Diabetesüberwachung – auch per Smartphone
Kontinuierliches Glukose-Monitoring
Bisher erfolgte die Überwachung des Blutzuckerspiegels im Rahmen der Therapiekontrolle bei Patienten mit Diabetes mellitus meist durch mehrere, über den Tag verteilte Einzelmessungen. Das kontinuierliche Glukosemonitoring verspricht nun eine mehr oder weniger lückenlose Überwachung, welche Schwankungen besser erfasst. Auf dem MEDICA LABMED FORUM 2018 in Düsseldorf berichteten Prof. Dr. med. Peter Luppa (München) und Prof. Dr. med. Timo Kouri (Helsinki) über analytische Herausforderungen und Verheißungen für die Zukunft.
Schlüsselwörter: CGM, rtCGM, iscCGM, künstliches Pankreas, Diabetes Typ 1, Diabetes Typ 2
Die regelmäßige Bestimmung des Blutzuckerspiegels ist vor allem für Typ-1-Diabetiker unerlässlich, um Hyper- und Hypoglykämien rechtzeitig zu erkennen und bei Bedarf therapeutisch gegenzusteuern. Gefürchtet sind vor allem unbemerkte nächtliche Hypoglykämien, aber auch tagsüber sind nicht alle Patienten – v. a. Kinder und Hochbetagte – in der Lage, die Symptome korrekt zu deuten. So bleiben klinisch relevante Zustände unter Umständen durch fehlende Messung unentdeckt [1].
Über den Tag verteilte Einzelmessungen, wie sie von vielen Patienten bei der Selbstkontrolle täglich durchgeführt werden, stellen nur Momentaufnahmen dar und erlauben keine Aussagen über die Kinetik des Glukosespiegels. Deshalb kommen bei immer mehr Patienten – insbesondere bei Kindern mit Typ-1-Diabetes – seit einigen Jahren kontinuierlich messende Glukosesensoren zum Einsatz, die den Blutzuckerspiegel mit einer sehr hohen Messpunktdichte über den gesamten Tag hinweg erfassen. Das Bild des Diabetikers mit dem „Chip“ auf dem Oberarm, der per Handy ausgelesen wird, gehört inzwischen bereits zur Alltagserfahrung.
Selbstmessung mittels CGM
Das kontinuierliche Glukose-Monitoring (CGM; continuous glucose monitoring) erfolgt im Rahmen der Selbstkontrolle beim Patienten durch Sensoren, die entweder direkt subkutan implantiert werden, oder von einem außenliegenden Transmitter in die interstitielle Flüssigkeit reichen, und dort z. B. im fünf-Minuten-Rhythmus die Glukosekonzentration messen (Abb. 1 a, b). Über CGM können die Zeiträume erfasst werden, in denen die Glukosekonzentration außerhalb des erwünschten Bereichs liegt. So erhält man beispielsweise Einblicke in die Reaktion des Körpers auf Nahrungsaufnahme und Insulininjektion, erkennt zu lange Abstände zwischen den Injektionen und kann auch nächtliche Hypoglykämien zuverlässig erfassen.
Allerdings wird die Glukosekonzentration bei diesem Verfahren nicht im Blut, sondern in der interstitiellen Flüssigkeit gemessen. Spiegeländerungen erfolgen hier physiologisch mit einer Zeitverzögerung von ca. 6 Minuten, und messtechnisch bedingt kann es 8 bis 22 Minuten dauern, bis der Patient bei der Selbstkontrolle über relevante Änderungen der Glukosekonzentration informiert wird (Abb. 2). Dabei beeinflussen auch physiologische Faktoren wie Blutdruck und Anstrengung, Ernährung und eingenommene Medikamente das Ergebnis und die Kinetik. Manche Messmethoden reagieren dazu unspezifisch auf Moleküle wie Vitamin C, Harnsäure oder Dopamin.
Die Sensoren werden vom Körper als Fremdkörper erkannt, weshalb sie, je nach Modell, in der Regel alle 7 bis 14 Tage ausgetauscht werden müssen. Einige Modelle sind mittlerweile für eine Nutzung von mehr als drei Monaten zugelassen.
