Single-Cell-DNA-Analyse: Neue diagnostische Pathologie bei Krebserkrankungen
Um eine Behandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt optimal auf den einzelnen Patienten abstimmen zu können, muss der aktuelle molekulare Zustand seiner Krebserkrankung zuverlässig erfasst werden. Die Untersuchung des Genoms einzelner zirkulierender Tumorzellen im Blut bietet hier großes Potenzial, stellt die Diagnostik aber auch vor einige Herausforderungen.
Schlüsselwörter: Einzelzellanalytik, Liquid Biopsy, Whole Genome Amplification, Sequenzierung, CtDNA
In den letzten Jahren revolutionierten neue Sequenziertechnologien und -protokolle auch das Feld der molekularen Einzelzellanalytik. Während Single Cell RNA Sequencing mittlerweile Einzug in viele Labore gefunden und unter anderem zu neuen Erkenntnissen in der Charakterisierung von Immunzellpopulationen geführt hat, stellt die DNA-Analytik einzelner Zellen Forscher im Moment oft noch vor große Herausforderungen. Interessanterweise liegt das nicht unbedingt nur an der Komplexität der molekularbiologischen Technologien und der bioinformatischen Datenanalyse, sondern auch an den zugrunde liegenden Fragestellungen, die insbesondere in der Onkologie oftmals nicht auf Zellpopulationen, sondern tatsächlich auf wenige einzelne Zellen abzielen.
CTC und Liquid Biopsy
Das Potenzial, solide Krebserkrankungen mittels Tumorzellen im Blut zu diagnostizieren, wurde bereits im Jahr 1869 durch den englischen Arzt Thomas Ashworth erkannt, als er erstmals zirkulierende Tumorzellen (Circulating Tumor Cells, CTC) im Blut eines verstorbenen Patienten beschrieb [1]. Tatsächlich wäre Blut das ideale Organ, um den Verlauf einer systemischen Krebserkrankung diagnostisch im Sinne einer sogenannten Flüssigbiopsie (Liquid Biopsy) zu messen, da es (i) leicht zugänglich ist und wiederholte Probenabnahmen durch den Patienten gut toleriert werden, (ii) die Zellen bereits in einer analytisch zugänglichen Suspension vorliegen und (iii) die zelluläre Zusammensetzung im Blut
– verglichen mit anderen Organen – relativ homogen ist. Lange Zeit konnte daraus allerdings kein Kapital geschlagen werden, da Tumorzellen mit 1–10 CTC pro ml Blut sehr selten sind [2].
Erst die Entwicklung hochsensitiver, automatisierter Technologien zur CTC-Anreicherung und -Detektion Anfang des Jahrtausends ermöglichte eine breitere Anwendung des CTC-basierten Liquid-Biopsy-Ansatzes und führte schließlich auch zur FDA-Zulassung der ersten Plattform zur CTC-Quantifizierung für metastasierte Patienten mit Brust-, Prostata- und Darmkrebs [3–5]. Auch wenn dieser prognostische Wert der CTC-Messung mittlerweile in zahlreichen klinischen Studien belegt wurde, zeigte die SWOG-0500-Studie eindrucksvoll, dass die reine Quantifizierung von CTCs allein nicht ausreicht, um klinische Therapieentscheidungen zu treffen [6]. Bis heute ist das Potenzial von CTCs für die Identifizierung therapeutischer Targets, die Stratifizierung von Patienten für eine zielgerichtete Behandlung und das Aufdecken von Therapieresistenzen immer noch nicht eindeutig geklärt. Zur Beantwortung dieser Fragen eröffnet die DNA-Analytik zirkulierender Tumorzellen auf Einzelzellebene vollkommen neue Möglichkeiten.
Herausforderungen der WGA
Für die meisten Hochdurchsatzverfahren in der Molekularbiologie benötigt man im Idealfall bis zu mehrere µg genomischer DNA mit hoher Qualität. In einigen Fragestellungen wie in der Pränataldiagnostik oder der minimalen Resterkrankung in Krebspatienten steht allerdings oft nur deutlich weniger Ausgangsmaterial zur Verfügung – im Extremfall nur eine einzige Zelle und damit in etwa 6 bis 7 pg genomischer DNA (gDNA) [7]. Auch wenn Einzelzellanalysen durch zielgerichtete PCR-Verfahren oder FISH-Analytik möglich sind, sind diese Technologien auf eine limitierte Anzahl an Zielgenen beschränkt. Um Kleinstmengen an DNA umfassend zu analysieren, muss die genomische DNA einer Zelle zunächst vervielfältigt werden, wofür in den letzten Jahrzehnten mehrere Methoden der gesamtgenomischen Amplifikation von Einzelzellen (Whole Genome Amplification, WGA) entwickelt wurden. Diese basieren meist auf PCR-Verfahren, die degenerierte Oligonukleotide [8, 9] oder Linkeradaptoren [10] als Primer nutzen, oder auf isothermaler Amplifikation über multiple strand displacement (MDA) [11, 12] sowie einer Kombination der beiden Amplifikationsprinzipien [13].
