Infektiöse Enzephalitis: Alte und neue Bekannte
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2022.01.07Infektiöse Enzephalitiden werden meist durch Viren, seltener aber auch durch Bakterien, Pilze oder Parasiten verursacht. Die Erreger können häufig mittels Nukleinsäureamplifikationstechniken im Liquor nachgewiesen werden, aber auch bewährte Verfahren wie die Kultur oder die Serologie haben weiterhin ihre Berechtigung. Aufgrund des Reiseverkehrs muss bei der Diagnostik in Europa auch an aus dem Ausland eingeschleppte Erreger gedacht werden.
Schlüsselwörter: HSV-1, HSV-2, VZV, Enterovirus, FSME, HIV, M. tuberculosis, L. monocytogenes, M. pneumoniae
Enzephalitis bezeichnet eine Entzündungsreaktion des Hirnparenchyms mit neurologischen Ausfallerscheinungen. Enzephalitiden können im Rahmen von Autoimmunprozessen, paraneoplastisch oder infektassoziiert auftreten und müssen von Enzephalopathien anderer Ursache (z. B. hypoxisch, metabolisch) abgegrenzt werden. Viren sind die häufigste Ursache infektiöser Enzephalitiden, seltener kommen Bakterien, Pilze oder Parasiten vor. Die Inzidenz der infektiösen Enzephalitis wird auf 1,5–7 Fälle pro 100.000 Einwohner/Jahr geschätzt [1].
Diagnostische Kriterien
Für die Diagnosestellung der infektiösen und/oder autoimmunen Enzephalitis wurden internationale Kriterien erarbeitet (Tab. 1).
Tab. 1: Enzephalitis – diagnostische Kriterien (modifiziert nach [2]).
Hauptkriterium (muss vorhanden sein) |
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Seit mind. 24 h bestehende Bewusstseinsänderung ohne anderweitige Erklärung |
Nebenkriterien |
Fieber ≥ 38 °C innerhalb der letzten 72 h |
Generalisierter oder fokaler Krampfanfall ohne prädisponierende Grunderkrankung |
Neu aufgetretene neurologische Symptomatik |
Leukozytennachweis ≥ 5 Zellen/µl |
Neu aufgetretene neuroradiologische oder elektroenzephalografische Hinweise auf Enzephalitis |
Vorliegen von 2 Nebenkriterien: mögliche Enzephalitis |
Vorliegen von ≥ 3 Nebenkriterien: wahrscheinliche/bestätigte Enzephalitis |
Der Erregernachweis wird meist aus Liquor geführt, seltener aus Biopsiematerial. Nukleinsäureamplifikationstechniken, allen voran die Polymerase-Kettenreaktion (engl. polymerase chain reaction, PCR) sind Standard für den Virusnachweis. Immer häufiger wird auch die Anzucht von Bakterien und Pilzen um kulturunabhängige PCR-Verfahren ergänzt. Die breite Verfügbarkeit einfach zu handhabender „Multiplex-Kits“ mit Abdeckung der häufigsten Pathogene fördert diese Entwicklung. Aber auch bewährte Verfahren wie die Serologie haben weiterhin ihren Stellenwert, beispielsweise beim Nachweis autochthoner Antikörperproduktion im zentralen Nervensystem oder bei negativer PCR.
Häufige Erreger
Herpes-, Enteroviren und FSME
Enzephalitiden durch Mitglieder der Herpesvirenfamilie wie Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1), Varizella-Zoster-Virus (VZV) und seltener HSV-2 sind bei immunkompetenten Patient:innen häufig. Der Nachweis mittels gut konzipierter Single- oder Multiplex-PCRs weist eine hohe Sensitivität und Spezifität auf. Dennoch kann insbesondere bei HSV-1 die PCR aus Liquor in frühen Phasen einer Infektion (≤ 3 Tage nach Symptombeginn) negativ ausfallen. Bei klinischem und/oder radiologischem Verdacht auf eine HSV-1-Enzephalitis sollte daher eine erneute Lumbalpunktion (nach frühestens 48 Stunden) samt Erregernachweis angestrebt werden [3]. VZV-Infektionen des zentralen Nervensystems (ZNS) zeigen neben Enzephalitiden auch eine ZNS-Vaskulitis und Myelitis. Gelingt kein Nachweis von VZV-DNA, so kann die Untersuchung einer intrathekalen Antikörperproduktion durch die Berechnung spezifischer Antikörperindizes aus einem Serum/Liquor-Paar hilfreich sein.
