Prophylaktische Inaktivierung statt Testung?

Infektionssicherheit von Blutprodukten

Durch organisatorische Maßnahmen und verbesserte Untersuchungstechniken konnte das Risiko für viele bedeutende transfusionsassoziierte Virusinfektionen in den letzten Jahren stark gesenkt werden. Noch mehr Patientensicherheit verspricht man sich in Zukunft durch Pathogen-Inaktivierung und Prozesssicherung. 

Schlüsselwörter: Transfusionsmedizin, Patientensicherheit, Pathogen-Inaktivierungs-Technologie

1825  führte der Londoner Geburtshelfer James Blundell die erste erfolgreiche homologe Trans­fusion beim Menschen durch, damals noch ohne jegliche Kenntnis der im Jahre 1900 entdeckten Blutgruppensysteme. Nachdem im Jahr 1924 in Wien Testseren zur Kompatibilitätstestung eingeführt wurden, ging die AB0-assoziierte Morbidität und Mortalität deutlich zurück, und dieser Trend zu immer mehr Patientensicherheit hält bis heute an (Abb. 1). So kam es 2004 in Deutschland letztmalig zu einer transfusionsassoziierten HCV-Übertragung, und die letzten zwei bestätigten Fälle einer HIV-Übertragung durch Erythrozytenkonzentrate erfolgten in den Jahren 2007 und 2010 [1]. 

Die extreme Virussicherheit in Deutschland ist angesichts von ca. 3,5 Millionen Transfusionen pro Jahr bemerkenswert. Die Gründe hierfür liegen in einer sorgfältigen Spenderbefragung, der Einführung eines freiwilligen Spenderselbstausschlusses sowie in verbesserten molekularen Untersuchungstechniken und serologischer Nachweisverfahren zur Dia­gnostik relevanter Infektionserreger [2].

HIV und HCV

Aufgrund des HIV-Skandals rückte die Sicherheit der Blutprodukte in Bezug auf Virusinfektionen in den 1980er-Jahren in den Fokus der Transfusionsmedizin. Heute ist das Restinfektionsrisiko für die Übertragung des Humanen Immundefizienz-

Virus (HIV) durch Blutkomponenten nur noch sehr gering [3]. Dies verdanken wir verbesserten Nachweismethoden, etwa dem genomischen Nachweis mittels Realtime-PCR und kombinierten Antigen-Antikörper-Assays (Anti-HIV-Antikörper und p24-Antigen). Seit 1999 müssen alle Blutprodukte mittels Hepatitis-C-Virus (HCV)-PCR und seit 2004 auch mittels HIV-1-PCR untersucht werden [4].

Im Jahr 2010 wurden in Deutschland vermehrt HIV-1-Isolate bei Blutspendern beobachtet, die Mutationen und Deletionen in hochkonservierten Genombereichen aufwiesen. Als Konsequenz wurde vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) im Jahre 2015 ein verbindlicher Stufenplan eingeführt, der eine Amplifikation in zwei verschiedenen Genomabschnitten vorschreibt. Bei dieser „Dual-Target“-Methode werden zwei verschiedene Detektionssonden eingesetzt, die jeweils spezifisch für eine hochkonservierte Region des HIV-1-Genoms sind (z. B. 5'ltr und gag).

Das Institut Frankfurt des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg − Hessen setzte diese Strategie bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der neuen HIV-1-Isolate im Rahmen einer Pilotstudie um und untersuchte ab 2010 alle Blutspenden. Dadurch konnten im Jahre 2012 drei weitere Spender identifiziert werden, die nur mit dem neuen Testverfahren detektierbar waren [5]. Eine Auswertung der HIV-1-Übertragungen durch Blutprodukte in Deutschland seit 1998 zeigte, dass sie ursächlich auf Mutationen im Primer-Bereich zurückzuführen waren und durch die „Dual-Target“-Strategie vermeidbar gewesen wären. 

Hepatitis-B-Virus

Seit der Einführung der Anti-HBc-Antikörper-Bestimmung in das Spenderscreening im September 2006 wurden nur noch fünf transfusionsbedingte Übertragungen von Hepatitis-B-Viren (HBV) nachgewiesen. Zwei dieser Fälle traten zwischen 2012 und 2015 nach Transfusion mit einem kontaminierten Erythrozytenkonzentrat auf. Im letzteren Fall erfolgte die Entnahme beim Spender im diagnostischen Fenster, wodurch ein serologischer Nachweis der Infektion noch nicht möglich war.

