Phänokopien angeborener Immundefekte?

Autoantikörper gegen Zytokine

Autoantikörper gegen Zytokine werden bei ähnlicher klinischer Präsentation als Phänokopie angeborener Immundefekte angesehen. Sie prädisponieren zu Infektionen durch atypische Mykobakterien (Anti-IFNγ-Autoantikörper), verursachen mukokutane Candidiasis (Anti-IL-17A/F-Autoantikörper) oder pulmonale Alveolarproteinose mit oder ohne Anfälligkeit für Pilzinfektionen (Anti-GM-CSF-Autoantikörper) und können pyogene Infektionen (Anti-IL-6-Autoantikörper) begünstigen. Nicht alle Individuen mit Autoantikörpern gegen Zytokine erkranken an Infektionen, und nicht alle, die erkranken, erkranken gleich schwer. Die klinische Penetranz der Autoantikörper gegen Zytokine ist also variabel. Ob Autoantikörper gegen Zytokine krankheitsverursachend, also klinisch relevant sind, hängt von ihrer Konzentration und inhibierenden Wirkung auf die spezifische Zytokinfunktion ab. Da niedrig-titrige Autoantikörper gegen Zytokine häufig sind, kann die Diagnose eines „klinisch relevanten“, d. h. krankheitsverursachenden Anti-Zytokin-Autoantikörpers, erst nach Bestimmung des Antikörpertiters sowie dessen stark neutralisierender Wirkung auf die spezifische Zytokinfunktion gestellt werden. 

Schlüsselwörter: Autoantikörper, Zytokin, Phänokopie, angeborener Immundefekt

Noch vor zehn Jahren waren vor allem angeborene, sogenannte primäre Immundefekte mit Abweichungen in Immunglobulinspiegeln und Zusammensetzungen der Lymphozytenpopulationen bekannt. Zwischenzeitlich sind mehr als 380 primäre Immundefekte beschrieben, die in neun verschiedene Gruppen unterteilt werden. Acht beschreiben angeborene Defekte im engeren Sinne, die durch Mutationen in der Keimbahn des Patienten verursacht werden: 1) Defekte der zellulären und humoralen Immunität, 2) Kombinierte Defekte der zellulären und humoralen Immunität mit assoziierten oder syndromalen Merkmalen, 3) Antikörpermangeldefekte, 4) Immundysregulationen, 5) Phagozytendefekte, 6) Defekte der intrinsischen und angeborenen Immunität, 7) Autoinflammationserkrankungen und 8) Komplementdefekte. Die neunte Gruppe umfasst Phänokopien angeborener Immundefekte [1]. Phänokopien sind Erkrankungen, deren klinische Präsentation angeborenen Immundefekten stark ähnelt, die aber nicht durch Mutationen in der Keimbahn hervorgerufen werden. Bisher bekannte Ursachen für Phänokopien angeborener Immundefekte sind entweder somatische Mutationen oder Autoantikörper gegen Zytokine und andere lösliche Proteine des Immunsystems. Die Beantwortung von drei Fragen erlaubt eine Einschätzung der biologischen Rolle von Autoantikörpern gegen Zytokine: a) Gibt es einen angeborenen Immundefekt mit Beeinträchtigung des korrespondierenden Zytokinrezeptors oder des korres­pondierenden Zytokins mit ähnlicher klinischer Präsentation? b) Sind zahlreiche Patienten mit Autoantikörpern gegen Zytokine beschrieben worden, die an den gleichen schweren Erkrankungen wie Patienten mit korrespondierenden angeborenen Defekten leiden? c) Wie stark ist die klinische Penetranz? Die klinische Penetranz eines Autoantikörpers gegen Zytokine beschreibt dabei, wie viele Individuen mit Autoantikörpern gegen Zytokine auch erkranken und wie schwer diese Erkrankungen ausfallen. Die nachfolgende Übersicht wird den aktuellen Wissensstand für die vier wichtigsten bekannten Autoantikörper gegen Zytokine diskutieren.

