Hintergrund
Das Nierenzellkarzinom weist in Deutschland eine Inzidenz von 18,5 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner auf und zählt damit hierzulande zu den häufigeren Tumoren (https:\\www.krebsdaten.de - angefragt am 27.08.19).Bei einer Mortalität von 6,5 pro 100.000 Einwohnern errechnet sich eine Case Fatality Rate von 35,1%, die die klinische Relevanz der Erkrankung unterstreicht. Darüber hinaus zeigt sich eine Assoziation zwischen weiter fortgeschrittenen Erkrankungen und niedrigem sozioökonomischem Status, was vor allen Dingen mit dem männlichen Geschlecht assoziiert [1] und damit konträr zur Beobachtung bei Melanom-Patienten ist [2].
Das Nierenzellkarzinom ist innerhalb der urogenitalen Karzinome durchaus häufig und zeigt eine steigende Inzidenz mit höherem Lebensalter [1]. Durch den flächendeckenden Einsatz von bildgebenden Verfahren in der Grundversorgung erfolgt eine zunehmend frühere Erkennung im lokalisierten Stadium. Entsprechend stieg in den letzten Dekaden die 5-Jahres-Überlebensrate auf aktuell 93%, sodass sich insgesamt eine günstige Ausgangssituation bietet [3]. Allerdings bleibt die 5-Jahres-Überlebensrate bei metastasierter Erkrankung mit 12% auch weiterhin verbesserungswürdig [3].
Histologisch werden klarzellige Nierenzellkarzinome von nicht-klarzelligen Subtypen unterschieden. Neben dem histomorphologischen Bild liegen dieser Einteilung auch spezifische molekulare Aberrationen zugrunde, die für den jeweiligen Subtyp charakteristisch sind. Die häufigste Unterform ist das klarzellige Nierenzellkarzinom, das ca. 70–80% der Nierenzellkarzinome ausmacht [4]. Der papilläre Subtyp als zweithäufigste Form des Nierenzellkarzinoms findet sich in 10–15% der Fälle. Darüber hinaus finden wir bei ca. 5% der Nierenzellkarzinome einen hereditären Hintergrund [5], was Auswirkungen auf die Patienten selbst, aber auch auf deren familiäres Umfeld hat. Bereits heute können wir diese seltenen Unterformen anhand von klinischen und molekularen Konstellationen identifizieren und so spezifische Maßnahmen für diese Patienten empfehlen [6].
Kommt es im Laufe der Erkrankung zu einer Metastasierung, wird häufig eine Systemtherapie eingesetzt. Hier hat in den letzten Jahren das molekulare Verständnis der zugrundeliegenden Biologie des Nierenzellkarzinoms die Entwicklung medikamentöser Therapien stark vorangetrieben [7]. In den letzten zwölf Jahren konnten hierdurch mehr als zehn Medikamente zugelassen werden, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Aktuell stehen uns damit drei Säulen der Tumortherapie zur Verfügung: Neben der zielgerichteten Therapie mit Inhibition des VEGF-Signalweges (vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor; [8]) sowie Hemmern des mammalian Target of Rapamycin (mTOR; [9]) hat sich als jüngster Zweig einer neuen Therapieform die Immunmodulation, basierend auf einer Immuncheckpoint-Blockade, etabliert [10]. Mit der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten bietet sich damit ein diverses und heterogenes Feld medikamentöser Behandlungsoptionen an, das für die optimale Gestaltung der Tumortherapie genutzt werden muss.
Optionen der Systemtherapie beim metastasierten Nierenzellkarzinom
Die Entdeckung des Funktionsverlusts des Von-Hippel-Lindau-Proteins beim klarzelligen Nierenzellkarzinom hat zur Entwicklung von Tyrosinkinase Inhibitoren (TKI) des VEGF-Rezeptors geführt [11], die seitdem einen Meilenstein im Behandlungsalgorithmus des Nierenzellkarzinoms darstellen und als Paradebeispiel für eine zielgerichtete Therapie gelten. Typische Vertreter dieser Therapiemöglichkeit beim Nierenzellkarzinom sind Sunitinib, Pazopanib, Tivozanib, Lenvatinib, Sorafenib oder Cabozantinib. Daneben ist der VEGF-Antikörper Bevacizumab in Kombination mit Interferon α zur Erstlinientherapie zugelassen.
