Standardisierung von Referenzintervallen für NT-proBNP in der Pädiatrie: Risikostratifizierung angeborener Herzfehler
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2021.04.04Bei NT-proBNP zeigt sich eine besonders ausgeprägte Altersabhängigkeit der Referenzintervalle im Kindesalter. Kontinuierliche Referenzintervalle und ein NT-proBNP-spezifischer zlog-Wert ermöglichen in der Kinderkardiologie erstmals Verlaufskontrollen und unterstützen die Risikostratifizierung bei schwerwiegenden kardialen Ereignissen. Dies erhöht den Stellenwert dieses Biomarkers für den klinischen Einsatz deutlich.
Schlüsselwörter: angeborene Herzfehler, MACE, Regressionsanalyse, NT-proBNP, zlog-Transformation
Die meisten Biomarker der Laboratoriumsmedizin weisen altersspezifische Referenzintervalle (RI) auf. In der Pädiatrie ergibt sich daraus eine besondere Herausforderung, da sich die Grenzwerte vom Neugeborenen- bis zum Adolszentenalter rascher verändern als bei Erwachsenen. Die Kernfrage lautet: Wie sollen Laborwerte im Altersverlauf verglichen werden, wenn zum Zeitpunkt der jeweiligen Messungen stark unterschiedliche Referenzintervalle galten? Im Folgenden wird anhand des kardialen Markers NT-proBNP, dessen Altersdynamik besonders stark ausgeprägt ist (Abb. 1), ein möglicher Lösungsansatz vorgestellt und dessen Implementierung im klinischen Alltag beschrieben.
Abb. 1: NT-proBNP-Konzentrationen bei herzkranken Kindern. Das Referenzintervall (schwarze gestrichelte Linie) verändert sich in den ersten Lebenstagen extrem rasch.
Obergrenze = 14.488 ∙ Alter[Tage]-0.505. Untergrenze = 470 ∙ Alter[Tage]-0.519.
Alle drei Abbildungen: Autoren.
NT-proBNP im Kindesalter
Die Peptide BNP (B-type natriuretic peptide) und NT-proBNP (N-terminal pro-B-type natriuretic peptide) hatten in den letzten zwei Jahrzehnten einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Kardiologie [1]. Beide Biomarker werden routinemäßig als wertvolle Prognosefaktoren bezüglich der Vorhersage von Morbidität und Mortalität herangezogen, wobei NT-proBNP dem BNP leicht überlegen ist [2]. Aufgrund der hohen Prävalenz erworbener Herzerkrankungen im höheren Lebensalter basieren die Ergebnisse vor allem auf groß angelegten, randomisierten Studien an Erwachsenen.
Dem steht eine äußerst dürftige Datenlage bei Kindern mit (überwiegend) angeborenen Herzfehlern (congenital heart disease, CHD) gegenüber. Diese stellen mit einer Prävalenz von ca. 1 auf 100 Lebendgeburten zwar den häufigsten Geburtsfehler dar, sind aber trotzdem deutlich seltener als die erworbenen Herzerkrankungen im Erwachsenenalter [2]. Hinzu kommt das in der Pädiatrie häufig anzutreffende Problem der Alterssprünge von Referenzgrenzen. Im Fall von NT-proBNP sind diese besonders ausgeprägt: Bis zum dritten Lebenstag liegt die 97,5te Perzentile bei über 13.000 ng/l, fällt dann im Laufe des ersten Lebensmonats rapide auf 1.000 ng/l ab und nähert sich danach deutlich langsamer den Referenzgrenzen Erwachsener von gut 200 ng/l an [3].
Wegen dieser in Abb. 1 dargestellten Dynamik ist es schwierig, genügend große Alterskohorten gesunder Kinder zu bilden, an denen man fließende Referenzgrenzen ermitteln könnte. Ein Vergleich von Messwerten verschiedener Altersgruppen zur Verlaufsbeurteilung war daher bislang so gut wie unmöglich.
