Vor Ihnen liegt das umfangreiche „Herbstheft“ von Trillium Krebsmedizin. Dieses Doppelheft aus ursprünglich zwei geplanten Einzelausgaben kam auf dringenden Wunsch unserer Fachautorinnen und -autoren zustande, die aufgrund von Corona- und urlaubsbedingten Ausfällen in ihren Kliniken unter enormem Stress standen und immer noch stehen. Wir haben uns deshalb entschlossen, für ein wenig Entlastung zu sorgen und die Deadlines für die Manuskripte zu verlängern. Deshalb nun ein besonders umfangreiches Heft mit gleich zwei interessanten Schwerpunkten: seltene Tumoren und Supportivtherapie. Ein echtes gemischtes Doppel.
Ein Fünftel aller Krebserkrankungen gilt als „selten“. Da sich diese Fälle aber auf rund 200 Entitäten verteilen, ist die Anzahl an Patient:innen in jeder Gruppe sehr klein. Seltene Tumoren stellen Behandelnde deshalb vor besondere Herausforderungen. Unser erster Schwerpunkt bringt Ihnen vier seltene Tumor-erkrankungen von besonderer Relevanz näher.
Maria Pouyiourou, Tilmann Bochtler und Alwin Krämer geben ein aktuelles Update zum CUP-Syndrom. Dieser Begriff umschreibt heterogene Tumor-erkrankungen mit nachweisbaren Metastasen, bei denen trotz umfassender Diagnostik kein Primärtumor nachweisbar ist. Acht von zehn Patient:innen mit CUP-Syndrom gehören zu einer Subgruppe mit besonders aggressivem Verlauf und geringen medianen Überlebenszeiten. In diesen Fällen geht es darum, eine zeiteffiziente Diagnostik durchzuführen und die Betroffenen schnellstmöglich einer angemessenen Behandlung zuzuführen. Derzeit werden prognostisch ungünstige CUP-Syndrome mit platinhaltiger Chemotherapie behandelt, doch eine umfassende molekulargenetische Untersuchung des Tumormaterials erlaubt die Identifizierung potentieller Zielstrukturen für zielgerichtete Behandlungen oder Immuntherapien. Die Wirksamkeit solcher Therapien bei aggressivem Verlauf ist allerdings noch Gegenstand klinischer Studien.
Anica Högner und Peter Thuss-Patience widmen sich in ihrem Beitrag den Plattenepithelkarzinomen des Öso-phagus. Bei diesen Tumoren haben immunonkologische Behandlungsverfahren die aktuelle Therapielandschaft komplett auf den Kopf gestellt. Binnen kürzester Zeit konnten sich Immunonkologika als Standardtherapien etablieren – entweder als Monotherapie oder in Kombination mit Chemotherapie und im palliativen Erstliniensetting auch als duale Checkpoint-Inhibitor-Kombination. Bei aller Euphorie gibt es aber auch offene Fragen, die im Schwerpunktbeitrag diskutiert werden.
Neuroendokrine Neoplasien (NEN) sind heterogene, zum Teil sehr komplexe Tumorerkrankungen, die ein breites Spektrum an therapeutischen Optionen umfassen. Zwar empfehlen nationale und internationale Leitlinien Standardtherapien, doch ist die Evidenzlage insgesamt schwach, berichtet Anja Rinke in ihrem Beitrag. Umso wichtiger ist ein strukturiertes, interdisziplinäres Vorgehen für die optimierte Versorgung der Betroffenen. Gerade in der metastasierten Situation wird empfohlen, das therapeutische Vorgehen in einer interdisziplinären Tumorkonferenz an einem erfahrenen Zentrum zu diskutieren.
Der letzte Beitrag des Schwerpunkts befasst sich mit dem Schilddrüsenkarzinom, dem häufigsten Malignom des endokrinen Systems. Die meisten differenzierten Schilddrüsenkarzinome – die große Mehrheit der Schilddrüsentumoren – können durch Operation und Radiojodtherapie geheilt werden. Für einzelne Erkrankte im fortgeschrittenen Stadium stehen zudem präzisionsonkologische Optionen zur Verfügung. Auch für Patient:innen mit medullären Karzinomen sind heute erste zielgerichtete Therapiemöglichkeiten zugelassen.