Auch Enteroviren treten als Erreger der infektiösen Enzephalitis in Erscheinung. Enteroviren sind RNA-Viren, gehören zur Familie der Picornaviridae und verursachen ca. 5 % der viralen Enzephalitiden[4]. Häufig nachgewiesen wird das zum Genus Enterovirus zählende Coxsackievirus Typ A9, A10, B2 und B5, Echovirus Typ 4, 5, 9, 11, 19 sowie Enterovirus Typ 71, 75, 76 und 89 [5]. Eine spezifische und wirksame pharmakologische Therapie ist aktuell nicht verfügbar, wobei die Verläufe meist blande und selbstlimitierend sind.
Der Erreger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) gehört zu den Flaviviren und wird vor allem durch Schildzecken übertragen. Die Infektion verläuft in der Mehrzahl der Fälle unbemerkt; bei symptomatischen Patient:innen ist ein zweigipfliger Krankheitsverlauf typisch: Einer akuten Phase mit Grippe-ähnlichen Symptomen folgen nach einem beschwerdefreien Intervall neurologische Symptome wie Enzephalitis, Meningitis und/oder Myelitis. Der Nachweis von Virus-RNA ist in dieser Phase meist nicht mehr möglich, sodass die Diagnosestellung zumeist durch Antikörpernachweis erfolgt.
HIV und Mycobacterium tuberculosis
Humane-Immundefizienz-Virus(HIV)-assoziierte Enzephalitiden sind eine eher seltene neurologische Manifestation einer HIV-Infektion. Die aktuell verwendeten HIV-Suchtests zeigen eine symptomatische Erstinfektion mit hoher Zuverlässigkeit an, somit schließt ein negativer Test eine HIV-bedingte Enzephalitis weitgehend aus. Bei positivem Testergebnis sollte der Nachweis von HIV-RNA aus Liquor folgen. HIV-positive Patient:innen zeigen auch eine erhöhte Anfälligkeit für bakterielle ZNS-Infektionen, beispielsweise durch Mycobacterium tuberculosis (wenngleich M. tuberculosis-Infektionen selbstverständlich auch bei HIV-negativen Personen auftreten). Der Nachweis von M. tuberculosis aus Liquor gestaltet sich oftmals schwierig, da die Erregerlast gering und die verfügbare Liquormenge zumeist limitiert ist. Der direkte mikroskopische M.-tuberculosis-Nachweis ist mit ca. 20 % wenig sensitiv [6]. PCR-Verfahren bieten eine deutlich höhere Sensitivität, „Goldstandard“ bleibt jedoch die zeitaufwändige Kultur. Als Erreger bakterieller Enzephalitiden wurden für M. tuberculosis in Frankreich und England Häufigkeiten von 8 % bzw. 5 % publiziert [7], oftmals assoziiert mit epidemiologischen Risikofaktoren wie Herkunft aus einem Hochendemiegebiet.
Tab. 2: Häufige Enzephalitiserreger bei Immunkompetenten.
Viren: |
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Herpes-simplex-Virus Typ 1 |
Varizella-Zoster-Virus |
Enteroviren |
Frühsommer-Meningoenzephalitis |
Humanes Immundefizienzvirus |
Bakterien: |
Mycobacterium tuberculosis |
Listeria monozytogenes |
Mycoplasma pneumoniae |
Borrelia spezies |
Treponema pallidum |
Protozoen: |
Toxoplasma gondii |
Listeria monocytogenes
Listeria-monocytogenes-Infektionen sind vorrangig Lebensmittel-assoziiert und nach HSV-1, VZV und M. tuberculosis auf Platz 4 der häufigsten Enzephalitis-Erreger [7]. Höheres Lebensalter, Immunsuppression und Alkoholabusus gelten als Risikofaktoren für eine Neurolisteriose, klinisch zeigt sich typischerweise das Bild einer Hirnstammenzephalitis (Rhombenzephalitis) [8]. Ähnlich wie bei M. tuberculosis handelt es sich um eine paucibazilläre Infektion, sodass diagnostisch eine Kombination aus direktem Erregernachweis (Mikroskopie & PCR) und parallel angelegten Kulturen am erfolgversprechendsten ist.