Tagesgenaue Referenzgrenzen
2009 veröffentlichten Nir et al. erstmals Referenzgrenzen für NT-proBNP im Kindesalter, und zwar von der Geburt bis zum Abschluss des 18. Lebensjahres [3]. Das Kollektiv setzte sich aus 690 herzgesunden Kindern zusammen und ist bis heute die größte Sammlung von Referenzwerten für NT-proBNP. Anhand des Alters wurden die Probanden in sieben Altersgruppen aufgeteilt, für die dann die 97,5ten und 50ten Perzentilen ermittelt wurden. Trotz der relativ großen Kohorte konnte für das Intervall von 12 bis 30 Tagen keine Obergrenze ermittelt werden, und die Untergrenzen wurden überhaupt nicht mitgeteilt.
Aus diesem Grund mussten für die vorliegende Studie die fehlenden Grenzwerte rechnerisch ermittelt werden: Durch Spiegelung der 97,5ten Perzentile (obere Referenzgrenze) an der 50ten Perzentile (Median) wurden zunächst für jede Altersgruppe die 2,5te Perzentile (untere Referenzgrenze) geschätzt und anschließend mittels Regressionsanalyse kontinuierliche Referenzintervalle über alle Altersstufen hinweg berechnet [4]. Es ergab sich eine einfache Potenzfunktion vom Typ ct=c0∙t-a, wobei ct die NT-proBNP-Konzentration zum Zeitpunkt t in Tagen und c0 die Konzentration zum Zeitpunkt 0 ist. Mithilfe dieser Gleichung konnten erstmals tagesgenaue Referenzintervalle für NT-proBNP berechnet werden (Formeln siehe Abb. 1).
Im zweiten Schritt sollte die Vergleichbarkeit der NT-proBNP-Werte zwischen verschiedenen Altersgruppen mithilfe sogenannter zlog-Werte [5] geschaffen werden. Diese Relativwerte (im Folgenden als zlog-proBNP abgekürzt) geben die Anzahl der (logarithmierten) Standardabweichungen an, um die die NT-proBNP-Konzentration über oder unter dem altersspezifischen (logarithmierten) Mittelwert von Gesunden liegt. Ohne auf die mathematischen Details einzugehen [4, 6], errechnet sich der zlog-Wert aus der oberen und unteren Referenzgrenze für NT-proBNP, die sich ihrerseits aus den Formeln in Abb. 1 ergibt.
Der Vorteil von zlog-Werten im Vergleich zu Absolutwerten ist offensichtlich: Das so standardisierte, kontinuierliche Referenzintervall liegt über alle Altersstufen hinweg einheitlich bei -1,96 bis +1,96 („2-SD-Bereich“) und bildet somit die physiologischen Veränderungen im frühkindlichen Organismus ohne Alterssprünge ab. So werden Verlaufsbeobachtungen auch in den hochdynamischen ersten Lebenstagen auf einfache Weise möglich [4, 6].
Risikostratifizierung
Säuglinge stellen in der Pädiatrie eine besonders kritische Altersgruppe dar, da sie die höchste Sterblichkeitsrate aufweisen [2]. Häufigste Todesursache sind hierbei angeborene Herzfehler [2]. Im Journal of the American College of Cardiology publizierte unsere Arbeitsgruppe kürzlich eine Studie [6], die zeigte, dass der zlog-Wert von NT-proBNP zur Prädiktion von Morbidität und Mortalität geeignet ist und somit hilft, Hochrisikopatienten zu identifizieren.
Insgesamt wurden 910 Kinder mit angeborenen Herzfehlern im Alter von 0 bis 18 Jahren eingeschlossen, die zwischen 2011 und 2017 am Deutschen Herzzentrum München behandelt wurden. Bei 138 dieser Kinder trat während des Beobachtungszeitraums mindestens ein schwerwiegendes kardiales Ereignis (MACE = major adverse cardiovascular event) auf. Dies umfasste Tod (n = 10), Reanimation (n = 69), Notwendigkeit eines mechanischen Kreislaufunterstützungssystems (n = 35) oder stationäre Aufnahme wegen kardialer Dekompensation (n = 24).