Da die meisten großen Blutspendedienste aber zeitgleich eine HBV-PCR einführten, ist der Rückgang der transfusionsasso­ziierten HBV-Infektionen in den letzten Jahre nicht ausschließlich auf den serologischen Nachweis zurückzuführen [1]. Zur Vermeidung solcher Fälle wäre also auch eine verpflichtende HBV-PCR denkbar. Insgesamt ist das Risiko einer Übertragung von viralen Infektionskrankheiten (HIV, HCV, HBV, HAV) allerdings nur noch sehr gering (Abb. 2). Heutzutage gewinnen neue bzw. wieder neu aufgetretene Pathogene, sog. (re-)emerging pathogens dank vermehrter Reisetätigkeit der Spender zunehmende transfusionsmedizinische Bedeutung [1].  Zu nennen sind hier Westnil-, Hepatitis-E-, Chikungunya-, Dengue- und Zika-Viren sowie die Erreger der Malaria. 

West-Nil-Virus

Das West-Nil-Virus (WNV) kommt sowohl in tropischen als auch gemäßigten Regionen vor und ist ein neuropathogenes Flavivirus, das über Mücken auf den Menschen übertragen wird. Die Inkubationszeit beträgt circa zwei Wochen, wobei nach drei Tagen eine bis zu elf Tage anhaltende Virämie auftritt. In den meis­ten Fällen verläuft die Infektion asymptomatisch [1]. 

Die diagnostische Herausforderung des Virusnachweises liegt weiterhin in der geringen Viruskonzentration während der virämischen asymptomatischen Phase. Ein Spenderscreening würde infektiöse Spender, je nach Poolgröße, erst nach 2 bis 7,5 Tagen detektieren. Daher werden Blutspender mit einer positiven Reiseanamnese für WNV-Risikogebiete in Deutschland derzeit für vier Wochen nach Rückkehr von der Spende zurückgestellt. 

Auch in Europa nimmt die Zahl der gemeldeten WNV-Erkrankungen zu. Im Jahr 2014 waren dem europäischen Zentrum für Erkrankungsprävention und Kontrolle (Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) insgesamt 193 WNV-Infektionen bekannt. Aufgrund der Zunahme in den angrenzenden Ländern kann man davon ausgehen, dass sich das Virus in den kommenden Jahren auch in Deutschland ausbreiten wird. Eine zeitliche Rückstellung der Spender ist dann keine geeignete Strategie mehr [2]. 

Hepatitis-E-Virus

Meldungen über transfusionsbedingte Übertragungen des Hepatitis-E-Virus (HEV) aus der Familie der Caliciviridae häuften sich in den letzten Jahren. Dabei erfolgte die Infektion typischerweise über den Verzehr kontaminierter roher Schweineleber. Die Inkubationszeit bei einer HEV-Infektion beträgt 30 bis 40 Tage, der Verlauf ist meist symptomlos. 

In unseren Breitengraden ist hauptsächlich der Genotyp 3 verbreitet [6]. Die Inzidenzraten der HEV-Infektionen unter den deutschen Spendern lagen zwischen 2012 und 2014 unterhalb von 1 Promille (1 in 1.760 bis 1 in 3.050). Dies ist aber immer noch um den Faktor 1.000 höher als bei HIV-1 oder HCV. Die Einführung einer HEV-PCR für 2000 IU/ml wurde aus diesem Grund vom PEI beschlossen [1]. Da das Hauptrisiko von nicht ausreichend gegartem Schweinefleisch ausgeht, sollten zudem Maßnahmen ergriffen werden, um den Eintrag von HEV in die Nahrungskette zu minimieren. 

