Metabolomics mittels NMR-Spektroskopie: Kleine Metaboliten, großes Potenzial

Astrid Petersmann, Kathrin Budde, Nele Friedrich und Matthias Nauck

Mit der Kernspinresonanzspektroskopie kann eine Vielzahl kleinmolekularer Bestandteile von Körperflüssigkeiten quantitativ bestimmt werden. Das Metabolom wird unter anderem vom Genom, Transkriptom und Proteom, aber auch von Umweltfaktoren oder akuten bzw. chronischen Erkrankungen beeinflusst. Daher lässt seine Analyse  Aussagen über den Gesundheitszustand und sogar über das Risikoprofil eines Individuums zu.


Schlüsselwörter:
Urinmetabolom, metabolisches Alter, Diabetes mellitus, Lipoproteinsubfraktionen

 

Die Laboratoriumsmedizin ist als Querschnittsfach an sehr unterschiedlichen Gebieten der Medizin beteiligt. Sie trägt in nahezu allen klinischen Fächern wesentlich zur Diagnosestellung und Therapieüberwachung, aber auch zur Risikobeurteilung und Früherkennung bei. So ist der positive Schwangerschaftstest häufig der erste Hinweis auf ein neues Leben. Erkrankungen, die auf das Leben der werdenden Mutter bzw. des heranwachsenden Kindes Einfluss haben können, werden z. B. durch den Nachweis von Infektionserregern oder durch Untersuchungen zum Zuckerstoffwechsel erfasst. Nach der Geburt ist in Deutschland das Neugeborenenscreening der verbindliche erste Kontakt mit der Laboratoriumsmedizin. Hier werden angeborene Stoffwechselerkrankungen gemäß der Kinder-Richtlinie spezifisch erfasst. Die angewendeten Verfahren reichen von der klassischen photometrischen Messung über LC-MS bis hin zu molekularbiologischen Methoden. Auch im späteren Leben werden diese und zahlreiche weitere Verfahren angewendet, um die Patienten bestmöglich medizinisch zu versorgen.

NMR-Spektroskopie

Der Einsatz der Magnetresonanztechnologie (MRT) für die Bildgebung ist in der Medizin bestens bekannt und etabliert. Hier werden in der Regel Feldstärken zwischen ein und drei Tesla eingesetzt, während im Laborbereich für die Kern­spinresonanzspektroskopie (Nuclear Magnetic Resonanc, NMR) Systeme mit neun bis 14 Tesla verwendet werden und so eine hohe Auflösung erreichen (Abb. 1).

Während nahezu alle klassischen laboratoriumsmedizinischen Methoden nur eine oder wenige Messgrößen in einem Messvorgang erfassen, ermöglicht die 1H-NMR-Spektroskopie die quantitative Bestimmung einer sehr großen Zahl an kleinmolekularen Messgrößen in etwa 15 bis 30 Minuten. Verwendet werden können sowohl Plasma und Urin als auch andere Biomaterialien wie Liquor und Punktate. Für die Verwendung von Urin ist die Präanalytik vergleichsweise einfach zu handhaben. Die Unterschiede zwischen den Proben der Individuen sind hier größer als die Unterschiede zwischen verschiedenen Lagerungsbedingungen bis zur Analytik.

Metabolom

Die Gesamtheit aller kleinmolekularen Bestandteile von Körperflüssigkeiten bis zu einer Größe von 1.000 D wird als Metabolom bezeichnet. Aus Sicht einer diagnostischen Disziplin ist dieses sehr interessant, da es durch zahlreiche Faktoren beeinflusst wird. Veränderungen im Metabolom werden u. a. hervorgerufen durch das Genom (Polymorphismen spiegeln sich mitunter im Metabolom wider), das Transkriptom und das Proteom, Einflüsse durch Lebensstil und Umwelt eines Individuums (z. B. physische Fitness und die Einnahme von Medikamenten bzw. bestimmten Nahrungsmitteln) sowie akute und chronische Erkrankungen.
Wichtig vor dem Hintergrund der Früherkennung ist aber vor allem die Möglichkeit, Hinweise auf subklinische Veränderungen frühzeitig vor anderen diagnostischen Verfahren zu erhalten.

Standardisierung, Identifizierung und Quantifizierung

Die NMR-Spektroskopie weist große Vorteile auf, da sie aufgrund der quantitativen Erfassung der 1H-Spektren eine beispielhafte Standardisierung ermöglicht. Damit lassen sich die unvermeidlichen Messfehler minimieren und eine analytisch robuste Datenbasis schaffen. Die Übereinstimmung der Spektren zwischen verschiedenen Geräten ist ebenso groß wie die Vergleichbarkeit der Spektren, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfasst werden – egal ob hier Tage oder Jahre oder gar Jahrzehnte zwischen den Messungen liegen. Von daher bietet die Beschreibung von individuellen NMR-Spektren die Möglichkeit, biologische Veränderungen wie das Älterwerden geradezu ideal zu erfassen.
Vor allem für das Erkennen subklinischer Veränderungen bietet die NMR-Spektroskopie einen für die Laboratoriumsmedizin innovativen analytischen Ansatz. Im Gegensatz zu den meisten anderen Messverfahren bedarf es hier nur eines internen Standards. Die relative Lage der Peaks im Spektrum zum internen Standard (chemische Verschiebung) ermöglicht im Abgleich mit den bestehenden Datenbanken die Identifizierung und Quantifizierung der Metaboliten (Abb. 2). 