Neben NT-proBNP und demografischen Daten wurden sieben weitere Biomarker (Hb, Hkt, Na, K, Kreatinin, GPT und CRP) hinsichtlich ihrer prognostischen Wertigkeit untersucht. Alle Absolutwerte wurden mittels zlog-Transformation standardisiert [6]. Unter allen verwendeten Markern erwies sich zlog-proBNP zusammen mit dem Alter als bester Prädiktor für MACE (adjustierte Hazard Ratio 1,52 [1,31–1,76], p < 0,001).
Aufgrund dieser hohen klinischen Wertigkeit hat zlog-proBNP inzwischen Eingang in die tägliche Routine der Kinderkardiologie am Deutschen Herzzentrum München gefunden. Der Wert wird im Laborbefund für alle Messungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ausgegeben. Im klinischen Alltag hilft diese Angabe, kardiale Verschlechterungen – insbesondere bei kleinen Kindern – auf einen Blick zu erkennen und Verläufe besser beurteilen zu können.
Klinisches Beispiel
Im Folgenden soll der praktische Nutzen von zlog-proBNP gegenüber der absoluten Konzentration verdeutlicht werden (Abb. 2a und b).
Abb. 2 a: Verlauf der absoluten NT-proBNP-Konzentration (blaue Punkte) und der Auswurffraktion (Dreiecke) bei einem Mädchen mit dilatativer Kardiomyopathie im ersten Lebensjahr. Die drei Punktewolken repräsentieren drei stationäre Aufenthalte. Die lineare Trendlinie (gestrichelt) legt einen in etwa waagrechten Verlauf nahe, der nicht zur dramatisch abnehmenden Pumpleistung des Herzens passt.
Abb. 2 b: Verlauf der zlog-Werte (rote Punkte) beim selben Kind. Die Zahlen auf der y-Achse repräsentieren nun relative Abweichungen vom Mittelpunkt des jeweiligen tagesgenau berechneten Referenzintervalls, ausgedrückt in Vielfachen der Standardabweichung auf einer log-Skala. Alle Werte liegen demnach deutlich über der Referenzobergrenze von 1,96 und steigen wegen der logarithmischen Skalierung der Trendlinie exponentiell an.
Bei der ausgewählten Patientin handelt es sich um einen weiblichen Säugling mit angeborener dilatativer Kardiomyopathie (DCM), die sich während des ersten Lebensjahres wegen zunehmender Herzinsuffizienz dreimal in stationärer Behandlung befand [4]. Im Alter von elf Monaten wurde das Kind schließlich zur Herztransplantation gelistet.
Echokardiografisch kam es im ersten Lebensjahr zu einer signifikanten Abnahme der Auswurffraktion (Ejection Fraction, EF) von 60 % (normale Pumpfunktion des Herzens) auf 20 % (stark eingeschränkte Pumpfunktion). Die Darstellung der absoluten NT-proBNP-Werte (Abb. 2 a) spiegelt diesen klinischen Verlauf nicht wider; im Gegenteil scheinen die Absolutwerte leicht zu sinken. Die transformierten NT-proBNP-Werte (Abb. 2 b) zeigen eindeutig die Verschlechterung der kardialen Funktion an. Grund hierfür ist, dass die Referenzgrenzen für NT-proBNP während der Säuglingszeit sehr viel schneller abfallen als die bei der Patientin gemessenen Absolutwerte. Durch die zlog-Transformation wird der Alterseffekt neutralisiert und die kardiale Funktionseinschränkung demaskiert.
Fazit
Altersabhängige Referenzintervalle von Labormarkern stellen in der Pädiatrie regelmäßig eine große Herausforderung dar. Erst mithilfe kontinuierlicher Referenzintervalle und zlog-Standardisierung kann NT-proBNP in der klinischen Routine seine hohe prognostische Wertigkeit voll ausspielen.