Das GSG-MPN-Register umfasste zum 1. März 2018 schon 2.504 Patienten aus 62 Zentren mit einer myeloproliferativen Neoplasie (MPN). In der Biobank sind bereits über 5.000 Proben asserviert. Dr. Frank Stegelmann, Ulm, berichtete über eine weiter kontinuierliche, gute Rekrutierung. Die Patientenkohorte des Registers spiegelt gut die Verteilung der häufigsten Philadelphia-Chromosom-negativen MPN wider – mit einer leichten Überbetonung der Myelofibrose (MF), so Stegelmann: Etwa 28% der dokumentierten Patienten weisen die Diagnose primäre oder sekundäre MF auf, 30% eine Polycythaemia vera (PV) und 35% eine essenzielle Thrombozythämie (ET).
Dank der weiter wachsenden Ressource der Registerstudie und der Biobank können zunehmend verschiedene versorgungsrelevante Fragestellungen untersucht werden:
Antikoagulations-Lücken bei MPN vermutet
Unter der Leitung von Prof. Dr. Steffen Koschmieder, Aachen, wird derzeit analysiert, wie Patienten mit MPN antikoaguliert werden. Bei PV und ET wird unabhängig von Risiko, Alter und Thrombose-Anamnese die Gabe niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS) empfohlen [1]. Bei MF fehlen solche klaren Empfehlungen der ESMO, weil es keine Evidenz aus randomisierten Studien gibt, so Koschmieder.
Vorläufige Ergebnisse aus dem MPN-Register zeigen, dass etwa jeder dritte erfasste Patient Thrombosen durchgemacht hat (bei etwa jedem zehnten sind es sogar mehrere) und damit ein hohes Risiko für weitere thromboembolische Komplikationen aufweist.
Eine Therapie mit ASS erhalten fast zwei Drittel der MPN-Patienten, eine Antikoagulation etwa jeder siebte. Die Rate schwerer Blutungen liegt derzeit im Register bei unter 5%. Koschmieder schätzt, dass bei Berücksichtigung von Komorbiditäten und anderen Therapie-relevanten Faktoren immer noch ein signifikanter Anteil der Patienten aus bislang ungeklärten Gründen nicht nach Leitlinie behandelt wird. Es sei wichtig, die aktuelle Versorgung abzubilden und dann im Detail zu analysieren, warum es zu Abweichungen von den Leitlinienempfehlungen kommt, betonte er. Dazu und für weitere praxisrelevante Fragestellungen bietet das Register eine gute Grundlage.
Lebensqualität bei MPN: Fatigue ist das größte Problem
Die Erfassung der Lebensqualität von MPN-Patienten ist ein weiteres wichtiges Ziel der GSG-MPN. Sie erfolgt parallel zum Register unter Verwendung des MPN-SAF-Fragebogens. Über alle erfassten Erkrankungen hinweg wie auch bei den einzelnen Entitäten geben fast alle befragten Patienten Fatigue als erlebtes Symptom an. Sie ist damit nicht nur das häufigste, sondern auch das am meisten belastende Symptom. In der Häufigkeit folgen eine allgemeine Einschränkung der Lebensqualität, Konzentrationsprobleme und Schwindel. Eine ganze Reihe von Patienten – egal in welcher Entität – gibt auf einzelnen Symptomskalen den höchsten Schweregrad 10 an. „Wir wollen durch bessere Therapien den Patienten irgendwann besser helfen können“; betonte Dr. Susanne Isfort, Aachen. Die longitudinale Erfassung der Lebensqualität wird unter anderem Aufschluss über Verlauf und Einfluss der Therapien, aber auch über Komorbiditäten und Komplikationen sowie Symptome und Lebensqualität geben.
Zweitmalignome unter der Lupe
Aktuell ist im Rahmen des Registers auch geplant, in einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie MPN-Patienten mit der Neudiagnose einer sekundären Primär-Neoplasie und solche ohne einen Sekundär-Tumor zu vergleichen (MPN-K-Studie). Ziel ist primär, den Einfluss der JAK2-Mutation auf die Prognose hinsichtlich eines Zweitmalignoms zu charakterisieren und Risikofaktoren für die Neuentstehung von Krebs bei MPN zu untersuchen. Es ist bekannt, dass MPN mit einem erhöhten Risiko für Blutkrebs und soliden Tumoren wie Melanom oder Prostatakarzinom einhergehen, erläuterte Studienleiter Prof. Dr. Martin Grießhammer, Minden.
European Network on Myeloproliferative Neoplasms (E-MPN)
Prof. Dr. Andreas Reiter, Mannheim, berichtete von einer in Kürze startenden Kooperation mehrerer europäischer Zentren, dem „European Network on Myeloproliferative Neoplasms (E-MPN)“. Neben der wissenschaftlichen Koordinierung in Mannheim werden umfassende molekulare Analysen (z. B. mittels Next Generation Sequencing (NGS)) oder Untersuchungen zu Inflammation und Telomer-Biologie unter anderem auch in Ulm und Aachen durchgeführt werden. Ein Austausch der Ergebnisse zwischen den Registern ist geplant. Die Finanzierung des europäischen Registerprojekts
E-MPN wird durch Novartis Pharma sichergestellt, längerfristig ist aber auch eine unabhängige Finanzierung denkbar (siehe Interview). Die Organisation dieses Registers basiert im Wesentlichen auf vorab definierten Projekten, die aber in Abhängigkeit von den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen im Verlauf adaptiert bzw. auch neu definiert werden können, erläuterte Reiter.
MPN und schwanger? Risiko ja, aber keine Indikation zur Interruptio!
Ein weiteres europäisches Projekt ist das europäische Schwangerschaftsregister bei MPN, das Prof. Dr. Martin Griesshammer, Minden, koordiniert. Eine Metaanalyse der bestehenden Datenlage bei ET ergab, dass das Thromboserisiko in der Schwangerschaft bei Patientinnen mit ET bei etwa 1–2% und damit etwa zehnmal höher liegt als bei gleich alten Schwangeren ohne ET. Bei 800 beobachteten Schwangerschaften lag die Lebendgeburt-Rate bei gut zwei Dritteln im Vergleich zu etwa 80% in der Allgemeinbevölkerung. Jede vierte Schwangerschaft endete mit einem Spontanabort, Spätaborte in fast jeder zwanzigsten Schwangerschaft bedeuteten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung um den Faktor 5 erhöhtes Risiko für diesen für die Patientinnen extrem belastenden Ausgang. Die Rate an schweren Thrombosen oder Blutungen liegt bei der ET bei rund 2%. Eine Therapie mit pegyliertem Interferon war in keinem Fall mit einem ungünstigen Ausgang der Schwangerschaft assoziiert. Auch wenn eine Schwangerschaft bei ET für Mutter und Kind mit erhöhten Risiken einhergeht, ist eine Unterbrechung laut Griesshammer nach diesen Daten nicht grundsätzlich indiziert.
Friederike Klein