Design und Funktionsweise von Vektor-basierten Impfstoffen

Aus der Klinischen Forschung

Impfstoffe – basierend auf viralen Vektoren – sind eine vielversprechende Alternative zu „klassischen“ Impfstoffen, besonders für „neuartige“ Krankheitserreger, gegen die noch keine wirksamen Impfstoffe zur Anwendung im Menschen zur Verfügung stehen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist VSV-ZEBOV, ein auf dem Vesikulären Stomatitis-Virus beruhender Ebolavirus-Impfstoff, welcher im Moment zur Bekämpfung der Ebolavirus-Epidemie im Kongo einen wichtigen Beitrag leistet. In diesem Artikel stellen wir verschiedene virale Impfstoffvektoren und Möglichkeiten des rationalen Impfstoffdesigns vor und gehen auf einige Vor- und Nachteile gegenüber „klassischen“ Impfstoffen ein.

Schlüsselwörter: Impfungen, virale Impfvektoren, Virusinfektion, viraler Vektor

Die östlichen Provinzen Ituri und Kivu der Demokratischen Republik Kongo leiden seit mehr als zwei Jahrzehnten an brutalen und unübersichtlichen kriegerischen Konflikten, als im April 2018 einige Ebolavirus-Erkrankungen gemeldet werden. Bis September 2019 wird die Anzahl der bestätigten Ebolavirus-Erkrankungen auf über 3.000 Fälle steigen, bei einer Todesrate von ca. 70 %; seit Juli 2019 wird diese Epidemie von der WHO als globaler Notfall eingestuft. Alleine in den ersten drei Augustwochen 2019 wurden nahezu 300 Fälle gemeldet1). Schnelle, spezifische molekulare Diagnose und Isolierung von Ebola-Patienten waren bei der erfolgreichen Kon­trolle der westafrikanischen Ebola-Epidemie in den Jahren von 2013 bis 2016 von zentraler Bedeutung, sind jedoch durch die kriegerischen Handlungen im Kongo stark erschwert. Allerdings stehen in dieser neuen Epidemie Vektor-basierte virale Impfstoffe zur Verfügung. Seit August 2018 wurden 200.000 Kongolesen mit dem rekombinanten, replikationskompetenten Ebola-Impfstoff VSV-ZEBOV geimpft2). VSV-ZEBOV basiert auf dem Vesikulären Stomatitis-Virus (VSV), in welchem das Glykoprotein G von VSV gegen das Ebola-Glykoprotein ausgetauscht wurde. VSV-ZEBOV wurde als Reaktion auf die westafrikanische Epidemie hinsichtlich Sicherheit und Immunogenität getestet [1], und seine klinische Effizienz konnte im Verlauf derselben Epidemie demonstriert werden [2]. Erste Daten zeigen, dass dieser Impfstoff auch in der aktuellen Epidemie im Kongo bereits kurz nach einer einzelnen Immunisierung hochwirksam ist3). Ein großangelegter Test weiterer Ebola-Impfstoffe auf Basis adenoviraler (Ad, Serotyp 26) und pockenviraler Vektoren (Modified Vaccinia Ankara (MVA) Vektoren) wird nun in der aktuell grassierenden Kongo-Epidemie von der WHO empfohlen.
Neben Ebola sind es vor allem weitere Viren, gegen welche Vektor-basierte Impfstoffe entwickelt werden. Hierzu zählen HIV, weitere Filo-Viren (Marburg), Corona-Viren (SARS/MERS) und Flavi-Viren (z. B. Zika-Virus). Seit 2015 wird in Endemiegebieten zudem die poly­valente Dengue-Virus-Impfung Denvaxia® eingesetzt, die auf einem genetisch modifizierten, attenuierten Gelbfieber-Virus basiert.

