Das kleinzellige Lungenkarzinom (SCLC) bleibt eine schwer zu therapierende Erkrankung. In frühen Stadien besteht ein extrem hohes Rezidivrisiko und im metastasierten Stadium sind die Überlebenszeiten kurz. Während bisher Chemotherapien praktisch die einzigen systemischen Therapieoptionen darstellten, und seit 20 Jahren kein neues Medikament für diese Indikation mehr zugelassen wurde, gibt es neuerdings mit Immuncheckpoint-Inhibitoren und dem Immunkonjugat Rovalpituzumab-Tesirin vielversprechende neue Therapieoptionen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich diese in randomisierten Studien bewähren.
Schlüsselwörter: Kleinzelliges Lungenkarzinom, SCLC, adjuvante Therapie, prophylaktische Schädelbestrahlung, Chemoradiotherapie, palliative Chemotherapie, Rezidivtherapie, Checkpoint-Inhibitoren, Rovalpituzumab-Tesirin
Das kleinzellige Lungenkarzinom (englisch: „Small-Cell Lung Cancer“; SCLC) ist eine aggressive Krebserkrankung. Die Inzidenz beträgt ca. zehn Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern [1], der Anteil an allen Lungenkarzinomen betrug in den letzten Analysen rund 13% [2]. Kaum eine Krebserkrankung ist so stark mit dem Rauchen assoziiert wie das SCLC. In einer US-amerikanischen Analyse waren lediglich 2,5% der Patienten und Patientinnen Nie-Raucher [3].
Die Prognose dieser Erkrankung ist ungünstig. Durch die schnelle Wachstumskinetik erfolgt die Diagnose meist in einem späten Stadium, und trotz durchaus bestehender Chemosensitivität ist die Rezidivrate auch nach einer Therapie mit kurativer Intention hoch.
Das Rückgrat jeder Therapie des SCLC ist die Chemotherapie, auch in den frühen Stadien. Bei fehlendem mediastinalem Befall ist die Resektion eine Option, ansonsten ist in den nicht metastasierten Stadien die simultane Chemoradiotherapie der Standard. Im metastasierten Stadium ist die palliative Chemotherapie gesetzt. Die 2-Jahres-Überlebensraten liegen zwischen 93% für das Stadium IA1 und 8% im Stadium IV [4], die 5-Jahres Überlebensraten über alle Stadien deutlich unter 10% [5].
Stadieneinteilung
Die klinisch häufig veränderte Stadieneinteilung in „Limited Disease“ (Begrenzung der Erkrankung auf einen Hemithorax) und „Extensive Disease“ (alles darüber hinaus) sollte verlassen werden. Zwar bildet diese einfache Einteilung eine Basis für eine grobe Therapieentscheidung, jedoch bleiben sehr frühe Stadien unberücksichtigt. Darüber hinaus erlaubt eine präzisere Diskriminierung eine bessere Voraussage der Prognose: Es sollte analog zum nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) das TNM-Stadium verwendet werden. Der einzige Unterschied zu diesem ist das Fehlen der Unterteilung in die Stadien IVa und IVb, da sich aufgrund der kleineren Datenbasis kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen singulär und multipel metastasierten Erkrankungen herausarbeiten ließ [4].
Diagnostik
Die Symptomatik beim SCLC ist unspezifisch. Typisch sind Husten, Belastungs-Luftnot, Gewichtsverlust sowie die Symptome von Fernmetastasen (z. B. Krampfanfälle bei Hirn-Filiae, Schmerzen bei Knochenmetastasen). Typisch ist auch die über wenige Wochen rasch progrediente Symptomatik.
Die körperliche Untersuchung kann bereits wichtige Hinweise auf das Stadium geben, z. B. mit dem Nachweis neurologischer Defizite oder der Palpation von extrathorakalen Lymphknoten, die dann leicht diagnostisch punktiert werden können.
Die Diagnosesicherung erfolgt bei den häufig zentral lokalisierten Tumoren mittels Bronchoskopie und Biopsie. Bei endoluminal unauffälligem Befund kommt der endobronchiale Ultraschall zum Einsatz. Selten sind perkutane Biopsieverfahren (CT- oder Sonografie-gestützt) notwendig.
Die Röntgenaufnahme des Thorax liefert häufig die Verdachtsdiagnose und kann für engmaschige Verlaufskontrollen genutzt werden. Zum Staging sollte initial eine Positronenemissions-Tomografie in Fusion mit einem Ganzkörper-Computertomogramm (PET-CT) sowie eine Magnetresonanztomografie des Neurokraniums erfolgen. Verlaufsuntersuchungen werden mittels CT alleine durchgeführt.
