Risikoadapierte Therapie der AML
Bispezifische Antikörper und Immuntoxine
Bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) hat sich die Prognose in den vergangenen Jahrzehnten zwar langsam verbessert, doch besteht immer noch dringender Bedarf an wirksameren Therapiestrategien. Eine Zielstruktur, so Farhad Ravandi, Houston, TX, USA, sei das Zelloberflächenantigen CD123. Es stellt die α-Untereinheit des Interleukin-3-Rezeptors dar; diese bindet an IL-3 und bildet Heterodimere mit mehreren anderen Oberflächenmolekülen, um proliferative und antiapoptotische Signalwege zu induzieren. CD123 findet sich auf frühen hämatopoetischen Vorläuferzellen und Basophilen und wird auf der Oberfläche sämtlicher Zellen von blastischen plasmacytoiden dendritischen Zellneoplasien (BPDCN) exprimiert, aber auch auf mehr als 90 % aller Haarzell-Leukämien und 70–80 % der akuten myeloischen Leukämien – hier vor allem auf leukämischen Stammzellen.
Damit bietet sich das Antigen als Zielstruktur für neue therapeutische Strategien an; als eine davon stellte Ravandi den bispezifischen Antikörper SQZ622 vor: In ihm sind zwei Antikörperfragmente vereinigt, die an CD123 und an das CD3-Antigen auf T-Lymphozyten binden. Dadurch werden leukämische und T-Zellen in engen räumlichen Kontakt gebracht, was in der Lyse der Blasten resultieren sollte.
In einer Phase-I-Studie mit 114 AML-Patient:innen mit median drei Vortherapien war die Ansprechrate insgesamt mit 14,8 % nicht besonders hoch; allerdings schienen Patient:innen mit geringerer Tumorlast (≤ 25 % Blasten) mit 25,9 % Remissionen besser abzuschneiden. Weitere 70 % zeigten eine Krankheitsstabilisierung. Neben einem niedrigen Blastenanteil schien eine geringe Expression des Immuncheckpoint-Liganden PD-L1 ein günstiger prädiktiver Faktor zu sein.
Ein weiterer bispezifischer Antikörper, der CD123 mit CD3 verbinden soll, Flotetuzumab, wurde ebenfalls in einer Phase-I-Studie bei Patient:innen getestet, bei denen eine primäre Induktionstherapie versagt hatte oder die ein frühes Rezidiv aufwiesen. Bereits nach median einem Zyklus zeigten 26 von 44 Patient:innen (59,1 %) eine Reduktion des Blastenanteils mit einer medianen Abnahme um 81 %; bei 34 % ließ sich eine Komplettremission nachweisen.
Eine andere Technologie sind Antikörper-Toxin-Konjugate (ADCs), wie sie etwa bei Lymphomen bereits im klinischen Einsatz sind. Das Präparat PVEK besteht aus einem Anti-CD123-Antikörper und einem daran gekoppelten potenten Zytostatikum. Nach Bindung an die leukämischen Zellen wird der Komplex aufgenommen und das Toxin abgespalten, das erst dann seine Wirksamkeit entfalten kann und lediglich die betroffenen Zellen abtötet.
In einer Phase-Ib/II-Studie wurde PVEK bei Patient:innen mit rezidivierter/refraktärer oder neu diagnostizierter AML mit Azacitidin und Venetoclax kombiniert. Von zehn nicht vorbehandelten Patient:innen erzielten fünf eine Komplettremission, darunter jeweils eine:r mit TP53- bzw. FLT3-TKD-Mutation. Bei dreien konnte bereits am Ende des ersten Zyklus keine minimale Resterkrankung (MRD) mehr nachgewiesen werden.
Offenbar, so merkte Ravandi an, scheinen bei einer höheren Krankheitslast ADCs in Kombination mit anderen antileukämischen Medikamenten aktiver zu sein. Dagegen sollten dem Experten zufolge bispezifische Antikörper eher bei niedriger Krankheitslast zum Einsatz kommen – möglicherweise zur Eradikation einer MRD.
Gegen Makrophagen und NK-Zellen
Neben Immuncheckpoint-Inhibitoren, die die Funktion des adaptiven Immunsystems – vor allem der T-Zellen – verbessern, kommt zunehmend auch die Beeinflussung des angeborenen Immunsystems in den Fokus der Tumorimmunologie. Im Wesentlichen geht es dabei um Makrophagen und natürliche Killerzellen. Ein Molekül, das hierbei eine wichtige Rolle spielt, ist laut Naval Daver, Houston, TX, USA, das Transmembran-Protein CD47. Es wird auf vielen Zellen exprimiert und interagiert mit seinem Liganden SIRPα (Signal-Regulatory-Protein α). Dieser kommt auf Makrophagen und dendritischen Zellen vor. Die Interaktion beider Proteine resultiert in einem „Don't eat me“-Signal, das die Phagozytose inhibiert und unter physiologischen Bedingungen die Immuntoleranz aufrechterhält. Da CD47 das dominante Makro-phagen-Checkpoint-Molekül in den meisten malignen Tumoren ist und seine Expression – zum Beispiel bei der AML – mit einer schlechteren Prognose einhergeht, werden zunehmend Inhibitoren gegen diese immunologische Achse entwickelt.