Eine weitere Therapiemöglichkeit stellt die Hemmung des mTOR-Signalwegs dar, die durch Blockade des Tumormetabolismus das Wachstum hemmen kann [12]. Eine objektivierbare Remission kann unter dieser Art der Tumortherapie nur selten erreicht werden, sodass die Bedeutung dieser Therapieform in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat. Trotzdem können einzelne Patienten bemerkenswerte Stabilisierungen unter diesen Therapien erzielen, die deshalb auch weiterhin als Reservemittel im Armamentarium der Tumortherapie vertreten bleiben.
Der neueste Ansatz in der Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms ist die Entwicklung von Immuncheckpoint Inhibitoren, die durch Blockade des Programm Death Rezeptors 1 (PD-1), von dessen Liganden (PD-L1) oder des Cytotoxic T-lymphocyte antigen 4 (CTLA-4) ihre Anti-Tumorwirksamkeit entfalten können [10, 13, 14].
Die Auswahl der geeigneten Tumortherapie folgt gegenwärtig der zugrundeliegenden Evidenz. Neben der Beurteilung der Daten spielen aber auch patientenindividuelle Faktoren bei der Auswahl eine große Rolle. Hier fallen neben spezifischen Tumorlokalisationen und dem sich daraus ergebenden Remissionsdruck auch Begleiterkrankungen oder Laborabweichungen ins Gewicht, die für oder gegen eine spezifische Therapie sprechen können.
Risiko-adaptierte Tumortherapie entspricht dem aktuellen Stand der Therapie
Einen wichtigen Schritt zur individualisierten Therapie stellt die Risikoklassifizierung nach dem IMDC-Score (International Metastatic RCC Database Consortium) dar [15]. Dieser unterteilt die Patienten anhand von klinischen und laborchemischen Parametern in Subgruppen mit günstigem, intermediärem und Hochrisiko-Profil. Hiervon abhängig ist sowohl die Prognose als auch die Auswahl des geeigneten Medikaments. Die Bedeutung der Risikoklassifizierung zeigt sich an der Subgruppenanalyse des erweiterten Zulassungsprogramms für Sunitinib. Hier zeichnete sich ab, dass das objektivierbare Tumoransprechen (ORR) bei Patienten mit niedrigerem Risiko günstiger war (26%) als bei denen mit intermediärem (16%) oder Hochrisiko (9%; [16]).
Günstiges Risikoprofil
Diese Risikokonstellationen war in der Vergangenheit die Domäne der Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren und stellt die TKI-sensitive Patientenkohorte mit den besten Therapieergebnissen dar. Pazopanib und Sunitinib sind TKI der ersten Generation und besitzen eine vergleichbare Wirksamkeit, mit einem Tumoransprechen von 25–31% und einem nahezu identischen Gesamtüberleben (Hazard Ratio 0,91; 95%-Konfidenzintervall 0,76–1,08; [17]). Unterschiede bestehen in der Verträglichkeit und der Verabreichung (kontinuierliche vs. intermittierende Therapie), was in die Auswahl der Therapie einfließt. Tivozanib ist ein ähnlicher Vertreter, der als Alternative zu Sunitinib und Pazopanib gilt. Im Rahmen der Zulassungsstudie zeigte Tivozanib gegenüber Sorafenib eine Überlegenheit lediglich für das progressionsfreie Überleben (PFS; 11,9 vs. 9,1 Monate; HR 0,797 (95%-KI 0,639–0,993; p = 0,042) und bewegt sich damit in einem ähnlichen Wirksamkeitskorridor wie die beiden oben genannten TKIs. Dazu passend liegt das mediane Gesamtüberleben (OS) unter der Behandlung mit Tivozanib bei 28,8 Monaten [18]. Eine Alternative zur TKI-Therapie stellt Bevacizumab dar, ein Antikörper gegen den VEGF, der zusammen mit Interferon α zur systematischen Behandlung des Nierenzellkarzinoms eingesetzt werden kann. Mit einem objektivierbaren Tumoransprechen von 31% und einem PFS von 10,2 Monaten ist diese Kombination den TKI-Therapien vergleichbar und gilt damit als Alternativtherapie [19].