Behandlung der frühen Stadien ohne mediastinalen Befall
Ein SCLC ohne Mediastinal-Befall ist eine Rarität und wird z. B. im Rahmen der Abklärung eines solitären Rundherdes manchmal diagnostiziert. Entscheidend ist, dass auch in den frühen Stadien eine adjuvante Chemotherapie (entgegen den Vorgaben beim NSCLC) empfohlen wird. Bei Vorliegen von positiven Lymphknoten in N1-Position kann in Einzelfällen zusätzlich eine adjuvante Strahlentherapie durchgeführt werden [5]. Auch bei Erreichen einer kompletten Remission zeigte sich in älteren Studien eine kumulative Inzidenz von Hirnmetastasen von > 50% in zwei Jahren. Wichtig ist in dieser kurativen Therapiesituation daher die Durchführung einer sogenannten „prophylaktischen“ Schädelbestrahlung, da hierdurch das Auftreten von Hirnmetastasen verringert und das Gesamtüberleben (Hazard Ratio 0,84; 95%-Konfidenzintervall 0,73–0,97, p = 0,01) verbessert werden kann [6]. Es handelt sich biologisch nicht um eine Prophylaxe, sondern um die Bestrahlung okkulter Mikrometastasen, der Begriff wird aber trotzdem für dieses Therapieverfahren genutzt. Es werden immer wieder neurokognitive Defizite nach Durchführung einer Ganzhirnbestrahlung berichtet. In einer Analyse von 93 Patienten zeigte sich jedoch, dass 47% bereits vor Bestrahlung Defizite aufgewiesen hatten und länger anhaltende Verschlimmerungen durch die Bestrahlung nicht beobachtet wurden [7].
Behandlung im Stadium III
Bei Befall von mediastinalen Lymphknoten ist die Chemoradiotherapie das optimale Therapieverfahren. Ein zusätzlicher Stellenwert für die Resektion ist nicht belegt: In einer älteren Studie wurde eine Induktionschemotherapie, gefolgt von Operation und Strahlentherapie, mit der alleinigen Strahlentherapie verglichen, ohne einen Effekt auf das Gesamtüberleben zeigen zu können [8]. Die Chemoradiotherapie sollte mit Cisplatin, Etoposid und simultaner Radiotherapie durchgeführt werden. Cisplatin ist dem Carboplatin aufgrund seines besseren synergistischen Zusammenwirkens mit der Strahlentherapie und der niedrigeren Knochenmarks-Toxizität zu bevorzugen. In dieser Konstellation ergibt sich ein Überlebensvorteil im Vergleich zur sequenziellen Chemoradiotherapie [9]. Insgesamt zeigt sich über die Studien ein klarer Trend dahingehend, dass eine kürzere Zeit von Therapiebeginn bis -ende mit einem besseren Überleben korreliert, insbesondere wenn diese Zeit 30 Tage oder weniger beträgt [10]. Auch im Stadium III sollte bei Erreichen einer Remission, insbesondere bei einer Komplettremission, eine prophylaktische Bestrahlung des Neurokraniums angeschlossen werden.
Behandlung im Stadium IV
Die Behandlung des SCLC im Stadium IV ist rein palliativer Natur. Standard ist eine Chemotherapie mit Platin und Etoposid. Carboplatin ist im Stadium IV dem Cisplatin in puncto Effektivität ebenbürtig und sollte wegen des günstigeren Nebenwirkungsprofils bevorzugt eingesetzt werden. Das ältere Schema mit Doxorubicin, Cyclophosphamid und Vincristin hat eine höhere kardiale und hepatische Toxizität. Die medianen Überlebenszeiten, welche mit diesen Schemata erreicht werden können, waren in der pivotalen Studie mit jeweils 9,9 Monaten identisch [11]. Weitere Optionen sind der Ersatz von Etoposid durch Irinotecan, ein Konzept, das sich aber nur in einer einzigen Studie als überlegen erwies: Mit Carboplatin und Irinotecan betrug das Gesamtüberleben 8,5 Monate verglichen mit 7,7 Monaten unter Carboplatin und oralem Etoposid (p = 0,02; [12]). Ein Kritikpunkt war die vergleichsweise niedrige Dosierung des Carboplatins in dieser Studie. Auch konnten diese Ergebnisse in weiteren Studien mit kaukasischen Patienten nicht reproduziert werden [5].
