Unter dem Motto „Mehr Wissenschaft, mehr Hoffnung“ diskutierten über 4.200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an zweieinhalb Tagen in Livestream-Sessions, folgten wissenschaftlichen Online-Symposien im Livestream oder sahen Abstract-Präsentationen in vorab aufgezeichneten Videos. 250 unabhängige Gutachter bewerteten 515 eingereichte Abstracts und wählten die sechs besten Arbeiten aus. Über 4.200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 12 Ländern hatten sich registriert, davon 436 für den Pflegekongress.
„Im Bereich der Immun- und Präzisionsonkologie sehen wir derzeit große Bewegungen“, konstatierte Prof. Markus G. Manz, Zürich, Kongresspräsident und Präsident der SGH/SSH, im Rahmen der Kongress-Pressekonferenz. Dazu gehören die schon bekannte und etablierte CAR-T-Zell-Therapie und die noch neueren CAR-NK-Zellen. Als Off-the-shelf-Option wurden die CAR-NK-Zellen von Winfried Wels, Frankfurt/Main, in einem wissenschaftlichen Symposium vorgestellt. Im Gegensatz zu den T-Zellen müssen die NK-Zellen nicht jedem Patienten individuell entnommen, aufbereitet und wieder zugeführt werden. Voraussetzung für die Präzisionsonkologie sei die tiefe molekulare Analyse von Tumoren, nicht nur die Entschlüsselung des Genoms, sondern auch des Proteoms und der Mikroumgebung des Tumors und deren Interaktion mit dem Tumor.
SARS-CoV-2/COVID-19 als neuer Komorbiditätsfaktor
„Wir wollten unsere Patientinnen und Patienten vor der Ansteckung mit dem unbekannten Virus schützen, wir wollten und mussten unsere wichtigen onkologischen Therapien trotz Pandemiebedingungen durchführen und wir mussten onkologische Behandlungen auch bei mit COVID-19 infizierten Patienten weiterführen“, beschrieb Prof. Lorenz Trümper, Göttingen, geschäftsführender Vorsitzender der DGHO, die Situation im Frühjahr 2020. So galt es, die Abläufe bei der ambulanten und stationären Diagnostik und Therapie der Patienten mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen so zu organisieren, dass der besonderen Vulnerabilität dieser Patientenkohorte Rechnung getragen werden konnte.
Am Universitätsklinikum Göttingen und in anderen Kliniken in Deutschland wurde während der Hochphase der Pandemie beispielsweise die Intensität von Erhaltungstherapien bei Patienten, die eine komplette Remission bei malignen Lymphomen aufwiesen, reduziert. Wo es medizinisch sinnvoll und verantwortbar war, wurden die Patienten statt alle zwei bis drei Monate auf alle vier bis sechs Monate Rituximab umgestellt, um potentiell mit einem Infektionsrisiko verbundene Klinikbesuche zu reduzieren. Durch COVID-19 besonders gefährdete Krebs-patienten seien solche mit einem geschwächten Immunsystem bzw. mit lang-andauernder Unterdrückung des Immunsystems durch Kortikosteroide oder Patienten nach einer Fremdspendertransplantation sowie solche mit Leukämien und malignen Lymphomen mit aktiver Erkrankung, so Trümper weiter. Dagegen hätten viele andere Krebspatienten mit chronischer und gut beherrschter Erkrankung oder nach einer erfolgreichen Erstbehandlung kein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit SARS-CoV-2. Hinsichtlich der Anzahl neu diagnostizierter Krebserkrankungen konnte zwischen März bis Mai eine signifikante Abnahme festgestellt werden. Trümper: „COVID-19 ist bedauerlicherweise für unsere Patientinnen und Patienten, aber auch für uns als Behandler eines von vielen neuen Elementen in der Krebstherapie, auf das wir auch in den nächsten Monaten, wahrscheinlich Jahren, aufpassen müssen“.
CAR-T-Zell-Therapie in Heidelberg
Die Immuntherapie mit chimären Antigen-Rezeptor-T-Zellen, den sogenannten CAR-T-Zellen, hat neue Perspektiven für eine gezielte Immuntherapie maligner Erkrankungen mit kurativem Potential eröffnet, zunächst bei Patienten mit rezidivierten/refraktären, aggressiven B-Zell-Lymphomen und rezidivierter/refraktärer B-Linien-ALL. Als Nächstes wird die Zulassung von CAR-T-Zellen beim Multiplen Myelom erwartet, was voraussichtlich zu einer weiteren Zunahme der CAR-T-Zell-Therapien hierzulande führen wird. „CAR-T-Zellen sind in Deutschland in der Versorgung angekommen. Grundsätzlich gilt bei der CAR-T-Zell-Therapie: Die Kunst besteht in der Wahl der richtigen Therapie für den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt“, betonte Trümper. Als eines der besten Abstracts wurde die Präsentation der Heidelberger CAR-1(HD-CAR-1)-Studie ausgezeichnet, eine Phase-I/II-Studie, die die Sicherheit und Durchführbarkeit einer Therapie mit CD19-gerichteten chimären Antigenrezeptor(CAR)-T-Zellen untersuchte (Schubert ML et al. Abstract 302). Leukapherese, Aufbereitung und die Applikation der CAR-T-Zellen, die Überwachung der Patienten und das Follow-up erfolgen am Universitätsklinikum Heidelberg. Von 22 Patienten mit verschiedenen hämatologischen Neoplasien hatten 19 Patienten die CAR-T-Zell-Therapie erhalten. Die Gesamt-ansprechrate (ORR) betrug 63 %, davon 42 % komplette Remissionen. Bei Patienten, die eine höhere Dosis erhalten hatten (20 x 106 CARTs/m2) lag die ORR bei 79 %. Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie profitierten besonders. Zwei Patienten entwickelten ein Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS) ≥ Grad 3 und wurden mit Tocilizumab +/- Steroiden behandelt; Immuneffektorzell-assoziierte Neurotoxizitätssyndrome (ICANS) ab Grad 3 traten nicht auf. Das Sicherheitsprofil sei exzellent, so die Autoren.
Sowohl COVID-19 als auch die CAR-T-Zell-Therapie verdeutlichen, wie wichtig die Zusammenarbeit sowohl zwischen verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen als auch zwischen ärztlichem und pflegerischem Personal ist. So konstatierte Trümper: „Eine optimale Behandlung lässt sich nur dann realisieren, wenn wir eng mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fachgebiete sowie der Pflege kooperieren. Exzellent ausgebildetes Pflegepersonal ist unabdingbar.“ Hauptthemen des Pflegekongresses waren die CAR-T-Zell-Therapie, COVID-19 und Krebs, Sym-ptom-Management sowie palliative und supportive Themen, insbesondere Hautreaktionen unter Tumortherapie.
Mascha Pömmerl