Gemeinsame Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie (GfV) und der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) zur Entwicklung einer Impfung gegen COVID-19
Impfungen sind für den Schutz des Einzelnen und einer ganzen Bevölkerung vermutlich die effektivste Errungenschaft der Medizin. Nur durch die Entwicklung und Anwendung eines Impfstoffs lassen sich Krankheiten und Todesfälle durch bekannte (wie z. B. Pocken, Poliomyelitis oder Masern) und neue Infektionserreger wie SARS-CoV-2 nachhaltig vermeiden.
Die bisher verfügbaren Daten zur Immunität der in Deutschland lebenden Menschen gegen SARS-CoV-2 legen nahe, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung aktuell immunologisch naiv und daher ungeschützt ist. Eine natürliche Immunisierung der Bevölkerung durch SARS-CoV-2-Infektionen bei Aufrechterhalten von Eindämmungsmaßnahmen zum Schutz der Risikogruppen und der medizinischen Versorgungsstrukturen würde viele Opfer (bei Sars-CoV-2 mindestens 1 % der Infizierten) fordern und mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Erste Daten deuten außerdem darauf hin, dass bei Personen nach mildem Verlauf der Erkrankung protektive Antikörper möglicherweise nur in geringer Konzentration nachweisbar sind [1]. Auch deshalb ist die unkontrollierte natürliche Infektion keine gute Immunisierungsstrategie. Erst durch eine Impfung kann bestenfalls eine Gemeinschaftsimmunität erreicht werden, welche die Viruszirkulation effektiv begrenzt.
Derzeit ist noch nicht genau bekannt, was eine protektive Immunantwort gegen SARS-CoV-2 ausmacht. Die bisher vorliegenden Daten zu beim Menschen vorkommenden respiratorischen Coronaviren sowie SARS-CoV-1 und MERS-CoV deuten darauf hin, dass sie nur eine relativ kurz anhaltende Immunität hinterlassen [2–5].
Ein Kandidat für einen SARS-CoV-2-Impfstoff muss daher folgende Anforderungen erfüllen:
- eine schützende und stabile humorale (Antikörper) und zelluläre (T-Zellen) Immunantwort induzieren, die besser ist als die durch eine natürliche Sars-CoV-2-Infektion ausgelöste Immunantwort;
- fehlgesteuerte Immunantworten vermeiden, die im Falle einer erneuten SARS-CoV-2-Infektion zu einem Schaden des Patienten führen könnten;
- idealerweise eine ausreichende Effektivität auch bei vulnerablen und älteren Menschen erreichen.
Derzeit befinden sich etwa 100 Impfstoffkandidaten in verschiedenen Phasen der präklinischen Erprobung [6], sieben sind in klinischen Phase-I-Studien. Dabei werden unterschiedliche Strategien zur Impfstoffentwicklung verwendet, von denen einige altbekannt sind und für die es bereits zugelassene Impfstoffe (attenuierte und inaktivierte Virusimpfstoffe, rekombinante Antigene) bzw. Plattformen gibt. Hier müsste lediglich das Antigen ausgewechselt werden, ohne die Sicherheit der Plattformen erneut beweisen zu müssen – ein möglicher Zeitgewinn. Andere Prinzipien (rekombinante Viren) sind neuer und es gibt nur einen zugelassenen Impfstoff. Manche Prinzipien (virus like particles, mRNA, DNA, artificial APC) sind so neu, dass es noch keine Erfahrungen mit vergleichbaren Impfstoffen gibt, sodass hier mit aufwendigeren Entwicklungsphasen zu rechnen ist.
Es gibt bereits vielversprechende Ergebnisse. Eine unlängst veröffentlichte Studie an Affen (Makaken) zeigte eine Schutzwirkung ohne erkennbare Nebenwirkungen nach Immunisierung mit inaktiviertem SARS-CoV-2 [7]. Außerdem wurde kürzlich über zwei Phase-I-Studien berichtet, in denen rekombinante Viren als MERS-Impfstoff erprobt wurden. In beiden Fällen waren die Impfstoffe immunogen und gut verträglich [8, 9].
Vor dem Hintergrund der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie wäre es ein entscheidender Durchbruch, wenn ein wirksamer und verträglicher Impfstoff rasch zur Verfügung stünde, welcher Risikogruppen schützen und die erforderliche Gemeinschaftsimmunität (Herdenschutz) schnell erreichen könnte. Es ist daher nur allzu verständlich, dass von vielen Seiten auf die möglichst rasche Entwicklung, eine zügige Bereitstellung und eine breite Anwendung eines Impfstoffes gedrängt wird. Dabei müssen die verschiedenen Phasen von der Impfstoffentwicklung bis zur Zulassung und dem Aufbau der unterschiedlich anspruchsvollen Produktions- und Verteilungsprozesse berücksichtigt werden.