Grundsätzlich können bei der kontinuierlichen Glukosemessung zwei Ansätze unterschieden werden: die Echtzeiterfassung (real time; rtCGM), bei der die Messwerte kontinuierlich weitergeleitet und verarbeitet werden, und das retrospektive Ablesen der kontinuierlich erfassten Daten nach einem manuell initiierten Abruf (Glukosemessung mittels intermittierendem Scannen; iscCGM).
rtCGM
Die Messung erfolgt dabei durch einen Sensor, der entweder mit dem auf der Haut getragenen Transmitter fest verbunden ist oder über Nahfeldkommunikation (NFC) die Daten drahtlos an einen solchen Transmitter überträgt. Von diesem werden die Werte dann via Bluetooth an einen Empfänger weitergeleitet, der sie anzeigt und grafisch aufbereitet. Diese Aufgabe kann eine Smartphone-App oder auch ein speziell dafür konzipierter Empfänger übernehmen. Von diesem Endgerät können die Daten dann zur weiteren Auswertung auf lokale Computer oder Cloud-Systeme übertragen werden.
Um ein sofortiges Eingreifen zu ermöglichen, werden die Patienten auch durch Warnsignale alarmiert, sobald die Glukosekonzentration über oder unter einen bestimmten Schwellenwert ansteigt bzw. abfällt. Dies sichert insbesondere diejenigen Patienten ab, die bisher Schwierigkeiten hatten, Warnsignale ihres Körpers für Hypo- oder Hyperglykämie zu erkennen.
Noch in der Erprobungsphase befinden sich geschlossene diagnostisch-therapeutische Systeme (sog. „künstliches Pankreas“), welche die Daten direkt an eine Insulinpumpe übertragen (Abb. 1c). Damit kann möglicherweise eines Tages die Therapie über Schwellenwerte kontinuierlich angepasst werden.
Auch für den Gebrauch auf Intensivstationen sind CGM-Systeme in Erprobung: Hier funktionieren diese allerdings technisch gänzlich anders, da der Tragekomfort keine Rolle spielt und venöse Zugänge häufig ohnehin vorhanden sind. Automatische Messungen können hier also direkt im Blut, beispielsweise über Mikrodialyse-Verfahren, durchgeführt werden.
iscCGM
Sensoren zur Glukosemessung mit intermittierendem Scannen, auch als Flash-Glukosemessung bezeichnet, erfassen zwar die Glukosekonzentration in regelmäßigen Abständen, eine kontinuierliche Funkverbindung zum Empfänger besteht aber nicht. Vielmehr ruft der Patient die Daten retrospektiv ab, wenn er sie benötigt – und erhält somit auch keine automatischen Warnungen bei kritischen Entwicklungen.
Medizinischer Nutzen
Studien konnten zeigen, dass die Diabeteskontrolle durch kontinuierliche Glukosemessungen verbessert wird. Patienten, die bereits eine gute glykämische Kontrolle und HbA1c nahe ihrem Zielwert hatten, konnten das Risiko von Hypoglykämien weiter vermindern. In einer randomisierten multizentrischen Studie wurde durch rtCGM die Inzidenz hypoglykämischer Ereignisse um 72% reduziert. Auch bei nur retrospektiver Erfassung konnten Patienten mit Typ-1-Diabetes den Zeitraum, in dem eine Hypoglykämie vorlag, um fast 90 Min. pro Tag vermindern, den hyperglykämischen Zeitraum um 20 Min. [2, 3].
Allerdings sind häufig noch Parallelmessungen mit klassischen Blutzucker-Messgeräten vorgesehen – zum einen für die Kalibrierung, zum anderen um in bestimmten Situationen die Zeitverzögerung zu vermeiden. Studien zeigen allerdings, dass der Mehrwert begrenzt ist. In den USA wurde bereits ein Gerät zugelassen, bei dem die Parallelmessung nur noch zur Kalibrierung durchgeführt werden muss. Erste Systeme, bei denen möglicherweise auch die Nachkalibrierung entfallen kann, wurden bereits vorgestellt.
Für Patienten mit Typ-2-Diabetes ist die Studienlage deutlich begrenzter, aber auch hier deutet einiges auf eine bessere glykämische Kontrolle gegenüber herkömmlicher Selbstmessung hin. Die fehlende Standardisierung der klinischen Endpunkte erschwert die Auswertung von Metaanalysen. Zahlreiche laufende Studien dürften die Evidenzlage aber weiter verbessern [2–5].
Zuverlässigkeit der Daten
Spezifische Vorgaben für die Qualitätssicherung existieren bisher nur für die USA, während sie für andere Länder noch fehlen (z. B. Verankerung in der Rili-BÄK für Deutschland). Daher wird häufig der mittlere Betrag der relativen Differenz zwischen zwei Messungen (Mean Absolute Relative Difference, MARD) als Kriterium für die Zuverlässigkeit der Messung verwendet. Dieser basiert auf der paarweisen Messung mit einem CGM-Gerät und einer Vergleichsmethode. Man drückt die Differenzen in Prozent der Referenzmessung aus und mittelt mehrere über einen bestimmten Zeitraum erhaltene Resultate:
In Anlehnung an die ISO 15197:2013 sollte die mittlere Differenz nicht über 6% liegen. Im Routinebetrieb wird als Vergleichswert eine Blutzucker-Selbstmessung verwendet. Da aber auch diese mit einer bestimmten Impräzision und Unrichtigkeit behaftet ist, spiegelt der so erhaltene MARD-Wert nicht unbedingt die reale Abweichung des Sensors vom tatsächlichen Blutzuckerspiegel wider. Alternativen sind daher in Entwicklung [5, 6].
