Akute myeloische Leukämien (AML) bei Kindern und Jugendlichen
Akute myeloische Leukämien (AML) bei Kindern und Jugendlichen (< 18 Jahren) sind mit einem Anteil von 15–20 % aller Leukämien im Kindesalter deutlich seltener als akute lymphatische Leukämien (ALL). Von wenigen Ausnahmen abgesehen entspricht die Biologie der AML bei Kindern der bei Erwachsenen. Die Behandlungsergebnisse bei Kindern mit AML haben sich in den vergangenen 30 Jahren deutlich verbessert. Mit einer intensiven Induktionschemotherapie erreichen etwa 90 % aller Kinder und Jugendlichen eine komplette Remission. Die Überlebensraten nach fünf Jahren liegen heute bei über 75 %, das ereignisfreie Überleben bei 55–60 %. Die Induktionschemotherapie ist weltweit und in allen Altersstufen ähnlich, während es in der Postremissionstherapie deutliche Unterschiede gibt. Im Folgenden werden die biologischen und klinischen Eigenschaften der AML bei Kindern und Jugendlichen sowie die heute in Deutschland übliche Therapie nach den AML-BFM(Berlin-Frankfurt-Münster)-Studien dargestellt. Abschließend wird auf die Spätfolgen der Therapie eingegangen.
akute myeloische Leukämie bei Kindern, Prognosegruppen, Therapie, Spätfolgen, AML, Anämie, AML-BFM, Zentrales Nervensystem, Neutropenie, Thrombozytopenie, Leukaemia cutis, monozytäre Leukämie, Anthrazykline, Cytarabin, Daunorubicin, Etoposid, Idarubicin, Mitoxantron, Clofarabin, Hämatopoetische Stammzelltransplantation, HSZT, Tyrosinkinase-Inhibitoren; ALL.
Epidemiologie
In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 100 Kinder im Alter von unter 15 Jahren an einer AML. Die Inzidenz liegt bei 0,7 pro 100.000 Kinder mit einem Verhältnis von Mädchen zu Jungen von 1:1,1. Nach einem Häufigkeitsgipfel in den ersten zwei Lebensjahren sinkt die Inzidenz der AML ab, ohne den von der ALL bekannten Altersgipfel von zwei bis vier Jahren und bleibt relativ konstant, um im jugendlichen Alter wieder anzusteigen.
Biologische Merkmale einschließlich der Prävalenz einiger genetischer Abnormitäten unterscheiden sich zwischen der AML bei Kindern und Erwachsenen [15]. Die Behandlungsergebnisse haben sich bei der AML in den vergangenen 30 Jahren für alle Altersgruppen verbessert; die Überlebensraten nehmen jedoch mit zunehmendem Alter ab, auch wenn genetische Risikofaktoren berücksichtigt werden [41].
Ätiologie
Überwiegend sind die zugrunde liegenden genetischen Veränderungen, die zur AML führen, erworben und nicht angeboren. Nur bei etwa 5 % der Betroffenen sind eine genetische Prädisposition, eine intrauterine Exposition mit Substanzen wie Benzol, ionisierende Strahlung oder unterschiedliche Medikamente mit der Entstehung einer AML im Kindes- oder Jugendalter assoziiert. Die AML tritt am häufigsten im höheren Lebensalter (> 65 Jahre) auf. Dies korreliert mit einer verlängerten Exposition gegenüber Umweltkarzinogenen proportional zum Alter und Akkumulation von Mutationen aufgrund genetischer Störungen bei der Zellteilung.
Das Risiko einer AML ist bei Kindern mit angeborenen Syndromen wie Fanconi-Anämie, Shwachman-Diamond-Syndrom, Kostmann-Syndrom und Down-Syndrom erhöht. Somatische Mutationen des GATA1-Gens werden in praktisch allen Fällen von AML in Verbindung mit dem Down-Syndrom beobachtet und können mit dem 500-fach erhöhten Risiko für eine megakaryoblastische AML bei diesen Patient:innen in Zusammenhang gebracht werden [23].
