Im Wettlauf mit der Pandemie: Impfstoffentwicklung gegen COVID-19
Gegen COVID-19 werden mehr als 150 Impfstoffe entwickelt – mehr als je gegen eine andere Krankheit zuvor, und in nie gekannter Geschwindigkeit. Die beteiligten Unternehmen und Forschungsinstitute setzen auf unterschiedliche Impfstofftypen, vor allem Vektorviren-, Subunit- und genbasierte Impfstoffe. Bislang ist nicht zu erkennen, dass ein Typ den anderen kategorisch überlegen wäre. 20 Impfstoffe werden bereits mit Freiwilligen erprobt. Noch kann ihre Schutzwirkung aber nicht abgeschätzt werden. Deutsche Unternehmen und Forschungsinstitute entwickeln acht eigene Impfstoffe und tragen zu Impfstoffen weiterer Unternehmen bei.
Schlüsselwörter: COVID-19, SARS-CoV-2, Impfstoff, Vektorviren
Die COVID-19-Pandemie, verursacht durch das Coronavirus SARS-CoV-2, hält an. Aber Impfstoffprojekte gegen diese Krankheiten kommen zügig voran. Bereits Anfang Februar 2020 – nur kurz nach der Veröffentlichung der Sequenz des Virus am 12. Januar – hatten schon mindestens sechs Unternehmen damit begonnen. Mitte Juni 2020 waren dann mehr als 150 Projekte bekannt [1]. Gegen andere Krankheiten wurden selten mehr als ein Dutzend Impfstoffprojekte gleichzeitig vorangetrieben; und auch das SARS-Virus (inzwischen SARS-CoV-1 genannt), das 2003 pandemisch zu werden drohte, führte lediglich zu rund 25 Impfstoffprojekten, von denen aber keines abgeschlossen werden konnte [2]. Beispiellos ist auch die Geschwindigkeit, mit der einige dieser Projekte vorankommen: Am 7. Juli waren bereits 20 Impfstoffe in der Erprobung mit Freiwilligen, für weitere ist das angekündigt.
Impfstoffentwicklung unterZeitdruck
Trotz der hohen Dringlichkeit haben sich auf internationaler Ebene die Zulassungsbehörden – darunter die von EU, USA und Japan – darauf verständigt, dass bei den Entwicklungsprojekten keine Etappe ausgelassen werden kann. So umfasst jedes Projekt die üblichen sieben Abschnitte (siehe Abb. 1), mit der Besonderheit, dass mehrere Unternehmen bereits um den Start des klinischen Entwicklungsprogramms herum mit dem Aufbau oder der Umrüstung der großtechnischen Produktionsanlagen begonnen haben – was sonst typischerweise erst während der letzten klinischen Prüfung erfolgt [3].
Diese Unternehmen nehmen dabei bewusst in Kauf, die produzierte Ware entsorgen zu müssen, falls die Studienergebnisse am Ende doch negativ ausfallen.
Die Arzneimittelbehörden haben zugesagt, alle Anträge zu COVID-19-Impfstoffen prioritär zu bearbeiten und Rolling Submissions zu akzeptieren – also das vorgezogene Einreichen von Antragsteilen, noch ehe sämtliche erforderlichen Daten und Unterlagen verfügbar sind. So kann beispielsweise schon das Design einer geplanten Anschluss-Studie geprüft und nötigenfalls überarbeitet werden, während noch auf Daten aus der laufenden klinischen Prüfung gewartet wird. So ein Vorgehen hat beispielsweise ermöglicht, dass vor der deutschen Phase-I-Studie der Unternehmen BioNTech/Pfizer bzw. CureVac zwischen Einreichen des letzten Antragsteils und der Genehmigung nur vier bzw. neun Tage erforderlich waren [4, 11]. Dies bringt einen wesentlichen Zeitgewinn gegenüber dem normalen Antragsverfahren, allerdings um den Preis von vergeblichem Arbeitsaufwand, wenn die Ergebnisse der laufenden Studie eine Anschlussstudie oder einen Zulassungsantrag nicht rechtfertigen.