Autoantikörper gegen IFNγ prädisponieren zu Infektionen durch nicht-tuberkulöse Mykobakterien, nicht-typhoidale Salmonellen und Varizellen

Erstmalig wurden neutralisierende Autoantikörper gegen IFNγ in einer Patientin thailändischer Herkunft mit tödlichen Infektionen durch Burkholderia cocovenenans und Mycobacterium cheloneae beschrieben [2]. Zwischenzeitlich sind mehr als 100 Patienten mit Auto­antikörpern gegen IFNγ publiziert, die die Anfälligkeit dieser Patienten für schwere Infektionen durch nicht-tuberkulöse Mykobakterien (NTM) bestätigten, aber auch das Krankheitsspektrum dieser Patienten um schwere Infektionen durch nicht-typhoidale Salmonellen, Cryptococcus neoformans, Histoplasma capsulatum, Penicilium marneffi, Toxoplasma gondii und Varizella-Zoster-Viren erweitert haben [3, 4]. Autoantikörper gegen IFNγ wurden zunächst vor allem in Patienten südostasiatischer Herkunft identifiziert. Dieses Phänomen wird mit einer ethnisch spezifischen, HLA-restringierten Prädisposition für die Bildung von Antikörpern gegen Aspergillen, die mit IFNγ kreuzreagieren, erklärt [5]. Zwischenzeitlich wurde die Bildung neutralisierender Autoantikörper gegen IFNγ aber auch in einzelnen Patienten kaukasischer Abstammung beschrieben [3]. Untersuchungen zur Prävalenz von Autoantikörpern gegen IFNγ in verschiedenen Populationen wurden nicht durchgeführt, sodass eine genaue Abschätzung der klinischen Penetranz schwierig ist. Allerdings ähneln sowohl Erregerspek­trum als auch die Schwere der Infektionen denen von Patienten mit angeborenen Defekten der Antwort auf oder Bildung von IFNγ [6]. Autoantikörper gegen IFNγ können daher mit hoher Sicherheit als Phänokopien dieser Immundefekte mit hoher klinischer Penetranz angesehen werden. 

Autoantikörper gegen IL-17 prädisponieren zu mukokutaner Candidiasis

Eine deutlich erhöhte Prävalenz von Autoantikörpern gegen IL-17A, IL-17F und IL-22 wurde erstmalig in zwei Populationen von insgesamt über 230 Patienten mit Autoimmuner Polyendokrinopathie Typ 1 (durch Mutationen in AIRE) und Thymom-Patienten mit mukokutaner Candidiasis beschrieben [7, 8]. Autoantikörper gegen IL-17 sind bisher nicht in Individuen ohne Mutationen in AIRE oder ohne Thymom beschrieben worden. Die entscheidende Rolle von IL-17 für die Kontrolle von Candida auf Schleimhäuten wurde durch die erhöhte Anfälligkeit für mukokutane Candidiasis bei angeborenen Immundefekten mit verminderter Anzahl IL-17-produzierender T-Zellen (TH17-Zellen), mit verminderter Bildung von funktionellem IL-17 oder fehlender Wirkung von IL-17 durch Rezeptordefekte oder dessen Signaltransduktion mehrfach bestätigt. Den stärksten Hinweis für die Bedeutung von IL-17 für die Abwehr mukokutaner Candida-Infektionen liefert dabei der Beginn dieser Infektionen in den ersten 6 Lebensmonaten bei Patienten mit IL-17 Rezeptordefekten [9]. Autoantikörper gegen IL-17 können daher mit hoher Sicherheit als Phänokopien dieser Immundefekte angesehen werden. Ähnliche Hinweise für eine Rolle von IL-22, das ebenfalls von TH17-Zellen produziert werden kann, für die Abwehr von Candida-Infektionen der Schleimhaut fehlen bisher. Verschiedene experimentelle Modelle legen jedoch eine Rolle von IL-22 für die mukosale Immunität nahe [10]. Patienten mit isoliert verminderter Produktion von IL-22 oder einem IL-22-Rezeptor Defekt sind bisher nicht beschrieben worden. 