Verwendung der Daten
Die geschilderten Charakteristika und Einschränkungen führen je nach Land zu ganz unterschiedlichen Vorgehensweisen in der Verwendung der Daten. So hat zum Beispiel die FDA die iscCGM nicht zur eigenständigen Ablesung durch den Patienten zugelassen, und die Auswertung auf die Interpretation des längerfristigen Glukoseverlaufs beschränkt. Die Interpretation der Einzelwerte ist dagegen ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu können die Daten in Finnland in ein cloudbasiertes System für Gesundheitsdaten hochgeladen werden, wo sie GDPR-konform zum einen den Patienten in ihrem persönlichen Bereich zugängig sind und zum anderen als Teil eines elektronischen Patientenberichtes Ärzten bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden können.
Als internationaler Standard zur retrospektiven Auswertung etabliert sich das „ambulatory glucose profile“ (AGP), ein proprietäres Verfahren, das auch Schwankungen über mehrere Tage und die Zeit im Zielbereich nachvollziehbar macht.
Kostenübernahme
Nach Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wurden Echtzeit-Sensoren durch einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) 2016 in Anlage I (Methoden, die als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen) der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als Nr. 20 aufgeführt. Sie können daher als Kassenleistung übernommen werden, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Hierzu zählen zum einen eine patientenspezifische Begründung – z. B. intensivierte Insulintherapie bzw. Einsatz einer Insulinpumpe, fehlende Unterzuckerungswahrnehmung, oder bei Kindern die fehlende Fähigkeit, selbst den Blutzucker zu messen. Dieser Beschluss bezog sich aber ausschließlich auf Modelle mit kontinuierlicher Echtzeitüberwachung und Alarmfunktion. Insbesondere iscCGM-Systeme waren zum Zeitpunkt der Bewertung durch das IQWiG noch nicht verfügbar.
Allerdings gab es im gleichen Jahr ein Urteil des Sozialgerichts Konstanz (S 8 KR 1870/15), das eine Krankenkasse verpflichtete, die Kosten für ein selbstbeschafftes iscCGM-System zu übernehmen. Somit ist auch die Erstattung solcher Systeme nicht grundsätzlich auszuschließen – mittlerweile bieten sie einige Krankenkassen auch von sich aus in begründeten Fällen an. In der Schweiz sind sowohl rtCGM als auch iscCGM auf der Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) des Bundesamtes für Gesundheit enthalten.
In jedem Fall muss ein Erstattungsantrag für diese Systeme stichhaltig begründet werden.FazitAuch wenn in einigen Bereichen, wie z. B. der Kalibrierung und Qualitätskontrolle noch „Luft nach oben“ besteht, ist der medizinische Nutzen von kontinuierlich messenden Glukosesensoren insbesondere für Patienten mit Typ-1-Diabetes inzwischen recht gut belegt und die Erstattung von rtCGM-Systemen durch die Krankenkassen möglich. Die kontinuierliche Glukosemessung bietet vor allem Patienten mit nächtlichen Hypoglykämien sowie all denjenigen, die Schwierigkeiten haben, eine relevante Unter- oder Überzuckerung frühzeitig wahrzunehmen, neue Sicherheit. Zudem sind sie Grundlage für weitere Entwicklungen in Richtung auf ein durch Sensoren und Algorithmen gesteuertes „künstliches Pankreas“.
Fazit
Auch wenn in einigen Bereichen, wie z. B. der Kalibrierung und Qualitätskontrolle noch „Luft nach oben“ besteht, ist der medizinische Nutzen von kontinuierlich messenden Glukosesensoren insbesondere für Patienten mit Typ-1-Diabetes inzwischen recht gut belegt und die Erstattung von rtCGM-Systemen durch die Krankenkassen möglich. Die kontinuierliche Glukosemessung bietet vor allem Patienten mit nächtlichen Hypoglykämien sowie all denjenigen, die Schwierigkeiten haben, eine relevante Unter- oder Überzuckerung frühzeitig wahrzunehmen, neue Sicherheit. Zudem sind sie Grundlage für weitere Entwicklungen in Richtung auf ein durch Sensoren und Algorithmen gesteuertes „künstliches Pankreas“.