Wie schnell Immunisierungskampagnen mit zugelassenen Impfstoffen begonnen werden können, hängt nicht nur vom Entwicklungstempo, sondern auch von den Produktionskapazitäten ab. Deshalb ist es auch nicht so entscheidend, wer zuerst eine Zulassung erhält, sondern dass möglichst viele Impfstoffe die Zulassung erreichen und unter Nutzung vieler Produktionsanlagen hergestellt und weltweit verteilt werden können.
Etliche Unternehmen und Forschungsinstitute haben in den letzten Wochen ihre eigenen Kapazitäten erweitert oder solche durch Kooperation mit anderen Impfstoff- oder Lohnfertigungsunternehmen hinzugewonnen. Einige Beispiele [3]: BioNTech und Pfizer werden unternehmenseigene Produktionsstätten in Deutschland, Belgien und an drei US-Standorten nutzen. Einen Impfstoff des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) wird IDT Biologika in Dessau herstellen. Der Impfstoff, den die Universität Oxford mit AstraZeneca entwickelt, soll auch von Halix (Niederlande) und Serum Institute of India produziert werden. Sanofi und GSK wiederum kooperieren für ihren gemeinsamen Impfstoff mit Unigen in Japan. GSK stellt darüber hinaus seine Adjuvantien noch weiteren Herstellern für deren Impfstoffe zur Verfügung. Die Forschungsorganisation IAVI fand in MSD, das Massachusetts General Hospital in Novartis einen Industriepartner. Das zeigt die hohe Bereitschaft der Pharma- und Biotech-Industrie, im Kontext von COVID-19 rasch und umfassend zu kooperieren.
Als möglicher Flaschenhals für die Versorgung wurde die Verfügbarkeit von Abfüllanlagen und Durchstichfläschchen ausgemacht. Deshalb will beispielsweise die Bundesregierung (neben der Impfstoffentwicklung) den Ausbau solcher Abfüllanlagen mit bis zu 250 Millionen Euro fördern [5]. Was die Glaswaren betrifft, haben große Anbieter und die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI, siehe unten) ausreichend Kapazität in Aussicht gestellt [12, 13].
Die meisten Experten gehen davon aus, dass Impfkampagnen mit zugelassenen Impfstoffen 2021 beginnen können – und auch das nur, wenn sich bei der Erprobung und Produktion keine größeren Hindernisse auftun. Einzelne Unternehmen arbeiten nach eigenen Angaben darauf hin, bereits im September oder im letzten Quartal 2020 umfassend liefern zu können [6]. Wie viele Dosen letztlich benötigt werden, hängt zudem davon ab, wie viele Injektionen für den Schutz erforderlich sind. Auch die Impfbereitschaft der Bevölkerung in verschiedenen Ländern hat einen wesentlichen Einfluss.
Typen von Impfstoffen
Die Unternehmen und Forschungsinstitute arbeiten an COVID-19-Impfstoffen unterschiedlichen Typs. Die meisten gehören zu den folgenden drei Gruppen [1]:
Lebendimpfstoffe mit Vektorviren: Als Basis dienen beispielsweise MVA (Modifiziertes Vacciniavirus Ankara), Masern-Impfviren oder ChAd, ein Adenovirus aus Schimpansen. Ihre technische Handhabung ist gut etabliert. Für die neuen Impfstoffe wurden sie rekombinant um SARS-CoV-2-Gene erweitert, insbesondere für das für den Zelleintritt entscheidende Spikeprotein. Einige dieser Viren sind replikationskompetent, andere nicht. Auch wenn die Vektorviren-Technologie schon länger genutzt wird, sind bislang nur wenige solche Humanimpfstoffe zugelassen (gegen Ebola und Dengue-Fieber).
Subunit-Impfstoffe mit Virusproteinen: Diese Impfstoffe enthalten ausgewählte modifizierte Virusproteine oder daraus gebildete Virus-Like Particles (VLP), außerdem Adjuvantien. Die Virusproteine werden rekombinant hergestellt – wie etwa bei den Impfstoffen gegen Hepatitis B und HPV-Infektionen.