Im Gegensatz zu korrespondierenden Rezeptordefekten prädisponieren Autoantikörper gegen GM-CSF neben Alveolarproteinose auch zu Infektionen durch Cryptococcus spp., Nocardien, Aspergillus spp. und Histoplasma caspsulatum

Autoantikörper gegen GM-CSF sind die führende Ursache der Alveolarproteinose (Pulmonale Alveoläre Proteinose, PAP) [11]. 90% der Patienten mit Alveolarproteinose weisen diese Autoantikörper auf. In Patienten mit Alveolarproteinose wurden ebenfalls Mutationen in den korrespondierenden Genen, die für die beiden Ketten des GM-CSF-Rezeptors kodieren (CSF2RA und CSF2RB) beschrieben [1]. Autoantikörper gegen GM-CSF prädisponieren jedoch über die Alveolarproteinose hinaus auch zu disseminierten Infektionen oder Infektionen des Zentralnervensystems durch Kryptokokken und Nokardien sowie zu invasiven Infektionen durch Aspergillus spp. und Histoplasma capsulatum [12]. Diese Prädisposition zu invasiven Pilz- und Nokardieninfektionen von Patienten mit Autoantikörpern gegen GM-CSF ähnelt Patienten mit Septischer Granulomatose und angeborenem CARD9-Defekt. Weshalb Patienten mit Autoantikörpern gegen GM-CSF sowohl Alveolarproteinosen als auch eine deutlich erhöhte Prädisposition für invasive Pilz- und Nokardien­infektionen aufweisen, während solche mit Mutationen in CSF2RA und CSF2RB nur an einer Alveolarproteinose erkranken, ist unklar. Individuen mit hoch-titrigen Autoantikörpern, die weder an schweren Infektionen noch an einer Alveolarproteinose litten, sind beschrieben [13]. Die klinische Penetranz der Autoantikörper gegen GM-CSF ist daher nicht vollständig und Autoantikörper gegen GM-CSF sind keine deckungsgleiche Phänokopie der korrespondierenden Rezeptor- und Signaldefekte.

Autoantikörper gegen IL-6 prädisponieren zu bakteriellen Infektionen mit unvollständiger Penetranz

Autoantikörper gegen IL-6 wurden bisher nur in drei Patienten mit schweren bakteriellen Infektionen beschrieben [14, 15]. Die nachgewiesenen Antikörper waren hoch-titrig und unterdrückten biologische Funktionen von IL-6 (Phosphorylierung von STAT3, Bildung von CrP) in vitro. Allen Patienten gemeinsam waren niedrige CrP-Spiegel trotz schwerer bakterieller Infektionen. Eine relevante Rolle von IL-6 für die Abwehr bakterieller Infektionen legt die erhöhte Anfälligkeit von Patienten mit angeborenen Immundefekten nahe, die mit verminderter Bildung von IL-6 durch Defekte in MyD88/IRAK4-abhängigen, oder mit verminderter Wirkung von IL-6 durch Defekte in IL-6R-gp130-ZNF341-STAT3-abhängigen Signalwegen einhergehen [1, 16, 17]. Da bisher nur einzelne Patienten mit Autoantikörpern gegen IL-6 und gleichzeitigen schweren bakteriellen Infektionen beschrieben wurden, anderseits aber auch Autoantikörper gegen IL-6 bei gesunden Individuen nachgewiesen wurden (wenn auch mit unklarer neutralisierender Wirkung) [18], stellen Anti-IL-6-Auto­antikörper vermutlich einen Risikofaktor für schwere bakterielle Infektionen mit unvollständiger klinischer Penetranz dar.

Die Abschätzung der klinischen Relevanz von Autoantikörpern gegen Zytokine erfordert den Nachweis von Titer, Spezifität und neutralisierender Funktion in vitro 

Einen initialen Verdacht auf das Vorliegen von Autoantikörpern gegen Zytokine kann der fehlende Nachweis dieser Zytokine nach Stimulation in Vollblut­assays liefern. Der Nachweis von Auto­antikörpern gegen Zytokine mittels Immunoassays muss einen Bestätigungstest (Spezifität) beinhalten. Zum Nachweis der neutralisierenden Eigenschaften eines Anti-Zytokin-Autoantikörpers muss anschließend die Funktion der spezifischen Zytokinrezeptoren unter Zusatz von Patientenserum und Kontrollserum geprüft werden. Neutralisierende Autoantikörper gegen IFNγ im Patientenserum können z. B. durch die konzentrationsabhängige Hemmung der Phosphorylierung von STAT1 in Monozyten nach Stimulation mit IFNγ mittels Durchflusszytometrie nachgewiesen werden (siehe Abb. 1). In Analogie hierzu kann die neutralisierende Funktion von Autoantikörpern gegen IL-6 und GM-CSF durch die Messung der Zytokin-induzierten Phosphorylierung von STAT3 bzw. STAT5 in Monozyten getestet werden (siehe Tab. 2). Serum von Patienten mit Autoantikörpern gegen IL-17 kann die IL-17-abhängige Produktion von IL-6 in Fibroblasten inhibieren. Die Diagnose eines „klinisch relevanten Autoantikörpers gegen Zytokine“ sollte erst bei Nachweis eines Antikörpertiters und dessen neutralisierender Wirkung auf eine spezifische Zytokinfunktion gestellt werden.

