Interview mit Prof. Dr. Frank Griesinger, Klinik für Hämatologie und Onkologie, Pius-Hospital Oldenburg
Beim 59. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Dresden wurde die aktualisierte S3-Leitlinie für das Lungenkarzinom vorgestellt. Zu einigen Aspekten der Molekularpathologie, die bei diesen Tumoren eine besonders wichtige Rolle spielt, äußerte sich Prof. Dr. Frank Griesinger, Hämatologe und Onkologe aus Oldenburg und Mitglied der S3-Leitlinienkomission, im Interview.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Neuerungen der Leitlinie?
Prof. Griesinger: Die neue Leitlinie berücksichtigt die aktuellen Entwicklungen in der Therapie, sowohl in der Immuntherapie für die Erst- und Zweitlinie als natürlich auch in der Behandlung mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI). Sie enthält aber auch klare Empfehlungen für die Resistenztestung nach Versagen der Therapie mit TKI gegen den Rezeptor für epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) der ersten und zweiten Generation. Hierbei findet insbesondere auch die Liquid Biopsy Berücksichtigung.
Welchen Stellenwert hat die Liquid Biopsy aus Ihrer Sicht?
Griesinger: Bei etwa 25–30% der Patienten mit der histologischen Erstdiagnose eines Lungenkarzinoms reicht die Gewebeprobe nicht für eine umfassende genetische Testung. In diesen Fällen kann die Liquid Biopsy mit den adäquaten Verfahren zu einer umfassenden, gewebeschonenden Diagnose führen. Eine noch wichtigere Rolle spielt sie in der Resistenzsituation, was sich in der aktualisierten S3-Leitlinie klar widerspiegelt. Die Liquid Biopsy repräsentiert den Tumor in seiner ganzen Heterogenität, im Gegensatz zur Gewebebiopsie, die nur die genetischen Informationen der biopsierten Tumor-Manifestationen liefert. Wählt man ein Verfahren mit ausreichend hoher Sensitivität, kann man mit einer Liquid Biopsy etwa 50% der Patienten mit TKI-Resistenz eine Re-Biopsie ersparen. Das ist klinisch hochrelevant für die Patienten, die sich somit nicht einer Operation oder einer invasiven Diagnostik unterziehen müssen.
Wie bewerten Sie die Erstattungsfähigkeit der EGFR-T790M-Testung mittels Liquid Biopsy als Neuerung im EBM?
Griesinger: Mit der Etablierung der Liquid Biopsy zur Detektion der T790M-Mutation im EBM ist dieses Verfahren ambulant erstattungsfähig. Das bewerte ich als einen wichtigen ersten Schritt. Es müssen aber sicherlich weitere folgen.
Was sagen Sie zu der gelegentlich geübten Praxis, Patienten aufgrund von klinischen Kriterien für molekularpathologische Analysen wie den EGFR-Mutationstest vorzuselektieren?
Griesinger: Vor einer Therapieentscheidung sollten alle Patienten getestet werden. Das gilt für Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom der Lunge, die nie oder nur leicht geraucht haben, genauso wie für Patienten mit nicht-plattenepithelialem Karzinom. Eine Selektion von Patienten aufgrund klinischer Charakteristika halte ich für nicht adäquat, da diesen möglicherwiese die Chance auf eine hochwirksame zielgerichtete Therapie verwehrt bleibt.
Wie entscheidet man sich, wenn sowohl eine zielgerichtete (bei nachgewiesener „Treibermutation“) als auch eine Immuntherapie infrage kommt?
Griesinger: Die Mutation schlägt immer die Immunonkologie, das heißt, man würde einen mutierten Patienten so lange mit spezifischen Medikamenten behandeln, bis keine solchen mehr zur Verfügung stehen.
Welchen Stellenwert hat die externe Qualitätssicherung bei molekularpathologischen Verfahren?
Griesinger: In Deutschland kann jede pathologische Diagnostik abgerechnet werden, auch ohne Nachweis einer Qualitätssicherung – anders als in der Labormedizin. Als Onkologen sollten wir daher darauf achten, dass sich die Pathologen, mit denen wir zusammenarbeiten, einer externen Qualitätssicherung stellen.
Welche Erwartungen knüpfen Sie an die neuen Leitlinien?
Griesinger: Die Leitlinien sind sehr klar formuliert worden und empfehlen bestimmte Testungen und entsprechende Therapien. Es liegt jetzt an allen Beteiligten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Leitlinien tatsächlich auch komplett umgesetzt werden.