Bildgebende Durchflusszytometrie: Durchbruch in der Diagnostik dank KI?

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.04.01

Die bildgebende Durchflusszytometrie liefert sowohl Aufnahmen von verschiedenen Fluoreszenzen als auch Hellfeld-Bilder. Die Auswertung ist komplex und erforderte bisher trotz spezieller Software noch ein hohes Maß an Bioinformatik-Kenntnissen. Die durch Künstliche Intelligenz gestützte Bildanalyse könnte nun helfen, dem Verfahren den Weg in die Diagnostik zu bahnen.

Schlüsselwörter: KI, Algorithmus, Zellzyklusanalyse, Apoptose, extra­zelluläre Vesikel

Das erste kommerziell erhältliche bildgebende Durchflusszytometer kam bereits 2005 auf den Markt. Die Geräte finden in der Diagnostik aber bisher kaum Einsatz, obwohl sie mit bis zu sechs Lasern ausgestattet sind und die gleichzeitige Detektion von bis zu zehn fluoreszenten Farbstoffen erlauben. Das Prinzip der bildgebenden Durchflusszytometer ist dem von konventionellen Durchflusszytometern sehr ähnlich: Zellen in einer Einzelzellsuspension werden mit fluoreszenten Farbstoffen markiert und in einer Flusszelle von den verschiedenen Lasern angeregt. Während bei der konventionellen Durchflusszytometrie die emittierten Signale in Photodetektoren gemessen werden, werden bei der bildgebenden Durchflusszytometrie alle Signale von Kameras detektiert. Man erhält also nicht nur ein Signal der Fluoreszenzintensität, sondern Bilder der Zelle – und zwar nicht nur Aufnahmen der verschiedenen Fluoreszenzen, sondern auch Hellfeld-Bilder. Insgesamt – je nach Gerät und Ausstattung – bis zu zwölf Bilder pro Zelle.

 

Komplexe Analyse

Diese Bilder sehen nicht nur hübsch aus, sie enthalten vor allem auch sehr viel Information. Die Menge an Information, die diese Bilder liefern, kann mitunter überfordern. Es kann eine Wissenschaft für sich sein, zu erkennen, welche dieser Informationen relevant für die jeweilige Fragestellung ist.  Herauszufinden, in welcher Eigenschaft sich Zelle A von Zelle B unterscheidet, ist häufig alles andere als einfach. Features wie „Minor“ oder „Major Axis Intensity“, „Bright Detail Intensity“, „H Entropy Mean“ oder „Ensquared Energy“ können erst einmal abschreckend wirken, wenn man zuvor nur mit konventionellen Durchflusszytometern gearbeitet hat. Automatische Tools, die zwei vordefinierte Populationen miteinander vergleichen, können helfen, Features zu finden, mit denen sich diese zwei Populationen separieren lassen.

Solche Features kann man für die gesamte Zelle berechnen oder aber nur für gewisse Teilbereiche, die man zuvor über Masken definiert hat. Diese Masken können sich an bestimmten Färbemustern der fluoreszenten Farbstoffe orientieren und zum Beispiel die Form des Zellkerns nachbilden oder ein extrazelluläres Vesikel, das außen an der Zelloberfläche hängt. Es gibt vordefinierte Wizards (also Assistenten für die Datenverarbeitung) für bestimmte Anwendungsbereiche wie Quantifizierung verschiedener Stadien des Zellzyklus aufgrund der Kernfärbung, die einem viel Arbeit abnehmen können. Abb. 1 zeigt ein Beispiel einer Zellzyklusanalyse mithilfe einer Morphologiemaske, die die Morphologie des Zellkerns nachbildet.

Um verschiedene Stadien des Zellzyklus zu unterscheiden, kann man nun verschiedene Features dieser Maske anwenden, z. B. Zirkularität, Seitenverhältnis der Achsen oder Intensität.

Häufig muss man aber versuchen, eine geeignete Maske für seine Fragestellung selbst zu definieren, was sehr zeitaufwendig sein kann. Dafür stehen u. a. Intensitätsmasken, Morphologiemasken oder Spotmasken zur Verfügung, die sich durch Boolesche Operatoren miteinander kombinieren lassen. So kann es durchaus vorkommen, dass man Tage damit zubringt, eine Maske zu definieren, die mehrere Zeilen lang ist, aber dann doch nur für eine Fraktion der analysierten Zellen gut funktioniert. Frust ist also vorprogrammiert.

 

KI-unterstützte Bildanalyse

All diese Möglichkeiten machen die Analyse solcher Bilddaten zwar äußerst mächtig, aber auch sehr komplex. Diese Komplexität ist vermutlich einer der Hauptgründe, warum die bildgebende Durchflusszytometrie immer noch eher ein Schattendasein fristet und hauptsächlich in Forschungslaboren zum Einsatz kommt, nicht aber in der Diagnostik – dabei könnte dort der Nutzen gewaltig sein.