Dennoch gibt es Möglichkeiten, den komplexen Prozess von der Impfstoff-Entwicklung bis zum massenhaften Einsatz zu beschleunigen. Ein Beispiel ist der Aufbau von Produktionsanlagen für einen Impfstoff, der noch in der Phase der klinischen Erprobung ist. Auch andere Entwicklungsschritte, die üblicherweise sequentiell erfolgen, können parallelisiert werden. Es ist äußerst begrüßenswert, dass gegenwärtig weltweit zahlreiche Impfstoffkonzepte entwickelt und verfolgt werden, darunter auch Kandidatenimpfstoffe aus Deutschland.
Für einige Coronaviren und einige Impfstoffkandidaten wurde gezeigt, dass sie auch solche Immunantworten auslösen können, die im Falle einer Re-Infektion schädlich sind [10–13]. So führte ein bestimmter Impfstoff gegen das SARS-Coronavirus im Rhesusaffenmodell zu einer stärkeren – durch die induzierten Antikörper vermittelten – Lungenschädigung bei einer nachfolgenden Infektion, als dies bei nicht-geimpften Kontrolltieren der Fall war [14]. Dies deutet darauf hin, dass die induzierten Antikörper Infektions-verstärkende Wirkungen entwickelt hatten [15–17], wie sie auch häufig bei schwer verlaufenden natürlichen Dengue-Virus-Infektionen vorkommen [18]. Erste Beobachtungen bei schweren Verlaufsformen von COVID-19-Erkrankungen legen außerdem verschiedene immunpathologische Vorgänge nahe, die u. a. von einem Zytokinsturm, also einer überschießenden Immunreaktion, begleitet werden [19–21].
In der Geschichte gab es Impfstoffe mit zu starken Nebenwirkungen und Impfstoffe, mit denen das Ziel eines sicheren Schutzes nicht erreicht, sondern eher Schaden verursacht wurde [22–24]. Ein Beispiel ist der erste Masernvirus-Totimpfstoff, nach dessen Anwendung es im Falle von Maserninfektionen zu schweren Erkrankungen kam [22, 23]. Bei dem seit Langem eingesetzten Masernlebendimpfstoff kommt diese Komplikation nicht mehr vor.
Als wissenschaftliche Fachgesellschaften für Virologie bzw. Immunologie, in der u. a. Fachleute für Impfungen und Impfempfehlungen organisiert sind, fühlen wir uns verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass es bei aller wünschenswerten und regulatorisch möglichen Beschleunigung der Zulassung von Impfstoffen essenziell ist, jeden neuen Impfstoff hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ausreichend und sorgfältig zu prüfen. Die Bestimmung von umfassenden immunologischen Biomarkern ist dabei notwendig, um Parameter für die immunologische Schutzwirkung definieren zu können. Schutzwirkung und Verträglichkeit der Impfstoffe müssen in kontrollierten, ausreichend umfangreichen Tierversuchen und klinischen Studien untersucht worden sein, bevor eine breite Anwendung in der Bevölkerung denkbar ist, wobei weitere Studien auch nach der Zulassung erforderlich sein werden. Auch bei einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2 muss nicht nur sichergestellt sein, dass die Impfung gut vertragen wird, sondern auch, dass es bei einer Infektion nach Impfung nicht zu unerwünschten Immunphänomenen kommt, sondern zur sicheren Vermeidung von Infektionen bzw. Erkrankungen. Die Entwicklung eines solchen Impfstoffs wird bestenfalls ein bis eineinhalb Jahre beanspruchen; es könnte aber auch deutlich länger dauern oder mittelfristig nicht realisierbar sein.
Auch deshalb brauchen wir verstärkte und zielgerichtete Forschung zur Heterogenität der menschlichen Immunantwort auf Infektionserreger und Impfstoffe.
Fazit
Es wird dringend eine Impfung gegen Sars-CoV-2 gebraucht, um die Bevölkerung zu schützen – weltweit. Eine natürliche Durchseuchung ist keine Option.
Weltweit werden gemeinsame Anstrengungen für eine Impfstoffentwicklung unternommen – dafür müssen international Ressourcen für eine beschleunigte Forschung, Entwicklung und Produktion bereitgestellt werden.
Die Impfstoffkandidaten müssen sehr sorgfältig klinisch getestet werden, auch, um unerwünschte Nebenwirkungen möglichst auszuschließen.