Prognostische und prädiktive Marker bei akuten und chronischen Leukämien
Innerhalb weniger Jahrzehnte haben der Paradigmenwechsel in der Leukämiediagnostik vom Phänotyp zum Genotyp sowie Anstrengungen, die genetische Landschaft der Leukämien zu kartieren, zu einem besseren Verständnis der Leukämieerkrankungen geführt. Weiterhin wurde der Weg für eine risikoadaptierte Therapie und zunehmend auch für die Entwicklung und den Einsatz zielgerichteter Therapien geebnet. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die diagnostischen Methoden und Ansätze, die zur Detektion und zum Monitoring prognostischer Marker eingesetzt werden, die die therapeutische Entscheidungsfindung leiten. Ein weiterer Schwerpunkt dieses Artikels ist die Bestimmung prädiktiver Marker bei Diagnose und im Verlauf, die auch die Identifizierung von Resistenzmechanismen bei Therapieversagen umfasst. Prognostische und prädiktive Marker mit klinischer Relevanz werden für die chronische myeloische (CML), chronische lymphatische (CLL), akute myeloische (AML) und akute lymphatische Leukämie (ALL) vorgestellt. Die steigende Zahl der Marker hat die Therapieoptionen erheblich verbessert, stellt jedoch auch neue Anforderungen an Datenerhebung, Interpretation und Befundung. Abschließend gibt der Beitrag einen Ausblick auf ungerichtete genomweite Sequenzieransätze, die abermals zu einem Wissensfortschritt und einer verbesserten Diagnostik, Risikostratifizierung und Therapie führen könnten.
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In den letzten Jahren erleben wir einen Paradigmenwechsel vom Phänotyp zum Genotyp in der Leukämiediagnostik. Dies geht mit einem besseren Verständnis der Leukämien einher und führt zu stetigen Verbesserungen der Therapie-möglichkeiten und zur Entwicklung gerichteter Therapieansätze. Heute ist das Zusammenspiel der diagnostischen Disziplinen der Immunphänotypisierung sowie der Zyto- und der Molekulargenetik nötig, um die bestmögliche Therapie zu bestimmen. Diese ist nicht nur abhängig von prädiktiven Markern, die die Wirksamkeit eines Therapeutikums „vorhersagen“, sondern auch in großem Maße von prognostischen Faktoren, die eine risikoadaptierte Therapie erst ermöglichen.
Nachweis und Messung prognostischer und prädiktiver Marker
Immunphänotypisierung
Die Charakterisierung der Antigenexpressionsmuster mittels Immunphänotypisierung erlaubt die Abgrenzung zwischen gesunden und malignen Zellen, die Zuordnung zu Zelllinie und Reifungsgrad sowie die Quantifizierung von Zellpopulationen. Die akuten Leukämien weisen darüber hinaus einen Leukämiespezifischen „immunphänotypischen Fingerabdruck“ auf (LAIP, Leukämie-assoziierter Immunphänotyp), der für die Quantifizierung leukämischer Zellen im gesamten Krankheitsverlauf genutzt werden kann (siehe auch Abschnitt „MRD-Diagnostik").
Hinsichtlich prädiktiver Marker definiert die Immunphänotypisierung auch therapeutische Ziele, insbesondere im Hinblick auf Antikörpertherapien.
Zytogenetik
Veränderungen in der Chromosomenanalyse können prognostische oder prädiktive Marker liefern. Die Zytogenetik vereint die Chromosomenbänderungsanalyse und die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). Die beiden Methoden unterscheiden sich in ihrem Ansatz und ergänzen sich in ihrer dia-gnostischen Aussage. Die Erstellung eines Karyotyps mittels Bänderungstechniken an Metaphasen-Zellen erlaubt eine genomweite Identifizierung und Charakterisierung Leukämie-spezifischer Veränderungen. Die Chromosomenanalyse besitzt jedoch eine begrenzte Auflösung von wenigen Megabasen; je nach Größe der betroffenen Region können chromosomale Veränderungen damit auch zytogenetisch kryptisch sein.
Für FISH werden Fluoreszenzsonden zum Nachweis bestimmter Genregionen eingesetzt. Es handelt sich damit um eine gerichtete Methode, die gezielte Fragestellungen beantworten kann. So eignet sich FISH etwa zum Screening auf Veränderungen, die diagnostische, prädiktive oder prognostische Relevanz haben oder für den Nachweis zytogenetisch kryptischer Veränderungen.
Molekulargenetik
Für die Molekulardiagnostik ergeben sich unterschiedliche Fragestellungen und Anforderungen. So kann die An- oder Abwesenheit bestimmter Mutationen bzw. bestimmter genetischer Veränderungen prädiktiv für das Ansprechen auf bestimmte Therapeutika sein oder die Prognose beeinflussen. Darüber hinaus können im Laufe der Behandlung Re-sistenzmutationen einen Therapiewechsel erforderlich machen. Diese Fragestellungen können z. B. mittels Sequenzierung beantwortet werden, wobei das Next Generation Sequencing (NGS) den heutigen Goldstandard darstellt. Eine weitere zunehmend wichtige Rolle in der Therapiesteuerung spielt die Bestimmung der messbaren Resterkrankung (MRD, measurable residual disease). Hierfür eignen sich insbesondere Ansätze, die auf der Polymerasekettenreaktion (PCR, polymerase chain reaction) basieren (siehe auch Abschnitt „MRD-Diagnostik").
