Schwerpunkt Sportmedizin Sport ist gesund. Oder nicht?
Sport ist unzweifelhaft ein „Massenphänomen“, das heute alle Gesellschaftsschichten erfasst: Millionen von Menschen treiben Sport, um sich fit zu halten, und umgekehrt ziehen sportliche Großereignisse Millionen von Menschen in ihren Bann. Besonders augenfällig wird das Wechselspiel zwischen Breiten- und Leistungssport bei Stadtmarathonläufen, an denen Tausende von Menschen teils aktiv auf der Straße, teils jubelnd am Straßenrand teilnehmen – an der Spitze des Feldes möglichst ein paar „Lichtgestalten“, die dem Ereignis besonderen Glanz verleihen.
In dieser Ausgabe von Trillium Diagnostik befassen wir uns mit den medizinischen Aspekten und hier vor allem mit der Frage, welche spezifischen Informationen die Labormedizin beisteuern kann, um einerseits die körperliche Fitness von uns Normalsterblichen zu bewerten und andererseits die Trainingsarbeit im Spitzensport zu optimieren. Aus aktuellem Anlass greift der Leitartikel zudem ein sehr spezifisches Thema auf: Wann darf man das Training nach überstandener COVID-19-Infektion wieder aufnehmen? Vielen ist als warnendes Beispiel sicher der deutsche Kombinierer Eric Frenzel in Erinnerung, der unter dem Leistungsdruck der Olympischen Winterspiele in Peking womöglich zu früh ins Geschehen zurückkehrte und in der Team-Staffel überlastet zusammenbrach.
Unsere Autorinnen und Autoren kommen diesmal ausnahmsweise nicht aus der Labordiagnostik, sondern aus der Sport-, Präventions- und Rehabilitationsmedizin; sie nähern sich der Labortestung also „von der anderen Seite“, indem sie aus ihrer medizinischen Praxis heraus Fragen an das Labor stellen. Und noch etwas unterscheidet diesen Schwerpunkt von seinen Vorgängern: Wir sprechen nicht über die Untersuchung von Kranken, sondern von Gesunden – denn Sport ist doch gesund, oder etwa nicht?
Die Marathon-Legende
Dr. Katrin Esefeld und Prof. Martin Halle aus München versuchen, auf diese Frage am Beispiel des Marathonlaufs eine Antwort zu finden, kommen aber zu keinem eindeutigen Schluss. Auf der einen Seite beobachten sie bei dieser Sportart Troponin-Spiegel, wie sie sonst nur beim Herzinfarkt auftreten, auf der anderen Seite sterben Marathonläufer nicht häufiger am Herztod als andere Menschen. Ins Reich der Legenden gehört jedenfalls die Geschichte, wonach der erste Marathonläufer tot umgefallen sei, nachdem er 490 vor Christus die rund 40 km von Marathon nach Athen gelaufen war, um den Sieg über die Perser zu verkünden. Laut Herodot sollte er Hilfe herbeiholen und benötigte für den Weg zwei Tage; die Legende wurde erst 500 Jahre danach von Plutarch erfunden.
Die Frage bleibt aber dennoch, wie man Laborwerte interpretiert, die an einer so speziellen Population erhoben wurden. Sollte man für Sporttreibende eigene Referenzintervalle ermitteln, oder zumindest die bestehenden Grenzwerte für diejenigen Messgrößen überprüfen, die durch sportliche Betätigung beeinflusst werden? Praktisch ist das seit der Einführung der indirekten Verfahren zur Referenzintervall-Überprüfung [1] leicht möglich, denn im Rahmen der Trainingssteuerung werden gewaltige Mengen an Labordaten erfasst, aus denen sich mit ein wenig Statistik valide Richtwerte ermitteln lassen. Dr. Nils Haller aus Mainz gibt einen Überblick über eine Vielzahl von Parametern, die in der sportmedizinischen Forschung diskutiert werden. Und er endet ähnlich wie die beiden oben Genannten mit der offenen Frage an die Labormedizin, welche davon routinetauglich und im Sinne der Trainingssteuerung sinnvoll sein könnten.
Prof. Dr. Georg Hoffmann
Herausgeber