Autoinflammation und Autoimmunität: ein fließender Übergang

Immunologie leicht gemacht

Autoinflammatorische Erkrankungen zeichnen sich durch eine gestörte Aktivierung des angeborenen Immunsys­tems aus, wobei IL-1-vermittelte Entzündungsvorgänge eine zentrale Rolle spielen. Dahingegen wird Autoimmunität durch eine durch T- und B-Zellen vermittelte selbst-gerichtete Entzündungsreaktion definiert, der der Verlust der Immuntoleranz zugrunde liegt. In dieser Zusammenfassung wird ein Überblick über diese zwei Arten der gestörten Immunreaktion und über deren fließenden Übergang gegeben.

Schlüsselwörter: Autoimmunität, Autoinflammation, IL-1, Inflammasom

Einleitung

Entzündungsvorgänge stellen eine adäquate Abwehr gegen Mikroorganismen sicher. Sie sind unerlässlich für die Erhaltung unserer körperlichen Integrität und unterliegen einer strikten Regulation. Kommt es allerdings zu einer Störung der Immunregulation, so kann es zu Immundysfunktionen kommen: entweder zu einer ineffektiven Immunabwehr oder zu einer überschießenden Immunreaktion in Form von Autoimmunität oder Autoinflammation [1]. Der Begriff Autoinflammation wurde 1999 durch McDermott [2] eingeführt und 2006 von McGonagle verfeinert, wobei dieser neben einer Beschreibung der pathophysiologischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Autoinflammation und Autoimmunität auch das Konzept eines Kontinuums zwischen diesen beschrieb [3].
Charakteristisch für autoinflamma­torische Erkrankungen sind systemische Entzündungsvorgänge aufgrund einer Fehlaktivierung des angeborenen Immun­systems. Daher findet die Erstmanifestation dieser Erkrankungen in der Regel im Kindesalter statt, wohingegen der Altersgipfel der meisten Autoimmunerkrankungen in der frühen Adoleszenz liegt. Besonders dem Interleukin-1 (IL-1) kommt als proinflammatorischem Zytokin und Produkt des Inflammasoms bei Autoinflammation eine Schlüssel­rolle zu. Entsprechend hat sich dessen Blockade als wirkungsvolle Therapieoption gezeigt. Paradebeispiele für die autoinflammatorischen Erkrankungen sind die angeborenen periodischen Fiebersyndrome und der Morbus Still [4].
Andererseits führt eine pathologisch aktivierte adaptive Immunantwort (T- und B-Zellen) zum Verlust der Toleranz gegenüber eigenen Antigenen und zur Entwicklung autoimmuner Erkrankungen. So kommt es zur Bildung von Autoantikörpern, z. B. bei rheumatoider Arthritis (RA) oder dem systemischen Lupus erythematodes (SLE) [3]. Im Gegensatz zu den klassischen Autoimmunerkrankungen findet man bei autoinflammatorischen Erkrankungen keine spezifischen Autoantikörper oder autoreaktiven T-Zellen.

Autoinflammation

Autoinflammatorische Erkrankungen bieten das klinische Bild einer intermittierenden, manchmal aber auch persistierenden systemischen Inflammation. Die Patienten leiden meist an selbstlimitierenden, oft sehr akut beginnenden Fieberepisoden, damit einhergehend auch an variablen Organmanifestationen: Arthralgien, Myalgien, Polyserositis, Hautexantheme, Lymphknotenvergrößerungen, gastro­intestinalen Beschwerden. Laborchemisch imponiert eine unspezifische Erhöhung der Entzündungsmarker (C-reaktives Protein (CRP), Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG)) ohne Nachweis spezifischer Autoantikörper. In den Intervallen zwischen den Schüben sind viele der Betroffenen beschwerdefrei, trotzdem können auch dann erhöhte Spiegel von Serum-Amyloid-A vorliegen, welche das Risiko für die Entwicklung einer Amyloidose erhöhen [5].

Im Gegensatz zu Autoimmunerkrankungen sind viele der autoinflammatorischen Pathologien monogen vererbt (Familiäres Mittelmeerfieber (FMF), Tumornekrosefaktor-Rezeptor-1-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS), Hyper-IgD-Syndrom (HIDS) und periodisches Fieber-Syndrom (PFAPA). In letzter Zeit wurden aber auch bei einigen autoinflammatorischen Erkrankungen polygenetische Vererbungsmuster gefunden: Gicht, Pseudogicht, Diabetes mellitus Typ 2, Morbus Crohn (Tab. 1) [5].