Keine onkologische Therapie ohne Supportivtherapie. Diesen Sachverhalt meint auch der Wahlspruch der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC): „Supportive Care Makes Excellent Cancer Care Possible.“ Nun wurden in der Therapie von malignen Erkrankungen insbesondere in der vergangenen Dekade enorme Fortschritte erzielt, und die Therapien entwickeln sich in rasantem Tempo weiter. Grundlegender Trend dieser Entwicklung: immer individueller, immer präziser auf die einzelne Patientin/den einzelnen Patienten bzw. auf die molekularbiologischen Eigenschaften ihrer/seiner Krebserkrankung zugeschnitten. Auch wenn dies in vielen Entitäten einen Rückgang der klassischen Chemotherapie bedeutet, ist die supportive Begleitung der onkologischen Therapien nicht weniger wichtig.
Die Supportivtherapie muss sich mit den antitumoralen Therapien entwickeln: Einige Symptomkomplexe werden seltener, neue kommen hinzu. Früher gefürchtet und neben Alopezie geradezu das Sinnbild der Chemotherapie: Übelkeit und Erbrechen. Insbesondere Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen sind heute mithilfe medikamentöser antiemetischer Prophylaxe-Regime, die in Expertenkommissionen ständig weiterentwickelt und in Leitlinien publiziert werden, kaum noch ein Problem. Aber auch Übelkeit muss möglichst effektiv kontrolliert werden, und diese ist eine häufige Nebenwirkung einer relativ neuen Substanzgruppe – der PARP-Inhibitoren. So behandelt die Übersichtsarbeit zur Prävention von Übelkeit und Erbrechen bei medikamentöser Tumortherapie von Georgia Schilling, die die aktuellen Leitlinien und Studiendaten zusammenfasst, auch die antiemetische Prophylaxe bei neuen zielgerichteten Substanzen.
Einige Therapienebenwirkungen müssen unbedingt verhindert oder reduziert werden, gegen einige lässt sich nicht viel unternehmen. Sie müssen zumindest in gewissem Maße in Kauf genommen werden. Das betrifft vor allem die Auswirkungen antihormoneller Therapien. Dass die komplette Blockade der körpereigenen Sexualhormone weitreichende und interindividuell sehr vielfältige Auswirkungen auf den gesamten Menschen hat, liegt auf der Hand. Auch wenn die meisten typischen Nebenwirkungen antihormoneller Therapien sich kaum zu lebensbedrohlichen Komplikationen entwickeln, belasten sie die Lebensqualität der Betroffenen jedoch mitunter erheblich. Dies wiegt umso schwerer, als die Therapien oftmals über sehr lange Zeiträume durchgeführt werden müssen. Insbesondere die Androgendeprivationstherapie (ADT) bei Männern mit Prostatakarzinom stellt über viele Erkrankungsstadien eine tragende Säule der Behandlung dar. Der Schwerpunktartikel von Axel Merseburger befasst sich mit dem Management häufiger Nebenwirkungen der ADT, die nicht nur die Lebensqualität einschränken, sondern die Therapieadhärenz gefährden und Morbidität und Mortalität erhöhen können.
Kein Thema die Lebensqualität betreffend, sondern eine potentiell lebensbedrohliche Komplikation einer Chemotherapie sind Neutropenien bzw. Infektionen bei Neutropenie, die sich als febrile Neutropenien (FN) manifestieren. Im Unterschied dazu sind durch CDK4/6-Inhibitoren hervorgerufene Neutropenien rasch reversibel, führen kaum zu FN und bedürfen deshalb auch keiner Prophylaxe mit G-CSF-Präparaten. Anders verhält es sich bei einer weiteren relativ neuen Waffe im Arsenal der Onkologinnen und Onkologen, den Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten, bei denen es je nach zytostatischer Bewaffnung des Antikörpers durchaus zu schweren Neutropenien kommen kann, wie Marcus Schmidt, Mainz, in seinem Übersichtsartikel zu aktuellen Aspekten bei Neutropenien bei Tumortherapie darstellt. Besonders aktuell ist das Thema natürlich vor dem Hintergrund der Infektionsgefahr mit COVID-19.
Man geht davon aus, dass Erkrankte mit hochmutierten Tumoren in besonderem Maße von der Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren profitieren. In diesem Zusammenhang erläutert Prof. Christoph Roderburg im Interview die Testung auf eine hohe Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) bzw. ein defizientes DNA-Mismatch-Reparatur(dMMR)-System als Biomarker für die Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren vor allem bei gastrointestinalen Tumoren.
Außerdem in diesem Heft: Kongressberichte vom Senologie-Kongress und vom Europäischen Krebskongress der ESMO 2022. Freuen können Sie sich auch auf den zweiten Teil unserer Serie zur Biostatistik, in dem es diesmal um Hazard Ratios und Odds Ratios geht.