Der Anti-CD47-Antikörper Magrolimab etwa blockiert die „Don't eat me“-Signale, die von der CD47-SIRPα-Interaktion ausgehen; da das hypomethylierende Azacitidin prophagozytotische „Eat me“-Signale induziert, lässt sich zumindest in Tiermodellen der AML eine synergistische Wirkung beider Substanzen zeigen. Diese Kombination erhielten daher in einer Phase-I-Studie Patient:innen mit myelodysplastischen Syndromen mit hohem Risiko (HR-MDS), von denen etwa drei Viertel ansprachen – ein Drittel mit einer Komplettremission. Bei Patient:innen mit TP53-Mutation war die Wirkung mindestens genauso gut wie bei denjenigen mit Wildtyp. Vorläufige Daten zu einer Dreifachtherapie mit Magrolimab, Azacitidin und Venetoclax bei Patient:innen mit TP53-mutierter, neu diagnostizierter AML zeigen schließlich beinahe eine Verdreifachung des Gesamtüberlebens gegenüber historischen Kontrollen, die nur hypomethylierende Substanzen und Venetoclax erhalten hatten (median 10,4 vs. 3,5 Monate; p = 0,02). Derzeit, so Daver, liefen drei randomisierte Phase-III-Studien mit Magrolimab zur Erstlinientherapie bei AML bzw. MDS.
Erhaltungstherapien zur MRD-Kontrolle
Auch wenn bei der AML gute Remissionen erzielt würden, seien längst nicht alle davon von Dauer, so Andrew Wei, Melbourne, Australien. Erhaltungsstrategien könnten deshalb ein großes Potential bieten, um Rezidive zu verhindern und so die langfristigen Ergebnisse zu verbessern – vor allem für ältere Patient:innen und solche mit hohem Risiko anhand der ELN-Kriterien.
Ein Rezidiv entwickelt sich häufig aus einer minimalen Rest-erkrankung oder bei älteren Patient:innen auch aus einem Stadium mit niedrigen Blastenzahlen. Niedrig dosiertes Cytarabin plus Venetoclax, so Wei, sei gut verträglich, ambulant anwendbar und könne in beiden Situationen hohe Ansprechraten erzielen (69 % MRD-Reduktion bzw. 77 % Komplettremissionen aus einem Rezidiv mit niedriger Blastenzahl).
Ob eine möglichst früh einsetzende, zielgerichtete Erhaltungstherapie Vorteile hat, wird beispielsweise in der Proof-of-Concept-Studie INTERCEPT („Investigating Novel Therapies to Target Early Relapse and Clonal Evolution As Pre-Emptive Therapy in AML“) untersucht. Hier werden verschiedene Marker angewandt, um eine MRD so früh wie möglich zu diagnostizieren und um mit entsprechenden Behandlungsoptionen gegenzusteuern: Bei Auftauchen einer NPM1-Mutation beispielsweise wird Cytarabin-Venetoclax gegeben, bei NPM1-Mutation und MLL-Translokation der potente MLL-Inhibitor Revumenib (SNDX-5613), bei IDH1-Mutationen Ivosidenib und Venetoclax, bei FLT3-ITD-Mutationen Gilteritinib und Venetoclax und bei aberranten Phänotypen in der Durchflusszytometrie der Anti-TIM3-Antikörper Sabatolimab alleine oder in Kombination mit Azacitidin. Primärer Endpunkt der Studie ist ein MRD-Ansprechen innerhalb von 100 Tagen. Perspektivisch, so Wei, sollten Industrie und Zulassungsbehörden die MRD-gerichtete Therapie als Endpunkt für Zulassungen anstreben.
Optimierung der allogenen Stammzelltransplantation
Neue Strategien gegen Graft-versus-Host-Erkrankung
Eine allogene Stammzelltransplantation bedeutet eine maximale antileukämische Aktivität gegen die AML – einen potenten und teilweise auch steuerbaren Anti-Tumor-Effekt, der potentiell gegen alle zytogenetischen Subgruppen wirksam ist. Die Toxizität der allogenen Transplantation hat in den vergangenen 20 Jahren stetig abgenommen – die geschätzte 2-Jahres-Rate für nicht rezidivbedingte Mortalität liegt für fitte Erwachsene mit einem/einer gut gematchten Spender:in derzeit bei etwa 15 %.