Das angeborene Immunsystem spielt eine Schlüsselrolle für die Entstehung dieser Pathologien. Es bietet rasch Schutz gegen Gefahrensignale, seien es endogene (damage-associated molecular patterns, DAMPS) oder exogene (pathogen-associated molecular patterns, PAMPS). Durch die Aktivierung von membrangebundenen Rezeptoren (Toll-Like Receptors, TLR) oder von zytoplasmatischen Rezeptoren (Nod-Like Receptors, NLR) wird die entzündliche Signalkaskade aktiviert, die für die systemischen Merkmale der autoinflammatorischen Krankheiten verantwortlich ist. Die NLRs sind wichtige Bausteine für das Inflammasom, welches durch die Aktivierung von Procaspase 1 die Aktivierung und Freisetzung von IL-1 verursacht (Abb. 1) [6, 7]. IL-1 ist wiederum für das zentrale Symptom – Fieber – verantwortlich und setzt gleichzeitig andere Signalkaskaden in Bewegung, die zur Vervollständigung des klinischen Bildes verschiedener auto­inflammatorischer Syndrome führen [6]. Die zentrale und klinisch relevante Rolle von IL-1 wurde durch den therapeutischen Erfolg der Blockade dieses Zytokins bei vielen autoinflammatorischen Erkrankungen belegt.

Als auslösende Faktoren für die Schübe gelten Inflammasom-aktivierende Substanzen. Hierzu zählen Bakterienbestandteile, aber auch exogene Noxen wie Silikon oder Asbest und endogene Signale gestresster oder apoptotischer Zellen: ATP, Cholesterinkristalle, Harnsäure, Hyperglykämie [6, 8]. Daher zählen auch Stoffwechselerkrankungen wie Gicht, Diabetes mellitus, Asbestose oder Silikose zu den autoinflammatorischen Erkrankungen [9].

 

 

 

 

Autoimmunität

Autoimmunität ist durch eine selbstgerichtete Entzündungsreaktion charakterisiert, wobei dem Immunsystem seine wichtige Eigenschaft verloren geht, fremde Antigene von körpereigenen zu unterscheiden. Die Toleranzentwicklung des Immunsystems findet zum einen in den primären lymphatischen Organen statt, in denen autoreaktive B- und T-Lymphozyten negativ selektioniert werden, und zum anderen in den sekundären lymphatischen Organen, in denen T- und B- Lymphozyten sowohl fremde als auch körpereigene Antigene von dendritischen Zellen (DC) präsentiert werden, und anschließend regulatorische T-Zellen Autoimmunreaktionen unterdrücken [10]. Ein gewisses Maß an Autoimmunität z. B. in Form autoreaktiver T- und B-Zellen findet sich bei jedem Menschen und hat in den allermeisten Fällen keinerlei Krankheitswert. Häufig finden sich auch bei Gesunden niedrige ANA-Titer oder andere Autoantikörper, ohne dass die Betroffenen jemals krank werden [3].
Das erworbene Immunsystem spielt bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen die Schlüsselrolle, wobei die Entstehung einer Autoimmunreaktion durch unterschiedliche Mechanismen vonstattengehen kann: Sowohl bei der Apoptose als auch bei der NETose körpereigener Zellen kommt es zur Freisetzung von Zellkernbestandteilen. Diese werden von dendritischen Zellen erkannt, phagozytiert und in sekundären lymphatischen Organen T-Zellen präsentiert. Zudem wird IFN-α produziert, dass die Reifung der DCs, die Antigenpräsentation und Rekrutierung weiterer T- und B-Zellen initiiert. Infolgedessen kommt es über die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine zur Produktion von Autoantikörpern durch Plasmazellen, sowie der Selbstunterhaltung der Entzündungskaskade [5, 11]. Zudem scheint auch das sogenannte „Molecular mimicry“ zur Induktion von Autoimmunphänomenen beizutragen, da manche Fremdantigene körpereigenen Antigenen ähneln und somit immunologische Kreuzreaktionen initiieren können [12].
Klassische Autoimmunerkrankungen zeichnen sich durch spezifische Autoantikörperproduktion gegen körpereigene Strukturen und eine darauf induzierte Gewebszerstörung aus. Beispiele hierfür sind der SLE, Typ-1-Diabetes und die Hashimoto Thyreoiditis [5, 11, 13].
Abgesehen von sehr seltenen monogenetischen Formen (IPEX, APS-1, ALPS) von Autoimmunerkrankungen, die sich durch einen schweren klinischen Verlauf und ein junges Erkrankungsalter auszeichnen, sind die meisten Autoimmunerkrankungen multifaktoriell bedingt. Für einige Autoimmunerkrankungen konnten jedoch Gene identifiziert werden, die die Suszeptibilität erhöhen.  Der Symptombeginn dieser Entitäten variiert vom Kindesalter bis ins hohe Alter mit einem Erkrankungsgipfel im frühen Erwachsenenalter (Tab. 1) [11].