AML als sekundäre Malignität nach intensiver Chemotherapie wird häufig bei älteren Kindern und Erwachsenen beobachtet. Bei Kindern nach ALL-Behandlung lag die kumulative Inzidenz für die Entwicklung einer AML nach 15 Jahren bei 0,6 % [30].
Bei eineiigen Zwillingen ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch der zweite Zwilling erkrankt, mit etwa 15 % hoch. Als Ursache wird der transplazentare Übergang von einzelnen Leukämiezellen angenommen – auch wenn dies bisher nur für die ALL belegt ist – und weniger eine genetische Prädisposition.
Klinisches Bild
Die klinischen Symptome sind anfangs häufig uncharakteristisch und sind Folgen der Anämie (Blässe und Müdigkeit), der Neutropenie (Fieber, Infektion) und Thrombozytopenie (Petechien, Purpura, Schleimhautblutungen, selten Hirnblutungen). Die normale Hämatopoese ist als Folge der Infiltration des Knochenmarks mit leukämischen Zellen reduziert. Bei Betroffenen mit Hyperleukozytose besteht initial ein hohes Risiko für Blutung und/oder Leukostase. Knochenschmerzen können durch die Blastenvermehrung im Knochenmark oder durch subperiostale Blutungen entstehen. Extramedulläre Infiltrationen betreffen in erster Linie die Lymphknoten, die Leber und die Milz. Eine Hepatosplenomegalie wird bei etwa einem Drittel aller Patient:innen gefunden.
Eine Beteiligung des zentralen Nervensystems (ZNS) findet sich bei 5–10 % aller Kinder und Jugendlichen mit AML. Definitionsgemäß liegt ein ZNS-Befall bei mehr als fünf Blasten pro µl Liquor oder bei klinischen oder radiologischen Zeichen des intrazerebralen Befalls vor. Gelegentlich treten auch extramedulläre Manifestationen der AML als Tumoren im ZNS auf. Symptome des ZNS-Befalls sind Kopfschmerzen, Paresen, fokale neurologische Defizite und Krampfanfälle.
Weitere extramedulläre Infiltrationen kommen in der Haut (Leukaemia cutis), in den Weichteilen, der Gingiva, den knöchernen Strukturen der Orbita oder in anderen Organen vor. Bei tumorartigen Infiltrationen besonders in den Knochen spricht man von myeloischen Tumoren (Myelosarkomen). Ein extramedullärer Befall tritt gehäuft bei monoblastären Leukämien auf und ist hier mit einer ungünstigen Prognose verbunden. Bei der prognostisch günstigen AML mit t(8;21) ist der extramedulläre Befall, z. B. als Infiltration der Orbita, kein ungünstiger Faktor. Hautinfiltrationen finden sich besonders bei monozytären Leukämien und besonders bei Kleinkindern (< 2 Jahre). Ein isolierter extramedullärer Befall ist selten.
Diagnostik und Klassifikation
Die Diagnostik und Klassifikation der AML bei Kindern entspricht der bei Erwachsenen [43]. Sie erfolgte bisher nach der WHO-Klassifikation von 2016, bei der neben morphologischen und klinischen Faktoren insbesondere die Genetik im Vordergrund steht [2]. Die myeloische Leukämie bei Patient:innen mit Down-Syndrom kommt nur im Kindesalter vor.
Die früher übliche französisch-amerikanisch-britische (FAB) Verteilung unterscheidet sich vor allem zwischen jungen Kindern (< 2 Jahre) und älteren Kindern und Jugendlichen. Bei unter zweijährigen Kindern treten überwiegend (bei 60 %) monozytäre oder megakaryozytäre Subtypen (FAB M5 oder M7) auf, gegenüber nur 18 % bei älteren Betroffenen (2–18 Jahre) [6]. Ebenso werden die günstigen Karyotypen t(8;21) und inv(16) nur selten bei unter zweijährigen Kindern (5 %) gefunden, dagegen häufig (32 %) bei zwei- bis zwölfjährigen Kindern (Tab. 1).