PCR
Die Polymerasekettenreaktion (PCR) erlaubt die spezifische Amplifikation einer bekannten DNA-Zielsequenz und ermöglicht je nach eingesetztem Verfahren ihren qualitativen Nachweis (Endpunkt-PCR) oder ihre Quantifizierung (qPCR, quantitative PCR). Über einen zusätzlichen Schritt der reversen Transkription, bei dem RNA in cDNA (copy DNA) umgeschrieben wird, ist es darüber hinaus möglich, auch Transkripte nachzuweisen oder diese zu quantifizieren.
NGS
Next Generation Sequencing setzt sich in der klinischen Routine-Diagnostik zunehmend gegenüber älteren Verfahren durch. Neben Sequenzvarianten, die sich durch den Austausch einzelner Basen ergeben (SNV, single nucleotide variants) sowie Insertionen bzw. Deletionen, die wenige Basenpaare lang sind, können auch Translokationen mittels NGS nachgewiesen werden, sofern die genauen Bruchpunkte bekannt sind. Auch die Analyse von Kopienzahlveränderungen ist grundsätzlich mittels NGS realisierbar.
Ein wesentlicher Vorteil liegt in der enormen Parallelisierbarkeit; in einem Sequenzierlauf kann so eine Vielzahl an Proben und/oder genomischer Loci untersucht werden. Dies wird heute vor allem im Rahmen der Panel-Testung genutzt. In einem genetischen Panel können z. B. alle Loci zusammengefasst werden, die bekanntermaßen mit leuk-ämischen Erkrankungen assoziiert sind. Auch eine Anpassung an bestimmte Fragestellungen (z. B. die Mutationsanalyse von diagnostischen, prognostischen und/oder prädiktiven Markern) ist möglich. Es handelt sich damit um eine gerichtete Sequenziermethode.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind mit der Panel-Testung bei Weitem nicht erschöpft, und in der Forschung werden zunehmend genomweite Ansätze erprobt, die die Sequenzierung des gesamten Genoms bzw. des gesamten Exoms (Gesamtheit aller proteinkodierenden Gene) sowie des gesamten Transkriptoms erlauben (siehe auch Abschnitt „Genomweite Sequenzieransätze – ein Ausblick“).
Resistenzen und deren Messung
Mit dem zunehmenden Einsatz zielgerichteter Therapien wurden in den letzten Jahren auch Resistenzmutationen unter Therapie beobachtet. Eine Verminderung des Therapieansprechens oder der Verlust desselbigen sollte nach Abklärung der Patienten-Compliance Anlass zur Untersuchung auf potentiell vorhandene Resistenzmutationen geben.
Beschrieben sind:
- IDH2-Mutationen bei Enasidenib-Resistenz bei der AML [1],
- BCR-ABL1-Mutationen bei Resistenz gegen gängige Tyrosinkinase-Inhibitoren oder gegen den neuen allosterischen ABL-Inhibitor Asciminib, bei der CML [2, 3], ALL [4, 5] und der AML [6],
- BCL2-Mutationen bei Venetoclax-Resistenz bei der CLL [7] sowie
- BTK- und PLCG2-Mutationen bei Ibrutinib-Resistenz bei der CLL [8–11].
Bei der Analyse von Resistenzmuta-tionen verdrängt das Next Generation Sequencing zunehmend die ältere Sanger-Sequenzierung. NGS weist eine höhere Sensitivität von 1–3 % Mutationslast auf und ist damit der Sanger-Sequenzierung (10–20 %) deutlich überlegen. So können auch Mutationen mit einem geringen Allelanteil detektiert werden, die im Verlauf einer Therapie expandieren und letztendlich eine Therapieresistenz vermitteln können.
Dies lässt sich am Beispiel der CML illustrieren, für deren Behandlung heute verschiedene Tyrosinkinase-Inhibitoren zur Verfügung stehen. Hier gewinnt der frühe und sensitive Nachweis von Resistenzmutationen mittels NGS eine zunehmende Relevanz [12] und ist laut einer ersten projektiven Studie von klinischem Nutzen für CML-Patienten mit suboptimalem Therapieansprechen [13].
MRD-Diagnostik
Dank enormer Fortschritte in der Therapie der Leukämien genügen vielfach klassische Ansprechkriterien wie das Erreichen einer hämatologischen, zytologischen oder einer zytogenetischen Remission nicht mehr zur Therapiesteuerung. Für die Erfassung der messbaren (früher minimalen) Resterkrankung (MRD) sind heute Methoden nötig, die eine leukämische Zelle unter 10.000 bis 100.000 Zellen detektieren können.
Tab. 1 listet die Sensitivitäten derverschiedenen diagnostischen Methoden auf.