Ein klassisches Beispiel ist der SLE, der durch ein buntes klinisches Bild gekennzeichnet ist. In der Regel leiden die betroffenen Patienten, zumeist junge Frauen, unter Allgemeinsymptomen wie Fieber, Fatigue und Gewichtsverlust, dazu kommen das klassische Schmetterlingserythem im Gesicht sowie andere Hauterscheinungen. Auch Arthritiden, Serositiden, eine Beteiligung des zentralen oder peripheren Nervensystems oder eine Nierenbeteiligung sind häufig. Bislang wurden schon mehr als 80 Risikogene identifiziert, zu denen u. a. einige HLA-Allele zählen. Bei allen Patienten lassen sich antinukleäre Antikörper (ANA) nachweisen, die bei 60–80% der Patienten gegen Doppelstrang-DNA (dsDNA) gerichtet sind. Therapeutisch kommen unter anderem Glukokortikoide zum Einsatz, die eine breite immunologische Wirkung haben [11], sowie Immunsuppressiva wie z. B. Azathioprin, Methotrexat oder Mykophenolat, die die Proliferation von B-, T- und NK-Zellen hemmen. Auch Belimumab, ein humaner monoklonaler Antikörper gegen den B cell activating factor (BAFF), der die Proliferation und Differenzierung von B-Lymphozyten hemmt, ist in der Therapie des SLE etabliert [14].
Für viele der Erkrankungen, die lange als klassische Autoimmunerkrankungen galten, finden sich jedoch weder eine starke Assoziation mit einem spezifischen Antikörper noch MHC-Assoziation oder autoreaktive T-Lymphozyten. Zudem führen viele Trigger wie Infektionen und andere exogene Faktoren (UV-Licht) zur Induktion von Autoimmunreaktionen, ohne dass die betroffenen Individuen klinisch erkranken.

Von Autoinflammation zur
Autoimmunität

Wie McGonagle et al. 2006 in der Übersichtsarbeit „A proposed Classification of the Immunological Diseases" postulierten, scheint es einen fließenden Übergang zwischen Autoimmunität und Autoinflammation zu geben [3].

Die RA ist beispielsweise eine klassische Autoimmunerkrankung mit Autoantikörpern und autoreaktiven T-Zellen. Trotzdem konnte gezeigt werden, dass das Maß der Gewebszerstörung zum einen von gewebespezifischen Faktoren abhängt und zum anderen auch mit der physischen Belastung des entzündeten Gelenks korreliert. Zudem können in der aktiven Phase der Erkrankung deutlich erhöhte Konzentrationen von IL-1 und speziell IL-1β im Serum der Patienten nachgewiesen werden. IL-1 spielt also sowohl bei autoinflammatorischen als auch autoimmunologischen Prozessen eine Rolle und stellt eine Brücke zwischen den beiden Enden des Kontinuums dar.

 

Therapeutische Relevanz

Für den Kliniker ist die Einteilung von entzündlichen Erkrankungen in autoinflammatorisch oder autoimmun von praktischer Bedeutung. Die Neutralisierung des proinflammatorischen Zytokins IL-1 mit Anakinra oder Canakinumab [5, 6] ist besonders bei Erkrankungen mit autoinflammatorischer Komponente wie den Fiebersyndromen wirksam. Dagegen finden Therapien, die gegen Lymphozyten gerichtet sind, wie der CD-20-depletierende Antikörper Rituximab, der BAFF-Antikörper Belimumab oder das CTLA-4-Ig-Konstrukt Abatacept, das die Aktivierung von T-Zellen bremst, eher Einsatz bei klassischen Autoimmunerkrankungen [13, 14]. Die Neutralisierung von IL-6 oder TNF-alpha wird sowohl bei autoinflammatorischen als auch bei Autoimmun­erkrankungen eingesetzt [5, 15].
Klinische Relevanz hat auch, dass bei Autoimmunerkrankungen teils eine kontinuierliche Entzündungsreaktion stattfindet, durchbrochen von Phasen einer Teil- bis Vollremission. Daher hat eine dauerhafte immunmodulatorische Basistherapie einen hohen Stellenwert. Bei den Fiebersyndromen ist neben der Behandlung des Fieberschubs selbst auch eine Reduktion der Schubfrequenz und Verhinderung der Amyloidose erwünscht [4, 5], jedoch sind die Schübe meist deutlich kürzer als bei Autoimmunerkrankungen und in entzündungsfreien Phasen haben die Patienten keine gesundheitlichen Einschränkungen.

Fazit für die Praxis

Das Konzept der Trennung von Immunpathologien in autoinflammatorische und autoimmune Erkrankungen ist trotz der teils fließenden Übergänge zwischen diesen Erkrankungen nicht nur didaktisch wertvoll, sondern auch klinisch relevant hinsichtlich der Auswahl der Therapien und der Einschätzung des Krankheitsverlaufs.

Autoren
Prof. Dr. Reinhold Ernst Schmidt
Klinik für Immunologie und Rheumatologie
Medizinische Hochschule Hannover