Im Kern zielen all diese WGA-Technologien auf folgende technologische Maßzahlen ab:
- eine hohe Abdeckung von idealerweise allen 3 x 109 Nukleotiden des humanen Genoms (Genomic Coverage),
- eine robuste Quantifizierung von Veränderungen der Kopienzahl durch eine homogene Amplifikation aller Regionen des Genoms und
- einen niedrigen artifiziellen Allelverlust (Allelic Dropout) zur zuverlässigen Bestimmung heterozygoter Punktmutationen in maternalen und paternalen Genen.
Das Potenzial der DNA-Analytik auf Einzelzellbasis führte in den letzten Jahren dazu, dass immer mehr experimentelle WGA-Protokolle standardisiert und der Allgemeinheit kommerziell zugänglich gemacht wurden.
Für eine Anwendung der Einzelzell-DNA-Analytik im klinisch-diagnostischen Umfeld gibt es neben der Wahl des technologischen Ansatzes zur Durchführung der WGA noch eine Vielzahl anderer Punkte zu beachten. Oftmals müssen Gewebeproben vor der Analyse ggf. über mehrere Stunden oder gar Tage von der Klinik ins Labor transportiert werden, oder aber die eigentlichen Zielzellen müssen erst noch aufwendig angereichert werden. Um diese Schritte durchzuführen, ist es häufig notwendig, das Patientenmaterial zu fixieren, was die Einzelzellanalytik negativ beeinflussen kann. So führen eingesetzte Fixative zur Vernetzung doppelsträngiger DNA und damit zu einer Fragmentierung des Genoms. Darüber hinaus kann auch die DNA der Zielzellen selbst geschädigt sein. So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass CTCs sich häufig bereits bei der Gewebegewinnung in Apoptose befinden [14]. Gleichgültig ob die DNA durch Fixierung oder Apoptose geschädigt ist, hat dies unmittelbaren Einfluss auf eingesetzte WGA-Technologien, deren Funktionsweise auf der Amplifikation langer DNA-Sequenzen beruht, wie dies zum Beispiel bei isothermaler Amplifikation durch MDA-basierte Methoden der Fall ist.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu erwähnen, dass die oben genannten Performance-Indikatoren von WGA-Technologien oftmals im Laborsetting mit Zellen aus der Zellkultur und nicht an Patientenproben bestimmt wurden. So beruht die ursprünglich für die MALBAC-WGA-Methode publizierte, exzellente Abdeckung von bis zu 93 % des Humangenoms auf Daten, die durch Experimente mit frisch aus der Zellkultur isolierten Einzelzellen der Krebslinie SW480 durchgeführt wurden [13]. Die Anwendung der gleichen Methodik auf einzelne, nach Anreicherung aus dem Blut isolierte CTC eines Patienten mit Lungenkarzinom [15] führte dagegen zu einer dramatisch niedrigeren Genomabdeckung von deutlich unter 40 % im direkten Vergleich der beiden Datensätze [16]. Zusätzlich wurde in den Patientenzellen ein häufiger Verlust heterozygoter Allele beobachtet [15] – ein Umstand, der eine zuverlässige Diagnostik im Rahmen von Krebserkrankungen nahezu unmöglich macht.
Dieses Beispiel zeigt, dass es für eine diagnostische Anwendung der Einzelzell-DNA-Analytik von immenser Bedeutung ist, den gesamten Prozess kritisch zu analysieren und die bestmögliche WGA-Technologie für die jeweilige Fragestellung auszuwählen. Zusätzlich sollte für eine diagnostische Nutzung sichergestellt sein, dass durch die WGA ausreichend Material von hoher Qualität generiert wird, um Testwiederholungen und langfristige Rückstellung von Proben zu gewährleisten.