Therapie von Infektionen bei Nachweis von Anti-Zytokin-Autoantikörpern

Daten zur Therapie von akuten Infektionen, zur Wirkung prophylaktischer Maßnahmen sowie Langzeitverläufe großer Patientenkohorten sind für Patienten mit Autoantikörpern gegen Zytokine bisher nicht publiziert. Die folgenden Einschätzungen basieren daher auf Einzelfallberichten oder kleinen Fallserien. Ähnlich wie bei Patienten mit angeborenen Immundefekten scheint bei Patienten mit Autoantikörpern gegen Zytokine eine deutlich längere Dauer der antiinfektiösen Therapie notwendig. Die gezielte Elimination dieser Autoantikörper durch Plasmapherese oder die Unterdrückung ihrer Bildung durch die Gabe von Rituximab kann bei therapierefraktären Verläufen hilfreich sein [19, 20]. Da Autoantikörper gegen IFNγ und gegen IL-17 mit stärkerer Penetranz zu schweren Infektionen prädisponieren als solche gegen GM-CSF und IL-6, scheinen Plasmapherese oder der Einsatz von Rituximab bisher vor allem bei Patienten mit Autoantikörpern gegen IFNγ und IL-17 gerechtfertigt. In Analogie zu Patienten mit autosomal-dominantem Hyper-IgE-Syndrom (verminderte Bildung von TH17-Zellen), die an rezidivierender oder chronischer mukokutaner Candidiasis leiden, scheint der prophylaktische Einsatz von Azolen bei Patienten mit Autoantikörpern gegen IL-17 gerechtfertigt.

Fazit für die Praxis

Autoantikörper gegen die Zytokine IFNγ, IL-17, GM-CSF und IL-6 werden bei Patienten mit ähnlichen Infektionen wie bei Patienten mit angeborenen Defekten in den korrespondierenden Zytokinen, Zytokinrezeptoren oder Signalwegen beobachtet. Auch wenn Spuren von Auto­antikörpern gegen Zytokine in vielen gesunden Individuen, vor allem mit höherem Lebensalter, nachgewiesen werden konnten [18], so stellen hoch-titrige, spezifische und neutralisierende Autoantikörper Risikofaktoren für die Entwicklung von Infektionen dar – wenn auch mit unterschiedlicher Penetranz (siehe Tab. 1). Der Nachweis von Autoantikörpern gegen IFNγ bei Infektionen durch atypische Mykobakterien, gegen IL-17 bei mukokutaner Candidiasis, gegen GM-CSF bei Infektionen durch Kryptokokken, Nokardien, Aspergillus und Histoplasma capsulatum sowie gegen IL-6 bei schweren bakteriellen Infektionen kann wichtige therapeutische und prophylaktische Optionen für betroffene Patienten eröffnen. Anti-Zytokin-Autoantikörper sollten daher in der differenzialdiagnostischen Abklärung bei Patienten mit entsprechenden Infektionen berücksichtigt werden. Dabei ist der Nachweis von hoch-titrigen und die spezifische Funktion der Zytokine neutralisierenden Autoantikörpern entscheidend. Die Einschränkung der Zytokinfunktion muss in spezifischen Assays in vitro nachgewiesen werden (siehe Tab. 2).  

Autoren

Das Autorenteam von links nach rechts:Dr. Uwe Kölsch1, Prof. Dr. Horst von Bernuth1, 2, 4, Dr. Christian Meisel1, 3, Nadine Unterwalder1, Stephanie Heller2 1 Labor Berlin GmbH, Fachbereich Immunologie, Berlin2 Charité – Universitätsmedizin Berlin, Kinderklinik mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin, Berlin3 Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Immunologie, Berlin4 Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien, Berlin

Prof. Dr. Horst von Bernuth
Fachbereich Immunologie
Kinderklinik mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin Labor Berlin
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