Darüber hinaus liefern die Spektren Informationen zu noch unbekannten Metaboliten. Dieser Ansatz wird auch als ungerichteter Auswertungsansatz bezeichnet und ermöglicht die Beschreibung von neuen diagnostisch wertvollen Metaboliten oder Metabolitmustern. Chronische Erkrankungen beginnen oft schleichend und werden von den betroffenen Individuen häufig nicht rechtzeitig bemerkt. Auf dem Entwicklungsweg von „gesund“ zu „krank“ spricht man in dem Übergangszenario von subklinischen Änderungen. In Zukunft wird eine der Herausforderungen darin bestehen, diese Veränderungen einfach zu erfassen, um so diejenigen Personen zu identifizieren, die von Präventionsmaßnahmen profitieren können.

Metabolisches Alter und Risikoprädiktion

Mit den prospektiven Daten der „Study of Health in Pomerania“ (SHIP-Studie) ist es gelungen, wertvolle Informationen aus dem Urinmetabolom zu generieren. Es wurden Algorithmen entwickelt und verifiziert, die die Bestimmung des biologischen Alters auf der Basis des Urinmetaboloms ermöglichen. Individuen, die metabolisch älter sind als das chronologische Alter, weisen dabei eine höhere Mortalitätsrate auf und zeigen damit insgesamt ein erhöhtes Risikoprofil. Personen mit einem bekannten Diabetes mellitus haben z. B. in der Regel ein höheres metabolisches Alter, wodurch deren erhöhtes Risikoprofil korrekt wiedergegeben wird. Darüber hinaus lässt sich anhand des Urinmetaboloms das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus für einen Zeitraum von fünf Jahren voraussagen. So erhält der Mediziner durch eine einfache Urinuntersuchung wichtige Informationen für eine erfolgreiche Prävention. In Analogie dazu kann die Alterung der Haut herangezogen werden: Die glatte und elastische Haut eines Säuglings weist eindeutig andere Eigenschaften auf als die Haut eines Jugendlichen, die von jüngeren oder älteren Erwachsenen oder gar die von Greisen. Vergleichbare Veränderungen bietet auch das Metabolom und lässt damit wichtige Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand einer Person zu.

Lipoproteinsubfraktionen

Seit mehr als einhundert Jahren ist bekannt, dass erhöhte Cholesterinkonzentrationen im Plasma dazu beitragen, kardiovaskuläre Erkrankungen zu entwickeln. Dabei kann das Risiko besser klassifiziert werden, wenn zusätzlich zum Gesamtcholesterin das LDL-Cholesterin (atherogen) und das HDL-Cholesterin (protektiv) quantifiziert werden. Weitere wertvolle Informationen sind in den sogenannten Lipoproteinsubfraktionen enthalten, die in der Regel aufwendige laboranalytische Verfahren, große Blutmengen und lange Bearbeitungszeiten erfordern. In einer wissenschaftlichen Kooperation zwischen dem Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald und Bruker Biospin ist es gelungen, die medizinischen Informationen der Lipoproteinsubfraktionen aus den NMR-Spektren anhand einer  15-minütigen Messung zu erfassen. Damit steht  ein sehr leistungsfähiges Analysesys–tem zur individuellen Risikoabschätzung zur Verfügung, das Störungen im Fettstoffwechsel im Detail erfasst.

Einfluss der Schilddrüse

Hierdurch konnte gezeigt werden, dass selbst bei Änderungen von Schilddrüsenhormonen innerhalb des Referenzbereiches deutliche Effekte auf den gesamten Lipoproteinstoffwechsel beobachtet werden können. Des Weiteren ermöglichen Signaturen aus Metaboliten in der Diagnose von seltenen Schilddrüsenerkrankungen eine relevante Weiterentwicklung in der Diagnostik.
Diese Beispiele verdeutlichen das Potenzial der 1H-NMR-Spektroskopie für die Medizin. Eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Technologie gemeinsam mit den klinischen Fachdisziplinen kann umfangreichen Nutzen für die Präzisionsmedizin und damit für die Krankenversorgung der Zukunft stiften.

Autor
PD Dr. med. Dipl.-Biol. Astrid Petersmann
Interdisziplinäres UMG-Labor und Institut für Klinische Chemie, Universitätsmedizin Göttingen
nstitut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Universitätsmedizin Greifswald