Virale Vektoren ermöglichen eine transiente Produktion von transgenen Impfantigenen in vivo

Virale Vektoren ermöglichen es, transgene Impfantigene im Kontext der natürlichen, angeborenen Immunantwort gegen den viralen Impfvektor in vivo zu exprimieren, um so eine Impf­antigen-spezifische adaptive Immunantwort zu induzieren. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an verschiedenen Viren zur Herstellung von viralen Impfvektoren [3]. Verschiedene Faktoren, wie das Sicherheitsprofil, ihre genetische Stabilität, die Qualität, Quantität und Dauer der Immunreaktion, die Kosten der Produktion, Vektor-spezifische Immunantworten und die Kapazität des Impfvektors für fremde Impfantigene beeinflussen die Wahl eines Vektors für eine spezifische Anwendung. Virale Impfvektoren können entweder replikationskompetent, wie z. B. der oben beschriebene VSV-ZEBOV-Vektor, oder replikationsinkompetent, wie z. B. adenovirale Vektoren, sein. Sie können auf RNA- (z. B. VSV oder Masernviren) oder auf DNA-Viren (z. B. Pockenviren oder Adenoviren) basieren und eine Hülle haben (z. B. VSV oder Pockenviren) oder auch unbehüllt sein (z. B. Adenoviren).
Eine wichtige Eigenschaft viraler Vektoren ist, dass sie unter anderem gut geeignet sind, virale Hüllproteine korrekt gefaltet und glykosyliert in vivo zu exprimieren, was die Induktion einer effizienten antiviralen Antikörperantwort begünstigt. Für bestimmte umhüllte Viren ist es außerdem möglich, das fremde Glykoprotein in die Membran des viralen Vektors einzubauen. Ein Beispiel hierfür ist eine modifizierte Variante von VSV, das VSV-GP, welches nach einem sehr ähnlichen Prinzip wie das oben beschriebene VSV-ZEBOV konstruiert ist. VSV-GP-Vektoren, welche eine HIV-Env­Variante exprimieren, die ins Partikel eingebaut wird, haben im Tiermodell höhere Antikörpertiter induziert als VSV-GP-Varianten, welche lösliches Env kodieren [4]. Des Weiteren ermöglichen es Vektoren aller Art, die kodierten Impfantigene intrazellulär zu exprimieren und somit auch starke CD8-T-Zell­antworten zu induzieren.