Von einer Monochemotherapie sollte in der Erstlinientherapie abgesehen werden, da die Effektivität in puncto Symptomkontrolle und Überlebenszeit drastisch sinkt [5]. Eine dosisintensivierte Chemotherapie mit Carboplatin und Etoposid zeigt andererseits keine Verbesserung der Überlebenszeit [13]. Protokolle mit drei oder gar vier Substanzen führen grundsätzlich zu einer Verbesserung der Überlebenszeit: Die Hinzunahme von Cyclophosphamid und Epirubicin zu Cisplatin und Etoposid führt zu einer Verlängerung des Gesamtüberlebens von 9,3 auf 10,5 Monate (p = 0,0067), aber dem steht eine Steigerung der Toxizität und der Therapie-assoziierten Mortalität von 5,5% auf 9% gegenüber [14]. In der palliativen Situation sind diese Protokolle aus Sicht des Autors von zweifelhaftem Wert.
Die Durchführung einer prophylaktischen Schädelbestrahlung bei metastasierter Erkrankung ist umstritten. In einer älteren Studie von Slotman zeigte sich neben einer Reduktion des Auftretens symptomatischer Hirnmetastasen (14,6% versus 40,4% nach einem Jahr; p < 0,001) auch ein Überlebensvorteil für Patienten, die eine solche Bestrahlung erhielten (von median 5,4 auf 6,7 Monate; p = 0,02; [15]). Die Studie hat jedoch die methodische Schwäche, dass nach der Chemotherapie und vor Einleitung der Radiotherapie keine erneute Schädel-Bildgebung durchgeführt wurde. Somit ist zu vermuten, dass viele der eingeschlossenen Patienten zum Zeitpunkt der Bestrahlung bereits manifeste Hirnmetastasen hatten. In einer neueren Studie von Takahashi wurde eine solche Bildgebung durchgeführt: Wieder zeigte sich eine signifikante Reduktion des Auftretens von symptomatischen Hirnmetastasen (32,9% vs. 50,9% nach einem Jahr; p < 0,0001), aber das Überleben war nicht signifikant unterschiedlich, im Kontrollarm sogar numerisch länger mit median 13,7 versus 11,6 Monaten (p = 0,094; [16]). Da letztere Studie das adäquatere Design hat, empfehlen wir unseren Patienten in diesem Stadium allenfalls im Falle einer Komplettremission die Durchführung einer prophylaktischen Schädelbestrahlung.
Auch beim SCLC sollte die frühe palliative Betreuung integraler Bestandteil des therapeutischen Konzeptes sein [17].
Behandlung des Rezidivs
Bei einem Rezidiv werden prinzipiell vier Situationen unterschieden: Ein refraktäres Rezidiv liegt vor, wenn die Erkrankung unter den ersten beiden Therapiezyklen progredient ist, ein resistentes Rezidiv besteht, wenn eine Progression innerhalb der ersten 90 Tage nach Gabe der letzten Chemotherapie fortschreitet, und ein sensibles Rezidiv besteht bei einem Auftreten mehr als 90 Tage bis sechs Monate nach Ende der Erstlinientherapie. Danach auftretende Rezidive werden als Spätrezidive bezeichnet.
Refraktäres Rezidiv
Es handelt sich um eine schwierige Therapiesituation ohne ausreichende Evidenz für irgendeine Therapieoption. Versuchen kann man eine Behandlung mit einem nicht „kreuzresistenten“ Kombinationsschema (z. B. Doxorubicin und Cyclophosphamid). Ebenso gerechtfertigt ist bei der bestehenden Datenlage der Verzicht auf eine weitere Systemtherapie und eine reine Palliativbehandlung [5].
Resistentes Rezidiv
Beim resistenten Rezidiv ist seit 1997 eine Monochemotherapie mit Topotecan zugelassen. Dies war die letzte Medikamentenzulassung für das SCLC überhaupt. Topotecan (in dieser Studie oral gegeben) verlängerte das mediane Überleben im Vergleich zu „Best Supportive Care“ (BSC) von 13,9 auf 25,9 Wochen [18]. Anzumerken ist, dass der Einschluss in diese Studie auf Patienten beschränkt war, die als nicht geeignet für eine intravenöse Chemotherapie galten.
Sensibles Rezidiv
Hier ist ebenfalls Topotecan eine Option, die Leitlinie empfiehlt jedoch alternativ die Durchführung einer nicht „kreuzresistenten“ Kombinationschemotherapie, analog zum Vorgehen beim refraktären Rezidiv [5]. In einer neueren japanischen Studie wurde die Dreifach-Kombination aus Cisplatin, Etoposid und Irinotecan gegen eine Topotecan-Monotherapie in dieser Situation geprüft. Etwas mehr als 50% der Patienten hatten bereits Platin und Etoposid in der Erstlinientherapie erhalten, die anderen Platin und Irinotecan oder Platin und Amrubicin. Das Gesamtüberleben war mit 18,2 versus 12,5 Monaten (p = 0,0079) im Kombinationsarm deutlich verlängert, die hämatologische Toxizität aber erhöht [19]. Da bei diesem Schema neben dem Platin auch Etoposid häufig erneut gegeben wurde, stellt sie aus meiner Sicht eine Re-Induktion dar (s. u.).
