt werden.

Autoren
Prof. Dr. med. Stefan Holdenrieder
Deutsches Herzzentrum München
PD Dr. med. Alexander Baraniskin
Klinik für Hämatologie/Onkologie und Palliativmedizin
Evangelisches Krankenhaus Hamm
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