Prostatakarzinom: Therapierelevante molekulare Analysen
Auch beim Prostatakarzinom (PCa) gewinnen molekulare Analysen zur Charakterisierung des Tumors an Bedeutung; beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) beeinflussen sie auch Therapieentscheidungen. In der Thematic Session zur Präzisionsmedizin beim mCRPC bemühte sich Prof. Christopher P. Evans, Sacramento, CA, USA, um die Quantifizierung des therapeutischen Nutzens, der sich beim mCRPC aus genomischen Analysen heute ziehen lässt. Hier fokussieren die therapierelevanten molekularpathologischen Untersuchungen derzeit auf den Funktionsverlust von zwei essentiellen DNA-Reparaturmechanismen: der Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen über die Homologe Rekombination (HR) und der Basen-Mismatch-Reparatur. Alterationen, die Gene der Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen über die HR betreffen, wie BRCA1 und BRCA2, ATM, CHEK2, PALB2 und RAD51D, führen zu einer Defizienz der HR (HRD), sodass der Wirkmechanismus der PARP-Inhibitoren zum Tragen kommen kann. Bei knapp 12 % der mCRPC-Patienten liege mindestens eine Alteration dieser Gene in der Keimbahn vor, berichtete Evans. Als Monotherapie kann Olaparib in Deutschland beim mCRPC bei BRCA1/2-Mutationen entweder im
Tumor oder in der Keimbahn nach Vorbehandlung mit einem neuen antihormonell wirksamen Medikament (NHA) eingesetzt werden. Außerdem verwies Evans auf die Checkpoint-Inhibitor-Therapie bei Patienten mit Mismatch-Repair-Defizienz (MMR) bzw. hoher Mikrosatelliteninstabilität (MSI-h), für die in den USA Pembrolizumab tumoragnostisch zugelassen ist. Zwar wiesen nur etwa 3 % aller CRPC MSI-h auf, so Evans, die Erfolgsaussichten der Immuntherapie seien dann aber hoch.
Liquid Biopsy beim mCRPC …
Evans betonte, dass sich das Tumorgenom eines mCRPC auch minimalinvasiv, also mittels einer Liquid Biopsy, bestimmen lasse. Die Analyse der zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) auf Alterationen von 72 derzeit relevanten Genen ergab eine sehr hohe Konkordanz mit der Gewebeanalyse einer Metastase [1]. Am häufigsten nachgewiesen wurden Amplifikationen des Androgenrezeptors (AR), SPOP-Mutationen und inaktivierende Alterationen verschiedener Tumor-Suppressor-Gene. Eine Analyse der ctDNA von 202 noch nicht mit Enzalutamid und Abirateron vorbehandelten mCRPC-Patienten machte deutlich, dass trunkierende Mutationen von BRCA2 und ATM sowie TP53-Inaktivierung zu einem schlechteren Ansprechen auf bzw. zu einer schnellen Resistenzentwicklung unter AR-Inhibitoren führten [2]. Auch die Menge der zirkulierenden ctDNA war laut Evans hochprognostisch: Hohe ctDNA-Level korrelierten mit schlechteren Ergebnissen unter AR-gerichteter Therapie.
… und in früheren Stadien
Auch zur Liquid Biopsy in früheren Stadien des Prostatakarzinoms (PCa) wurden beim EAU neue Daten vorgestellt. Eine südkoreanische Studie untersuchte den Zusammenhang von anhand zirkulierender Tumorzellen (CTCs) gemessener PSA-mRNA bzw. PSMA-mRNA bei der Charakterisierung lokaler PCa und dem Risiko für ein biochemisches Rezidiv nach radikaler Prostatektomie (RP) bei lokal begrenzten oder lokal fortgeschrittenen PCa. Die Blutproben von 92 PCa-Patienten wurden untersucht; in 80,4 % der Proben wurden CTCs gefunden. Eine PSA-mRNA-Expression fand sich bei 31,1 %, eine mRNA-PSMA-Expression bei 48,6 % der Proben, wobei sowohl die Anzahl an CTCs als auch die mRNA-PS(M)A-Expression bei weiter fortgeschrittenen Tumoren zunahm. Die Analyse ergab, dass bei lokal begrenzten und lokal fortgeschrittenen Tumoren die PSMA-Gen-Expression in den CTCs als Biomarker für biochemische Rezidive nach RP herangezogen kann, nicht aber die PSA-Expression [3].
Nierenzellkarzinom: Deeskalation der Immuntherapie?