Die verbesserte Verfügbarkeit von Spender:innen sowie die verminderte Toxizität durch die Transplantation haben daher die allogene Stammzelltransplantation zu einer zentralen Behandlungsmodalität für die meisten fitten Erwachsenen mit AML in erster Komplettremission werden lassen. Das Rezidivrisiko wird dadurch gegenüber alleiniger Chemotherapie bzw. autologer Stammzelltransplantation um bis zu zwei Drittel reduziert. Das gilt für alle zytogenetischen Risikogruppen anhand der ELN-Kriterien von 2017 und weitgehend unabhängig davon, ob eine minimale Resterkrankung vorliegt oder nicht.
Nach wie vor sei die Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD) ein wesentliches Problem bei der allogenen Transplantation, aber auch hier seien stete Fortschritte zu vermelden, so Charles Craddock, Birmingham, UK. In der Phase-III-Studie BMT CTN 1703 beispielsweise konnte die Gabe von Cyclophosphamid nach der Transplantation in Kombination mit Tacrolimus und
Mycophenolat-Mofetil (PTCy/Tac/MMF) im direkten Vergleich mit der herkömmlichen Tacrolimus-Methotrexat-Kombination die 1-Jahres-Rate für GvHD- und rezidivfreies Überleben von 52,7 % auf 34,9 % senken (HR 0,641; p < 0,001). Verantwortlich dafür war nur ein Rückgang des GvHD-Risikos von 61,9 % auf 44,9 % (p = 0,0004), ohne dass das Rezidivrisiko angestiegen wäre (20,8 % vs. 20,2 %; p = 0,906).
In der Studie war die Konditionierung mit reduzierter Intensität (RIC) erfolgt. Spender:innen und Empfänger:innen hatten ein Matching bei sechs von sechs HLA-Loci (bei Verwandten) oder bei sieben bis acht von acht Loci (bei nicht verwandten Spender:innen) aufgewiesen. Die Ergebnisse sprechen laut Craddock sehr für den Einsatz von Cyclophosphamid post transplantationem.
Transplantation auch bei nicht vollständiger Remission sinnvoll
Auch Patient:innen im Rezidiv oder solche, die auf die Standard-Induktions-Chemotherapien ungenügend angesprochen haben, können direkt für eine allogene Stammzelltransplantation vorbereitet werden, sofern eine HLA-kompatible Spenderin bzw. ein HLA-kompatibler Spender vorhanden ist. Das zeigt laut Craddock die Phase-III-Studie ASAP, die in der Plenarsitzung des vergangenen ASH-Kongresses in New Orleans, LA, USA, vorgestellt worden war.
Bisher hatte man versucht, in dieser Situation mittels aggressiver hochdosierter Chemotherapie vor der Transplantation doch noch eine Komplettremission zu erzielen, weil das als prognostisch günstig galt. Offenbar ist ein solches Vorgehen aber nicht nötig, um die Langzeitprognose zu verbessern.
In der ASAP-Studie erhielten die 281 Patient:innen, die keine MRD-negative Komplettremission erreicht oder bereits ein Rezidiv erlitten hatten, entweder eine hochdosierte Salvage-Therapie, oder sie unterzogen sich einem „Watchful Waiting“: Dabei erfolgte lediglich bei Bedarf eine Krankheitskontrolle mit niedrig dosiertem Cytarabin oder einzelnen Dosen Mitoxantron.
Primärer Endpunkt war eine komplette Remission an Tag 56 nach Transplantation; das Gesamtüberleben zählte zu den sekundären Endpunkten. Das statistische Design der Studie war auf Nichtunterlegenheit der „Watchful Waiting“-Strategie ausgelegt.
Im Kontrollarm erreichte durch die Hochdosis-Remissionsinduktion noch knapp die Hälfte der Patient:innen eine komplette Remission, während im experimentellen Arm drei Viertel bis zur Konditionierung für die allogene Transplantation ohne weitere Chemotherapie auskamen. Hier konnten sie im Median bereits nach 4 Wochen transplantiert werden und mussten median lediglich 19 Tage stationär behandelt werden. Im Vergleich dazu waren es im Kontrollarm median 4 Wochen bzw. 42 Tage (p < 0,001).
Beim primären Endpunkt einer Komplettremission 56 Tage nach der allogenen Transplantation war der experimentelle Arm mit 84,1 % versus 81,3 % jedenfalls nicht unterlegen (p = 0,047); nach einem Jahr waren die Verhältnisse mit 71,5 % gegenüber 69,9 % ganz ähnlich, ebenso beim Gesamtüberleben nach einem Jahr (69,1 % vs. 71,9 %) und nach 3 Jahren (51,0 % vs. 54,2 %). Hingegen erlitten die Patient:innen im Arm mit der Salvage-Therapie zu 64 % Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher, im experimentellen Arm nur zu 23 % (p < 0,001).
Für Patient:innen mit AML, die nicht in kompletter Remission sind, aber eine:n passende:n Stammzellspender:in haben, könnte es daher die beste Option sein, so schnell wie möglich transplantiert zu werden, so Craddock. Auf jeden Fall muss der bisherige internationale Standard, mit einer hochdosierten Chemotherapie zuvor eine Komplettremission zu erreichen, überdacht werden.