Rationales Impfstoffdesign

Aufgrund der vielfältigen biologischen Eigenschaften (u. a. Zeit der Persistenz) und immunologischen Unterschiede (z. B. IFNα-Sensibilität) der verschiedenen Vektorsysteme ist es im Prinzip möglich, die Art der Impfantigen-spezifischen Immunantwort ganz bewusst in eine bestimmte Richtung zu lenken. Virale Vektor-basierte HIV-Impfungen wurden z. B. ursprünglich vor allem mit dem Ziel eingesetzt, eine starke CD8-­T-Zellantwort gegen besonders konservierte Bereiche des AIDS-Virus zu induzieren [5]. Möglichkeiten des rationalen Designs betreffen zudem die kodierten Immunogene, welche intrazellulär, membranständig oder auch als sekretierte molekulare Form exprimiert werden können. Die Impfantigene können außerdem in der Form exprimiert werden, wie sie auch natürlicherweise im Pathogen vorkommen, oder gezielt modifiziert werden, um eine bessere Quantität oder Qualität an Immunreaktion zu induzieren. Für Erreger wie HIV, für welches viele verschiedene Varianten existieren, und das sehr schnell mutieren und somit einer vorhandenen Immun­antwort ausweichen kann, werden z. B. Mosaik- oder Consensus-Antigene verwendet [6, 7]. Eine weitere Strategie ist es, das Impfantigen in einer für die Induktion von protektiven Immun­antworten vorteilhaften Konformation zu stabilisieren. Beispiele hierfür sind stabilisierte native Trimere für das HIV-Hüllprotein oder ein in der Prä-Fusions-Konformation stabilisiertes Fusionsprotein des Re­spiratorischen Synzytial-Virus.
Virale Impfvektoren sind in der Regel so konstruiert, dass sie nicht ins Genom der Zielzelle integrieren, um das Risiko von z. B. Insertionsmutagenese zu minimieren. Die meisten viralen Impfvektoren exprimieren die Impfantigene im Patienten nur transient, was jedoch in der Regel genügt, um gute Immunreaktionen zu induzieren. Damit stehen sie, obwohl zum Teil für beide Anwendungen überlappende Vektoren verwendet werden, im Gegensatz zu viralen Gentherapievektoren, für welche in der Regel eine dauerhafte Expression des therapeutischen Genprodukts erwünscht ist. Virale Impfvektoren vermehren sich oft entweder gar nicht, oder nur für eine begrenzte Zeit im Geimpften, bis sie durch das Immunsystem kontrolliert und eliminiert werden, wie zum Beispiel VSV-ZEBOV oder das Gelbfieber-Virus-basierte Vektorsystem Chimerivax. Hoch interessant und vielversprechend sind jedoch auch Ansätze mit persistierenden Impfvektoren wie Herpesviren. Die Gruppe um Louis Picker z. B. entwickelt einen Cytomegalievirus-Vektor als Impfstoff für HIV und TB, der nach der Impfung persistiert. In nicht-humanen Primaten-Modellen induziert dieser Cytomegalievirus-Vektor starke, sehr breite und nicht-konventionelle Effektor-memory T-Zellantworten gegen die kodierten Impfantigene. Im Fall der HIV-Impfung kommt es in etwa der Hälfte der Tiere zu einer kompletten Kontrolle/Auslöschung des AIDS-Virus trotz trans­ienter Viremie [8, 9]. Ob und in welchem Krankheitskontext solche persistierenden Impfvektoren auch erstmals klinisch erprobt werden dürfen, ist im Moment noch ungewiss.