Die Lösung für das Problem der geringen Akzeptanz aufgrund komplexer Analysen könnte die Künstliche Intelligenz (KI) liefern. Imaging-Daten sind geradezu dafür prädestiniert, durch KI analysiert zu werden, was auch bereits ziemlich früh sehr erfolgreich versucht wurde [1]. Allerdings gab es lange Zeit nur Do-It-Yourself-Lösungen, die viel bioinformatisches Know-how und Programmierwissen voraussetzten. Glücklicherweise existieren mittlerweile nutzerfreundliche Tools, die direkt in die Analysesoftware integriert sind und auch von Informatik-Laien verwendet werden können. Die KI-Algorithmen müssen dabei mit Ground-Truth-Datensätzen trainiert werden. Ein sogenannter Feature Extractor extrahiert dabei Eigenschaften aus den Einzelbildern, z. B. verschiedene Formen, Größen, Positionen, Kontraste und Intensitäten von gefärbten Arealen. Ein Classifier entscheidet dann, ob die jeweilige Zelle der einen oder anderen Population zuzuordnen ist.

 

Überraschende Befunde

Was sind denn nun konkrete Anwendungsfälle, bei denen die bildgebende Durchflusszytometrie wirklich punkten kann? Anhand eines Beispiels aus meiner Forschung möchte ich ihre Vorteile veranschaulichen:

Unser anfängliches Ziel war es, die Zahl apoptotischer Zellen in verschiedenen Organen wie Milz oder im Knochenmark mithilfe eines intravenös applizierten Farbstoffes, der exponiertes Phosphatidylserin bindet, zu detektieren. Das Membran-Phospholipid Phosphatidylserin auf der Zelloberfläche gilt als sehr spezifischer Zelltodmarker. Erste Färbungen mit diesem Farbstoff sahen wir uns mit konventioneller Durchflusszytometrie an und freuten uns, ein deutliches Signal zu erhalten. Allerdings wunderten wir uns über die sehr hohe Zahl von gefärbten Zellen: Apoptotische Zellen in gesunden Geweben sind selten, da sie sehr schnell von phagozytierenden Zellen beseitigt werden.

Als wir dann unsere Analysen mit einem bildgebenden Durchflusszytometer durchführen konnten, war die Überraschung groß: Die Zahl der gefärbten Zellen, die wirklich apoptotisch aussahen – d. h. ein Zellkörper, der komplett mit dem Phosphatidylserin-Bindereagenz gefärbt war und zahlreiche, intensiv gefärbte apoptotische Bläschen aufwies – war verschwindend gering und in der Größenordnung, wie wir es eigentlich von Anfang an erwartet hatten. Aber wie ließ sich dann der große Rest der gefärbten Zellen erklären? Nur durch unspezifische Färbung? Keineswegs! Dank der Bilder der Zellen hatten wir schnell einen Verdacht, was wir eigentlich angefärbt hatten. Die meisten gefärbten Zellen wiesen nur eine kleine punktförmige Färbung am Rand der Zelle auf, was eher einem gefärbten Anhängsel glich. Zahlreiche Kontrollexperimente bestätigten unsere Vermutung: Bei den gefärbten Anhängseln handelte es sich um extrazelluläre Vesikel. Ein Deep-Learning-Algorithmus ermöglichte uns dann die Unterscheidung zwischen Zellen, die einen Vesikel tragen, und tatsächlich apoptotischen Zellen (Abb. 2).

Mithilfe der bildgebenden Durchflusszytometrie konnten wir somit erstmals zeigen, welche Zellen in Organen mit extrazellulären Vesikeln interagieren [2].

Eine weitere wichtige Erkenntnis dieser Versuche bestand darin, dass einige der Oberflächenmarker, die wir gefärbt hatten, gar nicht auf der eigentlichen Zelle zu finden waren, sondern ausschließlich auf den gebundenen extrazellulären Vesikeln exprimiert wurden. Es lassen sich also auch Färbeartefakte viel leichter finden und aufdecken.

 

Nutzen für die Diagnostik

Dieses Beispiel soll den Nutzen der bildgebenden Durchflusszytometrie in der Forschung zeigen. Wie aber kann denn nun die Diagnostik von diesem Verfahren profitieren? Ein offensichtliches Anwendungs­gebiet wäre die Diagnostik von Erythrozyten-Defekten wie der Sichelzellanämie. Dort würde die bildgebende Durchflusszytometrie die KI-unterstützte High-Throughput-Analyse der verschiedenen Erythrozyten-Morphologien ermöglichen.

Ein weiteres diagnostisches Anwendungsgebiet wäre die Lymphomdiagnostik, da zusätzlich zu Oberflächenmarkern simultan morphologische Daten erhoben und analysiert werden können. Mit entsprechenden Software-Lösungen wäre dies sogar weitgehend automatisiert möglich.

Ob es die bildgebende Durchflusszytometrie aber tatsächlich in die Routine-Diagnostik schaffen wird, hängt sicherlich auch zum großen Teil von der Anwenderfreundlichkeit der Analyse-Software ab. Hier ist vor allem mit der Integration der KI-gestützten Bildanalyse in die Auswertungssoftware ein großer Schritt in die richtige Richtung bereits getan. 

Autor
Dr. Jan Kranich
Ludwig-Maximilians-Universität München
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