Vorteile gegenüber ctDNA
Publikationen der letzten Jahre suggerieren allerdings, dass eine CTC-Analytik auf Einzelzellbasis durch die Analyse von zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) komplementiert oder gar ersetzt werden kann [17]. Tatsächlich kann ctDNA in 75 % der Patienten mit metastasierter Krebserkrankung detektiert werden und erlaubt in den meisten Fällen eine zuverlässige Messung klinisch-relevanter Punktmutationen, z. B. in den Genen KRAS in Patienten mit kolorektalem Karzinom [18] oder EGFR in Patienten mit Lungenkrebs [19], mit hoher Sensitivität und Spezifität. Da ctDNA zum Großteil aus apoptotischem und nekrotischem Tumormaterial stammt, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, wie effizient gerade unter Therapie frühzeitig resistente Subklone im DNA-Gemisch aus abgestorbenen Tumor- und Blutzellen entdeckt werden können, die leicht im Hintergrundrauschen untergehen.
Gerade für den Verlauf einer Krebserkrankung und die Selektion der bestmöglichen Therapiekombination kann diese zelluläre Heterogenität und die Identifizierung therapieresistenter Subklone aber eine große Rolle spielen. Zu diesem Zweck haben wir einen semiautomatisierten Workflow zur Anreicherung, Isolation und DNA-Analytik einzelner CTC aus Patienten mit Brustkrebs entwickelt und an klinischen Proben getestet [20]. Durch die Verwendung der streng deterministischen Linker-Adaptor-WGA (Tab. 1) war es uns möglich, einen simplen Multiplex-PCR-Assay zur Qualitätskontrolle von Einzelzellen zu entwickeln, der zuverlässig diejenigen WGA-Produkte identifiziert, die hochqualitative Daten in anschließenden Molekularanalysen wie Sanger-Sequenzierung, qPCR und arrayCGH liefern [20].
Tab. 1: Gegenüberstellung von Einzelzellen und zellfreier DNA als Biomarker (nach [32]).
Biomarker | Einzelzellen (z. B. CTC) | zellfreie DNA (z. B. ctDNA) |
---|---|---|
Ursprung | Morphologisch intakte, potenziell lebende und biologisch relevante Zellen | Nekrotische und apoptotische Zellen |
Analytik | Reine DNA, RNA (mRNA, miRNA und andere RNAs) und Proteine | Gemisch von fragmentierter DNA aus vielen unterschiedlichen Zellen |
Technologien | Multi-Omics Ansätze, funktionelle Studien (in vitro/Xenograft) | Molekularanalytik (Sequenzierung) |
Mit diesem Ansatz konnten wir und andere eine zelluläre Heterogenität von einzelnen CTC derselben Patientin zeigen – auch für Mutationen, die potenziell eine Therapieresistenz vermitteln [20–22].
Zusätzlich zur Möglichkeit, genetische Veränderungen hochsensitiv Zelle für Zelle zu messen, hat der Einzelzell-basierte Ansatz den Vorteil, dass Analysen in Zukunft nicht auf DNA beschränkt bleiben müssen. Aktuelle Gewebe-basierte Studien stellen das immense Potenzial sogenannter Multi-Omics-Ansätze heraus, in denen Genomics, Transkriptomics und Proteomics kombiniert werden [23, 24]. Auch wenn wir hier in der Analytik einzelner Zellen erst am Anfang stehen [25], ist das Potenzial gegenüber zellfreien Gemischen um ein Vielfaches größer (Tab. 1).
Fazit
In der modernen Onkologie ist es unerlässlich, den aktuellen molekularen Zustand einer individuellen Krebserkrankung zuverlässig über die Zeit zu messen, um so die Behandlung optimal auf den einzelnen Patienten abzustimmen. Hierfür bedarf es der Entwicklung einer neuen diagnostischen Pathologie jenseits der klassischen Gewebebiopsie. Der Einsatz von Einzelzelltechnologien erlaubt dabei höchste Sensitivität auch bei geringer Tumorlast, insbesondere durch die Möglichkeit, in Zukunft multidimensionale Daten im Sinne eines Multi-Omics-Ansatzes aus einzelnen Zellen zu erheben. Hierbei liegt ein großes Potenzial im Transfer des klassischen Liquid-Biopsy-Ansatzes – im Sinne einer Blutuntersuchung – auf andere Organe wie dem Knochenmark im Stadium der minimalen Resterkrankung oder dem Liquor cerebrospinalis bei Hirntumoren und -metastasen. Auch wenn noch einige Schritte auf dem Weg hin zur klinischen Routineanwendung zu gehen sind, bietet die Einzelzell-Analytik viele Möglichkeiten, die Diagnostik und Behandlung von Krebspatienten zu verbessern.