Spätrezidiv
Das Spätrezidiv ist eine Domäne für eine sogenannte Re-Induktion mit dem Erstlinienschema [20]. Bei schlechter Verträglichkeit gegenüber diesem kann man auch Topotecan einsetzen.
Zukünftige Optionen
In der Systemtherapie des SCLC gab es seit nunmehr über 20 Jahren keine neue Medikamentenzulassung. Viele in Phase-II-Studien Erfolg versprechende Ansätze erwiesen sich in Phase-III-Studien als wirkungslos, wie zuletzt die Hinzunahme von Ipilimumab, einem Inhibitor des Cytotoxic T-Lymphocyte-Associated Protein 4 (CTLA-4), zur Chemotherapie in der Erstlinie [21]. Zurzeit gibt es zwei Ansätze mit vielversprechenden Ergebnissen: Der erste ist eine Immuntherapie mit dem Inhibitor des Programmed-Cell Death Protein 1 (PD-1) Pembrolizumab oder die Kombination aus Ipilimumab und einem anderen PD-1-Inhibitor, Nivolumab. Die zweite Option ist ein Konjugat aus einem Antikörper gegen Delta-Like Protein 3 (DLL-3) und dem Zytotoxin Pyrrolo-Benzodiazepin, welche über ein Linkermolekül verbunden sind: Rovalpituzumab-Tesirin oder Rova-T.
Immuntherapie
In der einarmigen Phase-II-Studie KEYNOTE-158 erhielten 107 Patienten und Patientinnen mit SCLC Pembrolizumab, 1% in der Erstlinie nach neoadjuvanter Chemotherapie, 42% in der Zweit-, 34% in der Drittlinie und 23% als vierte oder spätere Therapielinie. Die Ansprechrate in diesem stark vortherapierten Patientenkollektiv betrug 18,7%. Ansprechrate, progressionsfreies Überleben (PFS) und Gesamtüberleben waren bei Tumoren, die PD-L1, den Liganden von PD-1, exprimierten, besser (Tab. 1). In einer weiteren, zweiarmigen Phase-II-Studie, CheckMate-032, wurde Nivolumab entweder als Monotherapie oder in Kombination mit Ipilimumab appliziert. Erneut waren die Patienten erheblich vortherapiert: Von 216 eingeschlossenen Patienten erhielten 41–52% die Studientherapie in der Zweit-, 38–56% in der Dritt- oder Viert- und 3–6% in der Fünftlinie oder später. Im Kombinationsarm wurde eine 1-Jahres-Überlebensrate von 40%, im Monotherapie-Arm von 27% erreicht [22]. PD-L1 war in dieser Studie nicht prädiktiv. In einer retrospektiven Analyse konnte aber gezeigt werden, dass die Anzahl von Mutationen im Genom prädiktiv war (Tab. 2). Insbesondere die Gesamtüberlebensdauer von 22,0 Monaten unter der Kombination bei Tumoren mit hoher Mutationslast ist ein starkes Signal [23].
Rova-T
DLL-3 wird auf vielen hochmalignen, neuroendokrin differenzierten Tumoren exprimiert, nicht jedoch auf gesundem Körpergewebe. Es stellt somit ein attraktives Target dar. Rova-T wird über den DLL-3 Rezeptor internalisiert, dort bricht der Linker und gibt das starke Zellgift Pyrrolo-Benzodiazepin frei. In einer einarmigen Phase-II-Studie erhielten 339 Patienten Rova-T: 77% in der Zweit-, 15% in der Dritt- und 8% in der Viert- oder einer späteren Linie. Einschlusskriterium war eine Expression von DLL-3 auf den Tumorzellen. Besonderes Augenmerk wurde auf die Gruppe der Tumoren mit einer hohen DLL-3-Expression (> 75% der Tumorzellen gefärbt) gelegt. In dieser Gruppe lag das mediane Gesamtüberleben dieses stark vortherapierten Kollektivs bei 5,7 Monaten. Als schwerwiegende Nebenwirkungen traten Thrombozytopenien (11%), eine kutane Photosensitivität (7%), Anämie, Fatigue und Pleuraergüsse (mit jeweils 4%) auf [24].