M. pneumoniae, Borrelien und T. pallidum
Besonders bei Kindern ist Mycoplasma pneumoniae ein häufiger Enzephalitis-Erreger; er ist aus Liquor jedoch nur in Ausnahmefällen nachweisbar. Die Diagnose stützt sich vielfach auf Befunde aus „nicht-neurologischen“ Untersuchungsmaterialien, weshalb eher eine immunologisch bedingte inflammatorische Reaktion als eine Invasion ins Hirnparenchym angenommen wird. Auch bei Infektionen mit Borrelien (genauer: Borrelienspezies aus dem Borrelia-burgdorferi-sensu-lato Komplex) gelingt ein direkter Nachweis aus Liquor zumeist nicht. Humanpathogene Spezies wie B. burgdorferi, B. garinii oder B. afzelii können als Verursacher einer Enzephalitis in Erscheinung treten, häufiger werden Neuroborreliose-Patient:innen jedoch mit einer Meningitis oder (Meningo-)Radikulitis auffällig. Der Nachweis von Anti-Borrelien-IgG- und -IgM-Antikörpern in Serum und Liquor sowie die Berechnung des Antikörperindex sind diagnostisch wegweisend und ergänzen Liquorzytologie und Zellzahlbestimmung. In unklaren Fällen kann die Bestimmung von CXCL13 im Liquor hilfreich sein, das als Chemoattraktant die Einwanderung von B-Zellen ins Entzündungsgebiet fördert und erhöhte Werte bei Neuroborreliose aufweist [9]. Die Neurosyphilis (Erreger: Treponema pallidum) ist mittlerweile eher selten geworden. Auch hier erfolgt der Nachweis überwiegend serologisch.
Immunsupprimierte
Alle aufgeführten Pathogene kommen auch bei Enzephalitiden unter Immunsuppression vor, oftmals mit aggraviertem Verlauf. Speziell in dieser Patientengruppe finden sich noch weitere virale Enzephalitiserreger: humanes Herpesvirus 6 (HHV6), Cytomegalievirus (CMV) und JC-Virus (benannt nach John Cunningham, dem Patienten, bei dem das JC-Virus 1971 erstmals isoliert wurde). Auch Infektionen mit Parasiten wie Toxoplasma gondii oder Pilzinfektionen mit Kryptokokken sind bei eingeschränkter Immunantwort häufiger anzutreffen. Für den Nachweis der genannten Pathogene aus Liquor stehen (zumindest in spezialisierten Laboren) spezifische PCR-Verfahren zur Verfügung.
Emerging Pathogens
Neben den „alten Bekannten“ sind in den letzten Jahren weitere Pathogene als Enzephalitiserreger charakterisiert worden. In Ausbruchsgeschehen viraler hämorrhagischer Fieber wurden Enzephalitiden nach Infektionen mit Ebolavirus oder Lassavirus beschrieben. Auch von Mücken übertragene Viren wie Zika oder Chikungunya können neurologische Ausfallerscheinungen bedingen. Diese Erkrankungen kommen in Europa derzeit noch selten vor, aufgrund der Reisetätigkeit muss aber an die Möglichkeit importierter Fälle gedacht werden. In Deutschland wurden bei Patient:innen mit Enzephalitis unklarer Ätiologie wiederholt Bornavirusinfektionen nachgewiesen [10]. Ermöglicht wurde dies durch neue Verfahren der Genomsequenzierung (Next Generation Sequencing) in Kombination mit metagenomischen Analysen, was die Identifizierung unbekannter oder nicht vermuteter Erreger ermöglicht. Der vermehrte Einsatz solcher Technologien kann dazu beitragen, die derzeitige Quote von ca. 50 % ätiologisch unklarer Enzephalitiden zu senken.