Bakterielle Kontamination

Auch die bakterielle Kontamination von Blutprodukten ist in den letzten Jahren in den Fokus der Transfusionsmedizin gerückt. Das Risiko einer bakteriellen Kontamination – besonders von bei Raumtemperatur gelagerten Thrombozytenkonzentraten – liegt aktuell zwischen 1 : 2.000 und 1 : 5.000, also wesentlich höher als bei den trans­fusionsassoziierten Viruserkrankungen. Das Infektionsrisiko durch Pathogenkontamination konnte zwar durch sensitivere und spezifischere Nachweisverfahren erheblich reduziert werden,  dennoch bemüht sich die Forschung seit längerer Zeit um proaktivere Verfahren zur Bereitstellung sicherer Blutprodukte [7].

Pathogen-Inaktivierung

Wie der HIV-Skandal zeigte, ist das plötzliche Auftreten von bislang unbekannten Erregern nicht vorhersagbar. Da aber bis zur Identifikation des Erregers und Entwicklung geeigneter Nachweisverfahren kostbare Zeit vergeht, gilt die routinemäßige Inaktivierung von Pathogenen als Erfolg versprechende Strategie zur Steigerung der Patientensicherheit. 

Die Entwicklung solcher Pathogen-Inaktivierungs-Technologien (PIT) ist ein wichtiger Schritt bei der Produktion und Bereitstellung von Blutprodukten (Tab. 1). Methoden für zellfreie Blutbestandteile, zum Beispiel für Blutplasmapräparate, existieren bereits seit Längerem, und inzwischen sind auch Verfahren zur Anwendung an Thrombozytenkonzentraten und anderen zellhaltigen Blutprodukten kommerziell erhältlich. 

Bei der Pathogen-Inaktivierung bestrahlt man die Blutprodukte mit UV-Licht unterschiedlicher Wellenlängen. Bei einigen Methoden werden zusätzlich photodynamische Substanzen hinzugegeben. Studien konnten zeigen, dass dadurch die Mehrzahl aller transfusionsassoziierten Bakterien (mit Ausnahme sporenbildender Bakterien wie beispielsweise Bacillus cereus oder Clostridium tetani) sowie die meisten Viren – insbesondere die (re)-emerging viruses – inaktiviert werden können. Bislang werden die PIT nur zur Behandlung von Thrombozytenkonzentraten und Plasmakomponenten verwendet; ein möglicher Einsatz an Erythrozytenkonzentraten ist in der Erprobungsphase. 

Nachteile müssen im Hinblick auf die Empfängersicherheit im Auge behalten werden, etwa Toxizität der photoaktiven Substanzen, ein geringer Zellverlust der behandelten zellhaltigen Blutkomponenten und eine mangelnde Wirksamkeit gegenüber unbehüllten Viren (HAV, HEV). Diese neuen Technologien könnten aber in Zukunft zu einem Paradigmenwechsel in der Vorbeugung transfusionsbedingter Infektionserkrankungen führen [7]

Prozesssicherheit

Neben der Prävention von Infektionen trägt auch die korrekte Handhabung der Blutprodukte wesentlich zur Sicherheit bei. Die größten Risiken liegen bei der Abnahme von Blut zur prätransfusionellen Diagnostik vom falschen Patienten bzw. in nicht oder falsch beschriftete Röhrchen. Auf Empfängerseite ist eine Produktverwechslung ebenso bedeutsam. Hier sind neben Personalschulungen auch bessere technische Lösungen wie zum Beispiel die lückenlose elektronische Verfolgung der Produkte – von der Vene des Spenders bis zur Vene des Empfängers – gefragt. 

Neue Strategien

Zudem sollte die Indikation für Bluttransfusionen kritischer gestellt werden und die Wahl geeigneter Blutprodukte mehr in den Fokus rücken. Das aktuelle Schlagwort hierfür heißt präoperatives „Patient Blood Management“. Eine konsequente Bedarfsplanung der chirurgischen Stationen ermöglicht die Bereitstellung AB0- und Rhesus-kompatibler Erythrozytenkonzentrate und minimiert den Verbrauch der ohnehin seltenen Ressource 0-Rhesus-D-negativer Konserven. 

Ein neues Versorgungsproblem wird zunehmend auch das Patientenkollektiv anderer Ethnien darstellen, da hier Blutgruppenmerkmale auftreten, die im herkömmlichen Spenderstamm nicht abgebildet sind. Zur Vermeidung einer Alloimmunisierung solcher Patienten müssen ebenfalls neue Strategien erarbeitet werden.  

Autoren
Josephine Nana Ward
DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen
Markus M. Müller