Die Therapie des Multiplen Myeloms ist in ständigem Fluss: Von Proteasom-Inhibitoren und Immunmodulatoren existieren mittlerweile bereits mehrere Generationen von Substanzen, und auch bei der Entwicklung von Antikörper-Therapien ist kein Stillstand zu beobachten. Die Kombinationsmöglichkeiten, die in klinischen Studien getestet werden, sind vielfältig, und für besonders schwere, therapieresistente Fälle kommen fortgeschrittene Immuntherapien wie BiTE-Antikörper und CAR-T-Zellen in Betracht. Besonders interessant: In das Management des „Smouldering Myeloma“, der asymptomatischen Vorstufe des Multiplen Myeloms, ist ebenfalls Bewegung gekommen. Wir bringen zu all diesen Themen eine Auswahl von Beiträgen von den Jahrestagungen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago und der European Hematology Association (EHA) in Amsterdam.
„Smouldering Myeloma“
Profitieren Hochrisiko-Patienten von der frühen Therapie?
Im Jahr 2014 wurden die diagnostischen Kriterien für das Multiple Myelom revidiert [1]. Damit einher ging die Reklassifizierung eines „Smouldering Myeloma“ mit ultrahohem Progressionsrisiko (≥ 60% Plasmazellen im Knochenmark, ≥ 1 in der Kernspintomographie sichtbaren Läsion und ein freies Leitketten-Verhältnis von > 100%) als aktives Myelom. Diese Subgruppe hat ein Risiko von mindestens 80% für eine Progression nach zwei Jahren und erhält daher definitiv bereits eine aktive Myelom-Therapie. Die Ausgliederung dieser Patienten erforderte eine Revision der Klassifizierung des „Smouldering Myeloma“ als Ganzes, weil es Hinweise gibt, dass auch hierin noch Patienten mit erhöhtem Progressionsrisiko enthalten sind, die hinsichtlich ihrer langfristigen Prognose signifikant von einer aktiven Therapie profitieren. Neue Ergebnisse dazu wurden beim ASCO-Kongress in Chicago vorgestellt.
Die International Myeloma Working Group (IMWG) sammelte in einer großen retrospektiven Studie in Europa und Nordamerika Daten von Patienten, bei denen seit dem 1. Januar 2004 ein „Smouldering Myeloma“ diagnostiziert worden war. Sie mussten mindestens in den sechs Monaten nach dieser Diagnose progressionsfrei gewesen und für mindestens ein Jahr nachbeobachtet worden sein und durften zudem an keiner Myelom-Therapiestudie teilgenommen haben. In einer multivariaten Regressionsanalyse der 2004 eingeschlossenen Patienten fanden sich drei Faktoren, die signifikant mit dem Risiko für eine Progression zum manifesten Multiplen Myelom korrelierten, so Maria-Victoria Mateos, Salamanca [2]: eine Serumkonzentration des M-Proteins von > 2 g/dl, ein Verhältnis der freien Leichtketten (FLC Ratio) von > 20 und ein Anteil von > 20% an Plasmazellen im Knochenmark. Jeder dieser drei Faktoren verdoppelte das Progressionsrisiko ungefähr, aber aus ihrer Kombination ließ sich ein Risikoscore konstruieren, der die Patienten sehr effektiv in drei Gruppen unterteilte:
In einer Niedrigrisiko-Gruppe (0 Faktoren) lag das Progressionsrisiko nach zwei Jahren bei lediglich 5%, bei Patienten mit intermediärem Risiko (1 Risikofaktor) war es mit 17% mehr als verdreifacht, und in der Hochrisiko-Gruppe (≥ 2 Faktoren) lag das 2-Jahres-Risiko bei 46%. Besonders interessant wurde es, wenn man in das Modell noch eine molekulargenetische FISH-Analyse von Hochrisiko-Varianten integrierte (t(4;14), t(14;16), 1q+ oder Deletion 13q) und für die einzelnen Variablen eine feinere Klassifizierung wählte: Damit ergaben sich vier Risikogruppen, die sich klar in ihrer Prognose unterschieden, nämlich eine Niedrigrisiko-Gruppe (0–4 Punkte) mit einem 2-Jahres-Progressionsrisiko von 3,7%, eine Gruppe mit niedrig-intermediärem Risiko (5–8 Punkte; 25,4%), eine mit hoch-intermediärem Risiko (9–12 Punkte; 48,9%) sowie eine Hochrisikogruppe (> 12 Punkte; 72,6%).
Mit diesem Risikoscore, so Mateos, kann man nun in prospektiven Studien die Frage klären, ob Patienten mit „Smouldering Myeloma“ und hohem Progressionsrisiko eine frühe Therapie erhalten sollten. In der randomisierten spanischen QuiRedex-Studie war bereits ein Vorteil bezüglich des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens gezeigt worden [3]. In Chicago nun präsentierte Sagar Lonial, Atlanta, eine Phase-II/III-Interventionsstudie der Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG-ACRIN), in der Patienten mit „Smouldering Myeloma“ und hohem Risiko nach dem Mayo-Risikomodell von 2018 auf Lenalidomid (25 mg/d jeweils 21 Tage, gefolgt von einer Woche Pause) oder Placebo randomisiert wurden [4].
Die Ansprechrate lag nach median 35 Monaten Follow-up unter Lenalidomid bei 48,9%, unter Placebo bei 0%. Die progressionsfreien Überlebensraten für diese beiden Arme betrugen nach einem Jahr 98% versus 89%, nach zwei Jahren 93% versus 76% und nach drei Jahren 91% versus 66% (Abb. 1a). Das entspricht einer Reduktion des Risikos für Progression oder Tod um 72% (HR 0,28; p = 0,0005). Die Risikoreduktion war vergleichbar für alle untersuchten Subgruppen, ausgenommen die Intermediär- und Niedrigrisiko-Gruppen entsprechend der Mayo-Risikoklassifikation (Abb. 1b). Bei der Lebensqualität zeigte sich kein nennenswerter Unterschied zwischen beiden Armen.