RNA/DNA-basierte Impfstoffe: Diese Impfstoffe enthalten ausgewählte Gene des Virus in Form von mRNA oder DNA, verarbeitet mit einer Galenik, die die empfindlichen Moleküle schützt. Das Erbmaterial soll nach der Injektion im Körper die Bildung von Virusproteinen hervorrufen, die dann den Aufbau des Immunschutzes bewirken. Allerdings ist bislang noch gegen keine Krankheit ein solcher Impfstoff auf dem Markt; auch liegen keine Phase-III-Daten vor, nur positive Resultate zum Hervorrufen einer Immunreaktion. Positiv ist, dass für solche Impfstoffe nur sehr geringe Mengen an mRNA bzw. DNA pro Impfdosis benötigt werden, was die Großproduktion erleichtert.
Daneben werden aber auch klassische Impfstoffe mit inaktivierten oder attenuierten SARS-CoV-2 entwickelt und einige weitere Arten von Vakzinen.
Unterschiede gibt es auch bei den Applikationsformen [3]. In erster Linie werden injizierbare Impfstoffe entwickelt. Doch soll ein oral anzuwendender Impfstoff mit chimären Antigenen das Immunsystem in Mund und Rachen adressieren. Eine bei Raumtemperatur lagerfähige Tablette soll Vektorviren in den Dünndarm bringen. Vier Projekte zielen auch auf nasal zu applizierende Impfstoffe ab: ein mRNA-Impfstoff, zwei Vektorviren-Impfstoffe und ein Impfstoff mit genmodifizierten Bifidobakterien.
Stand der Impfstoffprojekte
Eine Reihe von Institutionen und Organisationen versucht, den Stand möglichst vieler Impfstoffprojekte zeitnah zu verfolgen. Tabelle 1 zeigt eine Auswahl.
Institution | Webressource | Webadresse | Bemerkung |
Weltgesundheits-organisation WHO | Draft landscape of COVID-19 candidate vaccines | who.int/who-documents-detail/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines | erfasst nicht alle laufenden Projekte |
Vaccine Centre at the London School of Hygiene & Tropical Medicine | COVID-19 vaccine development pipeline | vac-lshtm.shinyapps.io/ ncov_vaccine_landscape/ | tabellarisch und grafisch |
Milken Institute (USA und Singapur) | COVID-19 Treatment and Vaccine Tracker | milkeninstitute.org/covid-19-tracker | |
New York Times | Coronavirus Vaccine Tracker | nytimes.com/interactive/2020/science/coronavirus-vaccine-tracker.html | vollständig erst ab Phase I |
BioRender (Toronto, Kanada) | COVID-19 Vaccine Tracker | biorender.com/covid-vaccine-tracker | mit Grafiken |
Bis 7. Juli hatten 20 Projekte bereits das Stadium der klinischen Prüfung erreicht, mehrere Projekte sogar schon die Phase III (siehe Abb. 2).
Dabei zeigte sich kein systematischer Vorteil für einen bestimmten Impfstofftyp: Es waren sowohl RNA/DNA-basierte als auch Vektorviren- und Subunit-Impfstoffe dabei, wie auch Impfstoffe mit inaktivierten Viren und modifizierten Immunzellen.
Einige Ergebnisse aus Tierversuchen und Phase-I-Prüfungen mit Impfstoffen wurden bereits veröffentlicht (teilweise über Pressemitteilungen), doch erlauben sie noch keine Bewertung der Eignung der Impfstoffkandidaten für Schutzimpfungen. Man kann nur erkennen, dass bislang noch keines der fortgeschrittenen Projekte in eine Sackgasse gelaufen ist.
Impfstoffe gegen andere Coronaviren
Gute Vorbereitung auf den Fall eines pandemischen „Erregers X“ war wesentlich für den bisherigen Erfolg vieler Projekte. In mehreren Fällen konnten die Unternehmen und Institute zudem auf Erfahrungen mit anderen Coronaviren aufbauen, etwa dem SARS-Virus (siehe oben). Zu den Coronaviren gehört auch das seit 2012 bekannte MERS-Virus, der Erreger des schweren Middle East Respiratory Syndrome. Seit einigen Jahren arbeiten mindestens vier Unternehmen und mehrere Forschungsgruppen an Impfstoffen dagegen. Dazu zählen u. a. das DZIF und IDT Biologika, deren Impfstoff bereits mit Freiwilligen erprobt wurde [7].