Eines der Themen einer Session zur Immuntherapie war die Frage, wie bei Nierenzellkarzinomen nach komplettem Ansprechen (CR) auf eine Checkpoint-Inhibitor-Therapie weiter verfahren werden sollte. Möglicherweise sei es gar nicht notwendig, Immuntherapien über lange Zeiträume durchzuführen, und es genügten kürzere Immuntherapien, um den Effekt des „scharfgemachten“ körpereigenen Immunsystems beizubehalten, erklärte Dr. Cristina Suárez, Barcelona, Spanien. In diesem Zusammenhang verwies Suárez auf eine kleine Phase-II-Studie zu intermittierend verabreichtem Nivolumab bei antiangiogen vorbehandelten Patient:innen mit mRCC [4]. Diejenigen, die keine ≥ 10%ige Reduktion der Tumorlast erreichten, erhielten weiter Nivolumab. Bei jenen mit ≥ 10%iger Tumorlastreduktion begann dagegen ein therapiefreies Intervall mit radiographischer Überwachung. Patient:innen, bei denen die Tumorlast wieder um ≥ 10 % zunahm, erhielten erneut Nivolumab. Ging die Tumorlast dann um ≥ 10 % zurück, wurde Nivolumab wieder unterbrochen. Dieses intermittierende Dosierungsschema wurde bis zu einem Krankheitsprogress nach RECIST PD unter Nivolumab-Therapie fortgeführt.
Von den fünf Patient:innen, bei denen Nivolumab unterbrochen wurde, musste nur eine:r aufgrund steigender Tumorlast erneut mit Nivolumab behandelt werden, vier zeigten ein Ansprechen für im Median 34 Wochen. Bei keinem/keiner Behandelten sei es in der Therapiepause zu einem Krankheitsprogress gemäß RECIST gekommen, betonte Suárez.
Zytoreduktive Nephrektomie
Prof. Axel Bex, London, UK, und Amsterdam, Niederlande, beschäftigte sich mit der Rationale für eine ergänzende zytoreduktive Nephrektomie (CN) nach CR unter Immuntherapie. Eine CN könne Patient:innen Tumorfreiheit („no evidence of disease“, NED) ermöglichen, was wiederum einen Stopp der Immuntherapie ermöglichen würde. Es lägen zumindest indirekte Daten aus klinischen Studien zur ergänzenden CN vor. Für die CN spreche auch, dass die CN beim mRCC zur Regression von Metastasen führen könne, so Bex. Die EAU-Leitlinien zur Therapie des RCC sprechen eine schwache Empfehlung dafür aus, mit Patient:innen, die von der Systemtherapie profitieren, eine ergänzende CN zu besprechen [5].
In einer Real-World-Studie mit Nivolumab und Ipilimumab behandelten, nicht nephrektomierten mRCC-Patient:innen zeigte rund ein Drittel ein partielles Ansprechen auf die IO, das mit einer Metastasen-Ansprechrate von 91,3 % assoziiert war. Bei 10 % verschwanden die Metastasen komplett. 89 % dieser Erkrankten lebten noch nach einem Jahr (gegenüber einer OS-Rate von 67 % bei den Betroffenen ohne Ansprechen des Primarius). Bei 13 Patient:innen (18,8 %) wurde eine ergänzende CN durchgeführt, wodurch bei vier Operierten NED erzielt wurde [6]. Ein beim EAU-Kongress vorgestelltes Update der retrospektiven Daten mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 25 Monaten zeigte, dass bei den Patient:innen, die eine (nahezu) CR der Metastasen erzielten und nachfolgend eine CN erhielten, ein dauerhaftes krankheitsfreies Überleben (DFS) erreicht werden kann. Bei den Patient:innen, die kein weiteres Nivolumab erhielten, betrug das mediane DFS 21 Monate [7].
Diese vorläufigen Daten einer sehr kleinen Kohorte seien natürlich mit Vorsicht zu interpretieren, so Bex. Derzeit untersuchen sowohl die NORDIC-SUN- (NCT03977571) als auch die PROBE-Studie (NCT04510597) die ergänzende CN nach Immuntherapie.
Immuntherapie bei papillärem Blasenkarzinom
Die Multikohortenstudie KEYNOTE-057 untersuchte Pembrolizumab bei Patient:innen mit nicht muskelinvasivem Hochrisiko-Blasenkarzinom (HR-NMIBC), die nicht auf eine Instillationstherapie mit Bacillus Calmette-Guérin (BCG) angesprochen hatten und für die keine radikale Zystektomie infrage kam. Beim EAU23 wurden Daten der Kohorte B der Studie vorgestellt mit Patient:innen mit papillärem HR-NMIBC – eine Population, für die bisher kaum konventionelle Therapien zur Verfügung standen, wie Prof. Andrea Necchi, Mailand, Italien, betonte [8]. Im Median hatten die 132 Patient:innen zuvor zehn BCG-Instillationen erhalten. Pembrolizumab wurde über bis zu 35 Zyklen gegeben (etwa 2 Jahre). Bei einem medianen Follow-up von 45,4 Monaten lebten 43,5 % nach 12 Monaten krankheitsfrei, nach 24 Monaten noch 34,9 %. Bei den PD-L1-positiven Erkrankten lag die OS-Rate nach 2 Jahren bei 51,4 %. Aufgeschlüsselt nach PD-L1-Status wurden folgende Ergebnisse für krankheitsfreies Überleben (DFS), progressionsfreies Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS) beobachtet (Tab. 1).