Das Problem mit Vektor-spezifischen Immunantworten

Ein wichtiger Faktor, der die Effizienz vieler viraler Impfvektoren einschränken kann, ist eine durch Antikörper und/oder T-Zellen vermittelte Vektor-spezifische Immunität, welche unter Umständen auch deren Sicherheitsprofil beeinflussen kann [10]. Ein Beispiel hierfür ist, wie weiter unten beschrieben, die Step-HIV-Impfstoffstudie. Um das Problem der Vektor-spezifischen Immunantwort zu umgehen, werden virale Vektoren häufig in heterologen Prime-/Boost-Kombi­natio­nen verwendet, weil eine einzelne Impfung mit replikationsinkompetenten Impfvektoren meist keine ausreichende Immunität gegen das Zielpathogen induziert. Dabei kann der Kombinationspartner entweder ein weiterer viraler Vektor sein, oder es können nicht-virale Impfstoffe (DNA, RNA, Protein, Peptide) verwendet werden. Zudem werden gezielt Virusgenotypen verwendet, welche in der menschlichen Bevölkerung selten sind. So werden zum Beispiel die früher oft eingesetzten Adenovirus-5-Impfvektoren mittlerweile häufig durch die selteneren Adenovirus-Serotypen (vor allem Ad26 und Ad35) ersetzt [11]. Generell ist es im Menschen jedoch wenig erforscht, wie lange und wie stark sich Vektor-spezifische Immunität auf Folgeimpfungen auswirkt. So kann häufig nach einem längeren Zeitraum mit demselben Vektor eine bereits existierende Pathogen-spezifische Immunantwort, welche mit demselben Vektor induziert wurde, nochmals geboostet werden [12].
Die Wahl des Impfvektors, der Kombinationspartner und der Antigene kann auch die Art der Immunantwort bestimmen. Für erste HIV-Impfstoffstudien wurden z. B. rekombinante Hüllproteine verwendet mit dem Ziel, breit neutralisierende Antikörper zu induzieren (Vax003- und Vax004-Studien). Nachdem diese Strategie nicht erfolgreich war, wurden die Step- und Phambili-Studien durchgeführt, die in erster Linie zytotoxische T-Zellantworten induzieren sollten [13]. Hierfür wurden replikationsinkompetente adenovirale Vektoren verwendet. Als Antigene für diese Studien wurden HIV-Gene ausgewählt, welche wenig variable, immundominante T-Zell­epitope enthalten (gag, pol, nef), jedoch nicht das hochvariable HIV-Hüllprotein Env. Diese T-Zell-basierte Impfstrategie war leider nicht erfolgreich [13]. Im Gegenteil: In bestimmten Untergruppen dieser Studie (nicht beschnittene Männer mit hoher prä-existierender Immunantwort gegen den adenoviralen Vektor Ad5) kam es sogar zu vermehrten HIV-Infektionen in geimpften Personen [13]. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass prä-existierende Adenovirus-spezifische T-Helferzellen durch die Impfung aktiviert wurden und dadurch leichter von HIV infiziert werden konnten [14]. Dieses Beispiel zeigt, dass Vektor-spezifische Immunantworten (prä-existierend oder durch die Immunisierung induziert) möglicherweise die Sicherheit von viralen Vektoren beeinflussen können. Parallel mit den Step- und Phambili-Studien wurde eine weitere große HIV-Impfstoffstudie gestartet, die RV144-Studie [15]. Ziel dieser Studie war es, sowohl T-Zellantworten gegen HIV zu induzieren als auch schützende Antikörper. In dieser Studie wurde ein Canarypox-Vektor, welcher Env, Gag und Pol enthielt und sowohl T-Zellantworten und Antikörper induzieren sollte, mit einem Hüllprotein-Boost zur Antikörper-Steigerung kombiniert. RV144 war die bisher einzige HIV-Impfstoffstudie, welche eine zumindest moderate Effizienz zeigte.

Fazit

Generell besteht immer noch ein großer Bedarf an neuartigen Impfstoffen für eine Vielzahl von Erregern. Für die Entwicklung neuer Impfstoffvektoren sind eine Vielzahl an Kompetenzen nötig (Design von Vektor und Immunogen, Wahl der Kombinationspartner, präklinische Testung in Tiermodellen, regulatorische Aspekte, klinische Erprobung und Immunomonitoring etc.). Hierzu sind vor allem multinationale Konsortien, wie z. B. EU-geförderte Projekte, aber auch eine enge Kooperation zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und privatem Sektor gut geeignet. Neuartige Impfkonzepte von der präklinischen Forschung in die klinische Erprobung zu bringen, ist sehr kostspielig. Diese Kosten und die zum Teil hohen regulatorischen Anforderungen können eine zügige klinische Entwicklung vielversprechender Vektor-Technologien erschweren.
Die wiederholte erfolgreiche Erprobung des VSV-ZEBOV-Impfvektors im Ost-Kongo zeigt, dass Vektor-basierte Impfstoffe bereits jetzt imstande sind, einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung von gefährlichen Epidemien zu leisten. Das genaue Zusammenspiel zwischen Impfvektor, der Sequenz und Struktur des kodierten Impfantigens, der angeborenen und daraus resultierenden adaptiven Immunantwort und des Immungedächtnisses ist momentan Gegenstand intensiver Forschung. In der Zukunft sollte es deshalb möglich sein, durch „maßgeschneidertes“ Design auch Impfstoffe für „schwierige“ Pathogene zu entwickeln.

Autoren
Dr. Janine Kimpel
Division of Virology, Medical University of Innsbruck
Innsbruck, Austria
Dr. Christof Geldmacher
Division of Infectious Diseases and Tropical Medicine, University Hospital of Munich (LMU), Munich, Germany
International Clinical Trials Unit, German Center for Infection Research (DZIF), partner site Munich
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