Das israelische Galilee Research Institute (MIGAL) wiederum nutzte seinen schon zuvor entwickelten Impfstoff gegen das Infectious Bronchitis Virus (IBV) – ein Coronavirus bei Geflügel – als Vorbild für seinen COVID-19-Impfstoff [8].
Finanzielle Unterstützung
Wesentlich für die hohe Geschwindigkeit von Entwicklung und Produktionsaufbau ist auch die rasche und umfassende finanzielle Unterstützung, die viele Unternehmen erhalten oder zugesagt bekommen haben. Sie ergänzt die Eigenmittel, die die Unternehmen aufbringen. Das Geld kommt vor allem von den Regierungen vieler Länder (auch Deutschland) und der EU. Ein weiterer wichtiger Finanzier ist CEPI, die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations. Sie wurde 2017 gegründet und wird von vielen Regierungen (auch der deutschen) sowie der Bill & Melinda Gates Foundation und dem Wellcome Trust getragen [9].
Die Rolle Deutschlands
In Deutschland werden vergleichsweise viele Projekte für Impfstoffe gegen Covid-19 vorangetrieben. Das zeigt auch eine interaktive Karte unter www.vfa.de/corona-karte von vfa (Verband der forschenden Pharma-Unternehmen), BIO Deutschland und der österreichischen PHARMIG. Einen Impfstoff entwickeln folgende Unternehmen und Forschungseinrichtungen:
- CureVac (Tübingen): Impfstoff auf mRNA-Basis
- BioNTech / Pfizer (Mainz): Impfstoff auf mRNA-Basis
- Prime Vector Technologies (Tübingen): Vektorviren-Impfstoff (Parapoxvirus)
- Leukocare (Planegg) mit ReiThera (Italien) und Univercell (Belgien): Vektorviren-Impfstoff (Adenovirus)
- ARTES Biotechnology (Langenfeld, Rheinland): VLP-Impfstoff
- Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (Braunschweig) / Universität München / Universität Marburg / Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf / IDT Biologika (Dessau): Vektorviren-Impfstoff (MVA)
- Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (Braunschweig) / CanVirex (Basel, Schweiz): Vektorviren-Impfstoff (Masern-Impfvirus)
- das Start-up baseclick (Neuried bei München): Impfstoff auf mRNA-Basis
Außerdem wirken die folgenden Unternehmen und Forschungsinstitute unterstützend bei der Impfstoffentwicklung und -produktion mit:
- Merck (Darmstadt): Bau von Produktionsanlagen für den Vektorviren-Impfstoff der Universität Oxford; Prozessentwicklung für Baylor College of Medicine, Texas
- Vibalogics (Cuxhafen): Produktion von Komponenten für den Vektorviren-Impfstoff von Janssen
- CEVEC Pharmaceuticals (Köln): Produktion von Komponenten für undeklarierten Impfstoff
- Richter-Helm BioLogics (Hamburg): Produktion von DNA-Material für den Impfstoff von Inovio (USA)
- Universität Gießen, im OpenCorona-Konsortium (Führung: Karolinska-Institut, Schweden): Impfstoff auf DNA-Basis
- Tropeninstitut der Universität Tübingen, im PREVENT-nCoV-Konsortium (Führung: AdaptVac, Dänemark): Totimpfstoff
- Bayer (Leverkusen): Bereitstellung von Produktionskapazitäten
Für ein rasches Überwinden der Pandemie wäre es allerdings wenig sinnvoll, daran anknüpfend auf eine Art „nationale Selbstversorgung“ zu setzen. Denn noch lange wird offenbleiben, welche Impfstoffe die Zulassung erreichen – und wie schnell und in welchem Umfang die geplanten Produktionskapazitäten realisiert werden können.
Schlüssiger ist daher der Ansatz, dass jeder zugelassene und in Deutschland produzierte Impfstoff vielen Ländern zur Verfügung stehen sollte und umgekehrt Deutschland Impfstoffe auch aus anderen Ländern beziehen kann, wenn diese für den Einsatz hierzulande zugelassen sind.